(Beifall bei der SPD und Zustimmung von Miriam Staudte [GRÜNE] - Rein- hold Hilbers [CDU]: Das wird durch ständige Wiederholung auch nicht richtiger!)
Mit diesem Schlafwagenstil werden Sie angesichts der heraufziehenden Krise die nächsten vier Jahre nicht durchkommen. Ich verspreche Ihnen, dass wir dafür sorgen werden. Wir werden Ihnen Beine machen, damit die Sozialpolitik in diesem Land nicht noch weiter den Bach hinuntergeht.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass es eine soziale Schieflage in Niedersachsen gibt, zeigt nicht zuletzt der hier vorgelegte Einzelplan 05. Es ist ernüchternd, dass dieser Einzelplan insgesamt nur 3,4 Milliarden Euro ausweist, was - Herr Böhlke, Sie sagten es - 13,5 % des Entwurfs des niedersächsischen Haushalts entspricht.
Hier geht es - das muss man sich immer wieder vor Augen führen - um die Politikfelder Soziales, Familie, Gesundheit, Frauen, Wohnungsförderung, Kinder und Jugendliche. Bei dieser Aufzählung habe ich sicherlich das eine oder andere noch vergessen. Jedenfalls ist dies ein sehr kostenintensiver und bedeutender Etat.
Hier fragt sich doch jeder aufgeklärte Mensch - ich betone: jeder aufgeklärte Mensch -, wie dies sein kann angesichts der bestehenden riesigen Schere zwischen Arm und Reich und vor dem Hintergrund der riesigen Armut gerade auch bei Kindern hier im Lande sowie der Tatsache, dass Kinder an sich ein Armutsrisiko darstellen. 13,5 % des Haushalts sind hierfür zu wenig, sagt jedenfalls der aufgeklärte Bürger. Welche Bedeutung diese Debatte hier in diesem Hause hat, spiegelt sich in der Besetzung des Plenums gerade bei der CDU und der FDP zum jetzigen Zeitpunkt wider.
Bei näherem Hinsehen merkt der aufgeklärte Bürger, dass von den 3,4 Milliarden Euro 98 % gesetzliche Leistungen und nur 2 % sogenannte freiwillige Leistungen sind. In Zahlen sieht es so aus: Die freiwilligen Leistungen beschränken sich auf 72,3 Millionen Euro, eine Summe, die gemessen am Gesamtvolumen nahezu verschwindend gering ist. Damit verteilt das Land freiwillige soziale Wohltaten im Sinne von Frau Ross-Luttmann. Des Weiteren weise ich darauf hin, dass ein erheblicher Teil dieses Haushaltsplanentwurfs aus durchlaufenden Bundesmitteln besteht, womit das Gesamtvolumen aus unserer Sicht künstlich aufgebläht wird.
Aber die Krone dieses Zahlenspiels wird dem Einzelplan 05 mit der globalen Minderausgabe aufgesetzt, die 29 Millionen Euro beträgt. Seien Sie sicher, dass genau diese 29 Millionen Euro im Zweifelsfalle eingespart werden, da sie bei den freiwilligen Leistungen angesiedelt sind. Die Wahrscheinlichkeit, dass genau dies passieren wird, ist in der derzeitigen Krise des Kapitalismus enorm gestiegen. Hier bin ich so sicher, dass ich sehr viel darauf wetten würde. Wo sonst als bei diesen freiwilligen Leistungen werden Sie einsparen?
Am gestrigen Tag konnten wir uns davon überzeugen, dass die Regierungsparteien und die Landesregierung an dem Ziel der sogenannten Schuldenfreiheit festhalten wollen, und zwar zulasten derer, die nicht zu den von Herrn McAllister und Herrn Rösler, die jetzt bezeichnenderweise abwesend sind, als Leistungsträger der Gesellschaft hervorgehobenen Menschen gehören, also zulasten von mehr als 1 Million armen Bürgern in unserem Bundesland, zulasten von Zigtausenden Kindern, die von Ihnen vielleicht eine warme Mahlzeit am Tag bekommen sollen, nicht aber die ihnen zustehenden Lernmittel und die Kleidung, die man braucht, um eine Schule besuchen zu können.
