Wir haben es jetzt 11.13 Uhr. Wir haben um 9.03 Uhr angefangen. Damit liegen wir um etwas mehr als eine Stunde hinter unserem Zeitplan.
Ich darf damit die Behandlung der Mündlichen Anfragen schließen. Ich weise darauf hin, dass die Antworten der Landesregierung zu den Anfragen, die hier jetzt nicht mehr aufgerufen werden konnten, nach § 47 Abs. 6 unserer Geschäftsordnung zu Protokoll gegeben werden.
Besprechung: Atommüll im „radioaktiven Dreieck“ zwischen Eckert & Ziegler in Braunschweig, dem Zwischenlager Leese und der niedersächsischen Landessammelstelle in Jülich (NRW) - Große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 16/4333 - Antwort der Landesregierung - Drs. 16/4713
Nach § 45 Abs. 5 unserer Geschäftsordnung wird zu Beginn der Besprechung einer der Fragestellerinnen oder einem der Fragesteller das Wort erteilt. Alsdann erhält es die Landesregierung.
Für die Fraktion, die die Anfrage gestellt hat, liegt mir die Wortmeldung der Abgeordneten Dr. Heinen-Kljajić vor. Sie hat jetzt für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Antwort auf unsere Große Anfrage macht deutlich, dass diese Landesregierung in Sachen Atompolitik nichts dazugelernt hat.
Zumindest für den Standort Thune der Firma Eckert & Ziegler gilt: Transparenz über die Umweltauswirkungen beim Umgang mit radioaktiven Stoffen scheint immer noch ein Fremdwort zu sein. Unbeirrbar werden die wirtschaftlichen Interessen der Betreiber von Atomanlagen über die Interessen der Bevölkerung gestellt.
Erstens. Die weitreichenden strahlenschutzrechtlichen Umgangsgenehmigungen für die Firma Eckert & Ziegler am Standort Thune sind in einem Wohngebiet nicht tolerabel.
der Entsorgungssparte tätig ist. In den letzten zehn Jahren sind 110 000 Gebinde mit Atommüll über das Betriebsgelände in Thune umgeschlagen worden. Sogar zum Umgang mit großen Mengen von Plutonium - darüber ist berichtet worden - hat die Firma eine bis 2013 gültige Genehmigung, von der sie im Zuge der Verpackung russischer Strahlenquellen aus der DDR auch schon mehrfach Gebrauch gemacht hat.
Andere Bundesländer wie Bayern und Berlin dürfen ihren Müll in Thune konditionieren lassen. Trotz dieser umfangreichen Geschäftstätigkeit sind die üppigen Genehmigungen nicht einmal zu 10 % ausgeschöpft.
Genau hier, meine Damen und Herren, liegt das zentrale Problem; denn eben diese großzügigen Umgangsgenehmigungen machen die von Eckert & Ziegler geplante Expansion erst möglich, schlimmer noch: Sie laden förmlich dazu ein.
Auf die Frage „Wie können Sie an der Energiewende verdienen?“ verweist Herr Eckert im Juni in einem Interview mit dem Tagesspiegel auf den zu erwartenden Atommüll beim Rückbau der Atomkraftanlagen, den der Bund mit 5,4 Milliarden Euro veranschlagt. Dann führt Herr Eckert aus - ich darf zitieren -:
„Wenn nur ein Fünftel dieses Volumens bei uns landete, entspräche das einer Verdoppelung der gesamten Konzernumsätze“.
Frau Heinen-Kljajić, ich darf Sie unterbrechen. - Meine Damen und Herren, die Gespräche in der SPD-Fraktion und in der FDP-Fraktion sind hier lauter zu verstehen als die Rednerin. Wenn Sie also etwas zu diskutieren haben, dann machen Sie das bitte außerhalb des Plenarsaals. Danke schön. - Frau Heinen-Kljajić, Sie haben das Wort.
„Wenn nur ein Fünftel dieses Volumens bei uns landete, entspräche das einer Verdoppelung der gesamten Konzernumsätze“.
Dagegen, meine Damen und Herren, nimmt sich das Bewerben um den Asse-Müll geradezu bescheiden aus. Hier plant jemand den Einstieg ins
Damit ich nicht falsch verstanden werde: Der Firma Eckert & Ziegler seien die Aufträge im Grundsatz gegönnt. Der Müll muss irgendwo konditioniert werden, und wir haben nicht viele Firmen, die das können.
Das Gefahrenpotenzial bei der An- und Ablieferung, bei der Verarbeitung oder bei der Lagerung ist einfach zu groß. Deshalb fordern wir Sie, Herr Minister Birkner, auf: Nehmen Sie alle Umgangsgenehmigungen auf den Prüfstand und stellen Sie die Verträglichkeit mit den Randbedingungen einer Wohnbesiedelung sicher.
Zweitens. Die Grenzwerte der Direktstrahlung am Zaun verstoßen angesichts der gravierenden Abweichung von der üblichen Praxis gegen das im Strahlenschutz festgeschriebene Minimierungsgebot. Die Strahlenschutzverordnung schreibt vor, dass der Dosisgrenzwert zum Schutz der Bevölkerung außerhalb des Betriebsgeländes 1 mSv/a beträgt. Ein Jahr hat 365 Tage mit jeweils 24 Stunden, also 8 760 Stunden. Diese Grundannahme wird auf alle uns bekannten Atomanlagen wie Kernkraftwerke oder Zwischenlager angewendet. In Gorleben ist das BfS aus Sicherheitsgründen sogar auf 0,3 mSv/a heruntergegangen.
