Protocol of the Session on June 9, 2010

Prävention sei wichtiger als Repression. - Da hat sie allerdings Recht. Wir müssen alles daran setzen, dass wir in der Prävention weiterkommen, sodass wir diese Straftaten verhindern können.

Bei Fragen wie etwa dem Rechtschutz der betroffenen Kolleginnen und Kollegen oder dem Gesundheitsmanagement - Herr Rolfes, Sie haben den Alkoholmissbrauch bei den randalierenden Gewalttätern angesprochen - ist schon vieles auf den Weg gebracht worden. Aber die Studie zeigt eben auch, dass wir da noch mehr tun müssen.

Ich bitte darum, eine Äußerung von Herrn Pfeiffer in der Diskussion um den sogenannten A 11erErlass ganz ernst zu nehmen. Das geht in Richtung des Innenministers. Herr Schünemann, Herr Pfeiffer hat sich zu der Studie mit der Aussage geäußert, die eigentlichen Helden der polizeilichen Arbeit sind die Kräfte in den Einsatz- und Streifendiensten, weil sie überproportional von den Übergriffen betroffen sind. Ich bitte, das zur Kenntnis zu nehmen.

(Beifall bei der SPD)

Unsere niedersächsische Polizei arbeitet jeden Tag 24 Stunden und 365 Tage im Jahr. Wir haben die Verantwortung und die Verpflichtung, uns schützend vor unsere Polizistinnen und Polizisten zu stellen und der Gewalt gegen Polizeibeamte ganz konsequent entgegenzutreten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Ich erteile dem Kollegen Oetjen von der FDPFraktion das Wort.

Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegin Modder, genau deshalb, weil CDU und FDP sich vor unsere Polizisten stellen und es aufs Schärfste ablehnen, dass Gewalt gegen Polizeibeamte ausgeübt wird, thematisieren wir das heute in dieser Aktuellen Stunde durch den Antrag der CDU-Fraktion.

(Zuruf von Hans-Jürgen Klein [GRÜNE])

Ich finde, es ist wichtig, dass wir die Öffentlichkeit für dieses Thema sensibilisieren.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Schon vor einem Jahr haben CDU und FDP hier im Landtag einen Entschließungsantrag eingebracht. Sie haben darauf angespielt. Es ist eben nicht so, dass CDU und FDP allein das Thema Repression in den Mittelpunkt stellen. Das Gegenteil ist der Fall! Das möchte ich hier sehr deutlich sagen.

In dem damaligen Antrag ist die Rede davon, dass wir die persönliche Ausstattung der Polizisten in den Mittelpunkt stellen müssen. Da wird über Fürsorgeleistungen für von Gewalt betroffene Polizisten und über die Frage von Fortbildungen diskutiert. Gerade Niedersachsen hat hier mit dem Systemischen Einsatztraining sehr gute Initiativen auf den Weg gebracht. Deswegen glaube ich, dass das keine Frage nur des Strafgesetzbuchs ist, sondern hier ist ein Bündel von Maßnahmen notwendig. Da sind CDU und FDP hier in Hannover, aber auch in Berlin auf dem richtigen Weg, verehrte Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der FDP)

Die ersten Ergebnisse der Studie des KFN liegen jetzt vor. Sie sind vom Minister vorgestellt worden. Es ist richtig, dass wir auch hier noch einmal über diese Thematik diskutieren und schauen, was für Schlüsse man schon aus den ersten Ergebnissen ziehen kann.

Wir haben gehört, dass der Umfang der Widerstandsdelikte gegen die Staatsgewalt in den vergangenen zehn Jahren um mehr als 30 % gestiegen ist. In den letzten vier oder fünf Jahren ist die Zahl der Delikte, die zu einer Einsatzunfähigkeit, also Arbeitsunfähigkeit von Polizisten von mehr als sieben Tagen Dauer geführt haben, um 60 % gestiegen. Sehr verehrte Damen und Herren, das sind für uns alarmierende Signale, dass hier etwas falsch läuft. Wir müssen sie ernst nehmen. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe - da gebe

ich dem Kollegen Briese durchaus recht -, Prävention in den Mittelpunkt zu stellen, aber auch den Wert der Polizeiarbeit wieder stärker hervorzuheben und zu sagen: Unsere Polizisten haben den Respekt der Bevölkerung und den Respekt von uns allen verdient.