Das ist die unsoziale Politik, die wir ablehnen. Aber sie ist von Ihnen gewollt. Sie spalten die Gesellschaft immer weiter. Aber dies werden auch wir Ihnen nicht durchgehen lassen.
Die Linke im Niedersächsischen Landtag hat insgesamt 170 Anträge zu diesem Haushalt gestellt, die solide gegenfinanziert sind,
davon allein 32 im Einzelplan 05, die ich im Folgenden zusammenfassend darstellen werde. Weil hier immer das Märchen verbreitet wird, unsere Anträge seien nicht gegenfinanziert, empfehle ich Ihnen, einmal einen Blick in die Publikation zu werfen, die gerade herausgekommen ist.
Diese Publikation ist gerade herausgekommen. Schauen Sie hinein. Das gilt auch für alle, die es interessiert. Da können Sie schlau werden.
Wir haben Anträge gestellt, die die Lebenssituation der hier im Lande lebenden Menschen verbessern sollen. Es geht vor allem darum, die Teilhabe aller Menschen am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Dazu kann auch das Land Niedersachsen einen erheblichen Teil beitragen.
Ich widme meine verbleibende Redezeit den folgenden drei Bereichen, nämlich erstens unseren Änderungsanträgen zum Einzelplan 05, die als zusätzliche Projekte in den bestehenden Haushaltsplan eingestellt werden, zweitens unseren Änderungsanträgen, die notwendige - ich nenne es einmal so - Mindestverbesserungen bestehender Haushaltsposten darstellen, und drittens - last, but not least - den desolaten Folgen des SGB II und deren Konsequenzen für die Kommunen.
Zum ersten Bereich: Die Nichtteilhabe an der Gesellschaft ist eine bestechend klare soziologische Definition von Armut. Es erscheint wichtig, Armut aus diesem Winkel zu betrachten, d. h. mit sozialpolitischen Maßnahmen integrativ zu wirken. Die Mobilität sozial Benachteiligter ist ein wichtiges Item in der Frage gesellschaftlicher Integration. In Anlehnung an das Modell des Landes Brandenburg wollen auch wir in Niedersachsen flächendeckende Sozialtickets im ÖPNV einführen. Gerade für die Bezieher von SGB-II-Leistungen - besser bekannt unter Hartz IV - und für Bürgerinnen und Bürger mit vergleichbaren Einkommen sollen hiermit die Kosten für die jeweiligen Monatstickets deutlich reduziert werden.
Mit dem Vorschlag, Landesmittel zu etatisieren, sollen kommunale Initiativen für die Einführung solcher Soziatickets gefördert werden, sodass im Laufe des Jahres 2009 alle Landkreise und Städte entsprechende Konzepte entwickeln und auch
umsetzen können. Für das Jahr 2009 sind Ausgaben in diesem Bereich von ca. 52 Millionen Euro zu veranschlagen. Für 2010 und die folgenden Jahre ist eine Verpflichtungsermächtigung von jeweils 104 Millionen Euro festzulegen.
Unter ähnlicher Prämisse wie beim Sozialticket wollen wir zudem ein 5-Euro-Wochenendticket für Rentnerinnen und Rentner einführen.
Ihnen dürfte die Altersarmut bekannt sein, die auch jetzt gerade unter Frauen besteht; denn es gibt sehr viele, die sich auch eine reguläre Fahrkarte der Deutschen Bahn AG kaum leisten können. Wir wollen das gängige Angebot des Wochenendtickets der Deutschen Bahn, also die 35 Euro für bundesweite Fahrten in Regionalzügen, für die genannte Gruppe auf 5 Euro reduzieren und somit subventionieren.
