Protocol of the Session on December 10, 2008

Den entscheidenden Grund dafür, sich bei der Beibehaltung des Wahlalters weiterhin an dem Alter für die Volljährigkeit zu orientieren, die die Vollendung des 18. Lebensjahres voraussetzt, sehe ich aber in dem erheblichen Wertungswiderspruch hinsichtlich der abweichenden Einschätzung der Reife der Jugendlichen. Eine plausible Erklärung dafür, dass ein Jugendlicher zwar über die politischen Gestaltungsfragen des Landes mitentscheiden können soll, gleichzeitig aber einen großen Teil seiner eigenen Belange nur mit Zustimmung seiner Eltern regeln darf, sind die Grünen in den Fachausschüssen schuldig geblieben.

In den ausführlichen Beratungen in den Fachausschüssen wurden weitere Gründe genannt, warum dieser Gesetzentwurf abzulehnen ist. So würde eine Absenkung des Wahlalters den Abstand zwischen aktivem und passivem Wahlrecht vergrößern. Das heißt, ein Jugendlicher dürfte zwar selber wählen, aber eine aktive politische Mitarbeit wäre ihm verwehrt. Dies könnte die Frustration noch erhöhen und genau das Gegenteil von dem bewirken, was eigentlich beabsichtigt ist, nämlich das Interesse an der Politik zu erhöhen.

Dem Argument, dass bei einer Absenkung des Wahlalters mehr für Jugendliche getan würde, ist in den parlamentarischen Beratungen entgegengehalten worden, dass bei den Kommunalwahlen bereits seit 1995 ab 16 Jahren gewählt werden kann. Dies hatte aber nicht die erkennbare Folge, dass allein dadurch wesentlich mehr für Jugendliche getan worden ist.

Unter den vorliegenden schriftlichen Stellungnahmen ragen zwei Stellungnahmen - die von Landeswahlleiter Karl-Ludwig Strehlen und die von Professor Dr. Christian Pfeiffer - besonders heraus, weil sie aus einer ganzheitlichen Sichtweise abgegeben wurden und den Gesetzentwurf umfassend durchleuchten und nicht nur wie bei den übrigen Stellungnahmen besondere Segmente aufgreifen.

Professor Dr. Pfeiffer, den ich sehr schätze,

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Kaum ist jemand verschwunden, schon wird er geschätzt!)

kommt nach umfangreichen Ausführungen zu dem eindeutigen Ergebnis:

„Mein Eindruck ist hier allerdings der, dass die Eltern und vor allem die Schulen noch mehr dazu beitragen könnten, bei den 16/17-Jährigen das

Interesse an der Ausübung des Wahlrechts zu wecken. Bei den 14/15Jährigen wäre es dagegen aus meiner Sicht eindeutig zu früh, ihnen mit der Einräumung des Wahlrechts zu signalisieren, dass man sie für alt genug hält, an Abstimmungen und Wahlen zum politischen Geschehen in ihrem Bundesland mitzuwirken.“

Landeswahlleiter Strehlen schreibt:

„In Anbetracht der normativen Vorgaben zu Volljährigkeit, Geschäfts- und Deliktsfähigkeit und zur vollen Strafmündigkeit, die alle die Vollendung des 18. Lebensjahres voraussetzen, besteht bei einer drastischen Herabsetzung des Wahlalters die Gefahr erheblicher Wertungswidersprüche hinsichtlich der abweichenden Einschätzung der Reife von Jugendlichen. Eine plausible Erklärung dafür, dass ein Jugendlicher zwar über die politischen Gestaltungsfragen des Landes mitentscheiden können soll, gleichzeitig aber einen großen Teil seiner eigenen Belange nur unter Zustimmung seiner Eltern regeln darf, drängt sich jedenfalls nicht auf.“

Die Partei Bündnis 90/Die Grünen fordert bundesweit, z. B. im Bundeswahlprogramm 2005, die Einführung der Wahlberechtigung ab einem Alter von 16 Jahren für alle Wahlen, auch dort ohne durchgreifende Begründung. Soweit die Absenkung auf 14 Jahre mit diesem Gesetzentwurf für Niedersachsen nur eine öffentlichkeitswirksame Forderung gewesen sein sollte, ist sie allerdings der notwendigen Vertiefung der für uns alle sehr ernsten Thematik der zurückgehenden Wahlbeteiligung nicht im Ansatz gerecht geworden.

