Protocol of the Session on June 17, 2009

Weil das Thema in der kommunalen Familie sehr schwierig ist und die Diskussion zum Teil auch sehr emotional geführt wird, wollen wir eine Kommission, die die regionalen Besonderheiten berücksichtigt und sich von Experten aus Wissenschaft und Praxis beraten lässt.

Wie aber gehen Sie, meine Damen und Herren der Regierungsfraktionen, nun das so überaus wichtige Thema an? Sie setzen auf Hochzeitsprämien. Sie locken mit Geld in der großen Hoffnung, dass einige der Kommunen schon anbeißen werden oder, besser gesagt, anbeißen müssen. Falls erforderlich, wird der Druck eben erhöht. Dass sich der Druck auf unsere Kommunen erhöhen wird, lässt sich schon an den Steuerprognosen und den wegbrechenden Steuereinnahmen der nächsten Jahre ablesen.

Interessant ist an dieser Stelle allerdings, wie denn die kommunalen Spitzenverbände auf Ihr Angebot, auf Ihren sogenannten Zukunftsvertrag reagiert haben. Die von Ihnen im Zukunftsvertrag genannten Landkreise lehnen Ihr Angebot ab. Der Land

kreistag hat bereits eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die sich mit der Aufgabenkritik und Aufgabenverlagerung auseinandersetzen will, und fordert von der Landesregierung ein schlüssiges Gesamtkonzept. Ich zitiere:

„Es muss deutlich werden, welche Zielsetzungen die Landesregierung verfolgt und wie eine Fusion von Gemeinden, Samtgemeinden oder Landkreisen langfristig zur Konsolidierung der Kommunalfinanzen beitragen kann.“

Der Niedersächsische Städte- und Gemeindebund hat in seiner Pressemitteilung vom 10. Juni unter der Überschrift „Hochzeitsprämie oder Sterbehilfe?“ erklärt - ich zitiere wiederum -:

„Die Städte, Gemeinden und Samtgemeinden müssen dringend gestärkt werden. Dabei helfen aber keine Hochzeitsprämien für Gemeindefusionen, die schnell zu Sterbegeldern werden können. Die kommunale Selbstverwaltung steht nicht zum Ausverkauf an!“

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, wie sich die FDP zu den Hochzeitsprämien verhält. Ihr Fraktionschef Herr Bode hat sich ja angesichts der angespannten Finanzlage des Landes gegen die Hochzeitsprämien ausgesprochen, so zu lesen in der Nordwest-Zeitung vom 11. April. Herr Bode spricht dort sogar von einem Verschieben des Projektes. Es gibt wohl offensichtlich auch noch einigen Klärungsbedarf innerhalb der Regierungsfraktionen.

Meine Damen und Herren, wenn ich dann lese, dass eine Fusion der in Ihrem Zukunftsvertrag genannten Landkreise eine flächendeckende Kreisreform entbehrlich machen könnte, kann man wirklich nur noch mit dem Kopf schütteln. Mit seriöser Landespolitik hat das wahrlich nichts mehr zu tun.

(Beifall bei der SPD)

Ich halte für meine Fraktion fest: Die von Ihnen angeschobene Verwaltungsreform war mit der Umstellung auf einen zweistufigen Verwaltungsaufbau nicht zu Ende gedacht, und zu weiteren unbedingt erforderlichen Schritten fehlt Ihnen offensichtlich der Mut.

(Zustimmung bei der SPD)

Über die Verwaltungsreform gäbe es noch viel zu sagen. Dazu werde ich mich noch zu gegebener Zeit ausführlich zu Wort melden.

(Hans-Christian Biallas [CDU]: Wir freuen uns!)

Ich will hier heute nur zwei Punkte kurz ansprechen:

Erstens. Ihre so hoch gelobte Verwaltungsreform ist doch völlig zum Erliegen gekommen. Die Stabsstelle ist faktisch aufgelöst, und es ist ein offenes Geheimnis, dass ihr Staatssekretär, der Chefreformer Herr Meyerding, wohl gegen Ende des Jahres gehen muss. Was ist denn aus der groß angekündigten Kommunalisierung ganzer Aufgabenblöcke geworden, Herr Innenminister?

Zweitens. Der Landesrechnungshof kommt in seinem Jahresbericht im Zusammenhang mit der Übertragung der Naturschutzaufgaben zu dem Fazit, dass wegen der Zersplitterung der Zuständigkeiten früher vorhandene Synergieeffekte entfallen sind und dass unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten zu überprüfen ist, ob die Kommunalisierung der Naturschutzaufgaben rückgängig zu machen ist - ein vernichtendes Urteil, wie ich finde.

(Zustimmung bei der SPD)

Meine Damen und Herren, es ist völlig unstrittig, dass Handlungsbedarf besteht. Der Vorschlag des Herrn Innenministers mit dem sogenannten Zukunftsvertrag ist gescheitert. Ihre Angebotsphase ist abgelehnt. Ich bin jetzt gespannt, wie Sie weiter verfahren werden.

Warum, meine Damen und Herren, können wir eigentlich bei einem so wichtigen Thema, bei dem es um die Zukunftsfähigkeit unserer Kommunen, um die Sicherung der öffentlichen Daseinsvorsorge und um die Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung geht, nicht in eine Enquetekommission zu einer parteiübergreifenden Lösung finden, die von einer breiten politischen Mehrheit getragen und von einer breiten öffentlichen Debatte begleitet wird? Warum also nicht eine offene, parteiübergreifende Herangehensweise?

