Protocol of the Session on January 21, 2010

Was die aktuelle politische Ausrichtung angeht, möchte ich in diesem Zusammenhang beispielsweise auf den Entwurf des niedersächsischen Heimbewohnerschutzgesetzes, in dem natürlich auch die Schaffung von neuen und außerhalb von Einrichtungen der Behindertenhilfe liegenden Wohnformen für Menschen mit Behinderungen eine wesentliche Rolle spielt, oder etwa auch die Frage der Überprüfung des Niedersächsischen Behindertengleichstellungsgesetzes hinweisen.

Das Umsetzen des Verbots der Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen in allen Lebensbereichen - ob es im politischen, im wirtschaftlichen, im sozialen, kulturellen oder natürlich auch im Bereich der bürgerlichen Menschenrechte besteht - ist der pragmatische Ansatz unserer diesbezüglichen Arbeit.

Dazu gehört auch die Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe. Hier geht es darum, die Eingliederungshilfe u. a. von einer überwiegend einrichtungszentrierten zu einer personenzentrierten Hilfe weiterzuentwickeln und Verfahren zu etablieren,

die Menschen mit Behinderungen in ihrer Situation ganz gezielt Unterstützung bieten und sie in die Realisierung der vorhandenen Wünsche und der tatsächlichen Möglichkeiten aktiv einbezieht.

Ebenso gehört dazu die Sicherstellung der Qualität einer Wirkungskontrolle für Leistungserbringung; denn eine berufliche Orientierung ist einfach wichtig, um die Beschäftigungschance von Menschen mit Behinderungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt trotz der bekannten allgemeinen wirtschaftlichen Probleme zu erhöhen.

Es geht auch darum, die Möglichkeiten für behinderte Menschen wesentlich zu erweitern, wenn es um die Bedarfe zur Teilhabe am Arbeitsplatz geht, und zwar nicht nur in anerkannten Werkstätten für Behinderte, die unsere volle Unterstützung haben - die Ministerin hat in ihren Ausführungen ausdrücklich darauf hingewiesen; das unterstützen wir -, sondern auch für behinderte Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich ist bei diesen Themenstellungen nicht nur das Land, sondern auch der Bund gefordert; denn vieles muss Hand in Hand gemeinsam auf den Weg gebracht werden, beispielsweise die Entwicklung von Maßstäben für praktikable, möglichst bundesweit vergleichbare und auf Teilhabe beruhenden Verfahren der Bedarfsermittlung. Dazu gehört auch die Trennung der Leistung zum Lebensunterhalt einschließlich der Fachleistungen der Eingliederungshilfe oder auch beispielsweise die Förderung des trägerübergreifenden Persönlichen Budgets.

Für uns ist es eine ständige Herausforderung, trotz der schwierigen finanziellen Situation des Landes gemeinsam mit dafür Sorge zu tragen, eine Annäherung der Lebensbedingungen von Menschen mit Behinderung an die allgemeinen Lebensbedingungen zu erreichen, wie dies beispielsweise beim Vorrang ambulanter vor stationären Leistungen oder auch beim selbstständigen Wohnen der Fall ist.

In diesem Zusammenhang spielt natürlich auch die Novellierung des niedersächsischen Baugesetzes eine wichtige Rolle. Bei den Beratungen dieses Gesetzentwurfs, die demnächst anstehen, wird ohne Zweifel auch die Interessenlage von behinderten Menschen im Fokus der Beratungen stehen.

