- Frau Jahns, einen ganz kurzen Moment! Ich möchte, dass Ihnen auch die Aufmerksamkeit gewährt wird, die Ihnen gebührt. - Ich bitte um Ruhe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Demokratieerfahrungen fördern, Partizipationsmöglichkeiten stärken, den Integrationsgedanken umsetzen, die Menschenrechtsbildung ausbauen, ein Aktionsprogramm gegen Rechtsextremismus, Menschenfeindlichkeit und Antisemitismus sind ein gesellschaftspolitischer Auftrag, dem wir alle uns stellen müssen. Ich bin fest davon überzeugt, dass sich fast alle, die hier sitzen, dieser Verantwortung stellen und vor Ort, wo sie die Möglichkeit haben, dafür einbringen, unsere demokratischen Grundrechte mit aller Macht zu verteidigen.
Meine Damen und Herren, diese Landesregierung hat sich diesem Themenkomplex seit sechs Jahren gestellt und viele Projekte und Maßnahmen angeschoben. Es sind auch von der Vorgängerregierung - das gebe ich gerne zu - etliche Maßnahmen ergriffen worden, die wir fortgeführt haben. Aber diese Landesregierung hat viel Neues ins Leben gerufen, das dazu dient, unsere Grundrechte zu verteidigen. Ich möchte an dieser Stelle einmal sagen, wie dankbar wir dafür sein können, dass wir seit mehr als 60 Jahren in einem Land leben, in dem es Frieden und Freiheit und vor allem Meinungsfreiheit gibt.
Deshalb möchte ich noch einmal betonen, dass es die Aufgabe aller ist und sich alle darum bemühen müssen, diese Möglichkeiten und Freiheiten in unserem Land zu erhalten.
An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass es gerade vor dem Hintergrund, dass wir in den letzten Tagen durch Studien wieder erfahren mussten, dass gerade junge Menschen sehr anfällig für gefährliches Gedankengut sind - sei es extremistisch, ausländerfeindlich oder sogar menschenfeindlich -, wichtig ist, im kulturellen Bereich, im schulischen Bereich und in allen gesellschaftspolitischen Bereichen aktiv zu werden. Wir haben
bei den Mitberatungen in vielen Ausschüssen erfahren dürfen, welche Möglichkeiten diese Landesregierung dafür bietet, aktiv zu werden. Ich bin besonders dankbar dafür, dass im Sozialausschuss, im Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten, im Wissenschaftsausschuss, im Kultusausschuss und natürlich auch in der Integrationskommission ganz intensiv über dieses Thema beraten worden ist. Wir haben im Innenausschuss die Niederschriften bekommen. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an den Ausschuss für Wirtschaft und Verkehr, der uns sogar eine Stellungnahme zugeleitet hat. Alle anderen haben uns die Niederschriften zugeleitet. Aber da das sehr umfangreich ist, habe ich dafür natürlich Verständnis.
Meine Damen und Herren, diese Landesregierung tut aber noch mehr. Seit gestern liegen die Richtlinien für „Demokratie und Toleranz“ vor. Ich bin sehr froh darüber, dass der Ansprechpartner bzw. die Fördermöglichkeiten für die Kommunen jetzt gegeben sind, um Maßnahmen oder Projekte fördern zu lassen, die sich gerade mit den Themen Demokratie, Integration und Toleranz beschäftigen. Ich kann nur alle Kolleginnen und Kollegen auffordern: Machen Sie sich bei Ihrer Kommune vor Ort mit den Dingen vertraut, die dort wichtig sind, und stellen Sie Förderanträge! Das ist besonders dringend in den Kommunen, in denen dieses Thema vor Ort wirklich brisant ist.
Meine Damen und Herren, wir sind besonders stolz darauf, dass es gerade diese Landesregierung gewesen ist, die eine Migrationsbeauftragte mit Migrationshintergrund berufen hat. Ich halte das für einen wichtigen Schritt gerade in dem Bereich Migration und Integration. Darauf legen heute sehr viele hier wert.
