Protocol of the Session on May 8, 2012

(Lebhafter Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Perli. - Als Nächste hat zu diesem Tagesordnungspunkt Frau Staudte für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

(Unruhe)

- Ich bitte, die Begeisterung ein bisschen zurückzunehmen und Frau Staudte das Wort zu gönnen. - Bitte schön, Frau Staudte!

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch wir unterstützen selbstverständlich den Antrag, das Wahlalter zu senken. Es ist allgemein bekannt, dass wir uns sogar noch weitere Schritte der Absenkung vorstellen könnten.

(Victor Perli [LINKE]: Wir auch!)

Ich glaube, wir alle kennen die Situation an Wahlabenden, dass alle Parteien, alle Kommentatoren mantrahaft beklagen, dass die Wahlbeteiligung wieder so wahnsinnig niedrig gewesen sei. Gleichzeitig - und das finden wir dann etwas paradox - werden ganze Bevölkerungsgruppen pauschal von dem Wahlrecht abgeschnitten. Das ist aus unserer Sicht unglaubwürdig. Wir sind der Überzeugung, dass wir das Wahlalter deutlich senken müssen.

Das Wahlalter von 18 Jahren ist eine systematische Unterschätzung der Fähigkeiten von jungen Menschen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der Jugendforscher Professor Klaus Hurrelmann sagt, sogar schon ab zwölf Jahren habe man grundsätzlich eine soziale und moralische Urteilsfähigkeit. Man könne politische Urteile fällen, und die Teilnahme an Wahlen sei möglich. Er sagt zu der Forderung, das Wahlalter auf 14 Jahre abzusenken, sogar: Endlich traut sich mal jemand!

Wir geben natürlich zu: Menschen lassen sich beeinflussen. Menschen fallen auf Wahlversprechen herein. - Aber das ist keine Frage des Alters!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ganz im Gegenteil! Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass Jugendliche eine sehr, sehr feine Antenne haben, was Selbstdarstellung und falsche Versprechungen angeht.

Zum Vergleich - das ist schon von meinem Vorredner angesprochen worden -: Ab 14 gilt die Religionsfreiheit. Ab 14 ist man strafmündig. Ab 14 kann man Mitglied in Parteien werden und dort politische Ämter übernehmen. Und dann trauen wir uns nicht, Jugendlichen ab 16 das Wahlrecht zu geben? - Ich finde, das ist nicht stringent.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Im Übrigen gibt es nur aus parteipolitischer Sicht ein Richtig und Falsch bei den Wahlen. Die Frage, ob junge Leute vielleicht extremer wählen, ob sie häufiger die NPD wählen, werden wir doch nicht über das Wahlalter lösen! Die Frage NPD muss gesamtgesellschaftlich gelöst werden. Aus unserer Sicht gehört diese Partei verboten.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Zustimmung bei der SPD - Glocke des Präsidenten)

Wir glauben ferner, dass es sehr wichtig ist, dass die erste Wahl während der Schulzeit stattfinden kann, sodass Lehrerinnen und Lehrer die Möglichkeit haben, die Themen der Wahl und die Wahlprogramme in ihren Unterricht zu integrieren und am konkreten Beispiel Politikunterricht zu erteilen.

(Jens Nacke [CDU]: Ach so, darum geht es!)

Wir können uns nicht darauf verlassen, dass politische Bildung nur über das Elternhaus geleistet wird.

(Beifall bei den GRÜNEN - Jens Na- cke [CDU]: Die Lehrer sollen sagen, was gewählt werden soll?)

Wir glauben auch, dass das Wahlalter von 18 Jahren eine systematische Unterschätzung bedeutet, was die Meinungsbildungsfähigkeit von jungen Menschen angeht. Wir müssen uns einmal ein paar Jahre zurückerinnern. Da standen hier rund 2 500 junge Menschen vor dem Landtag und haben gegen die Bildungspolitik dieser Landesregierung protestiert. Ich hatte schon den Eindruck, dass sie in der Lage sind, sich eine politische Meinung zu bilden.

(Beifall bei den GRÜNEN - Glocke des Präsidenten)

Im Übrigen möchte ich auch noch einmal betonen:

Letzter Satz, bitte!

Es handelt sich hierbei um ein Wahlrecht und nicht um eine Wahlpflicht. Wir wollen niemanden zwingen, zu einer Wahl zu gehen. Aber wir wollen denen, die sich informiert haben, die sich eine Meinung gebildet haben, auch die Möglichkeit geben, das zum Ausdruck zu bringen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Für die CDU-Fraktion spricht jetzt der Kollege Adasch. Ich erteile Ihnen das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Perli, ich will mich gleich einmal an Sie wenden. Sie müssen der breiten Öffentlichkeit bitte

erklären, wann es auf Kuba demokratische Wahlen gegeben hat. Das würde uns alle interessieren.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Frau Kollegin Staudte, es gibt auch ganz andere Auffassungen zu dieser Wahlrechtsfrage. Wenn Sie die heutige Tagespresse lesen, können Sie beispielsweise den Politikexperten Wichard Woyke vernehmen, der von einer Phantomdebatte spricht. Ich will hier nicht weiter zitieren, wie er sich in der heutigen Zeitung eingelassen hat. Es gibt dazu also auch ganz andere Auffassungen.

