Also: Hier macht nicht jeder, was er will. In einem demokratischen Rechtsstaat herrscht auch Ordnung.
Meine Damen und Herren, nach unserer Ordnung hat nun Herr Briese das Wort. Wir freuen uns auf seinen Beitrag.
Besten Dank, Herr Präsident! Auch ich freue mich, dass ich diese Rede halten darf. Hoffentlich sind Sie auch noch in freudiger Erregung, wenn ich die Rede gehalten habe.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es hat ja ein bisschen gedauert, bis die Mehrheitsfraktionen in diesem Landtag ein neues Versammlungsrecht erarbeitet haben. Gut Ding will manchmal Weile haben, aber jetzt kann es ja losgehen. Es ist Ihnen bekannt, dass ein sehr guter grüner Gesetzentwurf schon im Innenausschuss liegt und nur darauf wartet, in der Fachberatung mit dem neuen Gesetzentwurf verglichen zu werden. Ich bin sehr gespannt - ich sage das in freudiger Erwartung -, was dann die Fachberatung zu Ihrem Gesetzentwurf und zu unserem Gesetzentwurf ergeben wird.
Eines zur Bewertung vorweg: Ich finde, es ist Ihnen in Ihrem Gesetzentwurf nicht gelungen, das Versammlungsrecht aus dem Griff des Obrigkeitsstaates zu befreien.
Die Mehrheit in diesem Hause - das ist kein großes Geheimnis, Herr McAllister - will eigentlich keine aktive und kritische Bürgergesellschaft.
Das mache ich immer ganz besonders gerne an dem amtierenden Innenminister fest, der sogar ganz stolz darauf ist: „Ich habe in meinem Leben noch nie demonstriert!“ Was übrigens, Herr Schünemann - so wurde mir zugetragen -, nicht ganz
richtig ist. Sie haben angeblich damals doch gegen die Schulpolitik von Gerhard Schröder demonstriert; das habe ich mir sagen lassen. Hoffentlich haben Sie diesmal in diesem Hause die Wahrheit gesagt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Bewertung vorweg: Das Versammlungsrecht wurde nicht aus der staatlichen Umklammerung gelöst. Die Versammlungsbehörde, die Ihnen, Herr Biallas, ja ganz besonders wichtig ist - nicht die demonstrierenden Menschen sind Ihnen wichtig, sondern die Versammlungsbehörde -, hat nach wie vor eine sehr starke Stellung in Ihrem Gesetzentwurf. Sie kann bestimmen, sie kann kontrollieren, und sie kann auch sehr stark gängeln, was Demonstrationen angeht.
Das wird vor allen Dingen in dem Gesetzentwurf hinsichtlich der Datensammelei oder auch der Informationspflichten deutlich. Man muss einen ganzen Katalog an Daten bei der Versammlungsbehörde abliefern, wenn man demonstrieren will. Ganz besonders kritisch sehen wir den Punkt, dass eine Versammlungsbehörde sogar eine Versammlungsleitung ablehnen kann, ohne das begründen zu müssen. Sie kann also einfach mir nichts, dir nichts sagen: Nein, dich finden wir als Versammlungsleiter oder Versammlungsleiterin nicht geeignet. - Ich kann Ihnen jetzt schon sagen: Damit sind der Streit und die juristische Auseinandersetzung vorprogrammiert. Rechtsklarheit schaffen Sie damit jedenfalls nicht.
Verliebt sind Sie auch - auch das wundert uns nicht - in Datensammelei und Bürokratie. Nicht nur jeder Versammlungsanmelder muss sich erst einmal halb ausziehen, wenn er eine Demonstration anmelden will, sondern die Behörde kann auch verlangen, dass Hilfsdemonstranten, sogenannte Ordner - Sie haben das erwähnt -, ihre Stammdaten bei der Behörde abliefern müssen. Wir werden in der Fachberatung noch einmal sehr genau checken, ob das überhaupt verfassungskonform ist, weil das ein Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung ist. Das werden wir also sehr kritisch prüfen lassen.
Das ist schon einmal ein großer Unterschied zwischen Ihrem Gesetzentwurf und dem grünen Gesetzentwurf. Sie haben eine sehr starke Stellung der Versammlungsbehörde. Wir machen einen Gesetzentwurf zuerst aus der Sicht der Menschen,
die sich versammeln wollen, und nicht aus der Sicht der Behörde. Das ist also ein ganz klarer Unterschied. Wir gehen eben nicht mit einer misstrauischen Grundhaltung mit Leuten um, die auf die Straße gehen und sich artikulieren wollen; denn die allermeisten Versammlungen sind natürlich friedlich und gewaltfrei.
Auch das haben Sie angesprochen, Herr Biallas: Das Grundgesetz sagt ja auch in schöner Klarheit und Deutlichkeit, das Demonstrationsrecht, das Versammlungsrecht steht unter dem Friedlichkeitsgebot. Aggression und Provokation - jedenfalls solche Provokation, die den Rahmen sprengt - oder Gewalttätigkeiten sind durch das Verfassungsrecht in keiner Weise geschützt. Das finden natürlich auch wir absolut richtig.