Es ist auch sehr wichtig, dass wir gerade in Bezug auf den Bereich Ausländerfeindlichkeit, über den wir durch diese Studien viel erfahren, vieles im Bereich der Integration anschieben. Das betrifft fast alle Ausschüsse, die sich damit beschäftigt haben. Dafür bin ich dankbar.
es bei dieser Anlaufstelle für Rechtsextremismus und Gewalt in Braunschweig existenzielle finanzielle Probleme, weil die Bundesregierung beabsichtigt hat, sich aus der Finanzierung auszuklinken. Ich bin sehr dankbar und sage das in Richtung Innenministerium und auch Landesregierung, dass wir uns bereit erklärt haben, auch im Rahmen dieser Richtlinien Möglichkeiten zu schaffen, die ARUG mit Projekten und Maßnahmen zu unterstützen. Das ist ein guter Schritt nach vorn und bringt uns in den einzelnen Kommunen erheblich weiter.
In Zusammenarbeit mit der ARUG hat im vergangenen Jahr ein Jugendkongress in Braunschweig stattgefunden, der sich in Workshops mit verschiedenen Themen auseinandergesetzt hat, z. B. mit Ausländerfeindlichkeit und mit der Frage, ob es auch im Rahmen des Sports Möglichkeiten gibt, sich für Integration stark zu machen. Besonders interessant fand ich dabei einen Workshop, der sich mit „Zecken“ und „Glatzen“ auseinandergesetzt hat. Für mich war es beeindruckend, zu lesen, dass sich gerade junge Leute mit diesem Thema extrem auseinandergesetzt haben und feststellten, dass sich das Schwarz-Weiß-Denken sowohl von rechts als auch von links
nicht positiv entwickeln kann, sondern dass man tatsächlich weiterdenken muss und nicht nur sagen kann „Ich akzeptiere rechts, weil es dort mit Gewalt gegen die gesellschaftliche Ordnung geht“ oder „Ich akzeptiere links, weil es da mit Gewalt gegen rechts geht“. Deswegen bin ich sehr dankbar, dass bei diesem Kongress deutlich geworden ist, dass man eben nicht nur in Schwarz und Weiß, sondern darüber hinaus denken soll. Wir leben hier in Deutschland in einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung - - -
ausführlich mit diesem Thema auseinandersetzt. Wir sind auf einem guten Wege. Ich bitte Sie alle, sich vor Ort dafür einzusetzen, dass die Möglichkeiten der Landesregierung genutzt werden; denn die Beratung der Kommunen ist einzigartig. Wir haben sogar Personal dafür eingesetzt, z. B. im Hinblick auf Immobilienkäufe von Rechtsextremisten. Deshalb danke ich dieser Landesregierung, dass wir so aktiv sind, und hoffe, dass wir Ihre Unterstützung bekommen, um auf diesem Wege weiterzumachen.
Nächster Redner ist Herr Limburg von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Ich erteile Ihnen das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD hat hier im Landtag einen eher unkonkreten Antrag zu einem sehr konkreten Problem vorgelegt, nämlich dem zunehmenden Rechtsextremismus in Deutschland und leider auch hier in Niedersachsen. Rechtsextremismus - ich denke, darüber herrscht hier im Hause von rechts bis links Einigkeit - ist ein Übel in unserer Gesellschaft und eine Bedrohung für ein weltoffenes, demokratisches und vielfältiges Niedersachsen, für das wir alle eintreten müssen.
(Beifall bei den GRÜNEN, bei der CDU, bei der FDP und bei der LIN- KEN - Jan-Christoph Oetjen [FDP]: Richtig!)