(Zustimmung von Heidemarie Mund- los [CDU])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir teilen die Auffassung der Landesregierung, dass seitens des Bundesgesetzgebers zügig geprüft werden sollte, ob die Abschaffung der Einteilung der Leistungsformen in ambulant, teilstationär und stationär umgesetzt werden kann. Nach unserer Auffassung soll der Staat denjenigen, die ihre Entscheidung selbst treffen können, diese Freiheit auch einräumen und sie keinesfalls bevormunden. Es geht darum, dass mehr Eigenverantwortung übertragen wird. Das setzt natürlich voraus, dass alle Beteiligten - dies sind insbesondere die behinderten Menschen, aber auch ihre Angehörigen, darüber hinaus aber auch die Sozialleistungsträger und die Einrichtungen selbst - Verantwortung tragen und sich darauf einrichten und entsprechend positionieren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Rückblick kann man feststellen, dass in den vergangenen zehn Jahren viel Positives auf den Weg gebracht worden ist, das eine Verbesserung der Situation von behinderten Menschen im täglichen Leben ermöglicht hat. Aber auch das Bewusstsein nicht behinderter Menschen hat sich nach meiner Einschätzung positiv verändert. Es wird immer deutlicher, dass uns alle, die wir derzeit nicht behindert sind, sehr schnell ein Schicksalsschlag erreichen kann, mit dem wir uns dann auseinandersetzen müssen und dann in einer völlig anderen Situation diese Welt bewerten und betrachten müssen.

Mehr Verständnis und mehr Rücksicht sind weiterhin notwendig, wenn man positive Entwicklungen verzeichnen will. Dies ist insbesondere eine Aufgabe der Politik, aber auch der gesellschaftlichen Kräfte insgesamt. Insbesondere durch die Beteiligung und das Engagement von Menschen mit Behinderung sind konkrete behindertenpolitische Verbesserungen erreicht worden.

An dieser Stelle möchte ich darauf aufmerksam machen, dass es in Niedersachsen einen Behindertenbeauftragten des Landes gibt. Dieser ist ein wichtiger und kompetenter Ansprechpartner für die Politik und damit auch für die Landtagsfraktionen. Er nimmt sich dieser Themen sehr konkret, sehr gezielt und, wie ich finde, trotz aller Lobbyarbeit, die er auch wahrnimmt, sehr umsichtig an.

(Beifall bei der CDU)

Trotz aller Zufriedenheit mit dem Erreichten muss es auch künftig gemeinsam mit allen Beteiligten unser Ziel sein, sich in allen gesellschaftlichen Bereichen für eine umfassende Teilhabe behinderter Menschen einzusetzen. Dazu bedarf es weite

rer Anstrengungen. Wir haben diese Anstrengungen in der heutigen Aussprache erstmalig aufgrund der Anfragen andiskutiert. Ich gehe davon aus, dass Bund und Länder, aber auch die Fraktionen des Landtags in dieser Verantwortung stehen, und zwar unabhängig davon, ob wir diese Große Anfrage zur Behindertenpolitik im Ergebnis positiv oder auch kritisch konstruktiv begleiten. Gefordert sind wir täglich über den Tag der heutigen Aussprache hinaus.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Danke schön, Herr Böhlke. - Es folgt nun eine Kurzintervention seitens der Fraktion DIE LINKE. Herr Humke-Focks, Sie haben das Wort für anderthalb Minuten.

Frau Präsidentin! Lieber Herr Böhlke, Sie haben am Anfang Ihrer Ausführungen gesagt, wir seien an einer Aufarbeitung nicht interessiert, wenn wir nicht die Antworten erhielten, die wir uns wünschten.

Zur Beantwortung unserer Großen Anfrage kann man in jedem Fall sagen, dass sie quantitativ umfangreich ist. Wenn man die Bewertung allerdings auf den Gebrauchswert der einzelnen Antworten reduziert, dann dünnen sich - muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen - diese mehr als 100 Seiten sehr aus, um es einmal vorsichtig zu formulieren.

(Reinhold Hilbers [CDU]: Weil Ihnen die Antworten nicht gefallen!)

Wenn wir unzureichende Antworten bekommen, dann müssen wir die mangelnde Evaluationsbereitschaft der Landesregierung entsprechend kritisieren. Die Landesregierung hat uns sicherlich zu jeder Zeit an ihrer Seite, auch bei allen Maßnahmen, die wir von der Frau Ministerin gehört haben, die das Ziel einer gesellschaftlichen Teilhabe aller Menschen verfolgen. Dabei finden Sie uns an Ihrer Seite.

