Protocol of the Session on April 9, 2008

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP)

Nun aber gehen wir der Reihenfolge nach vor.

Herr Kollege Lammerskitten, Sie haben recht: Wir haben es hier mit einem trockenen Thema zu tun. Nichtsdestotrotz ist es ein wichtiges Thema. Der Koalition ist dieses Thema so wichtig, dass sie dazu regelmäßig Vorlagen einbringt, die Beratungen darüber aber nicht zum Ende führt. Sie haben bei dem heute vorliegenden Gesetzentwurf ja lediglich das Deckblatt ausgewechselt. Exakt der gleiche Gesetzentwurf ist im Juli vergangenen Jahres schon einmal mit der klaren Ansage eingebracht worden, dass das Gesetz zum 1. Oktober 2007 in Kraft treten solle. Dieser Termin ist geringfügig überschritten worden. Insofern muss der Gesetzentwurf jetzt von den Fraktionen eingebracht werden. Dass dieses Verfahren gewählt werden muss, bedaure ich im Übrigen, weil es unnötig Druck erzeugt. Es geht hier um nichts anderes als um die Übernahme europäischer Vorschriften. Insofern sind wir uns schon zu Beginn der Beratungen in der letzten Legislaturperiode einig gewesen, und wir sind es auch diesmal wieder. Dass unnötig Zeitdruck entstanden ist, finde ich schade.

Wir werden die Vorlage von unserer Seite aus mittragen. Ich will hier allerdings darauf hinweisen, dass wir bei der Gesetzesberatung unsere alten Anträge wieder einbringen werden, die die Koalition auch seit Jahren als beratungsfähig anerkannt hat. Dies gilt etwa für den Antrag, das Wahlrecht zeitgemäß auszurichten und Minderheitenrechte endlich auch im Wahlrecht zu implementieren.

Es kann schließlich nicht so sein, dass ganze Facharztgruppen aufgrund der kleinen Anzahl der diesen Gruppen zugehörigen Fachärzte in den Kammern im Prinzip nicht vertreten sind. Richten Sie sich bitte darauf ein, dass ein entsprechender Antrag von uns wieder gestellt wird. Er ist bisher immer gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen von den Grünen eingebracht worden. Vielleicht haben wir diesmal eine Möglichkeit, das Gesamtpaket gemeinsam zu verabschieden. Nach unseren Vorstellungen können die Beratungen sehr zügig erfolgen.

(Beifall bei der SPD)

Danke schön, Herr Schwarz. - Die nächste Rednerin ist Frau Meißner von der FDP-Fraktion. Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist in der Tat schon gesagt worden: Hier geht es um eine Anpassung an EU-Recht, die eigentlich schon zum Oktober 2007 erforderlich war. Wir haben das Deckblatt deswegen ausgewechselt, weil dies nach Beginn einer neuen Legislaturperiode erforderlich ist. Dass wir es nicht geschafft haben, die Vorlage vorher zu verabschieden, hat damit zu tun gehabt, dass wir sehr viele andere Beratungsgegenstände hatten, die wir vorziehen mussten und die wir dann in Abstimmung zwischen allen Fraktionen auch vorgezogen haben. Insofern erfolgt die Einbringung jetzt erneut.

Bei solchen Angleichungen geht es auch darum, festzustellen, was aktuell erforderlich ist, um entsprechend den Bedürfnissen eine Anpassung vorzunehmen. Beim Psychotherapeutenversorgungswerk Niedersachsen ist es beispielsweise so, dass es dort viele Mitglieder aus anderen Bundesländern gibt, ohne dass diese mitbestimmen könnten. Das wird jetzt geändert. Aktuelle Wünsche von den entsprechenden Kammern werden wir berücksichtigen. Natürlich dringen wir auch darauf, alles, was an Anhörung und Beratung erforderlich ist, bald durchzuführen, um die Gesetzesanpassung entsprechend vornehmen zu können. Ich bitte Sie um konstruktive Mitarbeit.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Herzlichen Dank, Frau Meißner. - Die erste Beratung zu diesem Tagesordnungspunkt ist abgeschlossen.

Wir kommen zur Ausschussüberweisung.

Der Gesetzentwurf soll federführend dem Ausschuss für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit und mitberatend dem Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen überwiesen werden. Ich frage, wer dem zustimmt. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Es ist einstimmig so beschlossen.

Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 11 auf:

Erste Beratung: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Niedersächsischen Verfassung - Gesetzentwurf der Fraktion der SPD - Drs. 16/47

Zur Einbringung hat sich Herr Schwarz von der SPD-Fraktion zu Wort gemeldet. Ich erteile ihm das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Immer neue Einzelschicksale von misshandelten oder getöteten Kindern schockieren seit Jahren vermehrt die Öffentlichkeit. Dabei wissen wir, dass es sich dabei nur um die Spitze eines Eisberges handelt. In Deutschland werden 250 000 bis 500 000 Kinder jährlich Opfer von schweren Gewaltanwendungen und Misshandlungen. Zwei bis drei Kinder sterben sogar wöchentlich an den Folgen von Gewalt und Misshandlungen. Die Dunkelziffer ist dabei nicht zu spezifizieren.

