Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn einer, der mit Mühe kaum gekrochen ist auf einen Baum, schon meint, dass er ein Vogel wär, so irrt sich der. - Wilhelm Busch, Der fliegende Frosch. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ähnlich ist es auch bei dem Antrag zum Thema Kinder- und Jugendpsychiatrie der Fraktionen der CDU und der FDP.
Bloß weil Sie ein paar Zeilen vom Antrag der SPDFraktion ab- und umgeschrieben oder abgekupfert haben, haben Sie die Problembereiche, die in diesem Thema vorherrschen, noch lange nicht erfasst. Eine Dokumentation, dass man etwas verändern möchte, resultiert daraus auch nicht.
Es besteht akuter Handlungsbedarf. Dies haben wir mit unserem Antrag gezeigt, den Sie, CDU und FDP, im letzten Plenum abgelehnt haben. Wir haben die Landesregierung aufgefordert, endlich ein Gesamtkonzept für die Kinder- und Jugendpsychiatrie in Niedersachsen vorzulegen. Eckpunkte waren dabei z. B. eine ortsnahe, schnelle Ver
sorgung. Frau Prüssner, Sie können sich ja einmal dafür einsetzen, dass der Antrag der Diakonie in Goslar, der schon seit einiger Zeit vorliegt, im Sozialministerium endlich abschließend bearbeitet wird.
Wir haben aber auch gefordert, dass eine Beseitigung der vorherrschenden Unter- und Mangelversorgung sowie der regionalen Ungleichgewichte vorgenommen wird, dass ein ausgewogenes Verhältnis von stationären und ambulanten Maßnahmen vorgenommen wird und dass eine qualifizierte Sozialberichterstattung als Basis für ein Gesamtkonzept vorgelegt wird. Weil wir der festen Überzeugung sind, dass unser Antrag ein guter Antrag ist, haben wir ihn heute noch einmal - in geänderter Form - eingebracht, und zwar als überzeugende Gegenposition zum lust- und kraftlosen Antrag der Verwalter und Aussitzer Niedersachsens.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie haben nicht erst mit Ihrem Feigenblattantrag gezeigt, wie ernsthaft Sie an der Debatte über die Kinder- und Jugendpsychiatrie in Niedersachsen interessiert sind. Sie haben einen eigenen Antrag vorgelegt, bei dem wir uns im Sozialausschuss gefragt haben: Wo sind eigentlich die Unterschiede gegenüber dem Antrag von uns, den Sie im letzten Plenum hier abgelehnt haben? Was war die Antwort? Die Antwort war phänomenal. CDU und FDP sagten im Sozialausschuss: Wir kritisieren die Landesregierung nicht. - Das war die schlichte Aussage von CDU und FDP, mit der begründet wurde, warum man einen eigenen Antrag eingebracht hat - mehr nicht. Daraus können wir nur schließen, dass die Inhalte unseres Antrages richtig sind. Das wird auch deutlich, wenn man beide Anträge nebeneinanderlegt. Sie haben in weiten Teilen unseren Antrag durcheinandergewirbelt und etwas neu zusammengeschrieben. Das ist schon eine große intellektuelle Leistung. Wenn unsere Inhalte so richtig sind, dass CDU und FDP sie auch in ihren eigenen Antrag übernehmen, kann die Kritik an der Schlafmützigkeit dieser Landesregierung nur konsequent sein. Diese hätten Sie dann auch noch übernehmen dürfen.
Herr Riese, um es in Ihrer eigenen Art als Vorsitzender des Sozialausschusses und auch mittels Ihrer selbstgerechten Zeitrechnung darzustellen: Sie haben 634 Tage oder fast 2 000 parlamentarische Initiativen als Zwischenraum gebraucht, um zu unserem Antrag sprechfähig zu werden. Nachdem unser Antrag am 27. Mai 2008 eingebracht wurde, haben Sie es immerhin geschafft, Ihre Antwort am 9. Februar 2010 fertigzustellen. Das zeugt nicht gerade von einer Priorität bei diesem Thema. Anscheinend liegt das aber auch daran, wer die Anträge stellt. Unser Antrag lag seit der Einbringung 628 Tage, bevor er in das Plenum kam. Der Antrag von CDU und FDP hat gerade einmal 36 Tage gebraucht. Über das Hickhack, das wir im Sozialausschuss in Bezug auf die Debatte über unseren Antrag hatten, will ich hier gar nicht reden. Ein Schelm, wer dabei Böses denkt.
