Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vom Emsland über Hannover und Peine bis nach Helmstedt sind wir uns in einem einig: Wir alle sind mehr oder weniger Fußballsachverständige. - Fußballerisch ausgedrückt, haben wir in dieser Legislaturperiode jetzt annähernd Halbzeit. Die SchwarzGelben haben in dieser ersten Halbzeit unter ihrem Spielertrainer Wulff versucht, das Spiel zu dominieren.
Nach der ersten Halbzeit hat dieser Spielertrainer mehr als die Hälfte des schwarzen Blocks ausgewechselt,
(Wolfgang Jüttner [SPD]: Ja! - David McAllister [CDU]: „Schwarzer Block“ ist Humke-Focks! Da kennen wir uns nicht aus!)
Trotzdem stellt sich dieser Spielertrainer in der Öffentlichkeit hin und spricht auf die Frage, ob er und seine Truppe denn gut gespielt hätten, von einer großartigen ersten Halbzeit. Da lacht doch sogar der eigene Fanclub!
Dann muss er natürlich die Frage aufwerfen: Wie spiele ich denn jetzt in der zweiten Halbzeit? - Er sagt in mehreren Umfragen, die er häufig bemüht - auch in der gedruckten Fassung der heutigen Regierungserklärung -, dass seine Mannschaft wunderbar spiele und dass die Mehrheit das auch so sehe. Nun können Sie sich alle diese Umfragen übers Bett nageln. Wir nageln uns die Wahlergebnisse der letzten Jahre übers Bett, die eine kontinuierliche Aufwärtsentwicklung unserer Partei beweisen. Bei der Betrachtung der Wahlergebnisse ist natürlich ein Wahlergebnis entscheidend, und zwar das der letzten Wahl nach der Landtagswahl, die im ganzen Land stattgefunden hat, nämlich der Bundestagswahl.
Die ist wichtiger als alle anderen Wahlen. Diese Bundestagswahl hatte ein Kernergebnis, das Herrn Wulff alarmiert hat: CDU und FDP haben in diesem Land keine Mehrheit mehr; SPD, Grüne und Linke haben rechnerisch - nicht politisch - in diesem Land die Mehrheit. Dieses Ergebnis hat Panik ausgelöst und ist ursächlich für den fast kompletten Rauswurf der Kabinettsmitglieder auf der CDUSeite.
Dann stellt sich natürlich die Frage: Woher neue Hoffnungsträger nehmen? - Es kam die Erkenntnis Wulff: Diese Landtagsfraktion der CDU ist die größte niedersächsische Ansammlung Kabinettsungeeigneter.
Das sieht die CDU auch so. Sie hat - um es einmal flapsig zu sagen - nichts in der Hose. Als ihr das so deutlich gesagt wurde, gab es ein bisschen Gegrummel und ein paar Gegenstimmen bei der Wahl von Herrn McAllister - das war es dann schon. Ansonsten gilt: Kopf einziehen und hoffen, dass Herr Wulff, der Landesvater, doch nicht so böse wird.
Herr McAllister, mit dieser Currytruppe wollen Sie tatsächlich die Landtagswahlen 2013 gewinnen? - Das glauben Sie doch selber nicht!
Natürlich gab es keine Änderungen im gelben Flügel. Dort bleiben der unmöglichste aller Umweltminister und der unsichtbarste aller Wirtschaftsminister im Amt. Die sollen auch so weitermachen; denn das Projekt, die Partei der sozialen Kälte von den Westerwelle-Illusionen in die Vertrautheit des Kampfes um die 5 % herunterzuholen, kann davon nur profitieren.
In dieser verzweifelten Situation entscheidet sich nun der Ministerpräsident, seine erste Regierungserklärung abzugeben. Und dabei passiert etwas Bemerkenswertes: Er tut nämlich in dieser Regierungserklärung so, als gäbe es 2013 überhaupt nicht. Überschrift der Regierungserklärung ist „Niedersachsen 2020“. Das ist ein bisschen wie bei Monopoly: Er hofft, dass er die Karte „Rücke vor bis auf Los!“ bekommt. Das Erstaunliche an dieser
Regierungserklärung ist, dass das Jahr 2020 im Prinzip nur in der Überschrift vorkommt. Im weiteren Verlauf erfolgt keine Konkretisierung. Das hat sich in Ihrer Rede bestätigt, die wir vorhin gehört haben. Ich habe nicht genau mitgezählt, aber, grob geschätzt, kam 2020 ziemlich selten vor, 2003 dafür ständig. Der Blick nach vorne ist also gründlich in die … gegangen.
Der einzig konkrete Satz zu 2020 ist der Satz: In den kommenden Jahren bis 2020 wird die Einwohnerzahl in Niedersachsen recht stabil bleiben. - Ich habe keinen anderen konkreten Satz zu 2020 gefunden!
In der Regierungserklärung steht noch etwas Bemerkenswertes, nämlich dass die Kraftanstrengung „vergleichbar mit der Zeit des Wiederaufbaus“ sei. In diesem Satz steckt eigentlich ein Eingeständnis - was ich eigentlich kaum glaube -:
Sieben Jahre CDU-Regierung sind ungefähr so schlimm wie sechs Jahre Krieg. - Anders kann man das wohl nicht verstehen.