(Zustimmung bei der CDU)

Sie haben die Frage des Strafrechts angesprochen. Ich möchte mich hier ausdrücklich beim Kollegen Rolfes dafür bedanken, dass er dargestellt hat, dass der jetzt vorgelegte Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums, in dem eine Anhebung des Strafmaßes auf drei Jahre und Konkretisierungen des Rechts vorgeschlagen werden, der richtige Weg ist. Ich glaube, dass er da völlig recht hat. Es ist nämlich ausreichend, das Strafmaß auf drei Jahre zu erhöhen. Herr Minister Schünemann, der Vorschlag, dem Rahmen auf vier Jahre zu erweitern, geht, glaube ich, zu weit. Wir sollten den Vorschlag, der jetzt von der Bundesregierung ausgearbeitet wurde, aus dem Lande Niedersachsen heraus unterstützen.

(Beifall bei der FDP und Zustimmung bei der CDU)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, abschließend möchte ich sagen: CDU und FDP stehen eindeutig hinter der Arbeit unserer Polizisten. Gewalt gegen Polizeibeamte verurteilen wir aufs Schärfste. Das ist nicht nur eine Frage von Zahlen, sondern betrifft auch die Frage, wie sich Polizisten in ihrem Arbeitsumfeld fühlen. Darauf ein Augenmerk zu legen, kann nicht falsch sein. Deswegen finde ich es richtig, dass wir hier in der Aktuellen Stunde darüber diskutieren. Welche weiteren Schlüsse für die Zukunft wir aus der Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts ziehen können, werden wir diskutieren, wenn die endgültigen Ergebnisse vorliegen.

Ganz herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Ich erteile dem Kollegen Adler von der Fraktion DIE LINKE das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst eine Vorbemerkung: Ich kann mich Herrn Briese, Frau Modder und den anderen Vorrednern anschließen, die sich eindeutig dafür ausgesprochen haben, Gewalt gegen Polizeibe

amte zu verurteilen. Das ist auch die Auffassung unserer Fraktion.

(Beifall bei der LINKEN und Zustim- mung bei den GRÜNEN)

Wenn man sich die KFN-Studie ansieht, muss man aber schon ein bisschen genauer hinschauen. Das für mich erstaunlichste Zwischenergebnis dieser Studie ist, dass man, wenn man die Gewalt nach den Tätern differenziert, zu dem Ergebnis kommt, dass es in der Gruppe der über 30-Jährigen im dort betrachteten Zeitraum von 2008 bis 2009 überhaupt keine Steigerung der Zahl der Delikte gegeben hat. Die festgestellte Steigerung der Zahl der Delikte in diesem Zeitraum bezieht sich vielmehr ausschließlich auf die Gruppe der unter 30Jährigen.

Da kann man natürlich zu dem vorschnellen Schluss kommen: Das Problem haben wir im Grunde nicht auf der Opferseite, sondern auf der Täterseite zu suchen. Wir haben ein Problem zunehmender Gewalttätigkeit von Jugendlichen. - Einen solchen ersten Schluss kann man ziehen, wenn man allein in die Polizeiliche Kriminalstatistik schaut; denn auch diese Polizeiliche Kriminalstatistik weist eine Steigerung der Zahl der Gewaltdelikte von Jugendlichen aus. Das ist aber nicht die ganze Wirklichkeit. Denn die Polizeiliche Kriminalstatistik ist eine Verdächtigenstatistik; sie beruht auf festgestellten Anzeigen. Sie muss immer durch eine Verurteilungsstatistik und vor allen Dingen durch eine Untersuchung des sogenannten Dunkelfeldes überprüft werden. Das ist übrigens auch der Innenministerkonferenz bekannt, die in ihrem Bericht von der Herbsttagung 2007 ausgeführt hat:

„Es sind derzeit keine gesicherten Aussagen zu den Fragen möglich, ob die Jugendgewaltkriminalität in den letzten Jahren einen deutlichen Anstieg zeigt oder nicht und wie sich dieser Phänomenbereich zukünftig entwickeln wird.“

Und weiter unten:

„Dem klaren Aussagegehalt der Polizeilichen Kriminalstatistik stehen die Erkenntnisse aus kriminologischen Forschungen, insbesondere Dunkelfeldforschungen entgegen. Sie erkennen zwar die steigenden Fall- und Tatverdächtigenzahlen im Hellfeld an. Aufgrund der Daten zu selbst berichteter Delinquenz und Opferwerdung

kommen sie aber zu dem Schluss, es sei kein tatsächlicher Anstieg der Gewaltkriminalität junger Menschen, sondern eine vorrangig aufgrund steigender Anzeigebereitschaft zunehmende Aufhellung des Dunkelfeldes Ursache dieser Zahlen.“

Das ist also auch die Erkenntnis der Innenministerkonferenz.

(Dr. Manfred Sohn [LINKE]: Hört! Hört!)