Dieser Tatbestand ist für eine der wohlhabendsten Nationen unerträglich und völlig inakzeptabel.

(Beifall bei der SPD)

Es muss alles getan werden, was wirksamen Kinderschutz verbessern kann. Die SPD-Landtagsfraktion hat schon vor über zwei Jahren ihr umfangreiches Gesamtkonzept „Kinder schützen - Kinder fördern“ für Niedersachsen vorgelegt. Wir wollen, dass endlich jede Ebene im Rahmen ihrer Zuständigkeiten alle Möglichkeiten für einen umfassenden Kinderschutz ausschöpft.

Uns wird nach wie vor viel zu viel über Kinderschutz geredet und viel zu wenig gehandelt. Die Niedersächsische Landesregierung war dabei im Übrigen in den vergangenen Jahren ein besonders unrühmliches Beispiel. Sie haben zwar viel Schaum geschlagen, aber in Wirklichkeit haben Sie sich nur auf Symbolpolitik beschränkt oder mit fremden Federn geschmückt.

Erst in der allerletzten Landtagssitzung vor der Landtagswahl, nämlich der im Dezember 2007, war die Koalition gewillt, einen eigenen Gesetzesantrag einzubringen. Meine Damen und Herren, dadurch sind Sie gar nicht erst in die Verlegenheit gekommen, in jener Legislaturperiode wenigstens einmal etwas Konkretes beschließen und umsetzen zu müssen. Die Anträge der Opposition hingegen haben Sie jahrelang unbearbeitet in den Ausschüssen und im Parlament liegen gelassen. Verantwortungsbewusste und ehrlich gemeinte Aktivitäten für mehr Kinderschutz sehen nach unserer festen Überzeugung deutlich anders aus.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung von Kreszentia Flauger [LINKE])

Das gilt übrigens uneingeschränkt auch für die Verankerung von Kinderrechten in der Niedersächsischen Verfassung. Bereits vor über 15 Monaten, also im Januar 2007, hatten wir unseren Gesetzentwurf zur Verankerung von Kinderrechten in der Landesverfassung schon einmal eingebracht. Heute legen wir ihn erneut vor. Elf Bundesländer in Deutschland haben zwischenzeitlich eigene Regelungen für Kinder in ihren Landesverfassungen verankert. In Niedersachsen wurde das von CDU und FDP bisher nicht gewollt. Die CDU vertrat bei der Einbringung unseres Gesetzesantrages die Auffassung, es komme doch auf die Maßnahmen an und der Schutz der Menschenwürde stehe bereits in der Verfassung - so Frau Mundlos. Seitens der FDP warf Professor Zielke der SPD in der Debatte sogar ideologische Verblendung vor.

Erst als der Landtagswahlkampf näherrückte, entdeckte nicht etwa die Sozialministerin, sondern entdeckten interessanterweise der Ministerpräsident und der Innenminister auf dem Niedersachsentag in Cuxhaven das Thema Kinderrechte für sich. Es wurde aber auch hier schnell wieder deutlich, dass dieses wichtige Thema nur symbolisch besetzt wurde, um sich so über den Wahltermin lavieren zu können. Das gilt auch für andere Themen. Wir haben ja gerade über die Gesamtschule diskutiert. In Ihrer, wie ich finde, weitgehend perspektivlosen, kraftlosen und lustlosen Koalitionsvereinbarung haben Sie den Kinderrechten immerhin einen kurzen Satz eingeräumt. Der Ministerpräsident schränkte die Erwartungen in seiner Regierungserklärung dann aber gleich wieder ein. Danach wird zwar eine Verfassungsänderung angestrebt, aber Kinderrechte sollen maximal als reine Staatszielbestimmung aufgenommen werden. Meine Damen und Herren, so stellen sich CDU und FDP das Kinderland Niedersachsen vor. Ich sage ganz deutlich: wir nicht. - Kinderschutz und Tierschutz im gleichen Verfassungsrang wird es mit der SPD nicht geben.

(Beifall bei der SPD)

Die Schutzbedürftigkeit von Kindern hat für uns einen deutlich anderen Stellenwert als der Tierschutz. Wir wollen einklagbare Grundrechte für Kinder und keine Gewissensberuhigung für Parlamentarier. Die notwendige Zweidrittelmehrheit wird ohne die Opposition in Niedersachsen nicht möglich sein. Deshalb bringen wir heute, also gleich zu Beginn dieser Legislaturperiode, unseren Gesetzentwurf erneut ein. Immerhin wurde dieser Gesetzentwurf der SPD in der Sachverständigenan

hörung des Sozialausschusses am 10. Oktober des vergangenen Jahres von 13 der 14 angehörten Experten einhellig unterstützt. Das Deutsche Kinderhilfswerk stellte dabei fest - ich zitiere -:

„Ein verfassungsrechtlicher Konsens des Landesgesetzgebers muss mehr sein als nur ein deklaratorisches Staatsziel.“