Was aber wäre denn für eine wirklich positive Vision 2020 nötig? - Nötig wären gravierende Kurskorrekturen. In der letzten Woche haben wir alle den Böckler Impuls bekommen - das sage ich allerdings auch in Richtung SPD und Grüne. Dort ist noch einmal deutlich geworden, welche fatalen Auswirkungen die ständigen Steuerminderungsprogramme gehabt haben, angefangen mit der rotgrünen Steuerreform. Die Steuerreformen haben - so sagt die Böckler-Stiftung - ungefähr 40 Milliarden Euro Mindereinnahmen pro Jahr und die Schulden produziert. Vor dem Hintergrund der auch danach folgenden Steuermindereinnahmen sind - wie Herr Jüttner es richtig gesagt hat - die öffentlichen Kassen dieses Landes planmäßig geplündert worden, insbesondere von CDU und FDP.
Vor allem das muss geändert werden. Das kann auch geändert werden. Auch wenn Sie es nicht hören wollen: Man kann das ändern, indem wir, z. B. orientiert an der Nachkriegszeit, den damals geltenden Spitzensteuersatz von 63 % wieder ins Auge fassen,
dass wir die damals vorhandene ordentliche Vermögensteuer und Erbschaftssteuer wieder ins Auge fassen
Sie haben an mehreren Stellen etwas zu den Kommunen gesagt, die Sie sogar zu Recht als die „Urorte der Demokratie“ bezeichnet haben. Sie haben aber nichts dazu gesagt, dass die ursprünglich gedachte Pyramide, deren starke Basis - auch finanziell - die Kommunen sind - das war übrigens vor einigen Jahrzehnten noch so -, inzwischen so pervertiert ist, dass die Kommunen von den gesamten Steuereinnahmen der Bundesrepublik Deutschland nur noch 14 % verwalten. Das ist das Ergebnis des permanenten Aushungerns der Kommunen, das Sie mit Ihrer Politik zu verantworten haben.
Deshalb brauchen wir eine Politik der doppelten Umverteilung: von oben nach unten, vom Bund auf die Kommunen. Dann wird eine Vision 2020, die bei Ihnen nicht zu entdecken ist, tatsächlich möglich. Das wäre nämlich die Vision von 20 Schülern pro Klasse und von entschuldeten Kommunen. Das wäre die Vision, dass die Kommunen in die Lage versetzt werden, statt über die Schließung von Schwimmbädern über die zusätzliche Schaffung von Kultureinrichtungen zu debattieren. Das wäre eine Vision!
Aber von dieser Vision ist bei Ihnen nichts, aber auch gar nichts zu spüren. Stattdessen zeichnen Sie hier die Karikatur einer Blut-, Schweiß- und Tränenrede. Sie versuchen sich an einem rührseligen Churchill-Verschnitt. Aber es ist nicht nur rührselig, was Sie gemacht haben, sondern das ist auch in hohem Maße scheinheilig.
Eine Scheinheiligkeit will ich Ihnen nennen: Sie loben die Sparkassen. Sie bekommen dafür auch den Beifall der CDU - wie kann es bei dieser Fraktion auch anders sein. Gleichzeitig wissen Sie aber, dass der Sparkassenpräsident in Niedersachsen klargemacht hat, dass aufgrund der Beschlüsse, die der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende mitträgt, eine - so bezeichnet er das - drastische Benachteiligung der regionalen und lokalen Kreditinstitute droht, insbesondere der
Sparkassen und Volksbanken. Denn die Pläne, die Herr Schäuble ausbaldowert hat und die Sie mittragen, führen dazu, dass Sparkassen und Volksbanken mit einer Zahlung von 240 Millionen Euro jährlich - die niedersächsischen mit ungefähr 24 Millionen Euro - belastet werden. Das ist der Kern Ihrer Politik, der in diametralem Gegensatz zu dem steht, was Sie hier verkünden.
Bei der Kernkraft bzw. Windkraft ist es genau dasselbe: Sie sagen schöne Worte und schlagen dann denen, die Sie vorher gelobt haben, in die Kniekehlen. Das ist das Scheinheilige an Ihrer Politik!
Das konzentriert sich in der völligen Unfähigkeit - dazu kam kein Wort in dieser Regierungserklärung -, eine Gegenfinanzierung zu Ihren Vorschlägen aufzuzeigen. Diese Regierungserklärung war für die Tonne. Dieses Papier wird 2013 nicht überleben - auch nicht durch Ihren Panik-Wechsel zur Halbzeitpause.
Bevor ich Frau Flauger das Wort erteile, möchte ich darauf hinweisen, Herr Dr. Sohn, dass Sie in Ihrem Beitrag eine sehr eigenwillige Wortschöpfung verwendet haben. Sie haben eine Fraktion als „Currytruppe“ bezeichnet. Ich kann mit dem Begriff nichts anfangen, aber aus meiner Sicht ist er sehr despektierlich. Deswegen ermahne ich Sie zu einer vernünftigen Wortwahl im parlamentarischen Gebrauch.