Protocol of the Session on February 27, 2008

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei der LINKEN)

Sie haben in den letzten Wochen noch einmal deutlich gemacht, dass es in Deutschland möglich

ist, eine sogenannte bürgerliche Mehrheit hinzukriegen. Nun will ich nicht den Gedanken aufnehmen, dass diese bürgerliche Mehrheit in Niedersachsen gerade einmal 28,5 % der Wahlbevölkerung hinter sich hat. So eine große Mehrheit ist das nicht.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Haben Sie das auch auf Ihre Sitze umgerech- net?)

- Ja. Wir haben noch weniger.

(Lachen bei der CDU und bei der FDP - Jörg Bode [FDP]: Gibt Ihnen das nicht zu denken?)

Mich interessiert in diesem Zusammenhang ein anderer Gedanke, nämlich was mit diesem Begriff der bürgerlichen Mehrheit gleichzeitig unternommen wird. An den hektischen Flecken, die Herr McAllister immer bekommt, wenn er von diesem Thema redet,

(Lachen bei der CDU)

wird deutlich, dass es hier nicht nur darum geht, etwas für sich zu reklamieren, sondern auch darum, auszugrenzen. Mich würde schon einmal interessieren, was es denn bedeutet, wenn beide Fraktionsvorsitzende erklären - auch Herr Rösler hat das in den letzten Tagen getan -, die bürgerlichen Parteien hätten in diesem Hause eine Mehrheit. Was sind denn jetzt die SPD, die Grünen und die Linken für Parteien? Was sind diese 71 Abgeordneten denn für Persönlichkeiten?

(Karl-Heinrich Langspecht [CDU]: Ganz klar nicht bürgerliche!)

Ich habe heute Morgen von Herrn Hirche gehört, hier würden alle fair behandelt, und es würde mit allen korrekt umgegangen. Sind diese 71 Abgeordneten Einwohner des Landes oder Nichtbürger des Landes? Sollen sie Schmuddelkinder des Landes sein? - Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen eines: Wir lassen diese Art von Ausgrenzung hier nicht zu.

(Starker Beifall bei der SPD und Bei- fall bei den GRÜNEN - Reinhold Hil- bers [CDU]: Sie haben sich doch den demokratischen Sozialismus ins Pro- gramm geschrieben!)

Meine Partei kämpft seit über 140 Jahren für die Ziele der Bürgergesellschaft: für Demokratie, für Freiheit, gegen Rassismus. Sie, meine Damen und Herren, werden doch gerne bestätigen, dass der

Kampf für Demokratie und der Kampf für Freiheit die Kernbereiche bürgerlicher Gesellschaft sind. Da werden Sie mir doch noch folgen können. - Frau Klopp nickt.

Dann frage ich Sie einmal: Wo waren denn diese „bürgerlichen“ Parteien, als es ernst wurde im Kampf um Demokratie, als die Demokratie gefährdet war oder überhaupt erst geboren werden sollte? Wo waren die „bürgerlichen“ Parteien 1918, nach dem Ersten Weltkrieg? - Nichts war da.

(Lebhafter Widerspruch bei der CDU und bei der FDP - Jörg Bode [FDP]: Und wo ist die SPD in Hessen heute, Herr Jüttner?)

- Geschichte ist Ihnen fremd, meine Damen und Herren. Das weiß ich.

(Björn Thümler [CDU]: Ahnungslos!)

Wo waren denn die „bürgerlichen“ Parteien, als die Demokratie 1933 hochgradig gefährdet war? Das frage ich Sie.

(Heiner Bartling [SPD]: Sie haben dem Ermächtigungsgesetz zuge- stimmt! - Ingrid Klopp [CDU]: Das ist unglaublich!)

Wir haben in wenigen Tagen den 75. Jahrestag des Ermächtigungsgesetzes. Da hat kein „bürgerlicher“ Politiker sich erhoben und Widerstand geleistet. Es war ein Sozialdemokrat.

(Starker Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Ulf Thiele [CDU]: Was sind Sie für ein geschichtsvergessener Mensch!)

- Wir reden gerade über Geschichte.

(Björn Thümler [CDU]: Das ist Ge- schichtsklitterung!)

Es war ein Sozialdemokrat, Otto Wels, der dort geredet und gesagt hat:

„Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht.“

Es war der rundblick, der vor zwei oder drei Wochen dankenswerterweise deutlich gemacht hat, was für ein gefährliches Spiel Sie mit dieser Argumentation treiben, indem er darauf hingewiesen hat, dass es die „bürgerlichen“ Parteien waren, die sich als Steigbügelhalter des Faschismus betätigt haben.