Wir unterstützen auch die verschiedenen Bausteine. Insofern war das eine Unterstellung. Wenn wir als Linke aber den Eindruck haben, dass Maßnahmen zur Erreichung des Ziels einer inklusiven Gesellschaft verschleppt werden oder zu langsam erfolgen oder die UN-Konvention nicht umgesetzt wird, dann ist es legitim, wenn wir entsprechend

darauf hinweisen, Initiativen ergreifen und unterstützen - - -

(Die Präsidentin schaltet dem Redner das Mikrofon ab - Ursula Helmhold [GRÜNE]: Das hat Herr Möhrmann gestern auch gemacht!)

Frau Kollegin Helmhold, ich habe auf Herrn Möhrmann super reagiert. Herr Humke-Focks hat dies gerade genauso gemacht. Deshalb herzlichen Dank, Herr Humke-Focks. - Herr Kollege Böhlke, möchten Sie antworten? Auch Sie haben eine Redezeit von anderthalb Minuten.

Ich versuche es in einer kürzeren Redezeit. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte den Vorwurf deutlich zurückweisen, Herr Kollege. Uns eine mangelnde Evaluationsbereitschaft zu unterstellen, ist einfach nicht korrekt. Das ist nicht wahr.

(Beifall bei der CDU)

Unsere Bereitschaft besteht sehr wohl, und wir wollen die Dinge auch bewerten und gewichten. Das ist gar keine Frage.

Ich habe kritisiert, dass Sie pauschal alles infrage gestellt haben, was in der Antwort dargestellt worden ist. Lediglich den Umfang und das Mengengerüst positiv zu bewerten, reicht nicht aus, um politische Akzente zu setzen.

Ich glaube, die Antwort der Landesregierung auf Ihre Fragen hat sehr deutlich gemacht, dass wir nicht nur quantitativ mit dem notwendigen Zeitaufwand entsprechende Antworten geben können, sondern dass wir auch bei der inhaltlichen politischen Arbeit und bei der administrativen Arbeit des Landes Niedersachsen mit den vielen an diesen Fragestellungen beteiligten Stellen sehr wohl zusammenarbeiten und dazu bereit sind, uns einzubringen. Die Erfolge werden auch nicht auf sich warten lassen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU - Patrick-Marc Humke-Focks [LINKE]: Es fehlen rei- henweise Zahlen!)

Nun hat Herr Kollege Riese von der FDP-Fraktion das Wort. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wenn man der bisherigen Debatte über die Große Anfrage und die umfassende Antwort der Landesregierung gefolgt ist, dann könnte man den Eindruck gewinnen, dass wir es mit einem Politikfeld zu tun haben, das noch gar nicht bestellt worden ist. Außerdem könnte man den Eindruck gewinnen, als bestünde ein grundsätzlicher Wertedissens. Das ist beides aber gar nicht der Fall.

Wir haben in Deutschland eine umfassende und historisch entwickelte Sozialgesetzgebung, die auch die Situation der Menschen mit Behinderung und der Menschen, die von Behinderung bedroht sind, umfasst. Frau Kollegin Groskurt hat verdienstvollerweise die Regelungen des SGB IX angesprochen, das die Selbstbestimmung und die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderung und Menschen, die von Behinderung bedroht sind, ganz oben anstellt. Diese Sichtweise, die im SGB IX niedergelegt ist, entspricht im Grundsatz genau der Sichtweise der UN-Konvention. Insofern ist es unrichtig, wenn Frau Helmhold oder Herr Humke-Focks den Eindruck erweckt, als hätte erst die UN-Konvention zu Gesetzgebungsmaßnahmen im Lande Niedersachsen geführt. Das ist historisch schlicht und einfach Unfug.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU - Zuruf von der SPD: Das hat keiner behauptet!)

Tatsächlich wenden wir auch in Niedersachsen einen ganz erheblichen Teil des Bruttoinlandsproduktes für eine Eingliederungshilfe im Sinne von SGB XII auf, und zwar mit erheblichen Wachstumsraten. Das war ausweislich der uns zugegangenen Informationen im Jahre 2008 ein Betrag von 1,27 Milliarden Euro. Das ist im Verhältnis zur Höhe des Landeshaushalts von 25 Milliarden Euro eine erhebliche Summe.

