Protocol of the Session on March 18, 2010

Herr Innenminister Schünemann, ich will Ihnen zwar nichts unterstellen, wie Frau Flauger, und Sie nicht in die Nähe der McCarthy-Ära rücken. Aber es ist doch ziemlich eindeutig, dass hier eine Wiederbelebung der Rote-Socken-Kampagne ziemlich naheliegend ist.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, in Sachsen-Anhalt - dort regiert eine Große Koalition - hat der Versuch einer Gleichstellung zwischen Rechts- und Linksextremismus zu Protesten geführt. Man wollte das im Rahmen eines Seminars deutlich machen. Dieser Punkt ist dank der Proteste und dank der Zivilcourage von handelnden Leuten zurückgenommen worden. Ich frage einmal: Warum geht das in Niedersachsen nicht? Ich denke in diesem Zusammenhang beispielsweise an die Ausstellung zum Extremismus, die ursprünglich zum Thema Rechtsextremismus konzipiert war und jetzt um sechs Ta

feln zum Linksextremismus ergänzt worden ist, die aus unserer Sicht sehr schablonenhaft sind.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, wir meinen, dass eine Kritik des Wirtschaftssystems, des kapitalistischen Systems durchaus mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu verbinden ist. Es äußern sich Vertreter der christlichen Sozialethik. Es äußern sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in diesem Bereich. Ich habe gerade bei meiner Kollegin Andretta eine DVD von Alexander Kluge und anderen hingelegt, die sich auch zu dem Thema Kapitalismuskritik äußern. Das sind namhafte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die Sie doch bestimmt nicht diskreditieren werden.

Lassen Sie mich abschließend noch einzelne Punkte nennen. In den Debatten werden von Ihnen, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, immer wieder Gegenüberstellungen gemacht wie Gleichheit statt Freiheit, Kollektiv statt Individualität. Der Begriff „Einheitsschule“ muss immer wieder dazu herhalten, um zu diskreditieren. Sie freuen sich dann auch noch wie ein Bär darüber. Das geht nicht, meine Damen und Herren! Das lassen wir mit uns nicht machen! Das ist unwissenschaftlich und nicht seriös!

(Lebhafter Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Aus diesem Grund, meine Damen und Herren, fordern wir die Landesregierung auf, dafür Sorge zu tragen, dass diese schablonenhaften Gleichsetzungen nicht mehr stattfinden, dass auf einer fundierteren Ebene diskutiert wird und dass sich das in der Debattenkultur zum Ausdruck bringt. Wir wollen nicht, dass die Gefahr besteht, dass sich parteipolitische Schwerpunkte des Innenministeriums auf die Behördenkultur auswirken und dass dort Leute möglicherweise aus eigenem Antrieb und aus vorauseilendem Gehorsam ausschließlich in Richtung der CDU und ihrer Programmatik arbeiten.

Wir wollen, dass die Ausstellung zum Thema „Verfassungsschutz gegen Extremismus“ überarbeitet wird. Wir meinen, dass wir die Wiedereinrichtung der Landeszentrale für Politische Bildung mit entsprechendem Personal, das pädagogisch geschult ist, brauchen. Wir brauchen eine Kontrolle von Parlamentarierinnen und Parlamentariern über die Inhalte von Bildungsarbeit, und zwar aller hier im Parlament vertretenen Fraktionen.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, wir wollen keine Umschichtungen zulasten von Maßnahmen gegen Rechtsextremismus. Dies darf auf Landes- und auf Bundesebene nicht passieren.

Ich freue mich auf die Diskussion.

Vielen Dank.

(Starker, lang anhaltender Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, die nächste Rednerin ist Frau Zimmermann von der Fraktion DIE LINKE. Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Linke begrüßt im Grundsatz den von der SPDFraktion eingebrachten Antrag gegen die Diskreditierung linker Gesellschaftsentwürfe durch die Gleichsetzung von Links- und Rechtsextremismus, wie es die Landesregierung seit Längerem betreibt.

(Björn Thümler [CDU]: Was?)

Die Linke begrüßt hierbei vor allem die ideengeschichtliche Herleitung sowie die sachkundige Differenzierung der jeweils zugrunde liegenden politischen Theorie und Gesellschaftskritik.

Auch wenn wir nicht in allen Ausführungen ganz übereinstimmen, betrachten wir den Antrag doch als dankenswerten Beitrag zu einer wichtigen, aber leider nicht immer sachlich geführten Diskussion.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gibt es eine politische Denktradition aus Zeiten des Kalten Krieges, mit der Rechts- und Linksextremismus gleichgesetzt werden. Leider versteht sich unsere Landesregierung noch heute anscheinend als „kalter Krieger“, da sie diese Gleichsetzung der wissenschaftlichen Erkenntnis zum Trotz aus parteipolitischem Interesse betreibt. Dabei will sie übersehen, dass sowohl Ursachen, Programmatik als auch Zielsetzung gänzlich unterschiedlich sind.

Meine Damen und Herren, seit 1993 sind in Deutschland über 140 Menschen durch Gewalt von rechts ums Leben gekommen. Die Pogrome von Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda, aber auch die Anwesenheit neonazistischer Parteien wie der NPD in deutschen Landes- und Kommunalparlamenten machen mehr als deutlich, dass es sich beim Rechtsextremismus keineswegs um ein Randphänomen handelt, dem eine vollends demokratische und vermeintlich resistente gesellschaftliche Mitte gegenüberstehen würde.

