Protocol of the Session on September 17, 2008

Jetzt noch etwas zum Jugendrecht: Ich habe schon mehrfach gehört, dass angeblich im Jugendgerichtsgesetz stehe, es sei sozusagen der Ausnahmefall, dass jugendliche Straftäter - also Heranwachsende zwischen 18 und 21 Jahren - nach Jugendrecht zu behandeln sind. Das steht da überhaupt nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dort ist weder von „Ausnahme“ noch von „Regel“ die Rede. Verbreiten Sie bitte nicht weiter diese Legende! Lesen Sie das im Jugendgerichtsgesetz nach. Es steht den Richtern frei, zu entscheiden, welches Recht sie anwenden - je nachdem, welches sie für am besten geeignet halten, um auf eine Straftat zu reagieren. So ist es.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Ich frage den Kollegen Bode, ob er auf die Kurzintervention eingehen möchte. - Das scheint der Fall zu sein. Ich erteile Ihnen das Wort.

(Heiner Bartling [SPD]: Jetzt muss er sich aber entschuldigen, dass er nichts gelesen hat!)

Herr Bartling, das muss ich nicht. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Briese hat vorhin in seinem Wortbeitrag - das kann er nachlesen - über den Vollzug des Justizvollzugsgesetzes gesprochen, der angeblich nicht funktioniert.

(Heiner Bartling [SPD]: Herr Briese hat über Ihren schriftlichen Antrag gespro- chen!)

In unserem Antrag geht es um Regelungen zum Opferschutz. Das sind zwei völlig unterschiedliche Dinge, die nichts miteinander zu tun haben.

(Zustimmung bei der FDP - Kreszentia Flauger [LINKE]: Nie um eine Ausrede verlegen!)

Ich finde es wichtig, dass wir uns dieser Thematik intensiver widmen und nicht so platt, wie Herr Adler das eben gemacht hat. Wir haben in den Fachausschüssen Anhörungen zu diesen Fragestellungen durchgeführt und uns mit den Ergebnissen auseinandergesetzt. Der jetzt vorliegende Antrag ist ein richtiger Schritt, um mehr Sensibilität zu schaffen.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU - Johanne Modder [SPD]: Die Fachwelt sagt etwas anderes!)

Vielen Dank. - Ich erteile jetzt Herrn Minister Schünemann das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Thema der Jugendkriminalität ist eine der größten Herausforderungen, vor denen wir stehen. Wenn wir es nicht schaffen, Jugendliche vor Straftaten zu bewahren, dann versündigen wir uns wirklich an ihnen. Ansonsten haben sie nämlich keine Zukunftsperspektive. Deshalb müssen wir uns um jeden Jugendlichen ganz individuell kümmern, damit dies nicht passiert. Denn wir brauchen wirklich jeden, um in unserer Gesellschaft Erfolg zu haben.

Deshalb ist es notwendig, meine Damen und Herren, alles daranzusetzen, um im Bereich der Prävention erfolgreich zu sein. Das haben wir in Niedersachsen hervorragend gemacht. Das gilt nicht nur für diese Regierung. In den Präventionsräten auf der kommunalen Ebene wird gerade im Bereich der Prävention gegen Jugendkriminalität sehr viel geleistet, weil dort Schule, Jugendamt, Polizei und auch Jugendrichter zusammensitzen und überlegen, wie wir dabei vorankommen können.

Aber wir können die Augen nicht davor verschließen: Auch wenn im Bereich der Jugendkriminalität nicht unbedingt mehr Straftaten begangen werden, so ist die Qualität dieser Straftaten doch erschreckend anders als noch in der Vergangenheit. Das ist richtig dargestellt worden. Es wird nämlich sehr viel mehr Gewalt angewandt.

(Zuruf von Ralf Briese [GRÜNE])

- Das können Sie nun wirklich nicht bestreiten.

(Ralf Briese [GRÜNE]: Doch!)

Das ist zum einen an den Zahlen der Polizeistatistik erkennbar. Wenn man sich zum anderen vor Ort umschaut, kann man das auch nachweisen. Wenn sich früher zwei Jugendliche auf dem Schulhof geprügelt haben - das konnte ja mal vorkommen -, gab es zumindest an irgendeinem Punkt eine Hemmschwelle. Diese ist aber leider in vielen Bereichen abgebaut worden. Man muss sich fragen, woran das liegt und welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, damit sich das ändert.

