Protocol of the Session on November 25, 2009

2. Wie bewertet die Landesregierung in diesem Zusammenhang die Äußerung des Landtagsabgeordneten der Fraktion DIE LINKE, Patrick HumkeFocks, MdL, zum Einsatz der Polizei in der taz: „Eskalieren wollte die Polizei, die Demonstration wollte gedenken.“?

3. Wie bewertet die Landesregierung den Göttinger Ratsbeschluss vom 6. November 2009 vor dem Hintergrund, dass 1 000 möglicherweise gewaltbereite Autonome an der Demonstration teilgenommen haben?

Ich erteile Herrn Minister Schünemann das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auf der Grundlage eines Berichts der Polizeidirektion Göttingen stellt sich der Sachverhalt wie folgt dar:

Am Dienstag, 17. November 2009, jährte sich der Todestag der Cornelia Wessmann zum 20. Mal. Für den Tod der 24-jährigen Frau, die am 17. November 1989 auf der Weender Landstraße von einem Auto erfasst und tödlich verletzt worden war, macht die autonome Szene seitdem die Polizei verantwortlich. Bis Ende der 90er-Jahre rief die autonome Szene Göttingens aus diesem Anlass regelmäßig zu Gedenkdemonstrationen auf, die teilweise unfriedlich verliefen. In den letzten Jahren hatte es allerdings keine Gedenkveranstaltungen mehr gegeben.

Bereits seit Spätsommer 2009 rief die Antifaschistische Linke International mit Plakatierungen und Flyern im Stadtgebiet sowie über das Internet zu einer Demonstration zum 20. Todestag der Cornelia Wessmann am 14. November 2009 in Göttingen auf. Die Demonstration sollte unter dem Motto stehen: „Kein Vergeben - kein Vergessen! Kein Frieden mit Polizei- und Überwachungsstaat - vor

20 Jahren wurde Conny von der Polizei in den Tod getrieben! Antifaschistische Aktion.“

Zu der Veranstaltung wurde bundesweit in der linksextremistischen Szene mobilisiert. Die Demonstration hatte bundesweit einen hohen Anreiz für auswärtige Teilnehmer. Neben der Teilnahme aller relevanten linksextremistischen Gruppen und Initiativen Göttingens war daher mit überregionalen Anreisen linksautonomer Demonstrationsteilnehmer zu rechnen und insgesamt von mindestens 850 Teilnehmern auszugehen.

Aufgrund des Demonstrationsthemas, der überregionalen Beteiligung sowie insbesondere der Inhalte der Veranstaltungsaufrufe war zu vermuten, dass neben dem Gedenken an Cornelia Wessmann schwerpunktmäßig die Polizei im besonderen Fokus der Veranstaltung stehen würde. In Abhängigkeit vom Demonstrationsverlauf konnten auch unfriedliche Aktionen nicht ausgeschlossen werden.

Am Veranstaltungstag wurden den sich am Marktplatz sammelnden Demonstrationsteilnehmern Auflagen erteilt. Insbesondere wurde die Aufzugsroute vorgegeben und auf das Gebot der Friedlichkeit sowie das Vermummungsverbot hingewiesen. Zur Durchsetzung der Auflagen ist die Demonstration eng polizeilich begleitet worden. Am Aufzug beteiligten sich letztlich etwa 1 200 Personen, darunter nach polizeilicher Einschätzung etwa 850 Gewaltbereite aus Göttingen und dem gesamten Bundesgebiet. Während des Aufzuges vermummten sich mehrfach bis zu 200 Personen. Die Polizei ließ den Aufzug jeweils stoppen und erst weitergehen, nachdem die Vermummung abgelegt wurde. Vereinzelt wurden aus dem Aufzug heraus Leuchtraketen und Signalmunition in die Luft geschossen.

Nachdem zwei Personen im Aufzug der polizeilichen Aufforderung zum Ablegen getragener Passivbewaffnung nicht nachgekommen waren, erfolgten kurz hintereinander gezielte Zugriffe zur Festnahme dieser Personen. Während die Festgenommenen abgeführt wurden, griff ein im Aufzug befindliches Mitglied des Niedersächsischen Landtages derart in das Geschehen ein, dass von der Polizeiinspektion Göttingen Anzeige wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte erstattet wurde.

