Protocol of the Session on May 8, 2008

Dabei schließen wir zur Erfüllung dieser Ziele ebenso wie Sie eine Änderung der Verfassung nicht aus, wollen aber gleichzeitig den Bund nicht aus der Pflicht für ein einheitliches Leistungsrecht und aus seiner gesellschaftspolitischen Verantwortung für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit entlassen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Mit der Zusammenlegung der Arbeitslosen- und Sozialhilfe zur neuen Grundsicherung für Arbeitsuchende haben wir vor allem das Ziel verfolgt, den Zugang von Langzeitarbeitslosen zum ersten Arbeitsmarkt durch passgenaue Hilfeangebote, eine auf die individuellen Erfordernisse abgestimmte Eingliederungsförderung und Qualifizierung sowie eine effektive Arbeitsvermittlung zu verbessern.

Um dieses Ziel zu erreichen, wurde mit den Arbeitsgemeinschaften eine Organisationsform geschaffen, die die Kompetenzen und Ressourcen beider Träger - Agentur für Arbeit und Kommunen - bündeln und zum anderen die Hilfe aus einer Hand - das ist sehr wichtig - für die Arbeitsuchenden bilden sollte.

Nun hat das Bundesverfassungsgericht die Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zwar positiv bewertet, deren gemeinsame Aufgabenwahrnehmung innerhalb der Argen in der heutigen Form aber für verfassungswidrig erklärt. Die Aufgabe, vor der wir jetzt stehen, ist, eine Lösung zu finden, und wir wollen die beste Lösung für die Menschen.

Mehr als 7 Millionen Menschen aller Altersgruppen mit den unterschiedlichsten Biografien, den unterschiedlichsten Fähigkeiten und Problemlagen sollen dort unterstützt werden. Entsprechend bürgernah, umfassend und vor allem breit angelegt müssen der Ansatz und das Instrumentarium sein.

Eine neue Trägerstruktur muss sich deshalb an den Erfordernissen der Menschen orientieren, für die sie Hilfe und Unterstützung bieten soll. Das ist die Grundlage für die Arbeit für und mit den Betroffenen. Wir brauchen individuelle und nachhaltige Integrationswege. Das gelingt aus der Sicht der Grünen mit den vorgeschlagenen kooperativen Jobcentern von Bundesarbeitsminister Scholz

nicht. Sie sind mit der getrennten Trägerschaft ein Sprung zurück in die Zeit vor der Reform und als Versuch einer untergesetzlichen Lösung wohl kaum verfassungskonform umzusetzen und damit zum Scheitern verurteilt. Auch würde die kommunale Seite bei der vorgesehenen Trägerstruktur geschwächt. Damit würde die sozialpolitische Komponente, die für einen nachhaltigen Integrationsprozess aus unserer Sicht unerlässlich ist, in den Hintergrund treten. Darüber hinaus würden dezentrale und lokale Handlungsspielräume beschränkt. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass gerade die lokalen Kompetenzen und die lokalen und regionalen Handlungsspielräume von entscheidender Bedeutung für den nachhaltigen Integrationserfolg sind.

Die Grundsicherung muss sowohl einen arbeitsmarktpolitischen als auch einen sozialpolitischen Auftrag erfüllen. Sie zielt auf soziale Teilhabe und Integration. Deswegen brauchen wir eine neue Trägerstruktur, die die kommunalen und lokalen Kompetenzen stärkt und die die Verknüpfung von arbeitsmarkpolitischen und sozialpolitischen - und übrigens auch bildungspolitischen - Angeboten vor Ort sicherstellt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dafür ist eine dezentrale Struktur zwingend erforderlich. Denn das operative Geschäft braucht gerade den Einblick in die lokalen und regionalen Strukturen und die Kooperation mit den vor Ort vorhandenen Hilfesystemen. Dazu gehören natürlich auch lokale Entscheidungskompetenzen und die dezentrale Organisations-, Personal- und Budgethoheit.

Hilfe aus einer Hand heißt für uns nicht nur: Hilfe irgendwie unter ein Dach gepackt. Das würde dem Anspruch, den wir haben, auf keinen Fall gerecht. Deswegen wollen wir wie Sie alle Möglichkeiten zur Schaffung der rechtlichen, auch grundgesetzlichen Grundlagen für eine verbesserte Zusammenarbeit von Kommunen und Arbeitsagenturen nutzen.

