Protocol of the Session on November 7, 2012

chen hat. Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt:

„Das Leben im Maßregelvollzug ist den allgemeinen Lebensverhältnissen anzupassen, soweit Sicherheitsbelange dem nicht entgegenstehen.“

Das heißt, wenn jemand in Sicherungsverwahrung ist, dann dürfen ihm nur die Beschränkungen auferlegt werden, die aus Sicherheitsgründen notwendig sind; alles andere nicht. Das ist kein Täterschutz, sondern das ist die Umsetzung von geltendem Verfassungsrecht.

(Zustimmung bei der LINKEN und von Helge Limburg [GRÜNE])

Das Bundesverfassungsgericht hat weiter gesagt - das muss bei Ihnen, glaube ich, nicht gut angekommen sein -:

„Die Konzeption der Sicherungsverwahrung muss Vollzugslockerungen vorsehen und Vorgaben zur Entlassungsvorbereitung enthalten, wobei der Freiheitsorientierung möglichst weitgehend Rechnung zu tragen ist. So muss sichergestellt werden, dass Vollzugslockerungen nicht ohne zwingenden Grund - etwa auf der Grundlage pauschaler Wertungen oder mit dem Hinweis auf eine nur abstrakte Flucht- oder Missbrauchsgefahr - versagt werden können.“

Soweit das Bundesverfassungsgericht.

(Jens Nacke [CDU]: Reden Sie doch einmal Klartext: Wollen Sie bauen oder nicht?)

- Lassen Sie mich im Zusammenhang ausführen. Dann werden Sie noch einiges zu hören bekommen.

(Jens Nacke [CDU]: Da bin ich aber gespannt!)

Wer ein solches Thema setzt,

(Jens Nacke [CDU]: Sie halten eine juristische Vorlesung! Sie haben überhaupt keine Positionierung! - Wei- tere Zurufe von der CDU - Unruhe - Glocke des Präsidenten)

der setzt im Grunde auf die Unkenntnis der Bevölkerung, der setzt darauf, dass nicht bekannt ist, dass bei einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe

eine zeitlich begrenzte Freiheitsstrafe - oder auch eine ohne zeitliche Begrenzung - ausgesprochen wird, die schuldangemessen ist, die sich also nach der Schwere der Straftat richtet. Das ist Rechtsstaatlichkeit. Wenn dann anschließend noch eine Sicherungsverwahrung hinzukommt, dann beruht die nicht mehr auf der Schwere der Tat, sondern nur noch auf der Prognose, dass der Straftäter möglicherweise weitere Straftaten begehen könnte.

(Jens Nacke [CDU]: Das weiß doch hier jeder! Das ist doch unbestritten!)

Das ist aber etwas ganz anderes. Diesen Unterschied versuchen Sie zu vernebeln. Sie setzen auf Unkenntnis. Sie setzen auch in anderer Hinsicht noch auf Unkenntnis. Sie sagen im Grunde, man dürfe diese gefährlichen Menschen nicht hinaus lassen, das sei ein unglaubliches Risiko.

(Jens Nacke [CDU]: So ist es!)

Dabei haben Sie überhaupt nicht im Blick, dass auch die Entlassung von Straftätern, gegen die keine Sicherungsverwahrung verhängt wurde, ein Risiko ist, mit dem die Gesellschaft leben muss. Diese beiden Risiken muss man ins Verhältnis setzen, wenn man sich diesem Thema seriös annähern will.

Das belegt ein Blick auf die Rückfallquote. Es gibt eine Untersuchung, die vom Bundesjustizministerium in Auftrag gegeben wurde, die die Jahre 2004 bis 2007 erfasst. Bei dieser Untersuchung ist herausgekommen, dass wir bei Freiheitsstrafen mit Bewährung eine Rückfallquote von 38 % haben und bei Freiheitsstrafen ohne Bewährung, die also im Gefängnis abgesessen wurden, eine Rückfallquote von 48 %. Das heißt, wir haben in jedem Fall ein Risiko.