- Nein, ich bin nicht deprimiert. Das zeigt die Realität, wie hier politisch miteinander umgegangen wird und wie man in einer Sachdebatte an Themen dann interessiert ist, wenn es unangenehm wird, Herr Böhlke.
Der Niedersächsische Arbeitskreis für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, der Ausschuss für Angelegenheiten der psychiatrischen Krankenversorgung in Niedersachsen, unzählige Praktiker, die in dem Sammelband von Dr. Hermann Elgeti zu Wort kommen, und viele mehr kritisieren die aktuelle Untätigkeit des Sozialministeriums, das mit dem Bereich Kinder- und Jugendpsychiatrie anscheinend komplett überfordert ist.
Die Privatisierung der Landeskrankenhäuser hat viele handwerkliche Fehler aufgezeigt, die nach dem Urteil des Staatsgerichtshofes nun korrigiert werden müssen. In der Kinder- und Jugendpsychiatrie kann man der Landesregierung eigentlich gar keine Fehler vorwerfen, sondern man muss von strikter Arbeitsverweigerung sprechen. Experten berichten von hohem Aufnahmedruck und unerträglichen Wartelisten. Wegen fehlender oder komplett ausgelasteter Krisenstationen müssen Jugendliche noch immer auf Erwachsenenstationen der Psychiatrie aufgenommen werden. Es besteht ein erheblicher Nachholbedarf an teilstationärer Versorgung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie und an Krisenbetten. Niedersachsen liegt auch hier wieder einmal unter dem Bundesdurchschnitt.
Über das, was der Landesrechnungshof formuliert hat, haben wir in Teilen diskutiert. Zu der Prüfungsmitteilung des Niedersächsischen Landesrechnungshofes liegt noch keine Stellungnahme vor. Ich bin mir aber sicher, dass Frau RossLuttmann, die sich ja schon zu Wort gemeldet hat, ein paar einleitende Bemerkungen zum Thema machen kann. Schließlich sind die Kritikpunkte des Rechnungshofes zur Krankenhausplanung und zur Kinder- und Jugendpsychiatrie deutlich. Dort heißt es: Niedersachsen verfügt über kein Psychiatriekonzept. Ausstehende Entscheidungen über vorliegende Anträge verhindern eine zielgerechte Planung und führen zu einem Entwicklungsstau.
Teilweise liegen Anträge auf zusätzliche Kapazitäten in der Kinder- und Jugendpsychiatrie seit Anfang 2002 unbearbeitet im Sozialministerium. Der Landesrechnungshof befürchtet eine zunehmende Beeinträchtigung der medizinischen Versorgung. Wir registrieren ein politisches Aussitzen von Problemen in der psychiatrischen Versorgung zulasten von Kindern und Jugendlichen. Ich frage mich, wer eigentlich die politische Verantwortung für solche Verhältnisse trägt, Frau Ross-Luttmann.
Sie konzentrieren sich in Ihrer Selbstgefälligkeit lieber darauf, am Landtag vorbei einen Kinderknast in Vechta zu planen,
und besitzen dann auch noch die Frechheit, uns das als Maßnahme der Jugendhilfe verkaufen zu wollen.
Aktives Handeln ist dringend notwendig. Die Zeit von leeren Versprechungen und vorgetäuschtem Aktionismus muss ein Ende haben. Stattdessen liegt ein Antrag mit unkenntlichen Inhalten von CDU und FDP vor. Wer es mit der Kinder- und Jugendpsychiatrie ernst meint, kann nur unserem Antrag zustimmen. Er ist das Original. Er enthält alle relevanten Punkte und er ist nicht bis zur Unkenntlichkeit weich gespült.
Danke schön, Herr Kollege Brunotte. - Zu einer Kurzintervention auf die Rede von Herrn Kollegen Brunotte hat sich Frau Kollegin Mundlos von der CDU-Fraktion zu Wort gemeldet. Bitte schön, Sie haben für anderthalb Minuten das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schade, Herr Brunotte: Sie haben den Weg einer guten Debatte mit einem guten Stil, den wir gestern beschritten haben, heute, wie ich finde, nachhaltig verlassen.
Die Art und Weise, wie Sie sich eingebracht haben, wird dem Thema, das Ernsthaftigkeit verdient, in keiner Weise gerecht.