Wenn der Bund - ich halte das für sehr wichtig - weder aus seiner finanziellen noch aus seiner politischen Verantwortung für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit entlassen werden darf, dann ist es zwar verständlich, dass er daraus für sich ein Steuerungsbedürfnis reklamiert. Dies darf aber keinesfalls mit einem zentralen Durchgriffsanspruch gleichgesetzt werden. Vielmehr sollte der Bund nach unserer Auffassung maximal einige wenige globale Ziele benennen, an denen sich die

Jobcenter zu orientieren haben. Sie sollen dann aber im Rahmen dieser Zielvereinbarung autonom agieren können. Der lokalen Ebene wäre es vorbehalten, die gesamte Breite des Weges, der vor Ort vorhanden ist und sich anbietet, zu nutzen.

Wir stellen für eine Neuorganisation folgende Forderungen: Leistungen müssen aus einer Hand gewährt werden. Die Strukturen müssen dezentral sein. Es darf keinen zentralen Durchgriff auf das operative Geschäft geben. Hilfe und Angebote müssen zu den Menschen passen - und nicht umgekehrt: Die Menschen dürfen nicht an eine Trägerstruktur angepasst werden. Wir brauchen ein bundesweit einheitliches Leistungsrecht und wollen uns darüber verständigen, dass die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sein muss.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es gibt keine Patentlösung für alle. Darum wollen wir an der bewährten Vielfalt festhalten. Ich glaube, den Ländern kommt beim derzeitigen Stand der Diskussion eine entscheidende Bedeutung zu. Ich hoffe sehr, dass sich die Länder auf der morgigen Konferenz der Arbeits- und Sozialminister in diesem Sinne einigen und sich nicht einkaufen lassen. Es kann nicht nur darum gehen, die Optionskommunen zu retten. Dann würden nämlich die anderen von den Hunden gebissen werden. Ich habe Herrn Matthiesen aber auch nicht in diesem Sinne verstanden.

Ich freue mich auf die Ausschussberatungen und hoffe, dass es gelingt, unseren Antrag gleichzeitig im Sozialausschuss mit zu behandeln.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich erteile dem Abgeordneten Humke-Focks von der Fraktion DIE LINKE das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktionen von CDU und FDP versuchen mit diesem Antrag vor allem darzustellen, dass die Einführung von Hartz IV eine zukunftsweisende Entscheidung war. So leiten Sie Ihren Antrag ja ein. Leistungen aus einer Hand, Bürokratieabbau, Passgenauigkeit bei Vermittlung und Sicherung des Sozialstaates waren und sind die gängigen Rechtfertigungsgründe für die Abschaffung des BSHG gewesen. Die Parteien von CDU, FDP, SPD

und Bündnis 90/Die Grünen haben den Umbau und damit den faktischen Abbau des Sozialstaates zum 1. Januar 2005 in aller Eintracht auf der Bundesebene beschlossen.

(David McAllister [CDU]: Na, na, na!)

Lediglich unsere Partei als einzige parlamentarische Kraft hat diesen Abbau sozialstaatlicher Standards jederzeit abgelehnt. Vorrangiges Ziel der Großen Koalition der genannten Parteien - mit Ausnahme unserer Partei - war und ist es, im Sozialhaushalt Kosten in Milliardenhöhe einzusparen. Das alles geschieht weiterhin auf dem Rücken derjenigen, die ökonomisch nicht so gut gestellt sind

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Was ma- chen denn die Kollegen in Berlin?)

wie wir als Landtagsabgeordnete mit unserem Einkommen. Die Einführung der Hartz-Gesetze war nichts anderes als die Schaffung von Armut per Gesetz.

(Beifall bei der LINKEN)

Es geschah u. a. auf dem Rücken derjenigen, die sich beispielsweise nach einem langen Berufsleben - nach 20 oder 30 Jahren - ein Einfamilienhaus gebaut haben, deren Betrieb in Konkurs gegangen ist und die dann in das Arbeitslosengeld I abgerutscht sind. Das bekommt man 12 bis 18 Monate je nachdem, wie lange man eingezahlt hat. Wenn man dann in das Arbeitslosengeld II abrutscht, muss das Haus erst einmal zu Geld gemacht und dieses Geld verbraucht werden, und das, was mühsam angespart wurde, ist nichts mehr wert.

Es geschah auch vor allem auf dem Rücken der Alleinerziehenden. Es ist unbestritten - Sie konnten das heute noch einmal in der Neuen Presse nachlesen, dass Kinder-Haben zu einem Armutsrisiko geworden ist und dass dadurch vor allem auch die Armut von Kindern latent stark angestiegen ist.

Es geschah auch - das finde ich besonders perfide - auf dem Rücken von chronisch Kranken wie beispielsweise an Diabetes mellitus Erkrankten. Bei ihnen ist nicht grundsätzlich sichergestellt, dass sie Leistungen für den Mehrbedarf erhalten. Erklären Sie einmal den Betroffenen, dass sie sich den tatsächlichen Mehrbedarf vom Arbeitslosengeld II absparen sollen!