Wenn man sich die kriminologischen Studien, die dazu gemacht worden sind, insbesondere von Professor Wolfgang Heinz aus Konstanz, ansieht, wird ziemlich deutlich, dass es manchmal Erkenntnisse gibt, die der Kriminalstatistik voll entgegenstehen. Ich will nur ein Beispiel nennen: Die Wissenschaftler haben sich einmal von den Unfallversicherungen die Berichte über Schulraufereien geben lassen, die dort als Unfälle gemeldet wurden. Das Ergebnis dieser Statistiken ist interessanterweise, dass die Gewaltbereitschaft bei Jugendlichen offenbar nicht gestiegen, sondern zurückgegangen ist. Man hat sogar untersucht, ob die Jugendlichen jetzt im Einzelnen härtere Gewalttaten begangen haben, und hat festgestellt: Bei Knochenbrüchen und dergleichen ist keine signifikante Änderung zu verzeichnen.

Mit anderen Worten: Das ganze Problem ist viel komplizierter - das hat der Kollege Briese richtig ausgeführt -, als es auf den ersten Blick erscheint. Selbst die Steigerung der Zahl auf der Täterseite - anscheinend mehr Jugendliche - kommt bei genauer Betrachtung gar nicht richtig vor. Hier muss viel differenzierter untersucht werden. Ich hoffe, dass der zweite Teil der Untersuchung des KFN auch das Dunkelfeld und vor allen Dingen das Anzeigeverhalten beleuchtet.

Wenn man das im Blick hat, ist sofort klar, dass man dem Problem nicht mit schnellen und einfachen Antworten gerecht werden kann, wie es etwa mit einer Erhöhung der Strafdrohung geschehen soll. Das bringt erfahrungsgemäß überhaupt nichts.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Viel wichtiger ist es, sich der Komplexität des Themas anzunehmen und auch im Blick zu haben, dass Kriminalität immer auch etwas mit den sozialen Strukturen der Gesellschaft zu tun hat. Wir sind der Meinung: Je mehr soziale Gerechtigkeit wir in dieser Gesellschaft schaffen, umso weniger Krimi

nalität werden wir haben, auch gegenüber Polizeibeamten.

(Beifall bei der LINKEN und Zustim- mung bei den GRÜNEN)

Ich erteile Herrn Minister Schünemann das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin der CDU-Fraktion sehr dankbar, dass sie dieses Thema für die Aktuelle Stunde angemeldet hat; denn es ist wichtig, die ersten Ergebnisse der Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts nicht nur in der Innenministerkonferenz zu diskutieren, sondern auch hier im Parlament.

Hier ist übereinstimmend dargelegt worden, dass die Zahlen wirklich erschreckend sind: Fast 82 % der Polizisten werden im Dienst beleidigt. Fast jeder Zweite wird geschubst, gestoßen. 26 % werden geschlagen, und 9 % werden sogar mit Waffen bedroht. - Das sind nun wirklich alarmierende Zahlen. Dass die Zahlen im Streifendienst noch erheblich höher sind, wurde zwar vielleicht immer vermutet, ist aber noch nie so dokumentiert worden.

Daraus muss man meiner Ansicht nach sehr schnell Konsequenzen ziehen. Wir haben das bei der Innenministerkonferenz getan.

Zum einen muss das Strafmaß erhöht werden. Ob auf drei oder auf vier Jahre, ist, glaube ich, nicht die entscheidende Frage. Auch das ist hier dargestellt worden. Aber wir als Politik müssen ein Signal setzen, dass wir diese Gewalt in keiner Weise akzeptieren. Eine solche Erhöhung zeigt durchaus abschreckende Wirkung, auch wenn das hier verniedlicht wird. Deshalb ist eine Erhöhung auf drei Jahre richtig.

Zum anderen aber - das ist der entscheidende Punkt - soll § 113 des Strafgesetzbuches in Zukunft nicht nur für Vollstreckungshandeln gelten, sondern auch für den alltäglichen Dienst, also auch für den Streifendienst. Genau das hat die Innenministerkonferenz gefordert. Da muss die Justizministerin noch nachbessern. Es ist aus meiner Sicht überhaupt nicht nachvollziehbar, dass sie diese Erkenntnisse, die sie noch nicht kennen konnte, noch nicht zur Kenntnis genommen hat.

Mindestens genauso alarmierend ist, dass im Vergleich von 2005 zu 2009 gerade auch die Zahl der

Schwerverletzten - sieben Tage dienstunfähig - um 60 % zugenommen hat. Wir müssen sehen, ob es nicht auch im Strafrecht Veränderungen geben muss. Da kann ich die Justizministerin nicht ganz unterstützen. Frau Modder hat zu Recht darauf hingewiesen, mit welcher Äußerung sie darauf reagiert hat.