Meine Damen und Herren, nach Herrn Hagenah rufe ich jetzt Herrn Jüttner von der SPD-Fraktion auf. Bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Dezember 2005 hat sich der Landtag auf unseren Antrag hin in der Aktuellen Stunde mit dem Thema „Wennemer-Kapitalismus - Die soziale Marktwirtschaft steht auf dem Spiel“ beschäftigt.
Worum ging es damals? - Conti stand blendend da und schrieb insbesondere in Stöcken schwarze Zahlen. Trotzdem hatte der Conti-Vorstand beschlossen, die gesamte Reifenproduktion in Stöcken zu schließen, und zwar umgehend. Das hat in Niedersachsen einen Aufruhr ausgelöst - bei den Beschäftigten, bei den Gewerkschaften, in der Politik, im Land, in der Stadt, in der Region. Dieser harte Widerstand hat dazu geführt, dass Conti einen Kompromiss schließen musste. Am Ende wurde die Pkw-Reifen-Produktion dichtgemacht, die Lkw-Reifen-Produktion blieb übrig, und der Standort sollte gestärkt werden.
Was ist seitdem passiert? - Herr Wennemer ist dem Unternehmen - mit einer Abfindung von 7,1 Millionen Euro - verloren gegangen. An dieser Stelle ist vom Conti-Vorstand Verantwortung wahrgenommen worden. Die Logik des WennemerKapitalismus ist diesem Unternehmen aber erhalten geblieben. Mit dieser Einschätzung hat Herr Hagenah völlig recht.
Herr Thümler, vielen Ihrer Aussagen stimme ich ja zu. Wenn Sie hier behaupten, Conti habe kein Geschäftsmodell, dann sage ich Ihnen: Nein! Conti hat ein Geschäftsmodell. Sowohl im Boom als auch in der Krise ist der Conti-Vorstand Teil der kapitalistischen Logik, die davon ausgeht, dass der Industrieproduktionsstandort Deutschland aufzugeben ist. Das steckt hinter dieser Konzeption, meine Damen und Herren.
Wir kämpfen an dieser Stelle für die gleiche Sache. Dahinter steckt aber ein Konzept. Das macht die Sache so gefährlich. Wenn sich dieses Konzept durchsetzt, sieht diese Gesellschaft in Deutschland anders aus, weil hier keine industrielle Produktion mehr stattfindet, weil im zweiten Schritt Forschung und Entwicklung ebenfalls abwandern und weil unserem deutschen Gemeinwesen die soziale Abwicklung dieser Veranstaltung übrig bleibt. Das ist doch das Verrückte dabei.
Unternehmen wie Conti und auch andere nehmen für sich unternehmerische Freiheit in Anspruch, ohne das Wort Verantwortung überhaupt zu kennen, und verlangen gleichzeitig von der Öffentlich
keit, dass qualifiziertes Personal bereitgestellt wird, dass der Standort in Ordnung ist, dass die Energiekosten günstig sind und dass die Gesellschaft bereit ist, Leute, die in ihrem Unternehmen nicht mehr gebraucht werden, anschließend sozial abzufedern.
Meine Damen und Herren, mit dieser Logik muss Schluss sein! Darum geht es in dieser Auseinandersetzung.
Das Ganze ist nur noch das i-Tüpfelchen. Dass die Belegschaft Lohnverzicht geleistet hat und die Arbeitszeitverlängerung hinnimmt und dass die Gesellschaft mit Beschlüssen im Bundestag dafür sorgt, dass in der Krise durch neue Regelungen zur Kurzarbeit Überbrückungsstrategien möglich sind, wird von dieser Unternehmensleitung einfach ignoriert, weil sie ein ganz anderes Ziel hat. Ich erinnere daran, dass Herr Wennemer einmal gesagt hat: „Meine Anteilseigner sitzen nicht in Hannover und Niedersachsen, sondern weltweit. Denen will ich gerecht werden. Regionale Belange interessieren mich überhaupt nicht.“
Inzwischen gibt es aber andere Erkenntnisse. Das ist das Spannende in dieser Krise. Ich kann Herrn Rösler nur empfehlen, regelmäßig die Financial Times Deutschland und das Handelsblatt zu lesen, weil es interessant ist, zu verfolgen, welche Lernprozesse die Theoretiker der Marktwirtschaft zurzeit durchmachen. Ich weiß nicht, wie lange das vorhält. Ich empfehle Ihnen aber einmal die Lektüre des Artikels „Den Kapitalismus neu definieren“ in der gestrigen Ausgabe des Handelsblatts. Er ist spannend; denn darin wird deutlich, dass dem Markt sehr wohl die Zukunft gehören soll, aber dass dieser Markt nur dann eine Chance hat, wenn das Verhältnis zum Staat neu geregelt wird, weil der Staat notwendig ist, damit der Markt chancenreich ist.