Auch die zunehmende Verbreitung rechtsextremer Einstellungen unter Jugendlichen, die sich empirisch belegen lässt, und die Entstehung neuer Organisationsformen sowie wachsende Militanz und Gewaltbereitschaft weisen darauf hin, wo die wirklichen Gefahren für unsere demokratische Gesellschaft liegen. Neonazis werden aus parteipolitischem Kalkül instrumentalisiert, um politische Konkurrenten zu diskreditieren. Wie die Ergebnisse der Verfassungsschutzausstellung verdeutlichen, geschieht dies auf eine plumpe und unwissenschaftliche Art und Weise, die kein gutes Zeugnis über die Sachkenntnis des Innenministeriums sowie der zuständigen Behörde ablegt. Sachkenntnis ist auch nicht gefragt. Es geht der Regierung allein darum, eine konkurrierende Partei zu stigmatisieren. Der Verfassungsschutz wird also als politische Waffe in der politischen Auseinandersetzung genutzt.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Auseinandersetzung erfolgt gerade nicht im Sinne eines Wettbewerbs der politischen Ideen. Es ist vielmehr eine Auseinandersetzung, bei der die eine Seite gezielt die Mittel der Staatsmacht einsetzt, um zu diskreditieren. Der Fall Jannine Menger-Hamilton ist ein anschauliches Beispiel dafür.

In der Ausstellung wird vom Innenministerium ganz bewusst mit Unterstellungen gearbeitet, für die es keine Beweisführung gibt. So wird z. B. behauptet, Linksextreme - nach Ihrer Definition - würden individuelle Freiheitsrechte dem Grundsatz der Gleichheit unterordnen. Für die Linke weise ich diese Unterstellung auf das Schärfste zurück.

(Beifall bei der LINKEN)

Im Gegenteil, Freiheit und Gleichheit sind für uns gleichrangig. Wenn Sie sich ehrlich und interessiert mit unseren Positionen auseinandergesetzt hätten, wüssten Sie das auch. Denn wir haben genau dies in vielen Reden deutlich gemacht, und unsere parlamentarische Arbeit ist von diesem Grundsatz ge

prägt. Sie aber sind unsachlich und hasserfüllt. Eine sachliche Auseinandersetzung über dieses Thema kann bei Ihnen deshalb nicht stattfinden. Deshalb wird der Verfassungsschutz bei Ihnen als politisches Instrument eingesetzt.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)

Von der CDU-Fraktion hat sich Herr Rolfes zu Wort gemeldet. Bitte!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Den Antrag „Gegen eine Diskreditierung linker Gesellschaftsentwürfe durch die Gleichsetzung mit rechtsextremistischen Gesellschaftsvorstellungen“ lehnen wir insbesondere aus folgenden Gründen ab:

Erstens. Der pauschal begründete Antrag enthält Unterstellungen und aus dem Zusammenhang gerissene Zitate des Innenministers bzw. des ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten.

Zweitens. Im Grunde geht aus dem Antrag hervor, dass für die SPD eine Koalition mit den Linken der Normalfall ist. Die Formulierung unter dem ersten Spiegelstrich auf Seite 3 macht das deutlich. Dort wird auf die Koalition in Berlin und ehemals in Mecklenburg-Vorpommern hingewiesen. Ich erwähne hier auch die Zusammenarbeit in SachsenAnhalt.

(Pia-Beate Zimmermann [LINKE]: Die CDU koaliert inzwischen vielfach mit uns!)

Da glaube noch einer an die Aussagen in Nordrhein-Westfalen, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Widerspruch bei der LINKEN)

Der Antrag verurteilt zu Recht den Rechtsextremismus. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Linksextremismus wird von uns aber vermisst. Extremisten von rechts und von links sowie islamistische Extremisten müssen gleichermaßen erkannt werden, weil sie die Verfassung gefährden. Die politischen Ziele und Inhalte wird aber keiner gleichstellen wollen. Erstklassige Erkenntnisse über Extremisten sind das eine. Bei der Frage, wie man damit umgeht, ist aber zu differenzieren, und zwar innerhalb und außerhalb der Gruppen. Die Auseinandersetzung mit Extremisten muss sehr

flexibel erfolgen, wobei auf die jeweilige Situation zu reagieren ist. Diese Auseinandersetzung muss aber immer entschlossen erfolgen und möglichst von großer Geschlossenheit der Demokraten getragen sein. Solange verfassungsfeindliche Ziele verfolgt werden, können keine Kompromisse gemacht werden.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die Bundesrepublik Deutschland ist auch mit ihren 60 Jahren eine stabile Demokratie, die von den Menschen insgesamt getragen wird.

Herr Kollege Rolfes, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, jetzt nicht. Sie können sich nachher zu Kurzinterventionen zu Wort melden. Sie können reden, so viel Sie wollen. Für Zwischenfragen habe ich jetzt keine Zeit.

(Pia-Beate Zimmermann [LINKE]: Versprochen: So viel wir wollen?)

Die freiheitliche Gesellschaft ist allerdings immer wieder Gefährdungen ausgesetzt. Sie kommen von rechts, von links und aus dem religiösen Fundamentalismus.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Und aus der Mitte!)

Sämtlichen extremistischen Bestrebungen müssen wir mit aller Entschiedenheit entgegentreten. Das ist nicht nur Aufgabe eines Ministeriums und nicht nur Aufgabe der Politik. Die Bekämpfung des Rechtsextremismus muss ein zentrales Anliegen aller Demokraten sein. Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Nationalsozialismus oder gar die Leugnung des Holocaust dürfen bei uns keinen Platz finden. Sie sind in keiner Weise mit unserer demokratischen und politischen Kultur zu vereinbaren.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die Menschen vor Ort setzen sich in unseren Städten und Gemeinden engagiert und mutig gegen rechtsextremistische Aufmärsche zur Wehr. Dafür verdienen sie Anerkennung und Unterstützung.