Ich empfehle Ihnen einfach: think twice, think nice. Positiv denken ist allemal für einen selber und auch für die Arbeit, die man leisten will, gut. Dann klappt es auch wieder mit Ihren Entschließungsanträgen.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Mundlos, ich finde, dass man schon etwas ins Grübeln kommen muss, wenn man merkt, dass ein Antrag in diesem Haus zwei Jahre lang nicht bearbeitet wird, Sie sich aber vor das Parlament stellen und mit dicken Krokodilstränen die Situation beweinen und sagen: Jetzt müssen wir aber endlich handeln. - Wenn wirklich ein solcher Handlungsdruck bestehen sollte, hätten Sie unserem Antrag vor zwei Jahren zustimmen können. Die Debatte über den Neubau des Plenarsaals unterscheidet sich von dieser Debatte in einer Hinsicht ganz deutlich. In der erstgenannten Debatte haben wir intensiv und sachlich diskutiert. Wir haben die Probleme nicht ausgesessen. Letz
teres haben Sie beim Thema Kinder- und Jugendpsychiatrie in Niedersachsen aber leider getan. Insofern müssen Sie auch damit leben, dass wir es kritisieren, wenn Sie nichts tun.
Nun hat sich seitens der Landesregierung Frau Ministerin Ross-Luttmann zu Wort gemeldet. Bitte schön!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich betrachte es durchaus mit Sorge, dass bei Kindern und Jugendlichen immer häufiger psychische Auffälligkeiten und psychosomatische Beschwerden festgestellt werden. Es gibt unterschiedliche Erkrankungen, aber allen Kindern muss möglichst schnell und wohnortnah medizinisch und therapeutisch geholfen werden. Deshalb hat die Landesregierung bereits 2005 ein Konzept zur Versorgungsstruktur für die Kinder- und Jugendpsychiatrie erstellt. Auf dieser Grundlage haben wir in den Folgejahren gerade die Bereiche der tagesklinischen Betreuung für Kinder und Jugendliche im Land Niedersachsen ausgebaut. Dieses Konzept aus stationären und teilstationären Angeboten wird selbstverständlich laufend fortgeschrieben und den tatsächlichen Bedürfnissen angepasst. Es gibt mittlerweile 618 Planbetten, verteilt auf 15 Krankenhäuser. Damit erreichen wir in Niedersachsen eine vollstationäre KJP-Kapazität von 5,0 Plätzen, bezogen auf 10 000 Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre. Das entspricht in etwa dem Bundesdurchschnitt. Damit ist in Niedersachsen die vollstationäre Versorgung grundsätzlich sichergestellt. Allerdings gibt es noch immer Situationen, in denen ein Jugendlicher zur akuten Krisenbewältigung vorübergehend auf einer geschlossenen Aufnahmestation der Erwachsenenpsychiatrie untergebracht werden muss.
- Ja, sehr geehrter Herr Schwarz, 2002 waren es noch 500 Fälle, die untergebracht worden waren. - Wir haben in den dann folgenden Jahren schrittweise begonnen, diese Fallzahlen abzubauen, weil ich möchte, dass Kinder und Jugendliche die me
dizinische Betreuung in den Einrichtungen bekommen, in denen sie medizinisch und therapeutisch am besten versorgt werden. Deshalb ist mein Ziel, dies schrittweise zu verbessern und dahin zu kommen, dass Kinder und Jugendliche in der Kinder- und Jugendpsychiatrie untergebracht werden können.
(Uwe Schwarz [SPD]: Ihnen beschei- nigt der Landesrechnungshof, dass Sie seit 2003 gar nichts gemacht ha- ben! Das steht da drin!)
Auch im teilstationären Bereich ist die Platzzahl gestiegen. So hat sich die Zahl von 72 im Jahr 2002 auf 144 in 2010 exakt verdoppelt. Weitere Tageskliniken in Stade und Nordhorn werden das teilstationäre Angebot in Niedersachsen kurzfristig weiter ergänzen. Damit werden sich die Platzzahlen nochmals um 27 Plätze erhöhen. Meine Damen und Herren, gerade Tageskliniken haben für erkrankte Kinder und Jugendliche den Vorteil, dass die Kinder abends wieder bei ihrer Familie sein können; denn bei Kindern und Jugendlichen spielen gerade in der Therapie die familiären Bindungen und Beziehungen eine ganz besondere und ausschlaggebende Rolle.