In der Begründung zum Gesetzentwurf wird darauf hingewiesen, dass Untersuchungen belegten, dass im Alter von 10 bis 14 Jahren ein intellektueller Entwicklungsschub zu verzeichnen sei. Diese Untersuchung hätte ich hier und heute gerne einmal gesehen. Aus eigener Erfahrung kann ich nur sagen und feststellen, dass ich diesen Schub bei meinen Kindern zu diesem Zeitpunkt nicht wahrgenommen habe.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herr Meyer von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich zu eine Kurzintervention gemeldet. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Coenen, bei Ihrer ganzen Argumentation, dass nur Erwachsene wählen dürfen usw., frage ich mich, wie Sie zu dem Kommunalwahlrecht ab 16 Jahren stehen. Das ist einmal von Rot-Grün mit einfacher Mehrheit eingeführt worden. Mit Ihrer Argumentation und Logik müssten Sie dieses Wahlrecht eigentlich ändern.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Sie haben gegen unseren Gesetzentwurf ganz abstrus gestritten. Da wundert mich, dass Ihre Schwesterpartei in Österreich, die ÖVP, in einer Großen Koalition das Wahlalter zuletzt auf 16 Jahre gesenkt hat. Da gehen andere Länder also voran. Dort gibt es die gleiche Diskussion.

Da finde ich es schon absurd, dass Sie so eine Debatte, die auch bei konservativen Parteien geführt wird, lächerlich machen und die Entwicklung Ihrer eigenen Kinder anführen. Da hätte ich mir schon eine etwas sachlichere Debatte gewünscht. Ich kann nicht beurteilen, wie das mit Ihren Kindern ist. Ich kann nur feststellen: Einige andere Länder sind da weiter. Ihre ganzen Argumente widersprechen auch den Erfahrungen, die wir bei den Kommunalwahlen gemacht haben. Dieses niedrigere Wahlalter führt dazu, dass Jugendliche ernster genommen werden. Für diese guten Erfahrungen spricht halt auch, dass Sie das Wahlalter von 16 Jahren bei Kommunalwahlen in den sechs Jahren Ihrer Regierungszeit nicht wieder abgeschafft haben,

(Zuruf von der CDU: Gute Idee!)

und das ist auch gut so.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich erteile Frau Zimmermann von der Fraktion DIE LINKE das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte das Thema aus einer anderen Sichtweise betrachten. Politik interessiert sich heute zu wenig für junge Menschen. Junge Menschen wollen un

sere Gesellschaft mitgestalten. Das Interesse an gesellschaftlicher Teilhabe wächst mit den Möglichkeiten, an Entscheidungen mitzuwirken.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Politik muss sich stärker mit den Themen von Kindern und Jugendlichen beschäftigen. Wer mehr Demokratie für Kinder und Jugendliche will, darf nicht nur von einer Senkung des Wahlalters sprechen. Demokratie fängt da an, wo sie gelernt wird. Wer also mehr Demokratie will, muss die Möglichkeiten dazu schaffen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das bedeutet einen Ausbau der Mitbestimmungsrechte von Schülervertretungen, das bedeutet die Förderung von Jugendverbandsarbeit, das bedeutet den Ausbau der kommunalen Beteiligung für Kinder und Jugendliche. Die Abschaffung des Landesjugendamtes war insofern ganz sicher nicht hilfreich.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich habe mir die Mühe gemacht, zu diesem Thema Kinder und Jugendliche aus mehreren Jugendverbänden zu befragen. Ich wollte wissen, wo sie sich wünschen, mehr beteiligt zu werden und wo sie mehr Mitbestimmung haben wollen. Das Ergebnis war Folgendes:

Erstens. Sie wollen mehr Mitspracherechte für Schülerinnen und Schüler, damit Kinder und Jugendliche lernen, dass ihre Interessen ernst genommen werden und ihre eigene Beteiligung nicht ins Leere läuft.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Zweitens. Sie wollen mehr Geld für Jugendverbandsarbeit und endlich auch Geld für Kinderverbandsarbeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Drittens. In der Kommune, im Stadtteil, müssen hauptamtliche Ansprechpartner da sein und Kinderanwälte für die Belange von Kindern mit entsprechender Infrastruktur eingereichtet werden. Dort können Kinder dann ihre Ideen austauschen und gemeinsame Forderungen formulieren. Diese Stellen können bei den Trägern der Jugendhilfe angesiedelt werden.