Herr Biallas hat zu Recht darauf hingewiesen, dass leider auch in Niedersachsen ausländische Jugendliche häufiger in der Kriminalitätsstatistik auftauchen als einheimische. Diesen Fakt muss man zumindest darstellen können. Da können wir nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.

Die Ursachen hierfür sind vielschichtig. Eine Ursache ist völlig klar: Wenn Jugendliche mit Migrationshintergrund keinen Schulabschluss und keine vernünftigen Deutschkenntnisse haben, dann haben sie keine Zukunftsperspektive, keine Chance, ihren Lebensunterhalt irgendwann einmal selber zu bestreiten. Sie sind auch nicht in der Lage, sich z. B. in einem Sportverein oder anderen Bereichen zu integrieren. An dieser Stelle müssen wir ansetzen. In Niedersachsen haben wir im Vergleich mit anderen Bundesländern schon viel gemacht. Aber wir sind noch längst nicht am Ende angekommen. Da wir aber bereits Maßnahmen ergriffen haben, ist Gott sei Dank die Zahl der ausländischen Jugendlichen, die in den vergangenen Jahren kriminell geworden sind, etwas zurückgegangen.

Was müssen wir noch mehr tun? - Ich kann überhaupt nicht akzeptieren, dass ein ausländischer Jugendlicher noch nicht mal einen Hauptschulabschluss schafft. Deshalb haben wir mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und mit der Agentur für Arbeit ein Modellprojekt auf den Weg gebracht, um schon im Bereich der Schule anzusetzen - ich nenne den zusätzlichen Sprachunterricht -, aber auch bei Bewerbungsverfahren zu helfen. Und wenn beispielsweise ein ausländischer Jugendlicher einen Ausbildungsplatz hat, kümmern wir uns noch ein halbes Jahr weiter um ihn. Dieses Projekt darf kein Modellprojekt bleiben. Deswegen haben wir diese Woche im Kabinett eine Bundesratsinitiative auf den Weg gebracht, damit das nicht nur in Niedersachsen, sondern insgesamt Standard wird. Denn wenn wir es nicht schaffen, dass diese Jugendlichen einen Abschluss erreichen, werden im Bereich der ausländischen Jugendlichen immer

öfter Kriminalitätsfälle auftauchen. Das ist für mich ein ganz entscheidender Punkt.

(Zustimmung bei der CDU)

Ich will nicht alle weiteren Maßnahmen darstellen, weil meine Redezeit sonst sicherlich überschritten wird. Aber wir dürfen die Augen auch nicht davor verschließen, dass es einige Jugendliche gibt, die als Intensivtäter auftreten, bei denen man auch mit Prävention, mit gutem Zureden, mit der Hilfe eines Sozialarbeiters nichts machen kann. Wenn jemand solche Gewalttaten begeht, dann müssen wir andere Instrumentarien zur Verfügung haben.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Die ha- ben wir doch!)

Deshalb ist es wichtig, dass auch geschlossene Heimunterbringung bei Jugendlichen möglich ist. Deshalb ist auch der Warnschussarrest etwas, das man zumindest als zusätzliches Instrument anbieten muss - aber nur bei denjenigen, die wirklich völlig ausgerastet sind. Auch das ist kein Allheilmittel, es ist aber eine Möglichkeit.

(Klaus-Peter Bachmann [SPD]: Im Ju- gendgerichtsgesetz ist der Wochen- endarrest schon drin! - Zurufe von der LINKEN)

- Das ist eine Möglichkeit, die zusätzlich ebenfalls ergriffen werden muss. Warum Sie sich dagegen verwahren, kann ich nicht so ganz nachvollziehen.

Auf der anderen Seite brauchen wir eine schnelle Verurteilung. Wenn Jugendliche erst nach einem halben Jahr zum Rasenmähen oder anderer sozialer Arbeit verurteilt werden, wissen sie überhaupt nicht mehr, weshalb das passiert. Ich bin froh, dass wir in Niedersachsen in der letzten Legislaturperiode in diesem Bereich etwas auf den Weg gebracht haben, womit wir im Gegensatz zu anderen Bundesländern im Übrigen sehr erfolgreich sind. In meiner Heimatstadt Holzminden wird ein solches Modellprojekt zusammen mit einem Jugendrichter, mit dem Jugendstaatsanwalt und mit dem Sachbearbeiter der Polizei sehr erfolgreich durchgeführt. Zum Teil wurden Urteile innerhalb von ein oder zwei Wochen gesprochen. Dabei müssen allerdings auch die Rechtsanwälte mitmachen. Mit vernünftigen Rechtsanwälten kommt man schnell zu einem Urteil.

