Protocol of the Session on March 17, 2010

Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses zustimmen und damit den Antrag der Fraktion der SPD in der Drs. 16/1509 in geänderter Fassung annehmen will, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Dann stelle ich fest, dass der Beschlussempfehlung des Ausschusses gefolgt wurde.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 21 auf:

Zweite Beratung: a) Sofortiger Abschiebungsstopp für Roma aus dem Kosovo! - Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drs. 16/1496 - b) Abschiebungsstopp - Aufent

haltsrecht für Roma-Flüchtlinge jetzt! - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 16/1502 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres, Sport und Integration - Drs. 16/2308

Die Beschlussempfehlung des Ausschusses lautet zu a und b auf Ablehnung.

Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen.

Wir kommen zur Beratung.

Für die Fraktion DIE LINKE hat sich Frau Kollegin Zimmermann zu Wort gemeldet. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Situation ist seit der Einbringung unseres Antrages zum sofortigen Abschiebestopp für Roma aus dem Kosovo unverändert. Niedersachsen schiebt Woche für Woche Roma in das Kosovo ab, obwohl die Lage für sie vor Ort menschenunwürdig ist. Darüber kann auch der Gefälligkeitsbericht über die Reise einer Delegation des hiesigen Innenministeriums von November 2009 nicht hinwegtäuschen. Sie verschweigen nämlich völlig, dass die abgeschobenen Roma weder etwas von dem sogenannten regen Wirtschaftsleben noch von den neu gebauten Häusern haben. Sie sind faktisch vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen und vielfachen Übergriffen wie auf dem Präsentierteller ausgesetzt.

Meine Damen und Herren, heute sind wieder 150 Personen aus NRW und Niedersachsen für eine Charterabschiebung vorgesehen. Die Maschine startete vermutlich bereits heute um 6.25 Uhr von Düsseldorf aus in Richtung Pristina, unter ihnen viele Angehörige der Roma- und Ashkali-Minderheiten, Familien mit Kindern, Alte und Kranke, Traumatisierte, Dialysepatienten und Herzkranke. Nicht korrekt sind also Behördenbehauptungen, es würde sich um Alleinstehende und Straftäter handeln.

Mit dabei sind auch zwei Familien aus Göttingen. Besonders bitter an der Göttinger Angelegenheit ist, dass Verantwortliche in Stadt und Landkreis zu wenig Zivilcourage zeigten, um zumindest kundzutun, dass ihre entsprechenden Parteien mit den Abschiebungen nicht einverstanden sind.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, wie groß muss die Angst vor Abschiebung eigentlich sein, wenn Menschen in die Illegalität abtauchen und ein Leben

ohne jegliche Rechte in Deutschland einem Leben im Kosovo vorziehen? - Beachten Sie bitte die Stellungnahme des Menschenrechtskommissars des Europarates, Thomas Hammarberg, vom 22. Februar 2010, welcher binnen kurzer Zeit zweimal in das Kosovo reiste, um die Situation der Roma zu begutachten. Sein Urteil ist vernichtend. Hammarberg bekräftigt in einer Stellungnahme seine Einschätzung, dass die Infrastruktur des Kosovo eine Reintegration von abgeschobenen Roma-Flüchtlingen nicht zulässt. Bereits jetzt leben 20 000 Binnenvertriebene im Kosovo, die nach dem Kosovokrieg 1999 ihre Wohnorte verlassen mussten. Bei einer Arbeitslosenquote von fast 50 % gebe es einfach keine ausreichenden Kapazitäten, um Rückkehrern normale Lebensbedingungen zu ermöglichen.

Meine Damen und Herren, insbesondere weist der EU-Kommissar darauf hin, dass weiterhin RomaFlüchtlinge in bleiverseuchten Lagern leben, darunter mindestens 18 abgeschobene Familien. Hammarberg teilte zudem mit, dass die Reintegrationsstrategie der kosovarischen Regierung bisher nicht umgesetzt worden ist. Die verantwortlichen Akteure in den Gemeinden seien sich ihrer Verantwortung nicht bewusst. Auch gebe es nicht einmal ein Budget für die Umsetzung dieser Strategie.