Deshalb bitte ich Sie inständig, noch einmal in sich zu gehen und der Einrichtung dieser Enquetekommission zuzustimmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Ich erteile jetzt dem Kollegen Briese von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Besten Dank, Herr Präsident! Ich glaube, die Problemlage in dieser Debatte ist ziemlich klar. Die Analyse ist vorhanden; Frau Modder hat sie skizziert. Wir diskutieren im Land auch über Lösungen. Hier und da wird über Fusionen zu Großkreisen oder auch über Gemeindezusammenlegungen diskutiert.

Das Kernproblem ist aber, dass die Landesregierung dieses Thema scheut und die Arbeit in diesem Bereich mehr oder weniger eingestellt hat. Herr Schünemann, das Thema Gebietsreform sitzen Sie schlicht und ergreifend aus.

Am besten hat mir in dieser Debatte gestern wieder die FDP gefallen. Mein Freund, Herr Bode, hat mich wieder ganz besonders überzeugt.

(Jörg Bode [FDP]: Vorsicht!)

Er hat hier nämlich in der Aktuellen Stunde gesagt: Wir brauchen unbedingt eine große Debatte über Länderfusionen. Die Bundesrepublik muss sich neu aufstellen. Wir haben das große Problem, dass wir ganz kleine und große Bundesländer haben. Man sollte doch einmal darüber nachdenken, ob das wirklich zukunftsfähig ist. Wir wollen eine Debatte, eine Föderalismusreform III. - Herr Bode, ich sage Ihnen: Machen Sie erst einmal hier Ihre Hausaufgaben! Dann wären wir schon sehr viel weiter.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Die drei Kernprobleme im Zusammenhang mit der Debatte über die Gebietsreform sind eigentlich bekannt.

Das erste große Kernproblem ist die finanzielle Krise der Kommunen, der Gemeinden.

Herr Kollege, Entschuldigung! Sehen Sie die Möglichkeit, dass der Kollege Bode eine Zwischenfrage stellt?

Herr Kollege Bode darf gleich noch reden. Darauf bin ich schon gespannt.

(Jörg Bode [FDP]: Nein, das macht Herr Oetjen!)

- Gut, dann darf Herr Bode gerne jetzt eine Frage stellen.

(Heiterkeit)

Herr Kollege, vor dem Hintergrund, dass Sie richtig dargestellt haben, dass ich mich gestern für freiwillige Fusionen zwischen den Ländern mit Volksabstimmungen ausgesprochen habe, also gegen eine Fusion von Ländern „von oben“, frage ich Sie: Ist Ihnen bekannt, dass wir als FDP auch freiwillige Fusionen von Kommunen und Landkreisen ermöglichen und erleichtern wollen - also beides identisch?

Herr Kollege Briese!

Herr Kollege Bode, es fällt mir schwer, die FDPProgramme intensiv zu studieren.

(Jörg Bode [FDP]: Ach so! - Wolfgang Jüttner [SPD]: Das ist ja auch nicht vergnügungssteuerpflichtig!)

Dafür ist mir meine Zeit manchmal schlicht und ergreifend zu schade. Aber ich habe jedenfalls noch sehr gut im Ohr, dass Sie hier gestern ein Plädoyer dafür gehalten haben, über die Gebietskulisse der Länder zu diskutieren. Eine solche Diskussion scheuen Sie, wenn es um die Gebietskulisse der Städte und Gemeinden in Niedersachsen geht. Das fand ich sehr verwunderlich. Länderfusionen wollen Sie zumindest andenken, während Sie einer Diskussion in Bezug auf Niedersachsen ausweichen.

Die finanzielle Krise der Gemeinden ist das große Kernproblem. Wir schlittern jetzt leider in eine gigantische Wirtschaftskrise. Der zarte Silberstreif der Entschuldung, der am Horizont zu sehen war, entschwindet jetzt wieder in die pechschwarze Dunkelheit der Kassenkredite. Das wissen wir aus den Vorhersagen. Wir haben jetzt 4 Milliarden Euro Kassenkredite. Wahrscheinlich werden sie sich in den nächsten fünf bis zehn Jahren verdoppeln. Das ist das finanzielle Szenario für die Städte und Kommunen in Niedersachsen. Haben wir Antworten der Landesregierung auf dieses gigantische Problem? - Nein, haben wir nicht. Wir haben keine einzige Antwort von Herrn Schünemann, wie er auf

dieses gigantische finanzielle Problem der Kommunen reagieren will.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Die demografische Entwicklung will ich hier nicht weiter ansprechen. Das hat schon Frau Modder getan. Wir haben einfach ein dramatisches Auseinanderdriften der Kommunen. Auch hierauf haben wir keine Antwort.

Hinzu kommt das Phänomen wachsender Komplexität und neuer Regelungen, das man auch nicht abstellen können wird, weil es in der Natur der Innovation liegt. Wegen der Verrechtlichung auf vielen Ebenen brauchen wir ein Mindestmaß an Verwaltungskraft.

(Glocke des Präsidenten)

Viele Städte und Gemeinden haben das nicht. Selbst viele größere Gebietskörperschaften können sich heute keinen Juristen leisten. Trotzdem sind sie natürlich immer wieder von dem sehr komplizierten EU-Recht tangiert.

Das also sind die drei Kernprobleme der niedersächsischen Städte und Gemeinden. Deswegen müssen wir darüber nachdenken, ob unsere Gebietskulisse zukunftsfähig ist. Jeder weiß aber, dass sie das schlicht und ergreifend nicht ist und dass wir eine offene, transparente Debatte darüber brauchen, wie wir diesen Prozess vernünftig steuern können. Herr Schünemann, das ist das Kernproblem, das man Ihnen vorwerfen muss: In verschiedenen Gebieten in Niedersachsen, wo Gemeinden erkannt haben, dass sie nicht zukunftsfähig sind und sich neu aufstellen müssen, laufen diese Debatten; aber dieser Prozess ist nicht ansatzweise gesteuert. Wir haben in diesem Bereich Wildwuchs.