Eine Bemerkung muss ich zu einem Gesetzgebungsverfahren machen, das im Rechtsausschuss gerade diskutiert wird und das anschließend im Plenum sicherlich noch Gegenstand der Beratungen sein wird.
Gegenwärtig erleben wir nämlich, dass die Wirkung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes eingeschränkt werden soll, indem ein Streitschlichter oder ein kommunales Schiedsgericht vorgeschaltet wird, bevor der Fall einer Diskriminierung wegen der sexuellen Identität überhaupt in öffentlicher Verhandlung thematisiert werden darf. Das ist ein Grund mehr, das Diskriminierungsverbot in den Verfassungsrang zu heben.
Aber ich glaube, viel bedeutender als diese Frage, die eigentlich mehr am Rande steht, ist die Frage: Welche Geschichte hat eigentlich dieses Problem? Ich darf in Erinnerung rufen: Artikel 3 des Grundgesetzes wurde als Konsequenz aus der nationalsozialistischen Verfolgungs- und Selektionspolitik vom Parlamentarischen Rat in das Grundgesetz eingebracht. Die Aufzählung, die man damals im Grundgesetz gewählt hat, lautete:
„Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“
In dieser Aufzählung hatte man zwei Gruppen nicht berücksichtigt, die von den Nationalsozialisten verfolgt worden waren. Die eine Gruppe war die Gruppe der Behinderten, und die andere Gruppe war die der Homosexuellen. Was die Behinderten betrifft, so hat der Grundgesetzgeber das Problem 1994 erledigt, indem er diese Nachlässigkeit korrigiert hat. Artikel 3 des Grundgesetzes wurde dahingehend geändert, dass auch niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf. Die Homosexuellen und die anderen aber hat man dort nicht aufgeführt. Dies ist schon ein Nachteil, weil es angesichts dessen, was wir aus der Geschichte kennen, keinen Grund gibt, diese Gruppe nicht mindestens genauso zu benennen. Denn es macht schon einen Unterschied, ob man das Verbot der Diskriminierung nur im Rang des einfachen Gesetzes hat oder ob man es in den Rang der Verfassung hebt. Das Verbot der Diskriminierung im Rang der Verfassung hat nämlich Ausstrahlung in das Zivilrecht. Es ist eine Wertentscheidung des Grundgesetzes, die wir unserer Ansicht nach den Opfern, also denjenigen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung verfolgt worden sind, schuldig sind. Ich erinnere daran, dass in den Konzentrationslagern Menschen mit einem rosa Winkel waren, die wegen ihrer Homosexualität verfolgt und teilweise auch umgebracht worden sind.
Man muss in dem Zusammenhang auch daran erinnern, dass die Homosexualität in Westdeutschland bis 1969 sogar strafbar war. In der DDR hatte man entsprechende Regelungen etwas früher abgeschafft.
wie wir sie vorgeschlagen haben, bereits enthalten. Wenn wir uns die Situation in den anderen europäischen Ländern anschauen, dann ist festzustellen, dass die Verfassungen Portugals und Schwedens bereits eine entsprechende Regelung enthalten. Ich darf auch in Erinnerung rufen, dass in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union - Artikel 21 Abs. 1 - eine entsprechende Regelung bereits enthalten ist. Ich hoffe auf die Einsicht auch der Mehrheitsfraktionen in diesem Parlament, sodass wir gemeinsam im Bundesrat darauf hinwirken können, dass man das jetzt im Grundgesetz begradigt und damit einen Schlussstrich unter die Verfolgung und Diskriminierung von Menschen wegen ihrer sexuellen Identität zieht. Ich denke, das sind wir den Opfern und auch der Geschichte schuldig.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist noch nicht wirklich lange her, dass wir hier im Haus gemeinsam den 60. Geburtstag des Grundgesetzes gefeiert haben. Zu Recht, meine ich; denn dies ist ein wirklicher Grund zu feiern. Die Mütter und Väter unseres Grundgesetzes haben in der Tat ein sehr wichtiges, gutes und nachhaltiges Werk abgeliefert. Allerdings besteht kein Grund, sich auf den Lorbeeren auszuruhen; denn eine Verfassung ist wie das richtige Leben: nie abschließend, nie endgültig, zumal dann nicht, wenn sich gesellschaftliche Realität weiterentwickelt.