Der Niedersächsische Kinderschutzbund wies in seinem Brief vom 12. Dezember 2007 an uns Landtagsabgeordnete erneut darauf hin - ich zitiere -:

„Jedes 6. Kind in Niedersachsen lebt in Armut … Entwicklungs- und Bildungschancen sind ungleich verteilt. Vernachlässigung und Misshandlung von Kindern führen bis zum Tode. Es wird höchste Zeit, dass die Landesregierung … nachhaltige Akzente durch eine angemessene Verfassungsänderung ausdrückt.“

So weit der Kinderschutzbund, meine Damen und Herren. Wir sehen das genauso.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Uns reicht es jedenfalls nicht, wenn die Sozialministerin am 25. März 2008 öffentlich einen neuen Kinder-haben-Rechte-Preis auslobt. Damit ist im Kern keinem Kind wirklich geholfen. Der Preis soll nach Aussagen von Frau Ross-Luttmann immerhin deutlich machen, dass Kinderrechte keine bloße Formsache sind, sondern sich an der UN-Kinderrechtskonvention orientieren müssen. Diese Einsicht der Landesregierung ist immerhin schon ein erheblicher Fortschritt.

Allerdings, meine Damen und Herren: Nach diesen berechtigten und vorgegebenen Kriterien könnte die Landesregierung selbst niemals Preisträgerin werden. Eine Verfassungsbestimmung auf der Grundlage dieser UN-Kinderrechtskonvention hat die Landesregierung - jedenfalls bisher - beharrlich abgelehnt. Aber genau das, meine Damen und Herren, beantragen wir heute erneut. Wir wollen, dass Kinder und Jugendliche ein Recht auf Entwicklung und Entfaltung ihrer Persönlichkeit haben. Wir wollen ein Recht auf gewaltfreie Erziehung und den Schutz vor Gewalt, Vernachlässigung und Ausbeutung.

(Norbert Böhlke [CDU]: Das wollen wir auch!)

Staat und Gesellschaft müssen sich in der Verfassung dazu bekennen, Kinder vor Gefahren für ihr körperliches, geistiges und seelisches Wohl zu schützen und für altersgerechte Lebensbedingungen Sorge zu tragen sowie ihre Anlagen und Fähigkeiten zu fördern.

(Norbert Böhlke [CDU]: Das wollen wir auch!)

- Wenn Sie das alles tatsächlich gewollt hätten, Herr Böhlke, hätten wir das in der letzten Legislaturperiode locker verabschieden können. Seinerzeit haben Sie es aber leider verschleppt und genau das Gegenteil gewollt.

(Beifall bei der SPD - David McAllister [CDU]: Sie tragen eine Mitschuld! - Weitere Zurufe von der CDU)

- Herr Böhlke, Sie wissen doch ganz genau, dass die Sozialpolitiker Ihrer Fraktion überhaupt nicht Herr des Verfahrens waren. Sie haben doch nur als Statist dabeigesessen, als Ihnen Ihre Rechtspolitiker gesagt haben, was geht und was nicht geht. Das, was Sie für richtig erklären, ist von Ihren rechtspolitischen Kollegen schlichtweg abgelehnt worden. Sonst hätten wir es verabschieden können. Das wäre gar kein Problem gewesen.

(Zurufe von der CDU)

- Wenn dem so ist, werden wir uns diesmal ganz schnell einigen können.

Wir befinden uns mit dieser Forderung im Einklang mit dem aktuellen Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 1. April 2008. Im Zusammenhang mit der Frage von Besuchsrecht bzw. Besuchspflicht getrennter Elternteile hat das Verfassungsgericht dem Kindeswohl absolute Priorität eingeräumt. In der Urteilsbegründung führte das Verfassungsgericht aus - ich zitiere -:

„Das Kind hat eine eigene Würde und eigene Rechte und ist auch Träger eigener Grundrechte. Das Kind hat Anspruch auf den Schutz des Staates.“

Meine Damen und Herren, wir hoffen, dass die Landesregierung und die sie tragenden Koalitionsparteien wenigstens aufgrund dieses aktuellen Urteils ihre bisherige Haltung überdenken werden und sich im Interesse der Kinder in unsere Richtung bewegen. Ich sage Ihnen ganz deutlich: Wir achten den Elternwillen. Der Elternwille findet für uns - auch im Sinne des Urteils des Bundesverfassungsgerichts - aber dort seine Grenzen, wo Kindeswohl gefährdet ist. Kindeswohl muss dann

absoluten Vorrang haben, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung von Kreszentia Flauger [LINKE])

Wir wissen, dass garantierte Verfassungsrechte für sich allein kein Allheilmittel sind. Sie sind aber ein wichtiger Baustein für einen verbesserten Kinderschutz. Deshalb werden wir nachdrücklich für einklagbare Individualrechte von Kindern in unserer Landesverfassung kämpfen. Wir werden uns nicht mit folgenloser Symbolpolitik beruhigen lassen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und Zustimmung von Kreszentia Flauger [LINKE])