(Starker Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Leb- hafter Widerspruch bei der CDU)

Ich rate Ihnen deshalb dringlich, diese Art der - - -

(Anhaltender Widerspruch bei der CDU)

Herr Jüttner, wir müssen einen Augenblick warten, bis sich die Kolleginnen und Kollegen von der CDU wieder etwas beruhigen, damit auch ich - und ich bin nicht weit weg von Ihnen - Sie verstehen kann. Momentan kann ich es nämlich nicht.

(Jens Nacke [CDU]: Kein Mensch kann das verstehen! - Heinz Rolfes [CDU]: Unglaublich, was er sich da geleistet hat!)

Also müssen wir vielleicht wieder etwas zur Ruhe kommen. - Danke schön.

Deshalb rate ich Ihnen, meine Damen und Herren: Lassen Sie diese Ausgrenzungsdebatte! Sie kriegen es mit gleicher Münze heimgezahlt. Das hilft uns allen miteinander nicht.

Ich unterstelle, dass die, die hier heute politisch arbeiten, Teil dieser Bürgergesellschaft sind und sich um die besten politischen Antworten für dieses Land bemühen. Hören Sie auf, andere ausgrenzen zu wollen! Das lassen unsere Geschichte und unser Selbstbewusstsein nicht zu.

(Starker Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Das, was Sie mit der Koalitionsvereinbarung und mit der Regierungserklärung vorgelegt haben, meine Damen und Herren, ist planlos und kraftlos. Der einzige, der sich freuen kann, ist der Finanzminister. Er ist durch nichts festgelegt; denn Konkretisierungen mit Finanzierungsfolgen sind in dieser Koalitionsvereinbarung so gut wie nicht vorhanden. Das ist die Realität. Deshalb werden Sie den Ansprüchen einer Koalitionsvereinbarung nicht gerecht. Sie haben es im Wahlkampf mit Einlullen und mit der Neutralisierung von Themen - dort hin und wieder erfolgreich - versucht. Diese Taktik geht nicht auf. Wir werden Ihnen das nicht durchgehen lassen. Die gesellschaftlichen Gruppen werden nicht länger akzeptieren, dass sie an der Nase herumgeführt werden,

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Erst einmal haben sie uns gewählt!)

und auch die interessierte Öffentlichkeit wird das nicht mit sich machen lassen.

Wir legen in den nächsten Monaten Antworten auf den Tisch, welche Chancen bestehen und was für Niedersachsen sinnvoll ist, was notwendig ist, damit Niedersachsen Innovationsland wird, damit der soziale Zusammenhalt in dieser Gesellschaft auf Dauer trägt.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Hätten Sie das mal vor der Wahl gemacht!)

Damit werden Sie sich befassen müssen. Was Sie auf den Tisch gelegt haben, wird Ihnen noch zu schaffen machen. Da können Sie sicher sein. Sie werden in schwieriges Fahrwasser geraten, weil das, was Sie als Koalitionsvereinbarung hingelegt haben, nicht überzeugend ist, weil damit versucht wird, Mehltau über Niedersachsen zu streuen. Wir werden das unterlaufen und deutlich machen, dass dieses Land andere, dass es bessere Antworten verdient hat, als Sie sie auf den Tisch gelegt haben.

Herzlichen Dank.

(Starker, nicht enden wollender Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Ernst-August Hop- penbrock [CDU]: So sehen Sieger aus! - Karl-Heinz Klare [CDU]: Visio- nen für 2008 und 2009! - Weitere Zu- rufe)

Ich würde die Debatte gerne fortsetzen, aber mir ist es noch zu unruhig.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Es wird noch besser!)

- Herr Kollege Klare, hoffentlich wird es mit der Ruhe und nicht mit der Unruhe besser.

Nächster Redner ist der Kollege McAllister von der CDU-Fraktion. Sie haben das Wort.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Ursula Helmhold [GRÜNE]: Aufmun- ternder Beifall?)

Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir eine Anmerkung, Herr Jüttner, gleich zu Beginn meiner Aus

führungen. Ihre Andeutungen am Ende Ihrer Rede, Ihre Andeutungen, insbesondere was das Jahr 1933 angeht, gegen Liberale und Christdemokraten in diesem Haus sind beleidigend und historisch verfälschend. Ich weise sie in voller Schärfe zurück.