1949 war der Katalog des Artikels 3 Abs. 3, wie sich im Laufe der Entwicklung und der Rechtsprechung gezeigt hat, eben nicht allumfassend und damit abschließend. Herr Adler hat darauf hingewiesen, welche beiden Gruppen z. B. damals bei der Schaffung des Grundgesetzes herausgefallen sind.
Sehr deutlich wird dies auch am Beispiel des Fortbestandes des § 175 StGB in der alten Fassung bis zur Strafrechtsreform 1969. Ich will überhaupt nicht infrage stellen, dass gerade in Deutschland sehr viel geleistet wurde und dass wir auf die erreichte Humanisierung des Rechtssystems und den Abbau von rechtlicher Diskriminierung stolz
sein dürfen. Wir dürfen aber nicht ignorieren, wenn - wie im Antrag der Linken zutreffend formuliert - das Bundesverfassungsgericht in Entscheidungen, z. B. zu den eingetragenen Lebensgemeinschaften, ausdrücklich das Fehlen des Diskriminierungsmerkmals „sexuelle Identität“ in Artikel 3 Abs. 3 bemängelt, und deshalb letztlich diskriminierende Entscheidungen treffen muss.
Und schließlich: Grundrechte wirken auch mittelbar. Eine klare Regelung im Grundgesetz gibt insofern auch Orientierung für den Gesetzgeber, also auch für uns, ebenso wie für die Gerichte bei Anwendung der Gesetze. Ich denke, wir könnten da eine Fülle von Beispielen nennen. Das reicht von den Transgenderproblemen bis zu den Problemen der Lebensgemeinschaften, Adoptivrechten und ähnlichen Dingen.
Klaus Wowereit, der Regierende Bürgermeister von Berlin, wies bei der Einbringung der gemeinsamen Bundesratsinitiative zu Recht auf die weitergehende europäische Rechtsordnung, wie im Lissabonvertrag formuliert, hin. Rechtsklarheit darf aber nicht nur auf europäischer Ebene bestehen. Auch in das Grundgesetz gehört meiner Meinung nach eine ausdrückliche Aufnahme des Verbots der Diskriminierung aufgrund der sexuellen Identität.
Sexuelle Identität ist ein Teil des Menschen und damit originär; sie muss daher geschützt werden. Wir begrüßen deshalb ausdrücklich die gemeinsame Initiative der Bundesländer Berlin, Bremen und Hamburg mit jeweils unterschiedlichen politischen Mehrheiten. Es ist gut, dass wir in Niedersachsen aufgrund des vorliegenden Entschließungsantrages jetzt die Chance haben, dieser Initiative beizutreten, die in die Ausschüsse des Bundesrates überwiesen worden ist, um es auch Herrn Busemann zu ermöglichen, dort mit den anderen Ländern gemeinsam diese Änderung herbeizuführen.
Weltoffen und tolerant, vor allem aber reif für eine Erweiterung und Konkretisierung des Diskriminierungsverbotes sollten nicht nur die Stadtstaaten in Deutschland sein. Nein, dies sollte auch für unser Land Niedersachsen gelten.
Meine Damen und Herren, nun sind wir sicherlich alle darin einig - ich höre es quasi schon -, dass eine Verfassung nicht beliebig ergänzbar sein soll
te. Man muss mit Änderungen des Grundgesetzes, insbesondere bei den Grundrechten, in der Tat sehr behutsam umgehen. Hier aber handelt es sich um ein Thema, das seit langem diskutiert wird. 1949 wurden zwei Personengruppen vergessen, und mittlerweile gibt es neue gesellschaftliche Entwicklungen, denen man Rechnung tragen muss. Die Formulierung der Ergänzung entspricht exakt der Fassung, die schon Anfang der 90erJahre im Gemeinsamen Verfassungsausschuss von Bundestag und Bundesrat eine Mehrheit gefunden hat und von einer großen Mehrheit der Sachverständigen empfohlen wird.
