müde wurden, in Diskussionsrunden vor Ort immer wieder zu betonen, dass nach der Landtagswahl unverzüglich gehandelt werde und Gesamtschulneugründungen ermöglicht werden sollten. Doch mehr als zweieinhalb Monate nach der Landtagswahl liegt nichts in dieser Richtung vor. Es stellt sich daher die Frage: Liegt es am Können, oder liegt es am Wollen?
Sind Sie nicht in der Lage, einen Gesetzentwurf zur Streichung des Errichtungsverbots vorzulegen, oder wollen Sie keinen Entwurf vorlegen?
Meine Damen und Herren, ich gebe zu: Wir sind zunächst davon ausgegangen, dass Sie keinen Gesetzentwurf vorlegen wollen, weil wir Ihnen noch nie abgenommen haben, dass Sie wirklich die Neugründung von Gesamtschulen unterstützen.
An die unzähligen Debatten in diesem Hause, in denen Sie die Gesamtschulen aus ideologischen Gründen ständig schlecht geredet haben, weil sie einfach nicht in Ihr konservatives Weltbild passen, will ich gar nicht näher eingehen. Dass bei Ihnen im Regierungslager bei dem Thema zurzeit ein Tohuwabohu herrscht, können wir heute in der HAZ nachlesen.
Nach den ersten Wochen, die seit dem Amtsantritt der neuen Ministerin vergangen sind, und dem Auftritt der Ministerin vor dem Schulleitungsverband Niedersachsen haben wir aber auch Zweifel, ob es nur am Nichtwollen liegt. Ich glaube, Sie wollen nicht nur nicht mehr Gesamtschulen in Niedersachsen zulassen, sondern Sie sind auch nicht in der Lage, einen Gesetzentwurf vorzulegen;
denn wenn man den Start in ein neues Amt so kräftig verpatzt wie diese Kultusministerin, dann frage ich mich wirklich, wie viel Kompetenz an der Spitze des Kultusministeriums vorhanden ist.
(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN - Dr. Philipp Rösler [FDP]: Wer- den Sie nicht unverschämt, Frau Kol- legin! - Karl-Heinz Klare [CDU]: Ma- chen Sie erst einmal Ihre Arbeit!)
Meine Damen und Herren, in der Aussprache zur Regierungserklärung im Februar hat Wolfgang Jüttner vorhergesagt, mit der Gesamtschule werde es die Regierungsmehrheit so machen wie mit dem Erdkabelgesetz, nämlich einen PlaceboGesetzentwurf vorlegen, um erst einmal alle, die Forderungen nach neuen Gesamtschulen stellen, ruhigzustellen und dann einen Gesetzentwurf vorzulegen, der das, was man versprochen hat, nicht einhält. Wissen Sie, wie ich das nenne? Das nenne ich Tricksen und Täuschen.
Das mag man beim Fußball noch gut finden, wenn man damit Erfolg hat. In der Bildungspolitik und vor allen Dingen im Umgang mit Kindern und deren Eltern, die sich auf Aussagen des zuständigen Ministers und der Fachpolitiker vor Ort verlassen, ist das eine unglaubliche Dreistigkeit.
(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN - Kreszentia Flauger [LINKE]: Wahllüge! - Karl-Heinz Klare [CDU]: Wir müssen das noch mit Herrn Weil und Herrn Oppermann besprechen!)
Aber bei Ihnen kommt es noch viel schlimmer. Sie haben nicht nur vor der Wahl gesagt - auch Sie, Herr Klare, Sie werden gleich noch sprechen -, dass Sie Gesamtschulen ermöglichen wollen. Sie haben darüber hinaus gesagt, dass Sie möglichst zügig und unverzüglich den vielen Initiativen, die sich aufgrund der Aussage des Ministerpräsidenten gegründet haben, die Möglichkeit geben wollen, ihren Zielen nachzukommen. Ich zitiere Sie, Herr Klare, aus dem Plenum vom 12. Dezember 2007 mit Erlaubnis der Präsidentin:
- Februar oder März - Herr Jüttner hat es gesagt -, über das Jahr haben wir nicht gesprochen, Herr Klare. Was machen Sie stattdessen? - Nichts, rien, niente, Fehlanzeige! Weder die Landesregierung noch die Regierungskoalition haben es geschafft, den Entwurf vorzulegen, mit dem das Errichtungsverbot im Schulgesetz gestrichen wird.
Damit ist Ihre Absicht klar: zeitliche Verzögerung, sodass es bis zum Beginn des nächsten Schuljahres selbst dort nicht zur Gründung von Gesamtschulen kommen kann, wo Eltern sie für ihre Kinder wollen und wo sich Schulträger aufgeschlossen zeigen und die nötigen Vorarbeiten bereits eingeleitet haben. - Nun soll im Mai ein Gesetzentwurf vorgelegt werden. Aus dem Regierungslager ist zu hören, und es ist sogar schon zu lesen, dass der Gesetzentwurf zwar bis zur Sommerpause verabschiedet werden soll, neue Gesamtschulen aber voraussichtlich erst im nächsten Jahr genehmigt werden können.
Meine Damen und Herren, wir haben uns jedenfalls nicht auf Ihre großsprecherischen Ankündigungen verlassen und legen dem Landtag heute unseren Entwurf zur Änderung des Schulgesetzes vor. Er streicht das Errichtungsverbot und macht die Gesamtschulen zu einer gleichberechtigten regulären allgemeinbildenden Schule ohne Wenn und Aber.