Deshalb geht es hier übrigens nicht nur um Conti. Wir stehen an der Seite der Beschäftigten; das ist klar. Wir werden dafür sorgen, dass die Vorstellungen der Conti-Spitze nicht durchgesetzt werden können. Über den aktuellen Anlass hinaus ist es aber notwendig, sich neu zu justieren.
Herr Rösler, Bedauern über die unternehmerische Entscheidung zu äußern, kann es nicht sein. Dass Sie jetzt zu Gesprächen einladen, weil Sie merken, dass der Druck härter wird, hilft da auch wenig.
Hier ist eine Landesregierung gefordert, die interveniert, selbstbewusst in die Debatte geht und sich nicht auf Moderation beschränkt.
Meine Damen und Herren, als nächste Rednerin hat sich die fraktionslose Abgeordnete Frau Wegner zu Wort gemeldet. Sie haben drei Minuten, Frau Wegner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Beispiel der Werksschließung bei Conti zeigt uns wieder einmal mehr, wie es um diese Marktwirtschaft steht. Allein der Profit und nicht die Interessen der Belegschaft oder gar ein gesamtgesellschaftliches Konzept im Automobil- und Zuliefererbereich sind für die wirtschaftliche Entscheidung ausschlaggebend.
Entschuldigung, Frau Wegner. Wenn Sie das Rednerpult ein wenig herunterfahren, sind Sie besser zu hören.
Ich bin nur 1,60 m groß. - Die Politik steht nur noch daneben, schaut hilflos zu und hat sich längst der Mittel beraubt oder nutzt die verbleibenden nicht, um den Konzernherren Einhalt zu gebieten. Dabei haben doch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei Conti längst durch Lohneinbußen Vorleistungen erbracht, die ihnen jetzt aber wieder geraubt werden sollen. Aber so läuft es eben in diesem System. Die Menschen müssen in Vorleistung treten. Sie sollen in möglichst allen Bereichen ausgebildet und auf dem Laufenden sein, damit sie flexibel bleiben und heute hier, morgen dort und übermorgen etwas ganz anderes produzieren können, um am Ende doch wieder ohne sichere Beschäftigung dazustehen.
Selbst wenn Menschen sich so flexibel gebärden möchten, muss man fragen: Was wird eigentlich aus den Ausbildungsplätzen bei Conti?
Wenn Sie den Kapitalismus frei walten lassen, dann betreiben Sie keine Politik, sondern verwalten nur noch den Mangel in Hoffnung auf bessere Zeiten. Dafür sind wir alle nicht gewählt.
Mit dem Verstaatlichungsgesetz haben Ihre Parteivertreterinnen und -vertreter im Bundestag einen ersten Schritt in die richtige Richtung hin zu mehr staatlicher Kontrolle unternommen. Ich hoffe, dabei wird es nicht bleiben.
Bei Opel wird immer noch über einen Einstieg des Staates nachgedacht. In vielen Wirtschaftsbereichen ist der Staat seit jeher Auftraggeber und Auftragnehmer. Seien Sie doch konsequent, und erstellen Sie ein europäisches, nationales und landeseigenes Konzept, wie zukünftig generell mit bestimmten wichtigen Wirtschaftszweigen umgegangen werden soll! Nur auf den Markt zu vertrauen, reicht nicht aus.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Hagenah, es wäre vielleicht sinnvoll gewesen, wenn Sie die Rede nicht so gehalten hätten, wie Sie sie vorher aufgeschrieben haben, bevor Frau Weisser-Roelle etwas gesagt hat. Der Haupttenor ihrer Rede war nämlich, dass wir energisch dafür plädieren, mit mehr Demokratie aus dieser Krise herauszugehen.
Hat denn die Arbeitnehmerseite das Schaffen der Überkapazitäten im Ausland abgelehnt, als dies in den vergangenen Jahren beschlossen worden ist?
Der entscheidende Punkt ist, dass uns die Mitbestimmung in der Tat nicht weit genug geht. Sie haben VW als Ausnahme erwähnt. Wir hätten VW gerne als Regel und Beispiel,
um auch bei Conti die Situation herzustellen, dass keine wesentlichen Beschlüsse zu Strukturveränderungen gegen die Mehrheit von Arbeitnehmern - das ist bei Conti anders -
(Christian Dürr [FDP]: Das ist nicht fair, Herr Dr. Sohn! Herr Hagenah hat ein Anrecht auf eine Antwort!)
- hören Sie zu! - und staatlichen Repräsentanten gefällt werden können. Dann sind wir völlig zuversichtlich - da vertrauen wir nämlich völlig auf die Demokratie im Betrieb -, dass daraus das Programm einer Umstrukturierung der gesamten Mobilitätsindustrie kommt, die VW nützt und die auch Conti nützen wird.
(Beifall bei der LINKEN - Dr. Bernd Althusmann [CDU]: Armut durch So- zialismus, nicht Freiheit durch Sozia- lismus!)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Sohn, dass Sie mehr Demokratie fordern, finde ich im Prinzip ganz gut. Aber wenn man einmal die Demokratie wirklich intensiv betrachtet, dann stellt