Für 2009 wäre hierfür eine Summe von 26,5 Millionen Euro in den Haushalt einzustellen. Die Verpflichtungsermächtigung für die Folgejahre liegt in entsprechender Höhe bei 105,5 Millionen Euro. Aber machen Sie sich keine Sorgen. Die besser dastehenden Rentnerinnen und Rentner, also eher Ihre Wählerklientel, werden sicherlich nicht dazu beitragen, den Haushalt zu belasten; denn die werden weniger auf ihren Pkw verzichten und in die Regionalbahn steigen wollen.
Aber der größte Posten unserer Änderungsanträge sind die zusätzlichen Krankenhausinvestitionen. Hier sehen wir zwei sehr wichtige Anlässe, nämlich erstens den immensen Investitionsstau von ca. 1 Milliarde Euro und zweitens die Suche nach einem adäquaten Mittel zur dringend gebotenen Konjunkturbelebung. Wir wollen - einmalig wohlgemerkt - 100 Millionen Euro zusätzlich in den Haushalt 2009 eingestellt wissen. Um eine schnelle Wirksamkeit zu erzielen, soll hierfür eine Kofinanzierung durch die Kommunen in Höhe von 10 % festgelegt werden.
Um Investitionen geht es auch bei den Frauenhäusern. Ich weiß nicht, ob Sie sich im Einzelnen über den zum Teil unhaltbaren Zustand dieser Einrichtungen im Klaren sind. Ich könnte Ihnen - dazu fehlt mir leider die Zeit - aus Göttingen das eine oder andere erzählen. Wir wollen daher eine Summe von 500 000 Euro in den Haushalt 2009 einstellen, die als Zuschüsse für Investitionen und Baumaßnahmen von den Einrichtungen beantragt werden können.
Als weitere zusätzliche Maßnahme - auch das ist für uns ein zentraler Punkt - wollen wir ein Modellprojekt für die flächendeckende Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum. Der Hausärztenotstand klopft schon an die Tür und wird, wenn wir nicht jetzt gegensteuern, für das Flächenland Niedersachsen im Bereich der gesundheitlichen Versorgung verheerende Folgen haben.
Wir wollen daher mit einer Summe von 10 Millionen Euro in einem Modellprojekt ein Programm auf den Weg bringen, das einerseits zinsgünstige Kredite als Anreize für die Niederlassung junger Ärztinnen und Ärzte in ländlichen Regionen vorsieht und andererseits ein Programm zur Einstellung von Gemeindeschwestern beinhaltet.
Ein besonderes Anliegen ist uns außerdem die materielle Unterfütterung der von Ihnen ins Spiel gebrachten bzw. durchgesetzten Ehrenamtskarte. Wir haben hierzu per Änderungsantrag erstmalig einen praktikablen Vorschlag auf den Tisch gelegt. Wir wollen 500 000 Euro im Haushalt 2009 etatisieren, um einen Ausgleich für die von Kommunen erbrachten Leistungen im Zusammenhang mit dieser Karte bereitzustellen, damit die Ehrenamtskarte überhaupt einmal Wirkung erzielt. Das haben Sie bisher doch überhaupt nicht erreicht.
Zum zweiten Teil, nämlich zu den Haushaltsänderungsanträgen zur notwendigen Aufstockung bestehender Haushaltsposten: Ich kann an dieser Stelle nur einige Beispiele nennen. Vorab aber eine notwendige Bemerkung: Die Beibehaltung der gleichen Fördersumme über den Zeitraum von mehreren Jahren für Sozialprojekte ist eine faktische Reduzierung. Ich verweise an dieser Stelle lediglich auf gestiegene Energie- und Verbrauchskosten sowie insbesondere auf die tariflichen Entwicklungen, die wir zu beobachten haben. Unter dieser Prämisse haben wir jeweils ca. zehnprozentige Aufstockungen der Zuschüsse für Frauen- und Mädchenprojekte als Änderungsanträge eingebracht. Gleiches gilt für Zuschüsse an Selbsthilfegruppen für Homosexuelle, für die Beratungsstellen für Sinti und Roma und für Maßnahmen der Suchtberatung etc. pp.
