Protocol of the Session on November 9, 2012

(Jens Nacke [CDU]: Bingo!)

Ich rufe jetzt besser Tagesordnungspunkt 53 auf:

Abschließende Beratung: Bewegungsfreiheit für Flüchtlinge - Aufhebung der „Residenzpflicht“ ist überfällig! - Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drs. 16/2514 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres und Sport - Drs. 16/5309 - Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 16/5325

Der Ausschuss empfiehlt Ihnen, den Antrag abzulehnen. Der Änderungsantrag zielt auf die Annahme des Antrags in geänderter Fassung.

Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen.

Wir kommen zur Beratung. Für die Fraktion DIE LINKE hat sich Frau Kollegin Zimmermann zu Wort gemeldet. Bitte schön!

Danke schön. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion hat diesen Antrag vor über zwei Jahren mit dem Ziel eingereicht, die sogenannte Residenzpflicht, welche regelt, dass sich Flüchtlinge außerhalb der ihnen zugewiesenen Zone nur mit einer Erlaubnis und nur für eine bestimmte Zeit bewegen dürfen, vollständig aufgehoben wird, und das bundesweit.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Denn die Residenzpflicht schränkt soziale Rechte, die Religionsausübung und kulturelle Rechte, aber auch politische Rechte ein und treibt Menschen in die Isolation.

(Vizepräsident Hans-Werner Schwarz übernimmt den Vorsitz)

Mit unserem Antrag haben wir zumindest einen kleinen Teilerfolg errungen. Bislang durften Asylsuchende in Niedersachsen, deren Anerkennungsverfahren noch nicht abgeschlossen sind, den Bezirk ihrer Ausländerbehörde nicht oder nur mit Erlaubnis verlassen. Seit März 2012 dürfen sich nun auch in Niedersachsen entsprechend der Praxis der meisten Bundesländer nicht nur Geduldete, sondern auch Asylbewerberinnen und Asylbewerber ohne Erlaubnis innerhalb des Landes Niedersachsen aufhalten.

Das begrüßen wir, kritisieren aber zugleich, dass das Land die gesetzliche Möglichkeit, in Absprache mit benachbarten Bundesländern einen Aufenthalt auch länderübergreifend zu ermöglichen,

nicht nutzen will. Es bleibt dabei, dass wir die Residenzpflicht insgesamt abschaffen wollen. Deshalb werden wir dem Änderungsantrag der Grünen zustimmen, welcher diese Forderung aus unserem Ursprungsantrag enthält.

(Zustimmung von Filiz Polat [GRÜNE])

Meine Damen und Herren, ich will an dieser Stelle aber nicht vergessen, darauf hinzuweisen, dass Flüchtlinge nach wie vor im Zuge von Polizeikontrollen auf der Grundlage eines sogenannten Racial Profiling, d. h. aufgrund äußerlicher Merkmale wie Haut- und Haarfarbe, in Zügen und an Bahnhöfen massiv kriminalisiert und diskriminiert werden, was jetzt höchstrichterlich untersagt worden ist.

(Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Ich hoffe, dass diese Praxis jetzt auch in Niedersachsen geändert wird.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Rübke, Sie haben jetzt für die SPD-Fraktion das Wort. Bitte sehr!

Herr Präsident! Werte Kollegen, werte Kolleginnen! Der Antrag der Fraktion der Linken stammt vom Mai 2010. Er hat sicherlich dazu beigetragen, dass sich in diesen über zwei Jahren etwas zum Positiven gewandelt hat. So ist mit der Aufhebung räumlicher Beschränkungen für Asylbewerber und -bewerberinnen in diesem Jahr eine wichtige Forderung auch meiner Fraktion erfüllt worden, auch wenn die hinzugewonnene Freiheit zunächst nur für das Land Niedersachsen gelten soll.

Bedauerlicherweise gilt für geduldete Flüchtlinge weiterhin die eingeschränkte räumliche Bewegungsfreiheit. Das heißt, dass, wer in der Region Hannover lebt und gemeldet ist, sich dort nach wie vor aufhalten muss und eine Genehmigung benötigt, wenn er Freunde oder Verwandte z. B. in Oldenburg besuchen möchte.

Wir unterstützen daher den Antrag der Linken und auch den Änderungsantrag der Grünen und schließen uns der Forderung an, dass die Landesregierung endlich eine Vereinbarung mit dem Land Bremen abschließen und prüfen muss, ob weitere Nachbarbundesländer eine Vereinbarung zur Auf

hebung der Residenzpflicht unterschreiben würden.

(Beifall bei der LINKEN)

Die grundsätzliche Forderung, dass die Landesregierung sich auf Bundesebene für die Aufhebung der räumlichen Be- und Einschränkungen für Asylbewerber und -bewerberinnen sowie Geduldete einsetzen soll, unterstützen wir uneingeschränkt. Denn es kann nicht sein, dass wir von Flüchtlingen fordern, sich in unsere Gesellschaft einzubringen und Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen, während wir ihnen Freizügigkeit verweigern und so ihre Integration einschränken und behindern.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Wir kennzeichnen sie so als Ausgegrenzte und zwingen sie in eine soziale Isolation. Das muss sich ändern, und das kann sich nur ändern, wenn wir ihnen Bewegungsfreiheit geben. Darum bitte ich alle Kolleginnen und Kollegen in diesem Haus.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Für die CDU-Fraktion hat jetzt der Kollege Götz das Wort. Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit der jetzt geltenden Verordnung werden die Asylbewerber und Asylbewerberinnen mit geduldeten Personen gleichbehandelt. Sie haben die Möglichkeit, sich im jeweiligen Bundesland aufzuhalten.