Meine Damen und Herren, nicht umsonst haben in diesem Jahr Zehntausende von Schwulen und Lesben beim Christopher Street Day unter dem Motto „Flotter Dreier ins Grundgesetz“ demonstriert. Ich finde, das ist ein schönes Motto. Es ist ein Thema, das viele Menschen im Lande bewegt; denn die bisherige Fassung des Artikels 3 allein ist nicht ausreichend, um Diskriminierungen abzubauen.
Es war Ole von Beust, der Bürgermeister von Hamburg, der beim CSD öffentlich mahnte, es sei an der Zeit, das Diskriminierungsverbot wegen sexueller Identität im Grundgesetz zu verankern. Ich meine, das ist Anlass genug, darüber nachzudenken, hier zu einer großen Gemeinsamkeit zu kommen.
Meine Damen und Herren, wir in Niedersachsen sollten diesen Weg parteiübergreifend unterstützen. Ich freue mich deshalb auf eine hoffentlich schnelle, kurze, einvernehmliche Ausschussberatung, damit wir gemeinsam ein Stückchen mehr Klarheit und Eindeutigkeit in die Verfassung hineinbekommen und damit, Herr Kollege Adler, auch ein Versäumnis nachholen.
Wir setzen gleichermaßen ein klares Zeichen für Toleranz, Akzeptanz und Respekt. Beim Stichwort Respekt sage ich - leider ist Herr McAllister nicht da -:
Herr McAllister, bei dem, was die JU in Wittmund mittlerweile auf ihren Online-Seiten hat, würde ich an Ihrer Stelle sehr schnell eingreifen; denn das
Ich will hier aber nicht ablenken, sondern zusammenfassend mit den Worten enden, die Brigitte Zypries, unsere ehemalige Justizministerin, gebraucht hat: „Wir müssen heute deutlich machen: … wegen seiner sexuellen Identität darf in diesem Land niemand diskriminiert werden.“
Danke schön, Herr Haase. - Für die CDU-Fraktion hat sich Herr Kollege Toepffer zu Wort gemeldet. Bitte schön!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich persönlich habe nichts gegen Schwule und Lesben. - Das sind die Worte, mit denen oftmals Gesprächspartner Diskussionen beginnen, wenn man über die Diskriminierung von Homosexuellen in unserer Gesellschaft redet. Unabhängig davon, wie es die betreffenden Personen gemeint haben, ob sie es ehrlich gemeint haben oder nicht, stelle ich eines fest: Es kann mit der gesamtgesellschaftlichen Toleranz nicht so weit her sein, wenn jeder Einzelne immer betonen muss, dass er besonders tolerant ist.
Meine Damen und Herren, es ist keine Frage: Es gibt die Diskriminierung von Homosexuellen in unserer Gesellschaft. Wer das nicht glaubt, dem gebe ich die zarte Empfehlung zu einem Selbstversuch: Gehen Sie mal mit einem gleichgeschlechtlichen Partner händchenhaltend durch eine einschlägige hannoversche Straße in meiner sonst so weltoffenen Heimatstadt. Dann werden Sie an den Blicken und Reaktionen Ihrer Mitbürger erkennen, wie unmittelbar man das Problem der Diskriminierung auch hier erleben kann. Ich meine, dass es dann, wenn es diese Diskriminierung in allen Bereichen der Gesellschaft gibt, geboten ist, dass wir darüber nachdenken, wie man Menschen auch durch Änderung von Gesetzen vor Diskriminierung schützen kann. Da darf auch die Verfassung, das Grundgesetz, nicht tabu sein. Über die
Probleme, die man damit als Rechtspolitiker hat, ist soeben gesprochen worden. Für uns Juristen ist eine Änderung des Grundgesetzes wie die Operation am offenen Herzen. Man muss kein Arzt sein, um zu wissen, dass man den Brustkorb niemals ohne Not öffnen sollte.
