Protocol of the Session on February 19, 2010

Das Zweite, was ich Ihnen sagen möchte:

(Hans-Werner Schwarz [FDP]: Spre- chen Sie zu Grascha!)

Ich habe den Aufsatz von Herrn Dr. Sohn nachgelesen, nachdem er zu Beginn dieses Plenums hier von dem Wissenschaftsminister angesprochen worden ist. Ich kann Ihnen sagen: Da gibt es überhaupt keinen Satz, den man an der Stelle zurücknehmen oder einschränken müsste.

(Zurufe)

Herr Dr. Sohn hat klargestellt, dass es zu einer Änderung der politischen Verhältnisse nicht nur eine Änderung der Mehrheitsverhältnisse im Parlament geben muss, sondern auch eine Änderung des gesellschaftlichen Klimas. Deshalb seien die außerparlamentarischen Debatten viel wichtiger - so hat er es dargestellt - als das, was sich danach im Parlament vollzieht.

Das ist eine völlig korrekte Darstellung und übrigens gar nichts Originelles. Das können Sie auch bei vielen anderen Autoren nachlesen.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Grascha möchte erwidern. Bitte schön, Herr Grascha!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Kollege Adler, ich habe den Kollegen Thümler nicht so verstanden, dass er an der Stelle auf die Minderheitenrechte der Opposition eingegangen ist, sondern an der Stelle geht es darum, dass er darauf hingewiesen hat - das habe auch ich -, dass die Geschäftsordnung genügend Raum bietet, diese Minderheitenrechte wahrzunehmen. Das ist, glaube ich, ein ganz entscheidender Punkt, den er ausgeführt hat.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Wir sind, ehrlich gesagt, der Auffassung - damit komme ich zu Ihrem zweiten Punkt; Sie sind ja auf den Aufsatz von Herrn Dr. Sohn noch einmal eingegangen -, dass er diesen ganzen Aufsatz zurücknehmen sollte, nicht nur einen Satz, sondern den ganzen Aufsatz;

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

denn das Wesen einer parlamentarischen Demokratie ist, dass selbstverständlich hier die Veränderungen vorgenommen werden. Da kann ich nicht sagen: Ich werte diese und jene Möglichkeit, die wir im Haus haben, entsprechend niedrig und setze am Ende nur auf die Straße. - Das kann es nicht sein. Das ist nicht das Wesen einer parlamentarischen Demokratie.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Kreszentia Flauger [LINKE]: Es steht nirgendwo etwas von „nur“! Das wis- sen auch Sie!)

Meine Damen und Herren, Herr Ministerpräsident Wulff hat sich zu Wort gemeldet. Bitte sehr!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte nur zwei Anmerkungen zu der Debatte machen. Für die Landesregierung - und das ist uns sehr ernst - wünschen wir uns ein Ver

hältnis gegenseitiger Achtung und Wertschätzung, so schwer das gelegentlich wegen unterschiedlicher Positionen und Interessen ist.

Glücklicherweise ist das Klima jenseits der Plenarsitzungen und der auch für die Öffentlichkeit dargebotenen Auseinandersetzungen häufig viel besser, als es der Besucher auf der Besuchertribüne vermuten oder gar befürchten könnte.

Ich glaube, es muss unser gemeinsames Anliegen sein - als Parlament und Regierung -, dass wir streiten, weil wir einfach unterschiedliche Auffassungen haben, jeder aber davon überzeugt ist, er habe die richtige Auffassung, die das Land am weitesten voranbringt, dass wir das aber als Ringen um den richtigen Weg darstellen können und nicht als Zerstrittenheit, die nicht das Positive zum Ziel hätte.

Ich bin neun Jahre Führer der Opposition in diesem Parlament gewesen, also die meiste Zeit meines Parlamentarierdaseins. Ich kann Ihnen sagen: Ich habe mich oft gegenüber der Macht, die die Regierung auf Zeit hat, ohnmächtig gefühlt. Ich habe oft unter der Geschäftsordnung gelitten und deswegen auch an der Neuordnung der Geschäftsordnung mitgewirkt.