Nur in Thune, ausgerechnet in einem Wohngebiet, nur wenige hundert Meter von einem Gymnasium und von einer Grundschule entfernt, hat das Gewerbeaufsichtsamt Braunschweig der Genehmigung für die Strahlendosis von 1 mSv/a eine angenommene jährliche Aufenthaltsdauer von 2 000 Stunden zugrunde gelegt. Nimmt man die nach der Strahlenschutzverordnung üblichen 8 760 Stunden zum Maßstab, wäre in Thune faktisch ein Grenzwert von 4,38 mSv/a zulässig.
Meine Damen und Herren, das ist nicht nur ein umweltpolitischer Skandal, weil die Gesundheit der Anwohner leichtfertig aufs Spiel gesetzt wird. Aus unserer Sicht ist das ein klarer Verstoß gegen das Minimierungsverbot der Strahlenschutzverordnung.
völlig abstrus, die 2 000-Stunden-Regelung damit zu begründen, der Zaun sei überwacht, und man könne feststellen, wenn sich Personen an ihm aufhalten.
Bei diesem Grenzwert, meine Damen und Herren, geht es um eine hypothetische Annahme, auf deren Basis der Schutz der Bevölkerung in der Umgebung einer Anlage sichergestellt werden soll. Es ist doch völliger Quatsch, so zu tun, als gehe es hier um Menschen, die 2 000 Stunden oder 8 760 Stunden permanent direkt am Zaun stehen. Herr Minister Birkner, nehmen Sie diese Abweichung von der üblichen Berechnungspraxis der Direktstrahlung am Zaun zurück. Was für Kernkraftwerke oder Zwischenlager auf der freien Wiese gilt, muss doch wohl erst recht für eine Anlage in einem Wohngebiet gelten.
Dritter Kritikpunkt: Die Vorsorge gegen Störfälle ist unzureichend und weicht von der üblichen Praxis bei vergleichbaren Anlagen ab. Thune liegt im unmittelbaren An- und Abflugbereich eines Flughafens, nämlich des Flughafens in Braunschweig. Trotzdem wurde bei der Störfallbetrachtung, die Genehmigungsvoraussetzung ist, ein Flugzeugabsturz nicht berücksichtigt. Mit dem Verweis in Ihrer Antwort auf unsere Große Anfrage, Herr Minister Birkner, ein Flugzeugabsturz sei dem Restrisiko zuzuordnen, liegen Sie schlicht falsch. Schauen Sie sich die einschlägige Rechtsprechung - konkret das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zu Unterweser; wir haben gestern schon darüber gesprochen - an. Dann werden Sie feststellen, dass diese Frage der Schadensvorsorge zuzuordnen ist und keinesfalls dem Restrisiko, das man einfach hinnehmen muss. Deshalb ist eine neue Störfallbetrachtung überfällig. Sorgen Sie dafür, dass die Genehmigungsvoraussetzungen an dieser Stelle korrigiert werden, bevor die Entsorgungskommission das im Zuge des Stresstests für Zwischenlager macht.
Der vierte Kritikpunkt bezieht sich auf die Offenlegung sicherheitsrelevanter Daten. Hier sehen wir einen Verstoß gegen das Umweltinformationsgesetz, das nach Bekanntgabe von Daten ausdrücklich eine Abwägung zwischen den Geschäftsgeheimnissen und den Interessen der Bürger vorschreibt. Es kann nicht sein, dass Eckert & Ziegler über 90 % des radioaktiven Inventars auf seinem Gelände in Thune mit Verweis auf Geschäftsge
heimnisse nicht preisgibt und dass das Umweltministerium diese Praxis toleriert. Die Bürger verlangen zu Recht, dass alle Daten zum Inventar und zur Umgebungsüberwachung offengelegt werden.
Meine Damen und Herren, die Antwort auf unsere Große Anfrage hat deutlich gemacht: Die schwarzgelbe Landesregierung setzt eine über Jahrzehnte geübte unheilvolle Praxis fort. Die ökonomischen Interessen der Betreiber werden über die Interessen von Menschen und Umwelt gestellt. Selbst der Asse-Skandal hat sie offenbar nicht eines Besseren belehrt. Sie haben nichts, aber auch gar nichts dazugelernt.
Meine Damen und Herren! Werte Kollegen von CDU und FDP! Die Stadt Braunschweig versucht inzwischen, mit einer Veränderungssperre den Bau neuer Konditionierungseinrichtungen zu unterbinden. Der Staatsanwaltschaft liegen Anzeigen der Bewohner gegen die Genehmigungs- und Aufsichtsbehörden vor. Trotzdem legen Umweltministerium und Gewerbeaufsichtsamt Braunschweig ihre Hände weiter in den Schoß.
Wir brauchen ausreichende Konditionierungskapazitäten, um einen reibungslosen Rückbau stillgelegter Atomkraftwerke sicherzustellen. Solange kein Endlager zur Verfügung steht, brauchen wir weiterhin Zwischenlager. Wir werden aber auch für diese Bereiche der Entsorgung des Atommülls nur dann gesellschaftliche Akzeptanz erreichen, wenn wir Transparenz zusichern sowie Sicherheit und bestmöglicher Risikominimierung oberste Priorität beimessen. Deshalb, meine Damen und Herren, gehört Entsorgung von Atommüll nicht in ein Wohngebiet.
Meine Damen und Herren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen, hat jetzt die Landesregierung das Wort. Herr Dr. Birkner, bitte.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst einige Ausführungen zu den gesetzlichen Grundlagen und zur Historie der niedersächsischen Landessammelstelle für radioaktive Abfälle machen; denn die Fragen befassen sich mit weit mehr als
mit der Firma Eckert & Ziegler und dem Standort. Die Anfrage ist überschrieben mit „Atommüll im ‚radioaktiven Dreieck’ zwischen Eckert & Ziegler in Braunschweig, dem Zwischenlager Leese und der niedersächsischen Landessammelstelle in Jülich“.