(Norbert Böhlke [CDU]: So ist es!)

Die Eingliederungshilfe ist - das wird auch so bleiben - eine kostspielige Angelegenheit, an der sich die örtlichen und überörtlichen Träger der Sozialhilfe beteiligen, an der sich aber auch unterschiedliche Zweige der Sozialversicherung und Rehabilitationsträger beteiligen. Wenn Mittel aus unterschiedlichen Händen in solchen Höhen bewegt werden, dann kann naturgemäß ein Dissens zwischen den Kostenträgern darüber entstehen, wer jeweils verantwortlich ist. Diese verzweigte Verantwortlichkeit bei den Kosten führt nach wie vor

zu umfänglichen, verwaltungsaufwendigen und oft auch streitbefangenen Abstimmungen über die Kostenträgerschaft. Das Quotale System in Niedersachsen hat in diesem Zusammenhang zwar einen heilsamen Beitrag geleistet, aber es kann diese Auseinandersetzungen nicht grundsätzlich aus der Welt schaffen.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Die umfassenden Informationen, die wir im Rahmen der Antworten auf die beiden Großen Anfragen erhalten haben, geben uns ein umfassendes und differenziertes Bild über die Lebenswirklichkeit in Niedersachsen. In den Antworten wird das umfassende Netz an Einrichtungen für jede Lebensaltersstufe und für die vielfältigen Formen der vorhandenen Behinderungen beschrieben. Es wird auch dargestellt, dass in Niedersachsen zahlreiche Ehrenamtliche dazu beitragen, dass das Zusammenleben von Menschen mit und ohne Behinderung menschlicher gestaltet wird.

Es ist richtig, dass die vorhandenen rechtlichen Instrumente immer weiterentwickelt werden müssen. Allerdings müssen sie zum Teil auch verstärkt gelebt werden. Der oft zitierte Grundsatz „Menschen mit Behinderungen sind Experten in eigener Sache“ mahnt uns dazu, den Paradigmenwechsel, den wir längst begonnen haben, weiter zu beschleunigen. Niedersachsen leistet dazu seinen Beitrag. Die Ministerin hat auf das Modellprojekt in Bezug auf ambulante Eingliederungshilfeleistungen zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft hingewiesen, das in den Landkreisen Osnabrück und Emsland und in der Stadt Braunschweig durchgeführt wird. In diesem Zusammenhang wurden 67 Budgetanfragen gestellt, 53 Anfragen zum Persönlichen Budget sind bewilligt worden. Diese Zahlen sind insgesamt noch nicht sehr groß, aber es geht in die richtige Richtung. Ich meine, der politische Auftrag an uns, den Niedersächsischen Landtag, besteht schon darin, zu prüfen, ob die Begeisterung für das Persönliche Budget nicht noch weiter gesteigert werden kann. Das ist wirklich ein sehr zukunftsträchtiges Instrument.

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

Auch 20 Inanspruchnahmen des Budgets für Arbeit sind ein guter Anfang, aber auch das ist natürlich noch keine beeindruckende Zahl. Das wird sich noch weiterentwickeln müssen.

Beim Persönlichen Budget fehlt es an Übung. Es fehlt indessen nicht, verehrte Frau Helmhold, an

Informationen. Ich meine, dass das Land Niedersachsen sehr umfassend informiert. Im Übrigen ist in diesem Zusammenhang auch dem Behindertenbeauftragten des Landes Niedersachsen sehr zu danken, der mit Informationsveranstaltungen durch das Land zieht. Eine fand beispielsweise im September 2007 in meiner Heimatstadt Emden statt. Alle Informationen stehen in Papierform und barrierefrei im Internet zur Verfügung. Informationen sind also in umfassendem Maße vorhanden.

(Uwe Schwarz [SPD]: Trotzdem läuft es nicht! - Unruhe - Glocke der Präsi- dentin)