Natürlich will jede Opposition die Rechte der Opposition - ich denke: sogar zu Recht - stärken, und wenn sie dann Regierung geworden ist, wird das nicht als die erstrangigste Aufgabe angesehen. Vielleicht wird auch das irgendwann einmal eine Änderung erfahren. Aber in der Regel ist es so, dass die Oppositionserfahrungen nicht als erstes genutzt werden, um die Rechte der Opposition zu stärken, weil die Opposition jetzt auch vielgestaltiger ist; sie ist jetzt in der Form dreier Fraktionen organisiert. Natürlich nutzt sie die Mittel, die sie hat, was vonseiten der Regierung durchaus kritisch gesehen werden kann. Das ist, glaube ich, das Spiel zwischen Mehrheit und Minderheit, zwischen Regierung und Regierungsfraktionen und Oppositionsfraktionen.

Die gestrige Dringliche Anfrage war für mich ein sehr schönes Beispiel. Da empfindet es ein Oppositionsabgeordneter als störend, wenn der Ministerpräsident längere Ausführungen auf Fragen macht, weil er selbst nicht die Gelegenheit hat, ähnlich lange Ausführungen zu machen. Dann gucken meine Leute natürlich nach; wir haben ein exzellentes Archiv. Dann findet man dort, dass wir nach langen Ausführungen der Kollegen Schröder, Gabriel und anderen interveniert haben, woraufhin Landtagspräsident Wernstedt uns belehrt hat, die

Regierung könne auch weit über die Fragestellung hinaus antworten, was sie wolle und so lange sie wolle. Es folgt dann tosender Beifall bei der SPDFraktion. So ist es im Protokoll verzeichnet. Das ist ja nun ein amtliches Schriftstück; es ist ein genehmigtes Protokoll. Dann hat - wenn ich es richtig erinnere - Herr Schünemann gesagt, warum das alles so nicht gehe, man müsse im Ältestenrat einmal darüber reden. Das waren ja in etwa die Einlassungen der anderen Fraktionen am gestrigen Tage.

Im Grunde genommen bestimmt das Sein das Bewusstsein ein Stück weit. Ich finde, man sollte das aufgrund der Erfahrung durchaus als Gefahr erkennen.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Karl Marx! - Zuruf von der LINKEN: Vorsicht mit einem solchen Zitat!)

- Das ist auch wieder ein schönes Beispiel für das, was mich immer frustriert hat, nämlich dass man meint, etwas sei immer falsch, weil es von der einen Seite kommt, und etwas, was von der anderen Seite kommt, sei immer richtig, weil dort die Mehrheit ist. Es sieht ja jeder ein, dass das völlig irrsinnig ist und nicht sein kann, sondern dass auch Sie durchaus einmal recht haben und wir nicht recht haben, obwohl wir die Mehrheit haben und Sie nicht.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Können Sie das einmal in Ihrer Fraktion klären?)

Es hat mich damals zum Wahnsinn getrieben, dass eigentlich alle hier im Plenarsaal wussten, dass es eigentlich gar nicht so schlecht war, was wir gemacht haben, es aber nicht zugegeben werden durfte, weil wir ja nicht die Mehrheit hatten.

Ich erinnere mich daran, dass Herr Schröder, als ich ein Angebot zur Zusammenarbeit gemacht habe, von diesem Pult aus gesagt hat: Lieber Herr Wulff, da sitzen 81, und bei Ihnen sitzen - ich weiß es nicht mehr genau - 50 und ein paar, und das ist die nächsten vier Jahre so - das war vor 1994; da gab es noch eine vierjährige Legislaturperiode -, daran müssen Sie sich gewöhnen. Daraufhin gab es tosenden Beifall auf Ihrer Seite.