Viertens. Sie möchten Jugendparlamente, und zwar solche, die mit Rechten ausgestattet sind, die eine tatsächliche Mitsprache möglich machen. So

könnten Jugendparlamente eingerichtet werden, die befugt sind, Anträge in Rat und Landtag einzubringen. Sie wollen mehr paritätische Mitbestimmung an Schulen zwischen Schülern, Eltern und Lehrern.

Meine Damen und Herren, diese Befragung hat mir ganz deutlich gezeigt, dass eine Absenkung des Wahlalters sehr wohl Sinn macht und dass Kinder und Jugendliche in diesem Alter sehr wohl mit entscheiden können. Unsere Fraktion stimmt diesem Gesetzentwurf zu.

Herr Coenen, ich weiß nicht, wie das mit Ihren Kindern gelaufen ist. Ich will das auch nicht beurteilen. Ich kann das aber für meine drei Kinder und die von meinem Lebensgefährten, der auch drei Kinder hat, beurteilen. Bei uns im Haushalt sind sechs Kinder aufgewachsen, und allen hätte ich es zugetraut, schon in diesem Alter zu wählen.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Von der SPD-Fraktion hat sich Herr Tonne zu Wort gemeldet. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben eine lange und ausführliche Beratung hinter uns. Ich kürze meine Rede daher ab. Ich bitte, dies nicht als Geringschätzung des Gesetzentwurfes anzusehen. Aber ich glaube, das meiste wurde schon gesagt.

Auch nach der Anhörung bleibt es dabei, dass ich die Begründung des Gesetzentwurfs für rechtlich nicht schlüssig halte. Ich kann nicht erkennen, weswegen das Wahlalter ausgerechnet bei 14 Jahren liegen soll und wo die Abwägung stattfindet. Warum soll es nicht bei 13 oder 15 Jahren liegen? Es ist einfach nicht gelungen, deutlich zu machen, warum die korrekte Grenze ausgerechnet bei 14 Jahren zu ziehen ist.

Darüber hinaus finde ich das Ganze auch nicht zielführend. Wenn man sich die Kommentare, die nach der ersten Beratung abgegeben worden sind, durchliest, stellt man fest, dass es ausgerechnet die betroffenen Jugendlichen waren, die immer wieder zu Protokoll gegeben haben, dass sie diese Senkung des Wahlalters eigentlich gar nicht wollen. Die Ergebnisse der Jugendstudien haben in der Tat ergeben, dass sich Jugendliche Mitspra

chemöglichkeiten wünschen. Ich kann bis jetzt aber nicht erkennen, dass dies durch die Möglichkeit, ab 14 Jahren zu wählen, realisiert werden kann.

In diesem Zusammenhang möchte ich folgende Bemerkung machen. Es wird immer wieder behauptet, man würde sich nur um diejenigen kümmern, die auch das Wahlrecht besitzen. Das weise ich, zumindest für meine Fraktion, zurück. Für uns gilt das nicht. Wir machen Politik für alle Bevölkerungsgruppen, und zwar unabhängig davon, ob sie ein Wahlrecht haben.

(Zustimmung bei der SPD)

Zur Begründung der Senkung des Wahlalters auf 14 Jahre wird immer wieder auf den intellektuellen Entwicklungsschub in diesem Alter hingewiesen. In der Anhörung wurde allerdings deutlich: Ob er tatsächlich in diesem Alter eintritt oder nicht, ist im Wesentlichen eine Glaubensfrage.

Meine letzte Bemerkung. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob Ihre Ziele mit den Zielen Ihrer eigenen Jugendorganisation in Einklang stehen. Bei der einen oder anderen Podiumsdiskussion wurde nämlich immer wieder der Hinweis gemacht: Das Wahlalter ab 14 Jahren ist nur ein Zwischenschritt. Eigentlich möchten wir ein Wahlalter ab 0 Jahren. - Meine Damen und Herren, wie diese Forderung mit der Aussage, man nehme das Wahlrecht ernst, in Einklang zu bringen ist, erschließt sich mir nicht.