Wir fahren in der Tagesordnung fort. Inzwischen liegt mir aufgrund des Beitrags von Ministerin Wanka der Wunsch nach zusätzlicher Redezeit - § 71 Abs. 3 - vor. Vor dem Hintergrund der Redezeitüberschreitung der Ministerin hat Herr Kollege Adler von der Fraktion DIE LINKE zwei Minuten Zeit. Bitte schön!
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Ministerin Wanka, ich wollte vorhin schon in einer Zwischenfrage zum Ausdruck bringen, was ich Ihnen jetzt sage. Sie haben eben gesagt, das, was wir jetzt mit der Verzahnung von Theorie und Praxis in Niedersachsen machen - Sie haben das im Einzelnen ausgeführt -, hätte es ja noch nie gegeben. Sie können es vielleicht nicht wissen, weil Sie damals noch nicht in Niedersachsen gelebt haben. Aber es gab an der Reformuniversität Oldenburg, an der Carl von Ossietzky Universität, bereits in den 70er-Jahren eine einphasige Lehrerausbildung,
in der all das gemacht worden ist, von dem Sie hier jetzt reden. Wenn Sie etwas lernen wollen, dann schauen Sie einmal in die Archive und schauen Sie sich die Curricula an, die damals entwickelt worden sind. Das war nicht nur ein theoretisches
(Beifall bei der LINKEN und Zustim- mung bei der SPD - Karl-Heinz Klare [CDU]: Weil es nicht funktioniert hat!)
Es wird vorgeschlagen, dass federführend der Ausschuss für Wissenschaft und Kultur und mitberatend der Ausschuss für Haushalt und Finanzen tätig werden soll. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann haben Sie so beschlossen. - Herzlichen Dank.
Ich rufe nun die beiden letzten Tagesordnungspunkte, die Tagesordnungspunkte 48 und 49, vereinbarungsgemäß zusammen auf:
Erste Beratung: Vollständige Rechtsgleichheit für Lesben und Schwule durchsetzen - Diskriminierung homosexuell lebender Menschen auch auf Ministerebene konsequent bekämpfen - Antrag der Fraktion DIE LINKE - Drs. 16/5166
Erste Beratung: Diskriminierung Homosexueller auch in Niedersachsen beenden! - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 16/5167
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ihnen liegen zwei Entschließungsanträge vor, die, wie ich glaube, parallel entwickelt worden sind. Beide Entschließungsanträge sind gut. Wir können dem Entschließungsantrag der Fraktion der Grünen zustimmen. Ich hoffe, das gilt auch umgekehrt.
Anlass für unseren Entschließungsantrag ist eine Presseerklärung des Justizministers gegen die Gleichbehandlung von Schwulen und Lesben bei der gemeinsamen Adoption Minderjähriger durch das sie erziehende gleichgeschlechtliche Lebenspartnerpaar.
Justizminister Busemann hat in seiner Presseerklärung vom 17. August 2012 die Gleichbehandlung bei der Adoption mit dem Argument abgelehnt, dass der Vorrang des Kindeswohls zu berücksichtigen sei. Da frage ich mich: Was ist denn das für ein Argument? - Der Vorrang des Kindeswohls steht doch jetzt schon im Gesetz. In § 1741 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs kann man nachlesen - ich lese es Ihnen einmal vor -:
„Die Annahme als Kind ist zulässig, wenn sie dem Wohl des Kindes dient und zu erwarten ist, dass zwischen dem Annehmenden und dem Kind ein Eltern-Kind-Verhältnis entsteht.“
Das gilt also auch schon für heterosexuelle Paare, die verheiratet sind, und nicht nur für homosexuelle Paare, die verpartnert sind. Mit anderen Worten, das Argument des Kindeswohls gilt bei der Adoption in jedem Fall. Das ist überhaupt kein Argument für Ihre Ablehnung.
Dann führt Herr Busemann aus, was bei einem generellen Adoptionsrecht gleichgeschlechtlicher Paare zu befürchten sei. Bevor ich auf Ihre Befürchtungen eingehe, Herr Busemann, frage ich mich: Was soll denn Ihre Formulierung „generelles Adoptionsrecht“ in diesem Satz? - Ein generelles Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare gibt es doch überhaupt nicht, weder allgemein noch als Ausnahme.
Aber was sind denn nun Ihre Befürchtungen? - Sie sagen, Kinder könnten Opfer von Stigmatisierung oder Mobbing werden. Diese Gefahr besteht tatsächlich. Aber sie gilt doch auch, wenn ein Kind von gleichgeschlechtlichen Erwachsenen erzogen wird und nur ein Partner das Kind adoptieren darf und der andere nicht.
- Genau! Man kann doch nicht die zweifelsfrei in der Gesellschaft bestehenden Vorurteile zum Anlass dafür nehmen, die bestehenden Verhältnisse zu konservieren. Im Gegenteil, wir müssen die Gesetze so machen, dass allen Diskriminierungen entgegengetreten wird. Nur dann ändert sich das gesellschaftliche Bewusstsein.
Die Grünen verweisen zu Recht auf die Bundesratsinitiative von Berlin zur Rehabilitierung strafrechtlich verfolgter Homosexueller. Ich erinnere auch an die Petition des Rosa Archiv Leipzig an die Deutsche Bundesregierung. Darin wird eine Rehabilitierung und Entschädigung der nach 1945 in Deutschland wegen Verstoßes gegen § 175 StGB Verurteilten gefordert. Rosa Archiv Leipzig geht davon aus, dass es seit der Einführung des Gesetzes im Jahre 1871 etwa 140 000 bis 200 000 Verurteilte gegeben hat, die bis heute nicht rehabilitiert sind. § 175 StGB wurde ja erst 1994 abgeschafft.