Jetzt zu einer sehr sensiblen Materie, nämlich zum Verbot von rechtsextremistischen Demonstrationen. Ihr Gesetzentwurf und auch unser Gesetzentwurf versuchen ja, rechtsextreme Versammlungen, die den Nationalsozialismus verherrlichen und die Opfer der Naziherrschaft verhöhnen, schon im Vorfeld verbieten zu können. Das ist ein sehr schwieriges Feld. Das wissen wir aus sehr vielen verfassungsrechtlichen Prüfungen. Da werden wir sehr genau beraten müssen, wem das eigentlich besser gelungen ist. Wir haben uns da sehr viel Mühe gemacht. Ich habe zumindest den Eindruck, dass Sie dem Bestimmtheitsgebot auch in diesem Bereich nicht so richtig Genüge geleistet haben. Aber das werden wir im Fachausschuss prüfen müssen.
Definitiv liberaler, mein lieber Herr Oetjen, sind wir in der Frage der Polizeiaufnahmen. Ein großer Streitpunkt ist ja immer auch die Frage:
Was darf eigentlich die Polizei bei den entsprechenden Versammlungen? - Unsere Lösung dazu ist sehr praxistauglich und sehr einfach verständlich. Wir sagen: Die Polizei darf natürlich offene Aufnahmen machen, und sie darf diese Aufnahmen sogar weiter verwenden, wenn sie zur Aufklärung der Straftaten benötigt werden. Danach sind diese Aufnahmen zu löschen. Das haben wir in einem relativ knappen Paragrafen ganz einfach formuliert. In Ihrem Gesetzentwurf, Herr Kollege Biallas, Herr Kollege Oetjen, ist dieser ganze Bereich in drei Absätzen mit drei Unterpunkten sehr ausgeufert. Das gesamte Phänomen zieht sich über eine ganze Seite. Ich habe es dreimal gelesen und es, ehrlich gesagt, nicht verstanden. Das mag an mir liegen. Ich finde die Regelung jeden
Zum Abschluss komme ich auf das Phänomen der ja so heiligen parlamentarischen Bannmeile. Uns hat nicht überrascht, dass Sie daran natürlich unbedingt festhalten wollen.
Ich finde, etwas mehr Vertrauen in die gefestigte Demokratie und in das parlamentarische Selbstbewusstsein
Was man den Menschen in diesem Lande vor Rathäusern, vor Schulen, in Fußgängerzonen oder eigentlich überall zumutet, sollte man meines Erachtens auch dem Parlament zumuten. Es gibt keine Extraposition für das Parlament.
Ich habe es schon einmal gesagt: Jede Demonstration, die gewalttätig oder aggressiv ist, kann sofort verboten werden. Wir brauchen keinen doppelten Schutz des Parlaments in Form einer Bannmeile.
Ja. - Was wir den Menschen draußen im Lande zumuten, meine sehr verehrten Damen und Herren, das kann das Parlament in Niedersachsen auch sehr gut vertragen.
Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren! Beim Lesen des § 9, in dem das Anzeigen der Versammlung geregelt wird, entsteht zunächst der Eindruck, der Entwurf trage ein wenig liberale Handschrift. Dafür sprechen das Beibehalten der 48-Stunden-Anmeldefrist, die Möglichkeit der Eil- und Spontanversammlung und das verkürzte Verfahren bei einer Versammlung von weniger als 20 Personen. Bei der Lektüre der restlichen Paragrafen wird deutlich, dass es sich lediglich um einen zarten liberalen Anstrich handelt, der im Kern in die satten blau-weißen Landesfarben des Freistaates Bayern übergeht. Der hehre Anspruch wird mit jedem weiteren Paragrafen konterkariert.
Hauptkritikpunkt bei vielen Regelungen ist ihre völlig willkürliche Auslegung. So heißt es in § 4 „Rechte und Pflichten der Versammlungsleitung“, dass die Versammlungsleitung dafür Sorge zu tragen hat, dass keine Gewalttätigkeiten geschehen. Ich zitiere:
„Geeignete Maßnahmen sind insbesondere Aufrufe zur Gewaltfreiheit und Distanzierung von gewaltbereiten Personen.“
Das mag verbal ja noch möglich sein, aber mit dem Zusatz „insbesondere“ öffnen Sie Tür und Tor für alles Mögliche, nur nicht für Konkretes.
„Darüber hinaus ist es verboten, an einer öffentlichen oder nichtöffentlichen Versammlung in einer Art und Weise teilzunehmen, die dazu beiträgt, dass die Versammlung oder ein Teil hiervon nach dem äußeren Erscheinungsbild paramilitärisch geprägt wird oder sonst den Eindruck von Gewaltbereitschaft vermittelt, wenn damit eine einschüchternde Wirkung verbunden ist.“
Wer, meine Damen und Herren, definiert denn diesen Eindruck, und was ist denn, bitte schön, einschüchternd? Vielleicht 500 Gewerkschafter, die lautstark mit Trommeln und Trillerpfeifen gegen die schreiende soziale Ungerechtigkeit in diesem Land demonstrieren?