Bei Beendigung des Aufzuges gegen 17.45 Uhr am Jugendzentrum Innenstadt erfolgten Lautsprecherdurchsagen durch die Teilnehmer, in denen sinngemäß geäußert wurde, dass die Polizei mit

den Folgen ihrer Vorgehensweise leben müsse und die Antwort folgen werde.

Im weiteren Verlauf des Abends und der Nacht kam es zu zahlreichen Inbrandsetzungen von Müllcontainern sowie Sachbeschädigungen wie etwa am Gebäude der Burschenschaft „Brunsviga“.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Dringliche Anfrage wie folgt:

Zu Frage 1: Die Polizei Göttingen hat bei der Demonstration am 14. November 2009 größere Ausschreitungen oder wesentliche Schäden verhindert, obwohl an dem Aufzug eine große Gruppe Gewaltbereiter teilgenommen hat. Insgesamt ist die Sicherheit in der Stadt durch die Polizei gewährleistet worden.

Zu Frage 2: Der Landesregierung erschließt es sich nicht, warum sich Versammlungsteilnehmer zum Gedenken an den Todestag der Cornelia Wessmann provokant und aggressiv verhalten, passive Bewaffnung mitführen bzw. tragen, sich vermummen oder Knallkörper und Signalmunition abschießen. Völlig unverständlich ist, dass ein Mitglied dieses Hauses bei der Demonstration ein Verhalten an den Tag gelegt hat, das nunmehr Gegenstand strafrechtlicher Ermittlungen wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte ist. Insofern kann die Aussage des MdL Humke-Focks die Demonstration am 14. November 2009 in Göttingen nicht ansatzweise beschreiben. Die Aussage ist kurz, eindeutig und schlichtweg falsch.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Zu Frage 3: Die Polizei beweist tagtäglich bei einer Vielzahl von Veranstaltungen, dass sie ihre gesetzlichen Aufgaben uneingeschränkt und mit großem Engagement und hoher Professionalität wahrnimmt. Auch bei der Demonstration am 14. November 2009 in Göttingen hat sie das unter Beweis gestellt. Eines Ratsbeschlusses hierfür bedarf es nicht, jedenfalls nicht an die Adresse der Polizei.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Eine erste Zusatzfrage stellt die Kollegin Flauger von der Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor dem Hintergrund, dass in Medienberichten und in

Filmen im Internet sehr deutlich wird, dass das Verhalten der Polizei bei dieser Demonstration nicht dazu angetan und nicht geeignet war, einen friedlichen Demonstrationsverlauf zu fördern - ich empfehle Ihnen unbedingt, sich das einmal anzusehen -, und vor dem Hintergrund, dass es kritische Äußerungen zum Polizeiverhalten in der gleichen Richtung wie die von Herrn Humke-Focks zitierte Äußerung auch von Mitgliedern anderer Parteien sowie von weiteren Demonstrationsteilnehmerinnen und Demonstrationsteilnehmern gibt, die CDU diese in ihrer Anfrage aber nicht zitiert, frage ich die Landesregierung, ob sie nachvollziehen kann, dass sich der Eindruck aufdrängt, dass das Ziel dieser CDU-Anfrage in erster Linie die persönliche Diffamierung eines Abgeordneten der Linken ist,

(Beifall bei der LINKEN - Zurufe von der CDU: Falsch! - David McAllister [CDU]: So wichtig ist er auch nicht!)

weil die CDU die inhaltliche Auseinandersetzung mit den politischen Forderungen der Linken mangels Argumenten scheut wie der Teufel das Weihwasser.

(Beifall bei der LINKEN - Heinz Rolfes [CDU]: Was war das denn für eine Frage? - Gegenruf von Kreszentia Flauger [LINKE]: Eine gute!)

Herr Minister Schünemann, bitte!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Polizei hat eine völlig angemessene Reaktion gezeigt.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

In Bezug auf die linksautonome Szene und die gewaltbereiten Demonstranten wissen wir, dass es eine völlig falsche Taktik ist, Straftaten zu tolerieren. Wenn diese Gewaltbereiten den Eindruck haben, dass sie gegen die Polizei gewinnen können, dann werden sie noch aggressiver und begehen Straftaten in einem erheblichen Ausmaß.