Die Zeitung Jungle World erinnert daran, dass zwischen 1945 und 1969 rund 50 000 Männer wegen homosexueller Handlungen verurteilt und etwa doppelt so viele Ermittlungsverfahren eingeleitet wurden. Es kam vor, dass Schwule, die während der NS-Zeit in Konzentrationslager verschleppt worden waren, ihre verbleibende Haftstrafe in bundesdeutschen Gefängnissen absitzen mussten.
Endgültig wurde der § 175 erst 1994 abgeschafft. Bis heute fehlen eine umfassende Regelung des Entschädigungsanspruchs und eine Rehabilitierung der Opfer. Das sollte uns ein gemeinsames Anliegen sein.
Danke schön. - Der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wird vom Kollegen Limburg eingebracht. Sie haben das Wort, Herr Limburg.
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was geht es den Staat an, ob zwei Beamte, die verheiratet sind, gleichen oder verschiedenen Geschlechts sind? Was geht es den Staat an, wenn zwei mündige Menschen miteinander einvernehmlich Sex haben? Was geht es den Staat an, wenn zwei Menschen gleichen Geschlechts ein Kind in Liebe, Verantwortung, Respekt und Fürsorge gemeinsam aufziehen?
Was geht es eigentlich den Steuerbeamten an, ob zwei Verheiratete, die das Ehegattensplitting in Anspruch nehmen wollen, gleichen oder verschiedenen Geschlechts sind?
Nichts, sagt das Bundesverfassungsgericht zum ersten Fall, dem Beamtenfall. Es hat entschieden, dass der Familienzuschlag im Beamtenrecht auch Beamten zusteht, die in einer Lebenspartnerschaft leben, und zwar rückwirkend bis zum Jahr 2001. Wir begrüßen das ausdrücklich.
Beim einvernehmlichen Sex - das hat der Herr Kollege Adler gerade schon ausgeführt - war die Lage etwas anders. Bis in die 90er-Jahre hinein haben deutsche Gerichte entsprechend dem Strafgesetzbuch viele Tausend Männer in der Bundesrepublik Deutschland allein deshalb zu Haftstrafen verurteilt, weil sie miteinander Sex hatten - Justizunrecht in der Bundesrepublik Deutschland.
Meine Damen und Herren, ich bin froh, dass sich der Hessische Landtag einstimmig für die Rehabilitierung der Betroffenen eingesetzt hat. Ich bin sehr froh - auch das ist gerade schon angesprochen worden -, dass sich im Land Berlin eine Große Koalition aus CDU und SPD gemeinsam dazu entschlossen hat, eine Bundesratsinitiative zur Rehabilitierung der Betroffenen auf den Weg zu bringen. Niedersachsen sollte diese Initiative unbedingt unterstützen. Wir sollten diesen guten Beispielen folgen.
Bei der Adoption haben wir gegenwärtig eine höchst widersprüchliche Rechtslage. Die Stiefkindadoption durch gleichgeschlechtliche Partnerinnen oder Partner, die zum Aufwachsen des Kindes in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung führt, ist erlaubt, die Volladoption, bei der das Gleiche der Fall ist, dagegen nicht. Dabei gibt es - hören Sie gut zu, Herr Justizminister Busemann! - keinen einzigen Beleg dafür, dass ein Aufwachsen in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft einem Kind irgendeinen Schaden zufügen würde.
(Zustimmung bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Jan- Christoph Oetjen [FDP]: Genau so ist es!)
Die Kollegin Vockert, also die Frau Präsidentin, hat gestern in der Debatte um das Betreuungsgeld völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass nicht die formale Form der Betreuung entscheidend ist, sondern Liebe, Fürsorge, Engagement und Verantwortungsgefühl. Völlig richtig, Frau Kollegin Vockert! Aber das gilt doch unabhängig vom Geschlecht der Eltern.
Meine Damen und Herren, wir haben zum Familienzuschlag für niedersächsische Landesbeamte im Jahr 2009 in diesem Hause eine denkwürdige Rede des damaligen CDU-Abgeordneten Biallas anhören müssen, in der dieser seine Haltung gegen die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft kaum verbarg und deutlich machte, dass die CDU in Niedersachsen entsprechende Regelungen im Landesbeamtengesetz nur mitgemacht hat, weil sie europarechtlich dazu gezwungen war.
Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, tun Sie doch in diesem einen Fall - bei der rückwirkenden Zahlung des Familienzuschlags an gleichgeschlechtliche Partnerschaften - einmal etwas aus eigenem Antrieb! Warten Sie nicht darauf, dass Sie von einem Verfassungsgericht zur Zahlung verpflichtet werden!
Zum letzten Punkt. Wir haben momentan im deutschen Steuerrecht das anachronistische Ehegattensplitting. So lange es das noch gibt, muss es allen Partnerschaften, unabhängig vom Geschlecht, zustehen. Auch hier muss der Grundsatz der Gleichbehandlung gelten.
Der Staat hat sich nicht einzumischen, wenn zwei Menschen einvernehmlich ihr Leben organisieren, egal welchen Geschlechts sie sind. Er hat alle gleich zu behandeln. Genau das schreiben unsere Verfassung und die europäische Menschenrechtscharta vor. Wir sollten es auch hier in Niedersachsen mit Leben füllen.
Danke schön, Herr Kollege Limburg. - Nun hat sich Frau Behrens von der SPD-Fraktion zu Wort gemeldet. Bitte!
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Diskriminierung homosexueller Menschen ist ein Unrecht. Sie gilt es auf allen Ebenen zu bekämpfen: im gesellschaftlichen Zusammenleben, im alltäglichen Miteinander, überall da, wo sie uns begegnet. Dafür streitet die SPD seit vielen Jahren.