Protocol of the Session on December 15, 2009

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor einem Jahr haben wir im Rahmen der Haushaltsberatungen auf die prekäre Situation bei

den Sozialgerichten hingewiesen und auch im Ausschuss bereits ausgiebig darüber diskutiert. Die Opposition hat ja manchmal ein bisschen Wirkung. So haben die Regierungsfraktionen dann fünf Sozialrichter mehr eingestellt.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Manfred Sohn [LINKE]: Immerhin! - Marianne König [LINKE]: Weiter so!)

Wir hatten acht gefordert, aber immerhin. Trotzdem muss man heute sagen: Das war nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Der Berg, der nach wie vor vor den Sozialrichtern liegt, ist noch nicht hinreichend abgebaut.

Nun ist der Justizminister auf die Idee gekommen, sich im Bundesrat dafür einzusetzen, dass die entsprechenden Sozialgesetze, die dieser höheren Belastung zugrunde liegen, geändert werden, also die Hartz-IV-Gesetze. Ob Sie, Herr Minister, mit diesem Versuch allerdings Erfolg haben werden, ist fraglich; denn ich glaube nicht, dass die gegenwärtige Regierungsmehrheit in Berlin eine wirklich grundlegende Reform dieser Sozialgesetze durchführen wird.

Aber selbst wenn es so wäre, dass durch präzisere gesetzliche Formulierungen Prozesse vermieden oder nicht so viele Falschbescheide ergehen würden - immerhin sind 50 % aller Bescheide, die von den Argen und Jobcentern erstellt werden, falsch -, würde die Wirkung mit Sicherheit nicht im nächsten Haushaltsjahr zu verzeichnen sein, sondern erst mit Verspätung kommen.

Ein großes Problem bei den Gerichten ist die Belastung der Arbeitsgerichte. Die Nordwest-Zeitung aus Oldenburg hat z. B. in der Ausgabe vom 9. Juli bereits darauf hingewiesen. Schon im Sommer dieses Jahres gab es eine Mehrbelastung von 15 %, was u. a. dadurch zustande kam, dass eine Richterin zum Sozialgericht abgeordnet worden war. Man hat also nur hin und her geschoben.

Wir wissen aber auch: In der gegenwärtigen Wirtschaftskrise wird es zu einer hohen Arbeitslosigkeit kommen. Die Arbeitslosenzahlen hinken der wirtschaftlichen Entwicklung immer etwas hinterher. Das heißt, das dicke Ende kommt noch. Wenn die Kurzarbeit ausläuft, wird es im Jahr 2010 einen Anstieg der Arbeitslosigkeit geben. Das sagen auch alle Wirtschaftsforschungsinstitute. Das führt erfahrungsgemäß immer zu einer erhöhten Zahl der Kündigungsschutzprozesse, weil natürlich jeder versuchen wird, um seinen Arbeitsplatz zu kämpfen.

Der Justizminister hatte für die Arbeitsgerichtsbarkeit in ganz Niedersachsen nur eine Richterstelle vorgesehen, obwohl er dieses Problem kannte. Das war natürlich ein Witz! Nun haben die Regierungsfraktionen in Form von immerhin fünf Stellen etwas nachgebessert. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Aber um dem tatsächlichen Bedarf gerecht zu werden, hätte man acht Stellen einsetzen müssen, wie wir das gefordert haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Höhere Personalausgaben schlagen wir auch in einem Bereich vor, der uns ganz wichtig ist, und zwar im einfachen Dienst, über den so gut wie nie gesprochen wird. Das sind Justizwachtmeister, die mit ihrem geringen Einkommen kaum über der Grenze liegen, dass sie nicht als Aufstocker noch Hartz IV ergänzend beanspruchen müssen. Das, was in diesem Bereich verdient wird, ist wirklich sehr gering. Deshalb schlagen wir vor, den einfachen Dienst hier abzuschaffen, wenigstens aber Stellenhebungen in diesem Bereich von A 5 nach A 6 vorzunehmen. Das kostet natürlich Geld.