Meine Damen und Herren, all das macht deutlich, dass unsere Forderung nach einem sofortigen Abschiebestopp für Roma aus dem Kosovo mehr als aktuell ist. Statt das Geld für Abschiebungen von Roma auszugeben, sollten wir dieses vielmehr für Integrationsmaßnahmen hier bei uns im Lande einsetzen.

(Glocke der Präsidentin)

- Letzter Satz. - Stimmen Sie unserem Antrag zu, und lehnen Sie die Beschlussempfehlung des Ausschusses ab!

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke schön. - Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Frau Kollegin Polat das Wort. Bitte sehr!

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den letzten Tagen klingelten die Telefone heiß. Noch gestern Abend haben einige

Abgeordnete - auch von CDU und FDP - fraktionsübergreifend versucht, die Abschiebungen, die heute Mittag ab Düsseldorf stattgefunden haben - die Kollegin hat es bereits gesagt -, zu verhindern. Eine Familie, für die sich die Kollegin Geuter und auch Herr Poppe in Vechta noch einmal eingesetzt haben, ist am frühen Morgen nicht angetroffen worden. Die Polizei musste die Abschiebung daher abbrechen.

Heute Nachmittag hat mich das Fax des Anwalts einer Familie aus Rotenburg/Wümme ereilt. In diesem Fax heißt es zuletzt, dass eine 60-jährige Frau nach Augenzeugenberichten noch vor der Treppe zum Flugzeug kollabiert sei. Sie sei nicht imstande gewesen, selbst weiter zu gehen, und habe ins Flugzeug gezerrt werden müssen. Eine Familie mit sechs Kindern!

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen, dass auf Bundesebene seit Ende letzten Jahres über ein Rückführungsabkommen diskutiert wird, das noch nicht ratifiziert ist. Mittlerweile haben Ende letzten Jahres mehrere Berichte - unabhängig vom Reisebericht des Innenministeriums - noch einmal bekräftigt, dass Rückführungen nicht stattfinden sollen. Darauf möchte ich noch einmal ausdrücklich hinweisen, weil ich mir gerade den UNHCRBericht habe geben lassen, in dem das wirklich noch einmal eindrücklich geschildert wird. Ich glaube, gerade dem UNHCR kann man nicht absprechen, dass er sachlich und neutral ist. Menschenrechtsverletzungen werden zwar thematisiert und in den Medien diskutiert - ich zitiere hier den Ombudsmann, der im Kosovo arbeitet -, doch sind die vorhandenen Mechanismen noch nicht in der Lage, sie zu verhindern oder gegen sie vorzugehen. Gleichzeitig hat die Mehrheit der Bevölkerung nur lückenhafte Kenntnisse der eigenen Rechte, und häufig wehren sich die Betroffenen noch nicht einmal, da sie sich an die Situation gewöhnt haben bzw. überzeugt sind, dass ihnen ohnehin nicht geholfen werden kann. Unter diesen Umständen hängt der tatsächliche Schutz der Menschenrechte stärker, als dies normalerweise der Fall sein sollte, vom individuellen Schicksal und den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab.

Weiter heißt es: Es ist offensichtlich, dass sich die Lage der Minderheitengemeinschaften des Kosovo seit dem letzten Berichtszeitraum - der ging von 2006 bis 2007 - größtenteils nicht wesentlich verbessert hat. Auch deutet nichts darauf hin, dass es in der nahen Zukunft zu einer Verbesserung der Situation kommen wird. - Das hatte auch unser Innenminister auf eine Anfrage hin gesagt, wie ich

schon bei der Einbringung unseres Antrages festgestellt habe. Damals gab es ja einen faktischen Abschiebestopp für Roma. Die UNMIK hat damals regelmäßig betont, dass sie ihr Veto einlegen wird. Auch die OSZE hat dies in ihrem Bericht Ende 2009 noch einmal betont. Ich habe den Bericht dabei.

