Protocol of the Session on August 28, 2009

Danke schön, Frau Meyer zu Strohen. - Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Borngräber. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Große Anfrage „Schule muss man sich leisten können“ ist eine überaus sinnvolle Ergänzung zu den verschiedensten kleinerteiligen Anfragen aller Oppositionsfraktionen unter dem Oberbegriff der Kinder- und Familienarmut in der 15. und 16. Wahlperiode. Ich bin der Fraktion DIE LINKE und insbesondere Frau Reichwaldt für diese Große Anfrage sehr dankbar.

(Zustimmung von Frauke Heiligen- stadt [SPD] und von Ina Korter [GRÜNE])

Es ist noch nicht lange her, da wurde behauptet, Kinder- und Familienarmut sei mit wenigen Ausnahmen ein Thema der Vergangenheit und durch die Bildungsöffnung der 70er-Jahre, den allgemeinen wachsenden Wohlstand und ein enges soziales Netz quasi abgehakt. Armut sei doch nur dem Versagen und der Faulheit einzelner geschuldet. Oder um es mit den Worten von Ministerpräsident Wulff vor der Vollversammlung des Paritätischen Niedersachsen vom 24. November 2006 zu sagen - ich zitiere -:

„Eine der wichtigsten Ressourcen der Armutsbekämpfung ist die Selbstmotivation und, daraus resultierend, die Fähigkeit, andere mitzureißen.“

Kurz gesagt: Gemäß Herrn Wulff sollten sich die Menschen einmal ein bisschen mehr am Riemen reißen, dann fänden sie schon den Weg aus der selbst verschuldeten Armut. Wie entlarvend zynisch, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Diesen Wulff gibt es nicht erst seit vorgestern, nicht erst seit der Gewerkschaftsschelte. Der ist Programm, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Meine Damen und Herren, insbesondere die Kinderarmut hat mittlerweile ein Gesicht. In vielen Städten und Gemeinden hat sie das Gesicht von Kindern, die ohne Frühstück in die Schule kommen und vielfach nur bei kommunalen oder ehrenamtli

chen Essenstafeln eine warme Mahlzeit pro Tag bekommen. Meine Damen und Herren, das kann man doch nicht hinnehmen! Das geht doch nicht! Das ist ein ungeheuerlicher Vorgang in einer als reich bezeichneten Gesellschaft wie der unseren!

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich möchte mich bei dieser Gelegenheit einmal bei der rotgrünen Bundesregierung unter Kanzler Gerd Schröder bedanken, und zwar nachträglich.

(Wilhelm Heidemann [CDU]: Das ist aber schon lange her!)

Hören Sie einmal genau zu! Es war nämlich die Regierung Schröder,

(Wilhelm Heidemann [CDU]: Das Ge- witter ist schon lange vorbei!)

die den größten Teil der 881 Ganztagsschulen in Niedersachsen überhaupt erst ermöglicht hat. Da kann ich nur sagen: Vielen Dank, lieber Gerd!

(Beifall bei der SPD)

Damit wurde das Ganztagsangebot in Niedersachsen seit 2003 in der Tat mehr als verfünffacht.

(Jens Nacke [CDU]: Das hört er in Russland doch gar nicht!)

Diese Landesregierung - dies wollen wir einmal feststellen - hat fast nichts dazubezahlt.

(Beifall bei der SPD - Zuruf von Karl- Heinz Klare [CDU])

- Ach, Herr Klare, hören Sie doch auf! Wenn Sie sich hier so echauffieren, dann gehen Sie entweder kalt duschen oder ins Büro!

(Beifall bei der SPD - Björn Thümler [CDU]: Das haben nicht Sie zu bestimmen! - Karl-Heinz Klare [CDU]: Das geht nicht! Ich will doch hören, was Sie sagen!)