In diesem Zusammenhang muss ich einmal auf die Haushaltsvorstellungen der Grünen eingehen. Sie haben doch tatsächlich vorgeschlagen, im gesamten öffentlichen Dienst pauschal über alle Einzelpläne hinweg 110 Millionen Euro einzusparen. Sie haben aber nicht gesagt, wo Sie das machen wollen.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Doch!)

Ich hätte von Ihnen ganz gerne gewusst: Wollen Sie weniger Arbeitsrichterstellen? Wollen Sie weniger Sozialrichterstellen? Wollen Sie weniger Lehrer? Oder wollen Sie die notwendigen Stellenhebungen im einfachen Dienst nicht? - Sagen Sie einmal, wo Sie im öffentlichen Dienst wirklich sparen wollen; denn es ist leicht so dahergesagt, mit einer pauschalen Kürzung zu kommen, ohne richtig Farbe zu bekennen.

(Beifall bei der LINKEN)

In diesem Bereich ist noch viel zu tun. Die Wachtmeister, die dort ihre verantwortungsvolle Arbeit leisten, tun etwas für die Sicherheit der Gerichte.

Beim Thema Sicherheit der Gerichte muss ich auf ein etwas merkwürdiges Kapitel kommen. Gegenwärtig kann man in einzelnen Gerichten in Niedersachsen beobachten, dass Kontrollen durchgeführt werden, wie man sie von Flughäfen her kennt. Das Bild, das wir da in Niedersachsen haben, ist aber völlig uneinheitlich.

Ich will Ihnen das am Beispiel von Oldenburg verdeutlichen. Am Hauptgebäude des Amtsgerichtes muss man eine Sicherheitsschleuse durchlaufen. Wenn man etwas Metallisches am Körper hat, piepst das Gerät. Sie kennen das vom Flughafen. Wenn Sie aber zum Familiengericht oder zu der Abteilung für Zwangsvollstreckungen gehen, stellen Sie fest, dass dort überhaupt keine Kontrolle erfolgt. Konfliktträchtige Prozesse, die dazu führen können, dass ein Einzelner auch einmal durchdreht, gibt es aber weiß Gott auch im Bereich der Zwangsversteigerungen, wenn z. B. einmal ein Haus versteigert wird, und natürlich auch vor dem Familiengericht.

Das Bild ist also völlig uneinheitlich. Es gibt einige Gerichte, die Kontrollen durchführen, andere Gerichte tun dies nicht. Der Justizminister hat gesagt, er überlasse die Entscheidung den jeweiligen Gerichtspräsidenten oder -direktoren.

Herr Minister, das ist auf der einen Seite ein Zeichen von Führungsschwäche. Es führt auf der anderen Seite aber dazu, dass es zu einem Wettbewerb unter den Gerichtsdirektoren kommt. Natürlich will keiner derjenige sein, der auf irgendwelche Sicherheitsmaßnahmen verzichtet; denn wenn einmal etwas passiert, wäre er der Dumme. In der Tendenz führt dieser Wettbewerb zu einer völligen Übersicherung.

Ich frage mich natürlich: Warum verfahren Sie eigentlich nur bei den Gerichten in dieser Weise? - Mit der gleichen Begründung könnten Sie genauso gut bei den Argen, bei den Jobcentern, wo sich menschliche Tragödien abspielen, solche Kontrollen einführen. Sie könnten auch im Blick auf diese Einrichtungen sagen: Man kann nie ausschließen, dass bei einem einmal die Sicherung durchbrennt. Menschliche Tragödien gibt es auch dort.

Wenn Sie diese Kontrollen überall einführen wollen, frage ich mich: Sollen beim Familiengericht vor jeder Ehescheidung die Ehepartner abgeklopft werden, ob sie Waffen bei sich führen? - Wenn Sie diesen Gedanken weiterverfolgen, könnten Sie sogar dazu kommen, auch beim Standesamt eine solche Kontrolle durchzuführen. Sie könnten die Besucher dort ebenfalls untersuchen. Vielleicht ist es ja der eifersüchtige Trauzeuge, der am liebsten die hübsche Braut geheiratet hätte, bei dem die Sicherung durchbrennt. Hier haben wir es mit einem Sicherheitsdenken zu tun, bei dem man wirklich fragen muss: Ist das Maß noch gewahrt?