In der Förderung der niedersächsischen Aidshilfe hatte die Landesregierung zwar bereits selbst eine Aufstockung der Mittel um 30 000 Euro im Haus
halt 2009 verbucht, jedoch sind diese projektgebunden. Wir haben stattdessen auch hier hinsichtlich der allgemeinen Kostensteigerung weitere 137 000 Euro beantragt. Mittelfristig werden auch Sie nicht vermeiden können, diese Landesmittel weitaus deutlicher aufzustocken. Dies zeigen einerseits die Zahlen des Robert-Koch-Instituts, nach denen die Zahl der HIV-Infizierten deutlich nach oben korrigiert werden musste. Das liegt andererseits in dem äußerst erfreulichen Faktum begründet, dass Aidserkrankte durch die verbesserte Medikation und Betreuung mittlerweile länger leben. Das sollte auch Ihr Ziel sein, meine ich.
In einzelnen Bereichen der freiwilligen Maßnahmen im Einzelplan 05 haben wir mit Änderungsanträgen sehr deutliche Erhöhungen angeregt. Dies gilt beispielsweise auch für Schuldnerberatungsstellen. Die bisherigen Landeszuschüsse betragen 576 000 Euro. Diese wollen wir um 200 000 Euro aufstocken, um insbesondere die regionalen Unterversorgungen auszugleichen. Als Beispiel möchte ich hier nur den Landkreis LüchowDannenberg nennen. Das ist die Region mit der höchsten Pro-Kopf-Verschuldung in Niedersachsen.
Auch die Zuschüsse an Selbsthilfegruppen und Träger von Initiativen zur Aktivierung der Hilfen an sozialen Brennpunkten wollen wir um 211 000 Euro auf 500 000 Euro aufgestockt wissen. Bestehende Projekte sollen hiermit ausgeweitet und damit auch das Programm Soziale Stadt von der Landesseite her ergänzt werden. Auch das ist eine wichtige Maßnahme, wie ich meine.
Nun zum dritten Punkt, zu den Folgen des SGB II und auch den Konsequenzen Ihrer Politik für die Kommunen: Ihr Haushaltsplanentwurf hat nämlich einen weiteren Beigeschmack; denn er hat eben direkte Auswirkungen auf die niedersächsischen Kommunen - negative selbstverständlich. Diese lassen Sie nämlich zum einen in ihrer Sorge um den Fortbestand von notwendigen Beratungseinrichtungen allein. Diese notwendigen Beratungseinrichtungen, die wir zum Teil auch fördern, haben immer mehr die Aufgabe, die von Ihrer Politik mit verursachte unsoziale Politik aufzufangen. Zum anderen haben Sie keine Konzepte für weiterreichende und zukunftsweisende Projekte wie etwa die Sicherung der ärztlichen Versorgung vor allem in der Fläche. Deshalb haben wir den entsprechenden Antrag gestellt.
Ihre Reaktion auf die von mir beschriebene soziale Schieflage besteht in einer Form von Almosen, die diesen Namen noch nicht einmal verdient hat. Aktuelles Beispiel ist der neue Sonderfonds „DabeiSein!“ - Herr Schwarz hat vor mir schon darauf hingewiesen -, der jährlich mit 250 000 Euro gespeist und über die Landesstiftung Familie in Not verteilt werden soll. Die Pressemitteilung von Frau Ross-Luttmann ist Ihnen allen bekannt. Wenn Sie hier die Liste sehen, was alles gefördert werden soll, nämlich Jugend- und Familienfreizeiten, Erholungsmaßnahmen, Kursgebühren für Musik- und Kunstschulen, Kurse an Volkshochschulen, Mitgliedsbeiträge für Sport- und Musikvereine, Nachhilfeunterricht, Klassenfahrten usw. usf. - - -
- Das alles zu fördern, ist richtig. Aber wie weit kommen Sie denn mit 250 000 Euro? - Diese Initiative und Maßnahme zeigen doch auch den Zynismus, mit dem sich die Landesregierung dem Thema Armut nähern möchte.