Wir nehmen die Wünsche der Eltern ernst, die für ihre Kinder eine längere gemeinsame Schulzeit wünschen, Herr Klare,
und wir erkennen die Arbeit der Gesamtschulinitiativen an, die in ihren Gemeinden mit großem Elan und mit fantasiereichen Aktionen die Gesamtschuldiskussion belebt haben.
Meine Damen und Herren, wir wollen, dass zu Beginn des kommenden Schuljahres dort Gesamtschulen ihre Arbeit aufnehmen können, wo ein entsprechender Elternwille vorhanden ist und die Bereitschaft der kommunalen Schulträger besteht, dem Elternwillen ohne taktische Verzögerungen nachzukommen.
Solche Voraussetzungen gibt es in Niedersachsen: im Landkreis Schaumburg, im Landkreis Friesland, in Braunschweig, in Hannover und anderswo.
An diesen Standorten und noch bei vielen weiteren Initiativen warten über 4 000 Kinder auf einen Platz in einer Gesamtschule; und das ist eine vorsichtige Schätzung. Das sind 4 000 Kinder bezogen auf den artikulierten Bedarf, und dabei sind noch nicht alle Initiativen abgefragt. Die Eltern dieser 4 000 Kinder sowie Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker aus dortigen Kreistagen - im Übrigen nicht nur von der SPD oder von den Grünen - warten darauf, dass sie endlich loslegen können, meine Damen und Herren.
Wir wollen nicht auf einen Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen warten, der die Errichtung von Gesamtschulen in eine ferne Zukunft, wenn möglich sogar auf den Sankt-Nimmerleins-Tag, verschiebt.
Voraussetzung für die Errichtung von Gesamtschulen darf nur das sein, was auch für alle anderen Schulformen gilt: das Vorhandensein eines entsprechenden Bedürfnisses.
Dieses Bedürfnis, meine Damen und Herren, ist in Friesland, in Bad Münder, in Braunschweig und anderswo doch längst nachgewiesen. - Sie können diese Zahlen doch nicht einfach ignorieren! Mein Kollege Olaf Lies wird im Anschluss an meine Ausführungen die Situation vor Ort deutlich machen. - Aufgabe der kommunalen Schulträger ist es dann, das Interesse der Eltern an einem Gesamtschulplatz für die Kinder zu ermitteln. Sollte die Landesschulbehörde nach Ermittlung des Elterninteresses im Benehmen mit dem Schulträger dieses Bedürfnis feststellen, wird eine entsprechende Verpflichtung des Schulträgers ausgelöst. Genau das ist der Mechanismus, den wir für die Einführung der Gemeinsamen Schule nach unserem Wahlprogramm vorgesehen haben, auch wenn Sie von der Koalition ständig etwas anderes behaupten.
Meine Damen und Herren, maßgeblich ist also der Elternwille. Sie predigen doch ständig die Vielfalt in der Bildungslandschaft. Dann heben Sie doch dieses unsägliche Gesamtschulerrichtungsverbot, das es in keinem anderen Bundesland gibt, endlich auf!
(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN - David McAllister [CDU]: Wenn es nur Gesamtschulen gibt, gibt es auch keinen Elternwillen!)
Ich bin mir ganz sicher, dass die kommunalen Schulträger im eigenen Interesse ihre Schullandschaft neu ordnen werden, wenn Sie das Errichtungsverbot aufheben. In diesem Zusammenhang darf ich darauf verweisen, dass auch der Niedersächsische Städtetag in einer Pressemitteilung Anfang März die Aufhebung begrüßt hat.
Meine Damen und Herren, der Ministerpräsident hat im September 2007 mit seiner Ankündigung, neue Gesamtschulen zuzulassen, versucht, die schon vorhandenen Initiativen zu beruhigen. Das Gegenteil war aber der Fall: Es haben sich neue Initiativen gegründet. Es gibt an zahlreichen Standorten in ganz Niedersachsen den Wunsch, den Schülerinnen und Schülern die Ausbildung an einer Gesamtschule zu ermöglichen. Viele Eltern, Lehrerinnen und Lehrer und Schulträger haben sich auf Ihr Wort, Herr Ministerpräsident, und auf die Versprechungen der CDU und der FDP im Wahlkampf verlassen. Nun stehen sie da, die Eltern, die nicht wissen, wo sie ihre Kinder anmelden sollen, während die Anmeldefristen längst laufen, oder die Eltern, die ihre Kinder jetzt auf einer Schule anmelden und wissen, dass sie sie im nächsten Jahr an einer neu zu gründenden Gesamtschule anmelden werden. Was sagen Sie den Schulträgern, die das Bedürfnis, das vor Ort besteht, erfüllen wollen und bereitstehen, um ihr Angebot zu erweitern oder umzugestalten, damit Schulstandorte gesichert werden können? Und was sagen Sie den Schülern und deren Eltern, die ihre Kinder bewusst an einer Gesamtschule anmelden wollen, weil sie dem Druck an den Gymnasien, der durch Ihre verkorkste G8-Reform entstanden ist, nicht ausgeliefert sein wollen?
Meine Damen und Herren, das Regierungslager hat alle Akteure und Tausende von Betroffenen maßlos enttäuscht und getäuscht.