(Beifall bei der LINKEN)

Gerichtsprozesse finden öffentlich statt. Die Öffentlichkeit zu wahren ist, wie ich glaube, ein hohes Gut. Wenn man immer solche Sicherheitskontrollen durchführt, frage ich mich: Was soll das? - Sie müssen sich vergegenwärtigen: Seit es das Land Niedersachsen gibt, hat es solche Sicherheitskontrollen, wie sie jetzt an einigen Gerichten eingeführt werden, noch nie gegeben. Gleichwohl ist aber die Kriminalität in Niedersachsen nicht gestiegen. Deshalb frage ich mich natürlich: Wo ist denn der rationale Kern? Werden die Risiken wirklich nach dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit gegeneinander abgewogen? - Ich kann das, ehrlich gesagt, nicht erkennen.

Zum Schluss will ich noch das ÖPP Bremervörde ansprechen. Wir hatten schon im letzten Plenum darauf hingewiesen, dass inzwischen auch das CSU-regierte Bayern zu der Erkenntnis gekommen ist, dass das ÖPP-Projekt Gablingen teurer ist, als es ein öffentlich-rechtlich finanziertes Projekt wäre. Deshalb wurde das Projekt dort gestoppt.

Wir haben Sie gefragt, ob Sie bereit sind, von Bayern zu lernen. Sie haben diese Bereitschaft aber offenbar nicht.

Sie sind auch nicht bereit, aus dem Beispiel Hessens zu lernen, wo sich das Projekt Hünefeld im Grunde als teurer herausgestellt hat als ursprünglich erwartet. Auch der Rechnungshof in Niedersachsen hat Sie gewarnt.

All das wollen Sie nicht zur Kenntnis nehmen. Die Frage der Rechtsform stellt dabei nur ein Problem dar. Sie müssen bedenken: Wenn Sie es wirtschaftlich gemischt organisieren, werden Sie immer Abgrenzungsprobleme haben. Sie werden es immer mit dem Problem zu tun haben, dass der hoheitliche Bereich den nicht hoheitlichen Bereich mit kontrollieren muss. Dadurch entsteht ein Bedarf an zusätzlichen personellen Ressourcen, die man natürlich wiederum bezahlen muss.

Das Projekt ist unwirtschaftlich.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist darüber hinaus auch überflüssig. Wir haben in Niedersachsen keine steigende Kriminalität und brauchen deshalb kein zusätzliches Gefängnis. Man kann den Justizvollzug auch so organisieren, dass eine heimatnahe Inhaftierung in den Mittelpunkt gestellt wird und dass die Resozialisierung in den Mittelpunkt gestellt wird.

Zu einem modernen Vollzugskonzept gehört auch eine Ausweitung des offenen Vollzuges. Es geht

darum, den Menschen, die inhaftiert sind, den Übergang in die Freiheit zu erleichtern, also fließende Übergänge zu schaffen, damit sie nicht wieder zu Straftätern werden.

Lassen Sie mich mit einem Satz schließen, den der Leiter der Justizvollzugsanstalt Oldenburg, Herr Koop, immer wieder sagt: Denken Sie daran, jeder Strafgefangene von heute ist Ihr Nachbar von morgen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und Zustim- mung von Helge Limburg [GRÜNE])

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun Herr Limburg. Ich erteile ihm das Wort.

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Jahr 2009 und auch das Jahr 2010 mit der Wirtschafts- und Finanzkrise bringen auch für die Justiz gewaltige Herausforderungen mit sich.