Wir werben auch zukünftig für zusätzliche finanzielle Anreize, damit mehr gesundes, preisgünstiges und, wenn es geht, sogar kostenloses Mittagessen in den Schulen und Kitas angeboten werden kann. Herr Klare, wir werben vor allem für mehr Ganztagsschulen unter finanzieller Beteiligung des Landes. Wir lassen es Ihnen schon gar nicht durchgehen, dass Sie die Urheber des bundesweiten Ganztagsschulprogramms in Ihrer Antwort auf die Große Anfrage mit keinem Wort erwähnen. Sie haben die rot-grüne Bundesregierung unter Schröder und Fischer mit keinem Wort erwähnt.

Meine Damen und Herren, ich komme zu einem weiteren Punkt. Die CDU behauptet in Ihrem Grundsatzprogramm:

„Soziale Gerechtigkeit ist zunehmend Teilhabegerechtigkeit, nicht nur Verteilungsgerechtigkeit.“

Die Zahlen des NLS vom Dezember 2008 und aus früheren Jahren sprechen aber eine ganz andere Sprache - unter der Regierung Wulff drifteten Arm und Reich immer weiter auseinander -:

„Überdurchschnittlich stark von Armut betroffen sind Ausländer, Kinder und Jugendliche, Alleinerziehende, große Familien, Geringqualifizierte und Arbeitslose.“

Ich möchte Ihnen einmal ein paar Zahlen Ihres eigenen Landesamts nennen: Der Anteil armer Haushalts stieg von 13,7 % im Jahr 2003 auf 14,5 % in 2004 und stagniert seitdem auf hohem Niveau: 2005: 14,6 %, 2006: 14,5 %, 2007 sogar wieder 14,6 %. Eine Trendwende, wie es die Landesregierung in ihrer Antwort auf die Große Anfrage fälschlicherweise formuliert, ist also überhaupt nicht in Sicht.

Die Wirtschaftkrise, meine sehr geehrten Damen und Herren, wird diese miesen Zahlen noch eklatant in die Höhe treiben. Wer die aktuellen Zahlen der Arbeitslosengeld-I-Bezieher kennt, der weiß das. Ich möchte sie Ihnen noch einmal nennen - sie sind nämlich gerade frisch auf den Tisch gekommen -: Die aktuelle Zahl der ALG-I-Bezieher ist im Vergleich zum Vorjahresmonat landesweit um 20,9 % gestiegen.

Besonders zynisch stellt sich Ministerpräsident Wulffs Äußerung beim Blick auf arme Kinder dar. Dabei ist Kinderarmut, meine Damen und Herren, viel mehr als nur materielle Not.

(Björn Thümler [CDU]: Das ist richtig!)

Arme Kinder erleben von frühester Kindheit an Ausgrenzung und Isolation. Sie sind häufiger krank. Gesellschaftliche Teilhabe, Aufstiegschancen und Bildungswege bleiben ihnen viel zu häufig verschlossen. Kinder aus Haushalten, in denen die Eltern Abitur haben, werden viel eher in den Kindergarten geschickt als Kinder mit Migrationshintergrund, aus sozial schwachen Familien und aus Familien, in denen die Eltern keinen Hauptschulabschluss haben. Meine Damen und Herren, auch das kann man nicht hinnehmen! Sie aber tun das!

(Beifall bei der SPD)

Trotz der objektiven Notwendigkeit - Stichwort „demografischer Wandel“ - und wegen des Auseinanderfallens ganzer Bevölkerungsgruppen und Regionen stellt die SPD eine starke Tendenz dieser Landesregierung fest, unter dem Deckmantel des Bürokratieabbaus nur widerwillig Daten zur sozialen Lage zu erheben. Dies haben meine Vorrednerinnen schon bestätigt.

Ungefähr die Hälfte aller Fragen, die Frau Reichwaldt zusammengetragen hat, konnte nicht beantwortet werden oder wurde mit Verweis auf andere Fragen nur unvollständig beantwortet.

Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen zum Schluss aus einer E-Mail zitieren, die ich just gestern Nachmittag wieder einmal erhalten habe.

(Björn Thümler [CDU]: Wieder ein- mal?)

Sie kommt von Eltern, die sich über die Möglichkeiten bitter beklagen, die ihnen das niedersächsische Schulsystem gibt. Auszugsweise zitiere ich daraus: Neben Lehrermangel und Gesamtschuldiskussion darf nicht vergessen werden, dass wir Eltern mit dem Wegfall der Lernmittelfreiheit sehr stark belastet worden sind. Mit immer neuen Lehrmethoden habe ich das Gefühl, dass wir Eltern zum Selbstbedienungsladen für die Schule geworden sind. Für die erste Grundschulklasse sollen wir ganz tolle Lernbücher zum Reinschreiben kaufen, aber auch eine Kopierkostenumlage von 5 Euro pro Halbjahr bezahlen. - Ich füge hinzu: Es gibt Schulen, die sogar 20 bis 30 Euro nehmen. In der E-Mail heißt es weiter: Lektüren müssen angeschafft werden. Die Buchausleihe kann auch einmal bis zu 80 Euro betragen. 120 Euro kostet ein Taschenrechner für das Gymnasium usw.

(Glocke der Präsidentin)

Schule können sich eben viele nicht leisten, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN - Editha Lorberg [CDU]: Das stimmt überhaupt nicht! - Die Präsi- dentin schaltet dem Redner das Mik- rofon ab)

Herr Borngräber, Sie haben die Redezeit überschritten. Ich dachte, das ist ein guter Schlusssatz gewesen.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Können Sie uns diese E-Mail zur Verfügung stel- len, damit wir einmal mit den Eltern sprechen können?)

Für die FDP-Fraktion erteile ich nun Herrn Kollegen Försterling das Wort. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Kultusministeriums für die Antwort auf diese Große Anfrage danken, im Grunde genommen aber nicht nur für die Antwort auf diese Große Anfrage; denn wir haben ja erlebt, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den letzten Wochen und Monaten vonseiten der Oppositionsfraktionen mit Anfragen, Unterrichtungswünschen und Ähnlichem geradezu bombardiert worden sind. Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich fände es besser, wenn sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Kultusministeriums noch intensiver um die Qualitätsverbesserung im niedersächsischen Schulwesen kümmern könnten und nicht mit Ihren lähmenden, nimmer enden wollenden und immer wieder gleichen unnötigen Anfragen belästigt werden würden.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Zuruf von Dr. Manfred Sohn [LINKE])

- Ja, das ist Ihr gutes Recht. Das will ich Ihnen gar nicht nehmen. Jeder muss selbst entscheiden, womit er mehr erreicht.

Nun liegt uns die Antwort auf die Große Anfrage „Schule muss man sich leisten können“ vor. Dies gilt ja nicht nur für die Familien, sondern dies gilt auch für den Staat und für das Land Niedersachsen. Ich sage Ihnen: Ja, wir können uns Schule leisten. Wir wollen uns Schule leisten. Trotz des Sparzwangs der letzten Jahre haben sich die Ausgaben im Kultusbereich deutlich erhöht. Die Zahlen sind schon genannt worden.

(Beifall bei der CDU)

In diesem Zusammenhang spielen die vielfältigen Aktivitäten der Landesregierung eine wichtige Rolle: zum einen das beitragsfreie Kindergartenjahr, das die Partizipation gerade sozial schwacher Familien im Bereich der frühkindlichen Bildung deutlich erhöht, und zum anderen die große Aufgabe, die wir zu bewältigen haben, nämlich den Ausbau um 45 000 weitere Krippenplätze im Bereich der Null- bis Dreijährigen. Auch hier ist ein wichtiger Beitrag zu leisten, gerade um sozial Schwächeren zu helfen, weil es notwendig ist, eine Betreuung zu gewährleisten, damit man einer Er