Verschiedene internationale Organisationen bekräftigen die humanitäre Katastrophe. Von daher war es uns ein Anliegen, mit Ihnen gemeinsam nach einer Lösung zu suchen, um gerade für die Minderheiten, die in Niedersachsen - insbesondere im Landkreis Emsland, im Landkreis Göttingen sowie in der Stadt und im Landkreis Cuxhaven - in großer Zahl leben, ein Zeichen dahin gehend zu setzen, dass wir in Niedersachsen auch Verantwortung für die bundespolitische Position bezüglich der Rückführungen in den Kosovo übernehmen.

An dieser Stelle möchte ich Nenad Rasic, den Minister für Arbeit und Soziales der Republik Kosovo, zitieren, den auch schon mein Kollege Stefan Wenzel gegenüber dem Innenminister zitiert hat. Ihn hat eine Moderatorin von Mona Lisa gefragt: Wenn die Situation für Minderheiten im Kosovo so katastrophal ist: Würden Sie das Rückführungsabkommen dennoch für richtig halten? - Auf diese Frage hat er geantwortet - das betreffende Interview im ZDF ist Ende 2009 geführt worden; ich zitiere -:

„Ich würde das gerne sagen. Aber dieses Zugeständnis, z. B. die nur geduldeten Familien aus Deutschland aufzunehmen, war eine der Voraussetzungen, um überhaupt über die verschiedenen Aspekte der Zusammenarbeit im Hinblick auf eine weitere Zukunft für den Kosovo zu reden.“

Das heißt nichts anderes - das wurde hier ebenfalls schon mehrfach gesagt -, als dass der Kosovo seine Unabhängigkeit zum Preis der Rückführung der Minderheiten in den Kosovo erhalten hat, was, wie wir glauben, auf Kosten der Kinder und der Jugendlichen, die hier geboren sind, zwangsläufig wieder nur zu einer Destabilisierung führt, die ja auch jetzt schon gegeben ist. Die Familien, die heute abgeschoben worden sind - der Innenminister kann das ja noch einmal sagen -, umfassen 50 bis 60 Personen. Zum großen Teil waren es Kinder und Jugendliche, die hier geboren worden sind. Deswegen wollte ich mich noch einmal bei allen Kommunen bedanken, die die Resolution zum

Bleiberecht, Herr Biallas, verabschiedet haben. Der Kreistag und der Stadtrat von Cuxhaven haben mit den Stimmen von CDU und FDP einen einstimmigen Beschluss gefasst - ich zitiere -: Einstimmig verabschiedete der Kreistag die von den Grünen eingebrachte Resolution, in der Land und Bund gebeten werden, von Abschiebungen von Angehörigen der Roma und Ashkali in den Kosovo abzusehen und das mit der dortigen Regierung getroffene Rückführungsabkommen nicht durchzuführen.

Auch die Grafschaft Bentheim hat eine Resolution verabschiedet. Gleiches gilt für Lüchow-Dannenberg. Viele andere Kommunen werden sich diesem Beispiel anschließen, aktuell die Landeshauptstadt Hannover. Ich hoffe, dass Sie bei den Rückführungen wirklich darauf achten - das hat das Innenministerium gesagt -, dass kranke und ältere Personen nicht abgeschoben werden. Heute ist - ich habe den Fall zitiert - jedoch nicht darauf geachtet worden. Auch auf die Familien muss ein besonderes Augenmerk gelegt werden, weil, wie gesagt, viele Kinder und Jugendliche betroffen sind.

Meine Redezeit ist leider zu Ende.

Sie werden den Antrag heute ablehnen. Setzen Sie sich aber wenigstens als regionale Abgeordnete vor Ort für diese Kinder und Jugendlichen ein!

