Protocol of the Session on September 27, 2012

Die aktuellen Entwicklungen haben gezeigt, dass eine Überarbeitung europäischer Schutz- und Notfallkonzepte für den Seeverkehr erforderlich ist. Dies bezieht sich insbesondere auf das letztmals im Jahr 2009 überarbeitete Erika-III-Paket. Ich denke, hier ist Handlung erforderlich.

Meine Damen und Herren, die Richtlinie zur Überwachung des Seeverkehrs sollte nunmehr geändert werden, um die Hilfe für Schiffe in Seenot zu verbessern. Denn leider gibt es hier eine Lücke in der Richtlinie, die bislang nur unzureichend beachtet wurde und die anhand der MSC Flaminia in diesen Tagen virulent zutage trat. Die aktuelle Regelung hat zur Folge, dass Länder, die um Hilfe bei einem Schiffsunglück gebeten werden, diese nur gewähren müssen, wenn sich der Unfall in ihrem Hoheitsgebiet ereignete. Bekanntlich führte dies im Fall der MS Flaminia dazu, dass ein wochenlanges Zuständigkeitsgewirr einsetzte. Im Interesse der Schifffahrt, vor allem der Besatzungen, aber auch der Wirtschaftsgüter sowie der Schiffssicherheit, ganz besonders auch im Interesse der Umwelt und zur Vermeidung von Meeresverunreinigungen gilt es, dies in Zukunft zu vermeiden.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Außerdem sollte klar geregelt werden, dass es für Häfen und Staaten, die sich bereit erklären, havarierte Schiffe aufzunehmen, Ausgleichszahlungen für gegebenenfalls nicht durch Versicherungsleistungen abgedeckte wirtschaftliche Folgeschäden gibt. Damit wird ein Anreiz geschaffen, ein Nothafensystem zu etablieren, welches schnell und effizient zum Einsatz kommen kann, wenn sich ein Schiff in Seenot befindet.

Meine Damen und Herren, nach 57 Tagen erreichte das havarierte Schiff den JadeWeserPort in Wilhelmshaven. Durch die Löscharbeiten sind insgesamt rund 20 000 t Wasser in die Laderäume des Schiffes gelangt. 20 000 t Wasser entsprechen übrigens 20 Millionen l und nicht 20 Millionen m

3, wie Herr Kollege Lies wohl versehentlich formuliert hat und in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung zu lesen war. Zwischenzeitlich wurde bestätigt, dass sie Gott sei dank weniger belastet sind, als zunächst befürchtet wurde.

Meine Damen und Herren, das Unglück der MS Flaminia

(Jürgen Krogmann [SPD]: MSC! MSC Flaminia!)

hat deutlich aufgezeigt, dass Deutschland mit dem Havariekommando in Cuxhaven eine ebenso schlagkräftige wie kompetente Koordinierungsstelle hat.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Damit ist ein effizientes Unfallmanagement für die in Seenot geratenen Schiffe in deutschen Gewässern gewährleistet. Der Bund, das Havariekommando in Cuxhaven und die beteiligten niedersächsischen Behörden haben, wie ich finde, sehr gute Arbeit geleistet.

Unser Dank gilt den vielen Helferinnen und Helfern, die dafür gesorgt haben, das Schiff sicher in deutsche Gewässer zu bringen, und die sich in den kommenden Wochen der Herausforderung zu widmen haben, den Unfall zu untersuchen und das Schiff kontrolliert zu entladen. Ich denke, das ist eine ambitionierte Aufgabe. Aber ich habe das Gefühl, dass sie dort in besten Händen ist.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Ich darf auch deutlich machen, dass die Landesregierung die Landtagsfraktionen frühzeitig und umfassend über aktuelle Entwicklungen informiert hat. Ich glaube, es gehört dazu, dafür zu danken.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, wie bereits eingangs erwähnt, liegen zu dieser Thematik zwei Anträge vor: der Antrag der Regierungsfraktionen vom 12. September und der Antrag der Oppositionsfraktionen. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir das Handeln Europas besser koordinieren, dass wir nicht nur deutlich machen, dass deutsche Interessen auch auf den Weltmeeren zu sichern sind,

sondern dass wir auch im Interesse der Menschen und der Umwelt zu wirksamen Vereinbarungen kommen, die solche Unglücke in Zukunft zumindest schneller lösen helfen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Ich bitte um sofortige Abstimmung.