Wo von Bankern und Brokern Milliarden hin und her bewegt werden, ohne dass dabei Wünsche und Wohl der Anleger und Kunden im Mittelpunkt stehen, und wenn Vermögen in Milliardenhöhe vernichtet wird, dann ist das nicht nur ein Fall für öffentliche Empörung und für mehr Regulierung an den internationalen Finanzmärkten, sondern unter Umständen auch ein Fall für die Justiz,

(Beifall bei den GRÜNEN)

und zwar sowohl für die Straf- als auch für die Zivilgerichte.

Das hat Ministerpräsident Wulff - er ist gerade nicht anwesend - bereits im März dieses Jahres erkannt. Er hat der Justiz seinerzeit wertvolle Tipps gegeben. Der Niedersächsische Ministerpräsident forderte die Strafverfolgungsbehörden auf, die verantwortlichen Vorstände großer Banken zügig zu vernehmen. Die Hilfe von Hobbykommissar Wulff ging sogar noch weiter. Er regte an, die Privatvermögen der Manager zu sichern und Melde- und Reisebeschränkungen vorzusehen.

Gut gebrüllt, Löwe, kann ich dazu nur sagen. Vielen Dank für die wertvollen Tipps. Mir stellt sich aber schon die Frage, was für ein Bild von unserer Justiz der Ministerpräsident eigentlich hat. Glauben Sie denn wirklich, die Strafverfolgungsbehörden kennen das Strafgesetzbuch und die Strafpro

zessordnung nicht? - Was die Justiz braucht, sind nicht Tipps und Hinweise aus der Regierung. Die Justiz benötigt eine ordentliche, angemessene finanzielle Ausstattung. Die Justiz braucht Waffengleichheit auch und vor allem mit den Straftätern im Nadelstreifenanzug.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Damit bin ich auch schon beim Einzelplan 11. Ich will auf einzelne meiner Fraktion wichtige Abschnitte eingehen. Es ist gut, dass erst die Landesregierung und anschließend noch einmal die Regierungsfraktionen bekundet haben, zusätzliche Stellen für Richter und Staatsanwälte zu schaffen.

(David McAllister [CDU]: Es gibt keine Regierungsfraktionen! Das sollten Sie wissen!)

- Was habe ich gesagt? - Ja, wir regieren erst ab 2013, Herr McAllister. Deshalb weiß ich das noch nicht. Ich habe mich auf die Koalitionsfraktionen hier im Landtag bezogen. Jetzt machen Sie auch noch einen Zwischenruf, wenn ich Sie einmal lobe.

Die eben erwähnte Absicht ist durchaus positiv zu beurteilen. Ich glaube aber nicht, dass die Anzahl von Stellen, die Sie in den Haushaltsplan eingestellt haben, ausreicht, um den Herausforderungen für die dritte Gewalt gerecht zu werden. Wir alle haben doch noch die Mahnungen und Warnungen des Niedersächsischen Richterbundes im Ohr. Wir alle kennen doch den großen Bedarf an richterlichem und staatsanwaltschaftlichem Personal. Deshalb wollen wir Grünen zusätzliche Stellen in den Haushalt einstellen. Herr Adler, auf Ihre Ausführungen werde ich gleich auch noch eingehen. Wir wollen keine Kürzungen, sondern zusätzliche Stellen im Bereich der Richter und natürlich auch der Staatsanwälte.

Dabei geht es darum, durch die Bestellung weiterer Richter auch die Sozialgerichte und Arbeitsgerichte zu entlasten. Herr Dr. Biester, Sie haben zu Recht angesprochen, dass die eingeleiteten Verfahren jetzt allmählich zeitnah erledigt werden können. Sie haben aber selber zugegeben, dass wir immer noch nicht in der Lage sind, den wirklich hohen Bestand von Fällen vor den Sozialgerichten abzubauen.

Was bedeutet das denn? - Es bedeutet, dass während der Debatte über Managerboni und Finanztransaktionssteuern Menschen oft Monate, teilweise jahrelang auf endgültige Entscheidungen über ihre fehlerhaften ALG-II-Bescheide warten müssen, dass sich Menschen - auch solche Fälle lan