(Jens Nacke [CDU]: Sie vergleichen Taschendiebe mit Kinderschändern! Das kann doch wohl nicht wahr sein!)

Jetzt will ich Ihnen noch eines sagen. Wir haben mit dem Unterausschuss Schweden und Norwegen besucht. Dort haben wir gesehen, was man mit Strafrechtspflege machen kann. In Skandinavien gibt es folgende Rückfallquoten: In Schweden 30 %, in Finnland 30 %, in Dänemark 25 %, in Norwegen 20 %. Dort spricht man auch nicht von „Strafvollzug“, sondern von „Pflege“. Das haben wir gelernt. Das heißt, wenn man etwas tut, um die Strafgefangenen zu resozialisieren, dann zahlt sich das aus, und zwar für die Sicherheit der Bevölkerung, weil es dann geringere Rückfallquoten gibt.

(Jens Nacke [CDU]: Wir reden doch gar nicht über den Strafvollzug, wir reden über Sicherungsverwahrung!)

Sie haben an dieser Stelle nur ein Wort wie Täterschutz.

Ich fasse zusammen: Wer auf dieses Thema setzt, der setzt auf Dummheit. Das kann ich nicht anders bezeichnen. Das ist die gleiche Strategie, die Herr Romney verfolgt hat. Ich prophezeie Ihnen: Wer auf Dummheit setzt, wird am Ende selbst der Dumme sein, und zwar am 20. Januar.

(Beifall bei der LINKEN und Zustim- mung bei den GRÜNEN)

Zu Wort gemeldet hat sich jetzt der Kollege Limburg von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Sie haben das Wort.

(Jens Nacke [CDU]: Sie haben kein Wort dazu gesagt, ob Sie bauen wol- len oder nicht! Nebelkerzen ohne En- de! - Weitere Zurufe von der CDU)

- Ab sofort hat der Kollege Limburg das Wort. Bitte schön!

Meine Damen und Herren, gelegentlich hört man in Debatten um die Sicherungsverwahrung, wenn man keinen stammtischfähigen Standpunkt vertritt, dass man auch einmal an die Opfer schwerer Straftaten denken müsse und daran, wie sie sich fühlen. Ja, man sollte viel häufiger an die Opfer denken, und man sollte die Angebote zur Unterstützung von Opfern von Straftaten und ihrer Angehörigen ausbauen. Das ist aber, glaube ich, auch Konsens in diesem Hause.

Man muss aber leider feststellen, dass keine Strafe, und sei sie noch so schwer, eine Straftat für das Opfer ungeschehen machen kann, und schon gar nicht kann eine noch so harte Strafe einen geliebten Angehörigen zurückbringen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Man sollte deutlich machen - darauf sind die Kollegen Zielke und Adler schon eingegangen -, dass die Sicherungsverwahrung zwar faktisch wie eine Strafe wirkt, mit der eigentlichen Tat aber gar nicht viel zu tun hat. Richtigerweise benennen Sie von der CDU im Titel des Antrages zur Aktuellen Stunde die Sicherheit der Bevölkerung. Denn nur wenn diese für die Zukunft mutmaßlich gefährdet ist, ist

die Sicherungsverwahrung überhaupt gerechtfertigt.