Herr Kollege Hiebing hat um sofortige Abstimmung gebeten. - Jetzt möchte ich gerne Herrn Krogmann für die SPD-Fraktion das Wort erteilen. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die MSC Flaminia liegt nach wochenlanger Irrfahrt im JadeWeserPort. Es glimmt und glüht noch hier und dort, hört man. Aber die Löschungs- und Bergungsarbeiten gehen wohl doch voran. Also könnte man sagen: Ende gut, alles gut! - Das ist ja der Tenor, der sich in den letzten Wochen in den Medien durchgesetzt hat. Aber ich finde, ganz so leicht dürfen wir es uns nicht machen. Das ist die Grundlage unseres gemeinsamen Antrags.

Das verbietet sich schon deshalb, weil - das haben Sie, glaube ich, nicht gesagt, Herr Hiebing - zwei Menschen bei diesem Unglück ums Leben gekommen sind.

(Widerspruch bei der CDU)

- Entschuldigung! Dann habe ich es nicht gehört. - Ein Seemann wurde bis heute nicht gefunden. Das mag einen Hinweis auf das Ausmaß der Zerstörungen an Bord geben.

Es gibt aber noch andere Gründe, jetzt nicht einfach zur Tagesordnung überzugehen. Tausende von Containerschiffen sind tagtäglich auf den Weltmeeren unterwegs. Viele davon kommen in die Deutsche Bucht. Der Seeverkehr nimmt zu. Das finden wir gut. Das ist gut für unsere Häfen.

(Ulf Thiele [CDU]: Wieso spricht ei- gentlich nicht Herr Lies zu diesem Thema? Er war doch in den letzten Wochen immer fleißig unterwegs!)

Aber es gibt eben auch die Schattenseiten der Seefahrt, und dieser Vorfall hat uns nachdrücklich daran erinnert. Deshalb müssen wir diese Havarie gründlich analysieren, und wir müssen vor allen Dingen die nötigen Konsequenzen daraus ziehen.

Meine Damen und Herren, klar ist: Wir werden nicht zu 100 % ausschließen können, dass es auch künftig zu Schiffshavarien kommt. Was wir aber nicht akzeptieren dürfen, ist, dass ein Schiff nach einer Explosion wochenlang mit Hunderten von Gefahrgutcontainern an Bord auf den Weltmeeren umherirrt,

(Beifall bei der SPD)

dass es offenbar nicht einmal unter den Partnern in der EU verbindliche und vor allen Dingen funktionierende Regeln dafür gibt, wo ein Nothafen anzulaufen ist. Was wir auch verhindern müssen, ist, dass ein Reeder wie die NSB aus Buxtehude wochenlang keine Unterstützung, keine Ansprechpartner beim Bundesverkehrsministerium bekommt.

(Zustimmung bei der SPD - Wider- spruch bei der CDU - Hans-Dieter Haase [SPD]: Das ist ein Skandal!)

Das wurde uns im Unterausschuss von Herrn Möller von der NSB so berichtet, und das muss uns doch wirklich zu denken geben, zumal wir in Niedersachsen sehr viele Reeder haben, die da sicherlich eine bessere Unterstützung wollen.

(Hans-Dieter Haase [SPD]: Vom Bund im Stich gelassen!)

Meine Damen und Herren, zunächst einmal möchte ich aber auch im Namen der SPD-Fraktion meinen herzlichen Dank an das Havariekommando richten. Das war die bislang größte Herausforderung für das Kommando. Es hat die Krise den katastrophalen Umständen entsprechend hervorragend gemeistert. Dafür auch von uns große Anerkennung!

(Beifall bei der SPD sowie Zustim- mung bei der CDU und bei der FDP)

Herrn Monsees und seiner Mannschaft ist es letztlich zu verdanken, dass die Krise überhaupt bewältigt werden konnte.

(Unruhe)

Herr Kollege Krogmann, ich möchte Sie mal eben unterbrechen, weil es einfach zu laut ist. Ich möchte nämlich auch Ihnen aufmerksam zuhören. - Verehrte Kolleginnen und Kollegen, bitte etwas mehr Ruhe! - Bitte schön!

Es bleiben aber natürlich noch Fragen.