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung von Kreszentia Flauger [LINKE])

Danke schön, Frau Polat. - Für die CDU-Fraktion Frau Kollegin Lorberg. Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Strukturen im Kosovo sind ausgesprochen unterschiedlich. Finden wir in den großen Städten wie beispielsweise in Pristina ein reges Wirtschaftsleben mit zahlreichen neuen und modernen Geschäfts- und Bürogebäuden sowie eine rasante und positive Entwicklung der Infrastruktur vor, so stellen sich die Lebensbedingungen im ländlichen Raum oder in den Stadtrandgebieten natürlich anders dar. Gleichwohl ist anzumerken, dass die Regierung des Kosovo bestrebt ist, das Land rasch und nachhaltig aufzubauen und dessen Infrastruktur weitestgehend zu verbessern. Der kosovarischen Regierung ist besonders daran gelegen, die ethnische Vielfalt des Landes wiederherzustellen und gerade junge Menschen, die aus

dem Kosovo geflüchtet waren und nun zurückkommen, am Aufbau des Landes zu beteiligen. Meine Damen und Herren, dass sich dieser Prozess nicht von heute auf morgen vollziehen lässt, ist wohl jedem klar.

In diesem Zusammenhang möchte ich einmal daran erinnern dürfen, wie es nach dem Krieg hier bei uns in Deutschland ausgesehen hat. Nur dem unermüdlichen Einsatz derer, die sich den Herausforderungen des Wiederaufbaus stellten und durch Fleiß und Entbehrung dazu beitrugen, ist es zu verdanken, dass unser Land wieder nach vorn gekommen ist.

(Petra Emmerich-Kopatsch [SPD]: Und vor allem den Trümmerfrauen! - Klaus-Peter Bachmann [SPD]: Und ganz viel dem Marshallplan!)

Auch im Kosovo geht der Wiederaufbau voran. Das schließt jedoch nicht aus, dass die Lebensbedingungen noch lange nicht mit denen hier in Deutschland vergleichbar sind.

Zahlreiche Roma haben bei uns Zuflucht gefunden, als ihre persönliche Situation im Kosovo sie zur Flucht trieb. Viele dieser Personen sind bereits seit etlichen Jahren hier, wohl wissend, dass sie ausreisepflichtig sind und kein dauerhaftes Bleiberecht haben. Durch das Abkommen zwischen Deutschland und dem Kosovo können nun Roma zurückgeführt werden. Wir müssen aber auch einmal feststellen, dass erstaunlicherweise gerade die Volksgruppe der Roma nur sehr selten von den gesetzlichen Bleiberechtsregelungen begünstigt werden kann. Dass die Integration der Roma insbesondere in den hiesigen Arbeitsmarkt weitestgehend nicht stattgefunden hat, zeigen die uns vorliegenden Zahlen.

Mittlerweile haben zahlreiche Menschen aus dem Kosovo unser Land freiwillig wieder verlassen, um den Wiederaufbau vor Ort zu unterstützen. Die Sicherheitslage im Kosovo ist mittlerweile stabil. Das gilt insbesondere auch für ethnische Minderheiten. Sicher sind die Bedingungen für die Roma nach ihrer Rückführung in das Kosovo nicht mit den hiesigen Lebensbedingungen vergleichbar. Aber unter diesen Bedingungen leben viele Tausend Roma im Kosovo, die selbst in den Kriegswirren das Land nicht verlassen haben oder längst wieder freiwillig zurückgekehrt sind. Darum sprechen Sie bitte nicht immer davon, eine Rückkehr sei für die ausreisepflichtigen Roma unzumutbar.

Frau Kollegin Lorberg, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, im Moment nicht.

(Patrick-Marc Humke-Focks [LINKE]: Kein Wunder!)

Dabei spielt die Kultur der Roma eine entscheidende Rolle. Beispielsweise lehnen Roma es aufgrund ihrer Mentalität häufig ab, in Mehrfamilienhäusern zu leben. Auch hier tragen die kosovarischen Behörden durch den Bau von Siedlungen, die aus Ein- bis Dreifamilienhäusern bestehen, in erheblichem Maße zu einer Verständigung bei.

Insgesamt wünschen sich die dortigen Kommunen, die rückkehrenden Roma würden etwas mehr Kooperationsbereitschaft zeigen, um auch die Gesamtsituation vor Ort ein Stück weit mit zu begünstigen.

(Zuruf von der SPD)

- Das hat nichts mit Schuld zu tun. Das hat einfach etwas damit zu tun, dass sicherlich viele Anstrengungen von beiden Seiten erforderlich sind, um die Bedingungen dort zu verbessern.