Das sind nur einige wenige Beispiele der Auswirkungen von Hartz IV. Das Armutsrisiko in unserer reichen Gesellschaft ist seit der Einführung der

Hartz-Gesetzgebung unbestritten gestiegen. Damit ist die Hartz-Gesetzgebung von unserer Seite weiterhin abzulehnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Antragsteller loben darüber hinaus die guten beschäftigungspolitischen Effekte der Gesetze und den Abbau von Bürokratie. Was hier völlig ausgeblendet wird, sind die offensichtlichen handwerklichen Schwächen und Lücken in der Gesetzgebung. So wird von Ihnen nicht zur Kenntnis genommen, dass die sogenannten Ein-Euro-Jobs vielerorts nicht als nachrangiges, sondern als vorrangiges Mittel zur Beschäftigung von erwerbslosen Arbeitslosengeld-II-Empfängern genutzt werden und damit kostengünstig die Arbeitslosenstatistiken geschönt werden - in dem vollen Bewusstsein, dass die Arbeitskräfte zu einem Dumpingpreis ausgebeutet werden.

(Beifall bei der LINKEN - Norbert Böhlke [CDU]: Was erzählen Sie denn da?)

Besonders wichtig ist es, auch einmal die Realitäten aus den Tiefen Niedersachsens zu berichten. Wie Sie wissen, komme ich aus dem Landkreis Göttingen. Hier entschieden wir uns dazu - ich bin auch Kommunalpolitiker -, die Option zu ziehen. Wir sind eine Optionskommune. Es ist ganz unterschiedlich, wie das dort gehandhabt wird. Wir haben beispielsweise einen CDU-Landrat. Die erste Maßnahme, die die CDU vor Ort ergriffen hat - übrigens mit Billigung der Grünen; dort herrscht eine koalitionsartige Zusammenarbeit -, war, erst einmal zwei Juristen einzustellen, die die Widersprüche bearbeiten sollen - finanziert übrigens aus dem Integrationsbudget.

Des Weiteren ist es sofort zu einer deutlichen Reduzierung der ABM-Angebote gekommen. Und jüngst sind Leute eingestellt worden - wir nennen es den Kreisnachrichtendienst -, die gegen Sozialhilfemissbrauch ermitteln sollen - das alles wird aus dem Integrationsbudget finanziert.

(David McAllister [CDU]: Mit Nachrich- tendiensten kennen Sie sich ja aus!)

Ich könnte noch alle möglichen anderen Beispiele bringen.

Zusammengefasst hat also der Landkreis Göttingen mit dem CDU-Landrat Schermann dafür Sorge getragen, dass die Bürokratie aufgebauscht wurde und Mittel aus dem Integrationsbudget für Betroffene in den Wasserkopf der Verwaltung umgeleitet

wurden. Das kann und darf nicht Praxis bleiben, selbst wenn die Hartz-Gesetzgebung jetzt nicht zu Fall gebracht werden kann.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte in aller Kürze das Dilemma benennen, in dem wir uns jetzt befinden. Das Bundesverfassungsgericht hat eine Umstrukturierung gefordert. Nun liegt die Schwierigkeit allerdings in der Frage begründet, welche Kriterien wir bei dieser Neuorganisation anlegen wollen. Wie können wir es erreichen, dass bestehende lokale Strukturen im Maßnahmenbereich erhalten bleiben? Die positiven Effekte wollen wir erhalten. Wir wollen Bürokratie abbauen, damit das gesamte Integrationsbudget und die dafür zur Verfügung stehenden Mittel auch die Menschen erreichen, denen auch Sie - genauso wie wir - helfen wollen. Wie stärken wir die Maßnahmenträger?

Das sind nur einige wenige Fragen, die wir hoffentlich im Fachausschuss im Sinne der betroffenen Leistungsempfänger beantworten können. Wir dürfen nicht vergessen, dass es in dieser Frage auch um Menschen geht, die einen Anspruch auf Rechtssicherheit haben.

(Glocke des Präsidenten)

- Ich komme gleich zum Schluss. - Die Fraktion DIE LINKE stimmt der Überweisung in den Fachausschuss gerne zu und wird sich auch dort konstruktiv dafür einsetzen, dass die Spielräume bei der Umsetzung im Sinne der Betroffenen ausgenutzt werden.

Lassen Sie mich eines noch zum Abschluss feststellen - - -

Aber die Zeit dafür haben Sie nicht mehr, Herr Kollege.

Ich möchte Sie bitten, dass ich noch einen Abschlusssatz sagen darf.

(Zuruf von der CDU: Nein!)