Ebenfalls gibt es eine Regelung für Geduldete. Das sind ausreisepflichtige Personen, die aus verschiedenen Gründen nicht abgeschoben werden können. Zu den Geduldeten ist zu sagen, dass es sich hier um Personen handelt, die sich durch verschiedene Verhaltensweisen der Feststellung ihrer Identität und Staatsangehörigkeit entziehen. Für jedermann ist nachvollziehbar, dass einer solchen Personengruppe nicht auch noch das Recht zugestanden werden sollte, sich im gesamten Bundesgebiet zu bewegen.

(Zustimmung bei der CDU)

Asylbewerberinnen und Asylbewerber genießen einen besonderen Schutz. Es gehört aber auch etwas dazu, aus dem Bewerberstatus in den Asy

lantenstatus zu kommen. Zu diesem Verfahren gehört die ständige Erreichbarkeit. Es ist erforderlich, sich zumindest in der Nähe des gemeldeten Ortes aufzuhalten. Nur so kann ein ordnungsgemäßes Asylverfahren durchgeführt werden. Das ist der Grund, weshalb das Land Niedersachsen als Region für den Aufenthalt festgelegt ist.

Es ist bekannt, dass rund um die Stadtstaaten Hamburg und Bremen starke räumliche Bezüge bestehen. Mit Bremen ist man im Gespräch. Ich gehe davon aus, dass bald eine gemeinsame Regelung gefunden werden kann. Mir ist gesagt worden, dass die Freie und Hansestadt Hamburg kein Interesse an einer derartigen Regelung hat.

(Zuruf von der CDU: Hört, hört!)

Für Niedersachsen ist festzuhalten, dass wir seit dem 1. März 2012 die jetzt geltende Asylbewerberaufenthalts-Verordnung haben. Asylbewerberinnen und Asylbewerber, die nicht in einer Aufnahmeeinrichtung des Landes wohnen, können sich im gesamten Land bewegen. Geduldete Personen werden vergleichbar behandelt.

Mit den bis jetzt geltenden Regelungen sind wir einverstanden. Sie gewährleisten die Anwendung des Asylverfahrens und erlauben gleichzeitig höchstmögliche Bewegungsfreiheit. Weitere Neuerungen würden der Intention eines gerechten und nachvollziehbaren Verfahrens zuwiderlaufen. Wir haben in Niedersachsen eine vernünftige Regelung für die Geduldeten und die Asylsuchenden.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Patrick-Marc Humke [LINKE]: Gut vorgelesen!)

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Frau Polat das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kinder müssen vor Klassenfahrten um Erlaubnis bitten. Getrennt lebende Eltern müssen fragen, ob sie ihr Kind besuchen dürfen. Die Lebenswirklichkeit von Geduldeten ist dabei von Willkür und Schikanen geprägt.

Die Aussage des Bundesverfassungsgerichts vom Juli zu den Asylbewerberleistungssätzen hat auch an dieser Stelle ihre Gültigkeit: Die Menschenwürde von Flüchtlingen darf migrationspolitisch nicht

relativiert werden. Die Residenzpflicht gehört deshalb bundesweit abgeschafft.

(Zustimmung bei der SPD und bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, mit der Residenzpflicht gibt es in Deutschland ein bundesweites und in Europa einzigartiges System der Aufenthaltsbeschränkung, das tief in die Rechte der Betroffenen eingreift. Diese sind nicht nur verpflichtet, ihren Wohnsitz in dem ihnen zugewiesenen Gebiet zu nehmen; vielmehr dürfen sie den ihn zugewiesenen Aufenthaltsbereich auch nicht verlassen, es sei denn mit einer behördlichen Verlassenserlaubnis für eine kurze Zeit. Freunde und Verwandte können nicht besucht, kulturelle und sonstige Angebote in anderen Landkreisen und Städten nicht genutzt werden.

Lieber Herr Götz, nicht alle Geduldeten verschleiern ihre Identität. Wir haben den großen Kreis der syrischen Geduldeten. Es gibt extra einen Erlass, dass sie sich aufgrund der Situation in Syrien beispielsweise nicht um die Passbeschaffung kümmern müssen, weil sie von der syrischen Botschaft in Deutschland diskriminiert worden sind.

Verschärft wird die Situation dadurch, dass der Verstoß gegen die räumliche Beschränkung mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe geahndet werden kann. Von den Beschränkungen sind derzeit laut Ausländerzentralregister ca. 40 000 Asylsuchende und mehr als 87 000 Geduldete bundesweit betroffen, wobei viele der geduldeten Personen schon seit Jahren unverschuldet an der Ausreise gehindert sind.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch Berlin, Brandenburg, Rheinland-Pfalz, NRW, SchleswigHolstein, Sachsen-Anhalt und selbst Bayern nutzen in jüngster Zeit bestehende Spielräume, um die Bewegungsfreiheit von Asylsuchenden und Geduldeten auszuweiten. Doch sind dies nur erste kleine Schritte zu mehr Freizügigkeit; denn die schwarz-gelbe Koalition in Berlin will - genauso wie Sie hier in Niedersachsen - grundsätzlich an der Residenzpflicht festhalten.