(Beifall bei der CDU - David McAllister [CDU]: Null Toleranz!)

Deshalb ist es sinnvoll, dass wir gerade in diesem Bereich Demonstrationszüge sehr eng durch die Polizei begleiten lassen und dass Straftaten kon

sequent verfolgt werden, wenn diese aus der Demonstration heraus begangen werden. Alles andere ist meiner Ansicht nach erstens in einem Rechtsstreit nicht zu verantworten. Zweitens ist das der einzige Weg, damit Demonstrationen tatsächlich gewaltfrei fortgesetzt werden. Ich bin froh, dass die Polizei in Göttingen hierbei genau diese Taktik verfolgt hat.

(Beifall bei der CDU)

Dies vorausgeschickt, kann ich nur sagen, dass hier niemand diffamiert worden ist und insofern Ihre suggestive Frage nicht beantwortet werden kann.

(Beifall bei der CDU)

Die nächste Zusatzfrage stellt der Kollege Wenzel von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Innenminister, nach den Ereignissen von 1989 hatte die Polizei in Göttingen, sicher in Abstimmung mit dem Innenministerium, eine Deeskalationsstrategie entwickelt, die sich vor Ort als sehr wirksam erwiesen hat, bis dann mit der Installation eines neuen Polizeipräsidenten, offenbar durch Sie, eine neue Strategie an den Tag gelegt wurde, die in der Folge auch zu unerwünschten Entwicklungen geführt hat, nämlich teilweise zu Eskalationen, die niemand will. Meine Frage: Was war der Grund dafür, dass Sie von den über Jahre entwickelten Deeskalationsstrategien in Göttingen abgewichen sind? Welche Vorgaben hat Ihr Haus dazu gemacht?

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Herr Minister Schünemann, bitte!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der Gründung der Polizeidirektion Göttingen und gerade mit der Ernennung von Herrn Polizeipräsidenten Wargel ist quasi eine Erfolgsgeschichte im Bereich der Kriminalstatistik gerade auch im Bereich Göttingen eingeleitet worden. Wir haben die höchsten Aufklärungsquoten in diesem Bereich. Das zeigt, dass dort sehr erfolgreich ge

arbeitet wird. Deshalb ist es auch gerade nach dem Regierungswechsel und mit einer neuen Strategie erreicht worden, dass erstens Straftaten verhindert werden und, wenn Straftaten stattgefunden haben, die Täter dingfest gemacht werden. Mit einer Aufklärungsquote von teilweise weit über 60 % in den einzelnen Bereichen ist das eine Erfolgsgeschichte. Da bin ich dem Polizeipräsidenten, aber auch allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Polizei gerade dort vor Ort sehr dankbar.

(Vizepräsidentin Astrid Vockert über- nimmt den Vorsitz)

Zweitens habe ich gerade ausgeführt, dass es eine völlig falsche Taktik ist, wenn mit Deeskalation gemeint ist, dass man Straftaten aus einem Demonstrationsbereich zulässt. Wir wissen - Sie können es sich z. B. anlässlich des G-8-Gipfels im Bereich Rostock und in anderen Fällen ansehen -: Wenn die gewaltbereite Szene bundesweit aktiviert wird und sie sich dann bei einer solchen Demonstration zeigt - hier haben wir gesehen, dass von 1 250 Demonstrationsteilnehmern in der Stadt sogar 850 gewaltbereit gewesen sind -, dann ist es absolut - - -

(Stefan Wenzel [GRÜNE]: Das ist Quatsch, Herr Minister!)

- Das ist überhaupt kein Quatsch!

(Stefan Wenzel [GRÜNE]: Das ist ein Freund-Feind-Denken! Ich weiß nicht, ob das weiterhilft!)

850 Gewaltbereite waren in der Stadt.

(Stefan Wenzel [GRÜNE]: Haben Sie die alle gefragt?)

- Da gibt es doch überhaupt keinen Zweifel! Das ist doch völlig anerkannt! Es ist völlig klar: Wenn man nicht von Anfang an gegen Straftaten vorgeht, dann entwickelt sich weitere Gewalt. Das ist tatsächlich der Fall.

(Beifall bei der CDU)