Protocol of the Session on February 19, 2010

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit geraumer Zeit gibt es Unmut über die Außendarstellung des Niedersächsischen Landtages, die im Dezember in den Debatten über Ordnungsrufe und Twitter sozusagen kulminierte. Dies jedoch als einzig zu bearbeitendes Problem zu sehen, greift aus meiner Sicht zu kurz. Natürlich kann und sollte sich jeder an die eigene Nase fassen und sich fragen, wie er oder sie dazu beitragen kann, zu einer vernünftigen Auseinandersetzung im Plenum beizutragen. Ich nehme mich und meine Fraktion da ausdrücklich nicht aus.

Im Kern geht es meiner Ansicht nach bei dem regelmäßigen Unmut hier im Plenum darum, dass Regierung, Opposition und Mehrheitsfraktionen offenbar divergierende Vorstellungen über manche Prinzipien des Parlamentarismus haben und sich dies dann in Spannungen und Unbehagen ausdrückt.

Wir legen deshalb heute einen Entschließungsantrag vor, der die aus unserer Sicht in diesem Zusammenhang wichtigsten Punkte aufgreift.

Das Wichtigste an einem Parlament sind nicht die Regierungsfraktionen, sondern ist das Vorhandensein einer Opposition.

(David McAllister [CDU]: Es gibt keine Regierungsfraktionen!)

Der jüngst wiedergewählte Bundestagspräsident Norbert Lammert, CDU, hat es in seiner Rede in der konstituierenden Sitzung des Deutschen Bundestages im Oktober letzten Jahres treffend ausgedrückt. Ich zitiere:

„Umso wichtiger ist die Einsicht, dass die demokratische Reife eines politischen Systems nicht an der Existenz der Regierung zu erkennen ist, sondern am Parlament und dort vor allem am Vorhandensein einer Opposition und ihrer politischen Wirkungsmöglichkeiten.“

(Beifall bei den GRÜNEN)

„Regiert wird immer und überall... Die Opposition macht den Unterschied...“

Recht hat er.

Norbert Lammert sprach auch davon, dass in der Demokratie nicht die Regierung das Wichtigste ist. Ich zitiere weiter:

„Nicht die Regierung hält sich ein Parlament, sondern das Parlament bestimmt und kontrolliert die Regierung.“

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Im niedersächsischen Parlament drängt sich mitunter ein anderer Eindruck auf. Die Landesregierung scheint den Plenarsaal zunehmend als ihren Thronsaal zu begreifen.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Aber nur, wenn sie da ist!)

Da ergreift im Dezember in einer Aktuellen Stunde der Ministerpräsident als Erster das Wort, ohne dass dies in irgendeiner Weise vom Präsidium wenigstens kommentiert worden wäre. Da werden Anfragen von Abgeordneten unvollständig oder nicht beantwortet, dafür aber die Qualität der Fragen oder der Fragesteller seitens der Regierungsmitglieder kommentiert. Die Fragestunde wird zu länglichen Erklärungen genutzt, die Regierungserklärungen gleichen, nur dass keine Debatte erfolgen kann. Wir konnten dies gerade gestern wieder erleben.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lies?

Sehr gerne.

Frau Helmhold, wie bewerten Sie die Tatsache, dass gerade bei einer solchen Diskussion auf den Regierungsbänken deutliche Leere herrscht, vor dem Hintergrund, dass wir gerade genau diese Diskussion führen wollen?

(Astrid Vockert [CDU]: Sie hat doch gesagt, es sei wichtig, dass die Oppo- sition da ist!)

Bitte schön, Frau Kollegin!

Herr Kollege, das unterstreicht die Wichtigkeit, dass wir dieses Thema hier einmal im Plenum debattieren. Deswegen haben wir das ja auf der Tagesordnung.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Da verlangte jüngstens der Ministerpräsident eine Sitzungsunterbrechung und drohte damit, ansonsten den Plenarsaal zu verlassen - und die Sitzung wurde auch prompt unterbrochen.

(Heinz Rolfes [CDU]: Was soll das denn jetzt?)