Die erste Frage ist natürlich: Wie kann eigentlich auf einem solchen relativ modernen Frachter ein solches Unglück geschehen? Wie kann es zu einer Explosion kommen? - Diese Frage ist bis zum heutigen Tage nicht beantwortet worden. Die MSC Flaminia ist ja nicht irgendein exotischer Gefahrguttransporter, sondern ein ganz normaler Containerliner, wie wir ihn zu Tausenden auf den Weltmeeren und sehr häufig auch in der Deutschen Bucht vorfinden. Müssen wir jetzt davon ausgehen, dass wir schwimmende Zeitbomben auf unseren Gewässern haben?

(Widerspruch von Editha Lorberg [CDU])

Ich hoffe das natürlich nicht. Aber ich denke, wir müssen hier Klarheit haben, und zwar schnell.

Die zweite Frage müsste uns noch mehr beschäftigen: Wie kann es sein, dass ein derart havariertes Schiff wochenlang über den Atlantik irrt und sich keiner zuständig fühlt? Wenn es klare Vereinbarungen gibt, wie verschiedentlich gesagt wurde, warum hält sich keiner daran? - Ich denke, diesen Punkt muss man sich sehr genau angucken. Wir wissen, dass der Seehandel in den nächsten Jahren zunehmen wird. Wenn der Seehandel zunimmt, dann müssen wir aber auch eine Sicherheitsarchitektur auf unseren Gewässern und Wasserstraßen haben, die so etwas verhindert und die dann in der Praxis auch verlässlich funktioniert. Es kann nicht sein, dass sich die Partner in Europa gegenseitig den Schwarzen Peter zuschieben.

Die Voraussetzungen für ein solches Konzept - Herr Hiebing hat schon einige Punkte angesprochen - sind vielleicht gar nicht so strittig. Ich finde, wir brauchen ein europaweites, verbindliches und wirksames Konzept für Schiffssicherheit. Ich glaube, über diesen Punkt werden wir nicht streiten. Wir brauchen aber auch eine Weiterentwicklung der EU-Richtlinie über die Einrichtung eines gemeinschaftlichen Überwachungs- und Informationssystems für den Schiffsverkehr. Das kann letztlich vielleicht auch zu einem verbindlichen Nothafenkonzept führen. Es muss einfach klar sein, welcher Hafen in welcher Notsituation anzulaufen ist. Das kann - um es salopp zu sagen - nicht davon abhängen, ob in einem der Partnerländer gerade Olympische Spiele stattfinden. Hier muss es klare internationale Verbindungen geben, die ausschlie

ßen, dass es zu solchen sachfremden Erwägungen kommt.

(Zustimmung bei der SPD)

Es muss auch diskutiert werden, ob die EMSA, die Europäische Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs, zusätzliche Kompetenzen bekommt, damit sie bei großen Schiffshavarien koordinierend eingreifen kann. Ganz wichtig ist, dass sie nicht in Konkurrenz zum Havariekommando, sondern in Ergänzung tätig werden soll. Wir sind also noch lange nicht bei so etwas wie einer gemeinsamen Küstenwache. Aber ich denke, hier muss es wirklich konkrete Kompetenzen geben.

Nicht zuletzt muss die Kommunikation zwischen den Bundesbehörden und den Reedern verbessert werden. Ich habe schon angesprochen, dass der Reeder bei der Unterrichtung des Unterausschusses beklagt hat, alleingelassen worden zu sein. Vier Wochen hat er aus dem Verkehrsministerium nichts gehört. Das kann nicht sein. Ich könnte zwar sagen: Da sind wir in Niedersachsen nicht überrascht; wir kennen die Schlechtleistungen des Hauses Ramsauer/Ferlemann. - Aber ich denke, die Reeder haben es verdient, ihre Probleme und Bedürfnisse ernst zu nehmen. Auch hier müssen Versäumnisse klar angesprochen werden.

Schließlich bleibt natürlich die Frage: Wie war das Krisenmanagement der Landesregierung? - Wir erwarten mit Spannung die Antwort auf unsere diesbezügliche Kleine Anfrage, die morgen ansteht. Das ist übrigens auch der Grund, warum wir heute einer sofortigen Abstimmung nicht zustimmen werden; denn wir erwarten weitere Informationen, die wir erst auswerten möchten. Ansonsten wäre das ein Showantrag und kein gründliches Aufarbeiten. Deshalb werden wir dem nicht zustimmen.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)