Damit sind wir schon beim ersten gravierenden Problem der Sicherungsverwahrung, auf das Sie überhaupt nicht eingegangen sind, Herr Kollege Dr. Biester. Es handelt sich um ein Wegsperren aufgrund einer unsicheren Prognose, und das im Zweifel ein Leben lang. Unser Staat nimmt es sich also heraus, Menschen aufgrund gutachterlicher Prognosen vorbeugend wegzusperren. Angesichts der Schwere des Sonderopfers, das den Sicherungsverwahrten damit auferlegt wird, und angesichts der Bedeutung des Themas kann man zumindest eine ernsthafte und seriöse Debatte darüber erwarten. Stammtischparolen wie vom hiesigen Justizminister Busemann á la „Ich lasse keinen raus“ oder vom Kollegen Dr. Biester, das sei Täterschutz vor Opferschutz, werden dieser Thematik nicht gerecht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Aber mit dieser Aktuellen Stunde offenbart die CDU noch viel mehr. Es wird wieder einmal deutlich, dass Sie, meine Damen und Herren, Sicherheit nur mit Wegsperren in Verbindung bringen. Was Sie den Leuten damit vorgaukeln, ist eine Scheinsicherheit. Ehrlich wäre es, wenn Sie sagen würden, dass ein Staat zwar viel versuchen kann, um Sicherheit zu ermöglichen, dass es aber eine hundertprozentige Sicherheit vor Verbrechen niemals geben kann. Ehrlich wäre es, wenn Sie sagen würden, dass der Beitrag, den das Wegsperren von rund 30 Menschen in Niedersachsen für die Sicherheit der gesamten Bevölkerung leistet, vergleichsweise gering ist.

Wenn es Ihnen um eine echte Sicherheit ginge, dann würden Sie einen breiteren Sicherheitsbegriff in den Mittelpunkt Ihrer Politik stellen. Wenn es Ihnen um echte Sicherheit ginge, dann würden Sie im Strafvollzug Absurditäten verhindern wie die, dass Inhaftierten wenige Monate vor ihrer endgültigen Entlassung jegliche Lockerung mit dem Hinweis verwehrt wird, sie seien zu gefährlich. Ja, ist es denn sicherer, wenn sie dann völlig ohne Entlassungsvorbereitung wieder auf die Straße gesetzt werden, meine Damen und Herren?

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Wenn es Ihnen um echte Sicherheit ginge, dann würden Sie für eine Verschärfung des Waffenrechts eintreten und die Verfügbarkeit von Waffen

in Privathand einschränken, anstatt nur an den Symptomen herumzudoktern.

(Zustimmung bei der LINKEN - Zuruf von Björn Thümler [CDU])

Wenn es Ihnen, Herr Nacke, um echte Sicherheit ginge, dann würden Sie für eine Gesellschaft und vor allem für ein Schulsystem streiten, das weniger Verlierer produziert, anstatt, wie Sie es tun, neue Gefängnisse in Niedersachsen zu errichten.

(Jens Nacke [CDU]: Wollen Sie das nicht?)

Natürlich ist persönliche Sicherheit für die Menschen wichtig. Aber gerade weil das so ist, sollten wir über Maßnahmen im Bereich der Sozialpolitik, der Bildungspolitik, der Kinder- und Jugendpolitik, über die Ausstattung und Motivation der Polizei, der Lehrerinnen und Lehrer, der Erzieherinnen, der Sozialpädagogen und auch der Strafvollzugsbediensteten reden. Sie alle sind es, die helfen, unsere Gesellschaft zusammenzuhalten, und damit weit mehr zu unser aller Sicherheit beitragen als das von der CDU so gepriesene Wegsperren.

Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD und bei der LINKEN)

Als nächster Redner hat jetzt für die SPD-Fraktion Herr Tonne das Wort. Bitte sehr!

(Jens Nacke [CDU]: Jetzt bin ich aber gespannt, Herr Tonne: Ihr Kurs oder der der anderen? - Gegenruf von der SPD: Was haben Sie heute getrun- ken, Herr Nacke?)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Dr. Biester, grundsätzlich schätze ich Ihre Beiträge, da sie zumeist von großer Sachlichkeit geprägt sind. Warum Sie sich für dieses Thema so vor den Karren spannen lassen, erschließt sich mir allerdings überhaupt nicht.

(Zustimmung bei der SPD)

Denn was wir hier gerade erlebt haben, ist der schlechte Versuch, ein hochsensibles Thema zum Wahlkampfthema zu machen.