Mit Verlaub, meine Damen und Herren von der Regierungsbank - es sind ja wirklich nur wenige da -, ich sage es einmal mit Rio Reiser: Dies ist unser Haus. Ob Sitzung ist oder keine, das entscheiden wir alleine.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Sehen wir uns nun einmal die Änderungen der Geschäftsordnung an, die Sie durchgesetzt haben: Abschaffung der Kurzinterventionen bei Aktueller Stunde und strittigen Eingaben, Beschränkung der Anzahl der Fragen bei den Dringlichen Anfragen, keine einleitenden Bemerkungen mehr - alles Regierungsschutzbestimmungen und damit eine Schwächung der Opposition.

(David McAllister [CDU]: Das gab es früher doch auch nicht!)

Warum z. B. setzt Ihre Mehrheit im Ältestenrat durch, dass die Mündlichen Anfragen jetzt in der Tagesordnung am Donnerstagnachmittag versteckt werden?

(Björn Thümler [CDU]: Das ist doch gar nicht wahr!)

Wir vermuten deshalb, weil es so den Ministerien noch leichter fällt, die Antworten zu veröffentlichen, bevor die Abgeordneten auch nur die Gelegenheit dazu hatten, sie zu lesen. Wir haben das gerade gestern wieder erlebt.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Zu einem weiten Teil sind die beklagten Zustände auch gewissen Ritualen der die Regierung tragen

den Fraktionen geschuldet. Wir erleben hier regelmäßig inszenierte Spektakel der CDU-Fraktion in Abgrenzung zur Linken. Schneller lassen sich die eigenen Reihen ja nicht schließen als mit ein paar Bemerkungen, die wahlweise die Begriffe „Mauer“, „SED“ oder „PDS“ enthalten. Wenn Sie dies sein ließen, wäre für die Kultur in diesem Haus viel gewonnen.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN - Hans- Christian Biallas [CDU]: Wir können sagen, was wir wollen! Sie haben gar nichts festzulegen!)

Mir ist aufgefallen, dass Sie überhaupt nicht mehr über die 68er reden. Das war doch Ihr Lieblingsfeindbild in der letzten Wahlperiode. Damals konnten sich die Herren McAllister und Rösler ja kaum mehr einkriegen. Und nun funktionieren Sie die Linke hier im Landtag zu Ihrer eigenen Selbstvergewisserung um.

(Editha Lorberg [CDU]: Das müssen gerade Sie feststellen!)

Das mag im Moment auch bitter nötig sein. Da hilft ein gepflegtes Feindbild natürlich. Aber ich finde, es ist hochgefährlich, wenn Sie regelmäßig einer hier im Landtag vertretenen Partei das Demokratische absprechen.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN - Hans- Werner Schwarz [FDP]: Das haben wir gestern von der anderen Partei gehört! Erinnern Sie sich?)

Es ist so, wie es ist: Wahlen haben es entschieden, und in diesem Hause wohnen alle vom Bürger gewählten Fraktionen.

(Glocke des Präsidenten)

Meine Damen und Herren, um vor dem Hintergrund der Anforderungen einer modernen Mediengesellschaft die Parlamente wieder zum zentralen Forum der politischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzung zu machen, muss die Arbeit des Landtages, wie wir glauben, transparenter werden. Wir wollen endlich öffentliche Ausschusssitzungen. Wir wollen schnellstens Audio- und Videostreamübertragungen und die Einführung von öffentlichen und elektronischen Petitionen.

Frau Kollegin, ich war schon sehr großzügig. Bitte kommen Sie zum Schluss.

Ein letzter Satz. Meine Damen und Herren, uns ist nicht so sehr die Hülle des Parlaments wichtig, sondern das, was darin stattfindet, oder anders ausgedrückt: Es geht vor allem darum, wie es innen besser wird, und weniger darum, dass es von außen schöner aussieht.

Herzlichen Dank.

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, der Antrag der SPDFraktion wird von Herrn Kollegen Bartling eingebracht. Bitte!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nichts charakterisiert die Notwendigkeit dieser Debatte mehr als das, was hier zu sehen ist: Von der Regierung ist keiner da, wenn es um die Auseinandersetzung über zentrale Fragen in der Demokratie geht.

(Beifall bei der LINKEN - Widerspruch von der CDU)