Nun ist es aber so, dass in der Tat die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in der Vergangenheit oftmals Anlass gegeben hat, über eine Änderung des Grundgesetzes nachzudenken. Es ist vorhin zutreffend gesagt worden: § 175 des Strafgesetzbuches, der über lange Jahre Homosexualität zwischen Männern für strafbar erklärt hat, ist vom Bundesverfassungsgericht über einen langen Zeitraum hinweg mit Argumenten verteidigt worden, die uns heute sehr, sehr komisch vorkommen. Ich meine deswegen, dass man über Grundgesetzänderungen nachdenken kann.
Gleichwohl muss man zur Kenntnis nehmen - auch das ist hier bereits gesagt worden -: Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat sich verändert. - In Juristenkreisen heißt es, das Bundesverfassungsgericht sei in den vergangenen Jahren vom Saulus zum Paulus geworden.
Im Übrigen haben Sie, Herr Adler, die Entscheidung, die in Ihrem Antrag genannt worden ist, nicht vollständig zitiert. Sie, Herr Haase, haben gesagt, das Bundesverfassungsgericht hätte darauf hingewiesen, dass es diese Entscheidung habe treffen müssen, weil die sexuelle Identität in Artikel 3 Abs. 3 nicht genannt sei. Das aber stimmt nicht ganz. Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt: Unabhängig davon, ob es genannt ist: So wird entschieden. - Dass Sie diesen Denkfehler begangen haben, hat mich bei Ihnen, Herr Adler, den ich als Jurist schätze, gewundert.
- Doch, ich schätze ihn als Jurist sehr. - In Ihrer Aussage und in Ihrem Antragstext steckt ein Denkfehler. Sie sagen, durch diese Gesetzesänderung solle sichergestellt werden, dass es unter gar keinem Gesichtspunkt hinsichtlich der sexuellen Identität zu einer Ungleichbehandlung komme. Ich gebe hierzu Folgendes zu bedenken: Schon jetzt steht im Grundgesetz, dass niemand wegen seines Geschlechts benachteiligt werden darf. Das Diskriminierungsverbot besteht in diesem Bereich. Gleichwohl wissen wir alle: Es gibt eine Benachteiligung bzw. Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts. - Ich will in diesem Zusammenhang nicht unbedingt die Wehrpflicht anführen, die uns allen bekannt ist. Ich habe sie als Mann damals
Anderes Beispiel: In fortschrittlichen Städten gibt es so etwas wie ein Frauentaxi. Das dürfen Männer nicht benutzen. Das finde ich auch gut so; denn diese Benachteiligung ist so gewollt. Das Bundesverfassungsgericht nennt das die Wesentlichkeitstheorie: Wesentlich Gleiches soll gleich behandelt werden, wesentlich Ungleiches soll ungleich behandelt werden. - Das kann dazu führen, dass es selbst dann, wenn wir diese Grundgesetzänderung so veranlassen würden, wie Sie es wünschen, weiterhin zu einer Ungleichbehandlung kommt.
Nun zu einem anderen Problem. Mir hat auf einer Diskussionsveranstaltung mit Homosexuellen ein Gesprächspartner einmal Folgendes gesagt: Herr Toepffer, wenn Sie Schwulsein schützen wollen, dann müssen Sie Schwulsein definieren. Es gibt viele Homosexuelle, die das nicht wollen; denn in dem Augenblick, in dem Sie Homosexualität definieren, grenzen Sie diejenigen aus, die nicht unter die Definition fallen. - Deswegen hat man wahrscheinlich diesen Kunstgriff der sexuellen Identität gewählt.