Rechtsextremismus hat verschiedene Erscheinungsformen. Die deutlichste und sichtbarste sind sicherlich die sogenannten freien Kameradschaften, Zusammenschlüsse meist männlicher junger Nazis, die gemeinsam in ihrer Umgebung für ihre rechtsextreme Ideologie kämpfen, anders Denkende bekämpfen und für ihren Rechtsextremismus aktiv eintreten. In Niedersachsen gibt es etwa 25 solcher Kameradschaften, die zum Teil - wie jüngste Razzien zeigen - massiv bewaffnet sind und vor dem Einsatz ihrer Waffen auch nicht zurückschrecken. Ein Mitglied dieser Kameradschaften, Dennis Bührig, wegen Körperverletzung vorbestraft, Mitglied der Kameradschaft Celle 73, war nicht nur NPD-Kandidat bei der letzten Landtagswahl in Niedersachsen, sondern ist auch Anmelder des
Eine weitere Erscheinungsform - auch das ist bereits angesprochen worden - sind die Straftaten mit rechtsextremem Hintergrund, die uns immer wieder auf zum Teil drastische Art und Weise vor Augen führen, wie gefährlich die Bedrohung durch Rechtsextreme sein kann. Zur Veranschaulichung des Ausmaßes zwei Zahlen: Im Januar 2009 sind in Niedersachsen 117 Straftaten mit rechtextremem Hintergrund verübt worden, davon 8 Gewaltverbrechen. Zugegeben, im gleichen Monat des Vorjahres waren es 129 Straftaten und 11 Gewaltverbrechen. Das ist also ein leichter Rückgang. Aber die Zahlen sind immer noch bedrohlich hoch.
Mehrere jüdische Friedhöfe sind im letzten Jahr in Niedersachsen verschandelt worden. Jüdische Gotteshäuser sehen sich einer permanenten Bedrohung ausgesetzt. Seit 1990 - also seit der Wiedervereinigung - sind in Deutschland weit mehr als 100 Menschen Opfer rechtsextremer Morde geworden. Auch darunter waren niedersächsische Bürger. Ich möchte beispielhaft an Kapitän Gustav Schneeclaus erinnern, der im Busbahnhof von Buxtehude von zwei Nazis ermordet worden ist, weil er Adolf Hitler als Verbrecher bezeichnet hat, oder auch an den 44-jährigen Peter Deutschmann, der in Eschede von Neonazis brutal ermordet worden ist.
Eine dritte Erscheinungsform ist der sogenannte Rechtsextremismus der Mitte. Das hat die Kollegin Jahns bereits angesprochen. Mehrere Studien, die Heitmeyer-Studie, aber auch Studien der FriedrichEbert-Stiftung und die jüngste Pfeiffer-Studie, zeigen eine erschreckende Verbreitung rechtsextremer Einstellungen in der sogenannten Mitte der Gesellschaft. Diese Studien zeigen vor allem auch, dass sich rechtsextreme Gedankenmuster in allen demokratischen, also auch allen im Landtag vertretenen Parteien, wiederfinden. Das sind Ergebnisse, die uns alle aufrütteln sollten und zum Handeln und zu Engagement anstacheln müssen.
Ich bin der SPD sehr dankbar für ihren Antrag, weil er ein wichtiges Problem benennt und Handlungsformen andeutet. Ja, wir brauchen eine Demokratisierung weiter Teile der Gesellschaft, also auch der Betriebe, aber z. B. auch der niedersächsischen Schulen - Schulen, in denen Schülerinnen und Schüler wirklich mitbestimmen und den Wert
von Demokratie direkt erleben können. Wir brauchen Politik und Medien, die für Vielfalt und Toleranz als Chance und Stärke und nicht als Bedrohung werben. Und wir brauchen - auch das ist im Ursprungsantrag angesprochen - eine nachhaltige Unterstützung zivilgesellschaftlicher Projekte, die sich gegen rechtsextreme Umtriebe engagieren.
Deshalb finde ich es auch unglaublich, dass Sie von CDU und FDP den gesamten Forderungskatalog aus dem Antrag gestrichen haben und ihn so verabschieden wollen. Das ist eine Feigenblattpolitik, die wir Grüne nicht mitmachen.
Sie werden Rechtsextremismus nicht allein mit Resolutionen bekämpfen können, meine Damen und Herren.
Wir wollen aktives Eintreten gegen jeglichen Rechtsextremismus. Wir wollen aktives Eintreten für eine weltoffene, demokratische und solidarische Gesellschaft.