Ich habe also aus eigener durchlittener Erfahrung eine Menge beizutragen. Ich möchte deswegen sagen: Wenn Beschwerden kommen, dann gehen wir denen im Regelfall sehr konsequent nach, z. B. was die Beantwortung von Anfragen angeht - das wissen Sie -, und kümmern wir uns darum, dass eine Anfrage schneller beantwortet wird. Wir kön

nen gerne seitens des Chefs der Staatskanzlei oder meinerseits ein Gespräch mit allen fünf Parlamentarischen Geschäftsführern darüber führen, wie die Fraktionen noch schneller und umfassender informiert werden wollen.

Dass wir gelegentlich angesichts von Formulierungen Dringlicher Anfragen, Aktueller Stunden, der Vorspänne usw. auch nicht gerade in Glückseligkeit verfallen, wird jeder verstehen, der sich diese Texte ansieht. Es ist einfach die Frage, ob man sich nicht darauf verständigt, dass man nach dem schönen schwäbischen Grundsatz handelt: „Jeder kehr’ vor seiner Tür und sauber ist das Wohnquartier“, statt dass man immer nur beim Nachbarn herumwedelt und gar nicht sieht, welche Berge vor der eigenen Haustür liegen.

(Starker Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, die Fraktion DIE LINKE hat zusätzliche Redezeit beantragt. Frau Flauger, Sie haben anderthalb Minuten.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Wulff, ich habe eben interessiert zugehört, als Sie gesagt haben, dass Sie manche Dinge zum Wahnsinn getrieben haben, dass Sie gesehen haben, dass man auch auf Oppositionsseite einmal recht haben kann. Ich bitte Sie dringend, das einmal mit Ihrer Fraktion zu besprechen, damit sie versteht, dass auch Oppositionsfraktionen einmal recht haben können und dass man nicht bei den banalsten Gelegenheiten sagen muss: Weil es von der Linken kommt, muss es ja schon falsch sein.

(Beifall bei der LINKEN und Zustim- mung bei der SPD)

So viel dazu.

Da Sie sich gerade bewusst oder unbewusst - sei es drum - auf die Basis-Überbau-Theorie von Marx bezogen haben, möchte ich noch einmal auf den Aufsatz von Herrn Dr. Sohn zurückkommen. Sie sollten den lesen;

(Hans-Werner Schwarz [FDP]: Das haben wir gemacht!)

denn darin steht nun wirklich nichts, was man als antidemokratisch oder wie auch immer einstufen kann.

(Hans-Werner Schwarz [FDP]: Oh, oh!)

Ich zitiere:

„Entscheidend für grundlegende Veränderungen in der Gesellschaft sind nicht die Debatten im Parlament.“

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Würden Sie das anders sehen, dann würden Sie nicht mit all Ihren Interessenverbänden, mit der Initiative „Neue Soziale Marktwirtschaft“ und Ähnlichem versuchen, auf den gesellschaftlichen Diskurs Einfluss zu nehmen, sondern dann würden Sie die Dinge einfach im Parlament abnicken. Das tun Sie aber nicht, weil Sie wissen, dass Sie für die Veränderung von Verhältnissen auf entsprechende Stimmungslagen in der Bevölkerung angewiesen sind. Es ist eine Binsenweisheit, was Herr Dr. Sohn da geschrieben hat,

(Beifall bei der LINKEN)

und überhaupt nichts, wogegen man irgendwelche Einwände erheben kann. Deswegen gibt es auch keinen Grund, dass er diesen Aufsatz zurücknimmt.

Letzter Punkt: Hier wurde mehrfach auf die Arbeitsfähigkeit und Effizienz in diesem Parlament hingewiesen. Demokratie ist nicht immer im Sinne schneller Abläufe effizient. Auch das muss einem klar sein. Demokratie kostet Zeit, und sie kostet Geld. Sehr viel effizienter wäre eine Monarchie. Manchmal habe ich bei Ihnen hinsichtlich der Entscheidungsabläufe den Eindruck, dass Ihnen das ganz recht wäre.

Frau Flauger, letzter Satz!

Wir haben ja gerade in diesem Plenum gehört „Wir können auch ohne Opposition regieren“. Das zeigt Ihre Haltung, und die sollten Sie dringend ändern!

(Beifall bei der LINKEN)