Es wird ja immer gesagt, wir in Niedersachsen seien da nicht gut aufgestellt, wir bräuchten neue Richter. Schauen wir uns einmal die Daten an! Wir sind im Vergleich mit anderen Bundesländern

schneller. Bei unseren Jugendgerichten werden die Urteile im Schnitt nach 2,9 Monaten gefällt, im Bundesdurchschnitt nach 3,1 Monaten. Bei unseren Jugendschöffengerichten dauert es im Schnitt 3,5 Monate bis zu einem Urteil, im Bundesdurchschnitt 3,7 Monate.

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Sohn?

Ja, sobald ich meinen Satz zu Ende ausgeführt habe.

Es reicht aber nicht aus, hier nur über die Modellphase und darüber zu reden, dass wir in Niedersachsen schon jetzt besser sind als der Bundesdurchschnitt. Vielmehr ist wichtig, dass wir noch schneller werden; denn das ist genau der richtige Weg. Ich bin dankbar, dass wir hier schon so weit vorangeschritten sind.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herr Dr. Sohn, bitte!

Herr Minister, halten Sie die von Ihnen gewählte Formulierung „Warnschussarrest“ mit Blick auf die Versachlichung der Debatte für hilfreich?

Herr Minister!

Der Begriff ist allgemein üblich. Natürlich kann man sich über Begrifflichkeiten immer streiten. So aber weiß jeder, um was es geht. Es geht schlichtweg darum, nicht zu warten, bis jemand völlig auf der schiefen Bahn ist. Wenn ein straffällig gewordener Jugendlicher vielleicht für eine Woche einmal sieht, was tatsächlich passiert, wenn er so weitermacht, dann ist das sicherlich sinnvoll. Insofern ist das eine echte Warnung, die man auch mit im Instrumentenkasten haben sollte.

(Zuruf von Christa Reichwaldt [LINKE] - Kreszentia Flauger [LINKE]: Schie- ßen können Sie gut! - Widerspruch von der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will abschließend ein Thema ansprechen, das mich in den letzten Wochen besonders bedrückt hat und das es bei der Ursachenforschung im Bereich der Jugendkriminalität mit zu berücksichtigen gilt. Ich meine den Alkoholmissbrauch bei Jugendlichen. Angesichts der Zahlen, die wir in den letzten Quartalen ermittelt haben, können wir nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Herr Bachmann, da sollten Sie keine Sprüche machen; denn das ist wirklich ernst.

(Klaus-Peter Bachmann [SPD]: Es ist mir sehr ernst!)

Wir haben im letzten Quartal 17 000 Jugendliche kontrolliert. Bei 4 500 Jugendlichen und Kindern wurden Promillewerte von 1,1 bis 1,3 und noch höher ermittelt.

Das Problem ist, dass es im Zusammenhang mit Alkohol immer wieder zu Gewalttaten und Jugendkriminalität kommt. Jede dritte Straftat von gewalttätigen Jugendlichen wird unter Alkoholeinfluss verübt. Da müssen wir ansetzen. Neben der Stärkung der Elternverantwortung müssen wir vor allen Dingen alles daransetzen, dass Kindern und Jugendlichen im Supermarkt und am Kiosk kein Alkohol verkauft wird. Der Verkauf von Alkohol an Kinder und Jugendliche ist nicht zu akzeptieren. Dagegen müssen wir sehr viel strenger vorgehen, und dazu brauchen wir ein geeignetes Instrumentarium.

(Zustimmung bei der CDU)

Herr Minister, ich darf Sie kurz unterbrechen. Es liegen weitere Wünsche vor, Zwischenfragen zu stellen. Wie stehen Sie dazu?

Ich habe Zeit. Ich weiß nicht, wie Sie es sehen.

Ich darf nur darauf hinweisen, dass wir zwei Stunden in Verzug sind.

(Dr. Bernd Althusmann [CDU]: Wir ha- ben heute ja nichts anderes vor, Herr Präsident! Wir bleiben hier!)