Der Antrag der Linken zur Herabsetzung des Wahlalters auf 16 Jahre und damit zur Änderung der Niedersächsischen Verfassung ist ja nichts Neues. Wir haben bereits im Juni 2008 einen ähnlichen Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hier im Landtag diskutiert.

Meine Damen und Herren, aus gutem Grund ist das Wahlrecht durch die erforderliche Zweidrittelmehrheit vor solchen parteitaktischen Manövern geschützt, welche vorzugsweise im Vorlauf von Wahlen auf die Tagesordnung gelangen. Das höchste Gut unserer Demokratie darf schließlich nicht zum Spielball von Experimenten werden. Das Wahlrecht ist an das Alter der Volljährigkeit gekoppelt.

(Victor Perli [LINKE]: Kommunalwahl!)

Damit wird der Zusammenhang von Rechten und Pflichten des Bürgers verdeutlicht. So wird die volle Geschäftsfähigkeit sowie die volle Strafmündigkeit erst mit der Volljährigkeit verwirklicht. Erst mit dem Erreichen des 18. Lebensjahres sollen die eigenen Lebensverhältnisse in eigener Verantwortung geregelt werden können.

Daher ist es unverständlich, warum Entscheidungen, die darüber hinausgehen und die gesamte Gesellschaft betreffen, ermöglicht werden sollen. Mit der Teilnahme an Landtagswahlen ist eine hohe Verantwortung verbunden, die den Jugendlichen nicht einmal im privaten Bereich eigenständig zukommt.

Am Beispiel des Strafrechts lässt sich verdeutlichen, dass selbst bei Heranwachsenden oft von einer eingeschränkten Urteilskraft ausgegangen wird, da in der Altersgruppe von 18 bis 21 Jahren in etwa 70 % der Fälle das Jugendstrafrecht zur Anwendung kommt. Hierzu wird eine individuelle Prüfung vorgenommen. Wie soll nun beim Wahl

recht verfahren werden? Eine individuelle Prüfung ist schließlich unmöglich.

(Hans-Henning Adler [LINKE]: Wähler sind doch keine Straftäter!)

Wer die Herabsetzung des Wahlalters fordert, muss auch eine Herabsetzung des Alters für die Strafmündigkeit in Betracht ziehen, Herr Adler. Es gibt kein anderes Kriterium für die Urteilskraft als die Volljährigkeit. Erst ab dem 18. Lebensjahr übernehmen die jungen Erwachsenen umfassende Verantwortung, auch über ihren privaten Lebensbereich hinaus.

Die Linken sprechen davon, dass die Persönlichkeitsbildung bei Jugendlichen immer früher abgeschlossen wird. Dieser Entwicklungsprozess verläuft jedoch individuell und ist nicht zu verallgemeinern.

(Hans-Henning Adler [LINKE]: Man- che werden nie erwachsen! Das stimmt!)

Die Festlegung eines Wahlalters ohne eine Koppelung an die Richtschnur der Volljährigkeit wäre willkürlich, da kein objektives Kriterium gefunden werden kann.

Sie suggerieren, dass durch die Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre bei den Jugendlichen ein größeres Interesse für Politik geweckt werde. Zahlreiche Studien belegen jedoch, dass damit der Politikverdrossenheit nicht entgegengewirkt wird. Im Jahr 2008 hat sich die Universität Hohenheim im Rahmen einer Studie mit dieser Frage beschäftigt und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass es je nach Alter deutliche Unterschiede im Umgang mit politischen Fragen gibt. Das allgemeine Interesse sowie die Informiertheit fallen bei Minderjährigen deutlich geringer aus als bei jungen Erwachsenen. Auch die geringe Wahlbeteiligung dieser Altersgruppe spricht für die Beibehaltung der bestehenden Regelung.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Bremen hat aber etwas anderes gezeigt!)

Dies zeigen im Übrigen, Herr Kollege Limburg, nicht zuletzt die Bundesländer Bremen und Brandenburg, in denen entsprechende Änderungen keine nennenswerten Auswirkungen hatten, wie heute in vielen Tageszeitungen nachzulesen ist. Daraus lässt sich schließen, dass mit der Absenkung des Wahlalters auf 16 keine geringere Politikverdrossenheit zu erreichen ist.

Vielmehr müssen andere Mitwirkungsmöglichkeiten geschaffen werden. Oftmals wird der Wunsch nach projektbezogener Arbeit laut. Dies bezieht sich auf Bereiche, die die Jugendlichen direkt betreffen und unmittelbare Wirkung auf sie entfalten. Besonders möchte ich auf die bereits vielfach vorhandenen Jugendparlamente hinweisen, in denen die Jugendlichen ihre Interesse artikulieren. Diese werden aber auch hier im Niedersächsischen Landtag vertreten. Die LINKE tut in ihrem Antrag so, als würden die Belange der jungen Generation nicht interessieren. Anstatt sich in Symboldebatten zu verlieren, sorgt sich die christlichliberale Koalition tatsächlich um die Interessen der Kinder und Jugendlichen.

(Zuruf von Hans-Henning Adler [LINKE])

Dies ist bereits an unserer Finanzpolitik zu erkennen. Wir wollen die Schuldenbremse in der Verfassung etablieren und somit der von Ihnen angestrebten Politik auf Pump - „Freibier für alle!“ - einen Riegel vorschieben. Diese, liebe Kolleginnen und Kollegen, ginge allein auf Kosten der jungen Generation.