Protocol of the Session on May 8, 2012

Wird unsere Verfassung besser, wenn sie statt umfassender klarer Oberbegriffe wie den Menschenrechten immer mehr Einzeltatbestände auflistet? - Ich befürchte, wir begäben uns da auf eine schiefe Ebene.

(Elisabeth Heister-Neumann [CDU]: So ist es!)

Denn der heutige Beschluss könnte zu einem Wettlauf einladen, die Verfassung mit allerlei hehren Zielen zu überfrachten, denen jeder nur zustimmen könnte, vom Gesundheitsschutz über Kultur, Musik, Sport oder saubere Umwelt bis hin zum Schutz von Senioren, dem Recht auf Arbeit, dem Recht auf Bildung, dem Recht auf Wohnung oder auch dem Verbot einzelner Diskriminierungstatbestände. Jeder könnte und müsste, getrieben von der öffentlichen Meinung, dafür sein. Jede dies besonders befürwortende Lobbygruppe würde ihr Anliegen in der Verfassung wiederfinden wollen, um es aufzuwerten und sozusagen auf Ewigkeit in Stein gemeißelt zu sehen.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Aber genau diese Inflation an Zielen und Grundsätzen würde jeden einzelnen Grundsatz in seiner Bedeutung entwerten. Auch die Verfassungen selbst, die des Bundes ebenso wie der Länder - immerhin das Fundament unserer demokratischen Grundordnung -, werden umso poröser, baufälliger und anfälliger für weitere Änderungen, je mehr uns ihre Veränderung zur Gewohnheit wird.

Vielen Dank.

Herzlichen Dank. - Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses zustimmen und damit den Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE in der Drs. 16/4035 ablehnen will, den bitte ich um

das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Ich stelle fest, das Erste war die Mehrheit.

Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 7 auf:

Erste Beratung: Entwurf eines Gesetzes zur Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre - Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE - Drs. 16/4730

Zur Einbringung hat sich von der Fraktion DIE LINKE Herr Kollege Perli zu Wort gemeldet. Herr Perli!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute diskutieren die Menschen in unserem Land nicht über die langweilige Regierungserklärung des Ministerpräsidenten. Nein, sie diskutieren über die Frage, ab wann sich junge Menschen an den Landtagswahlen beteiligen sollten.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir beantragen mit dem vorliegenden Gesetzentwurf, das Mindestalter für das aktive Wahlrecht für die Wahlen zum Niedersächsischen Landtag von 18 auf 16 Jahre zu senken. Grundsätzlich würden wir sogar einen weitergehenden Schritt unterstützen. Eine Absenkung des Wahlalters muss aber von breiten politischen Mehrheiten getragen werden. Ein Wahlalter ab 16 ist heute, wie sich gezeigt hat, längst mehrheitsfähig.

(Beifall bei der LINKEN - Zurufe von der CDU)

Im Vorfeld der heutigen Debatte äußerten sich Vertreter aller relevanten politischen Jugendverbände zustimmend zu unserer Initiative, also auch die Junge Union und die Jungen Liberalen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Wenn Sie von der CDU und der FDP gleich gegen unsere Initiative sprechen werden, dann haben Sie nicht einmal Ihre eigene Parteijugend hinter sich.

(Beifall bei der LINKEN - Zurufe von der CDU)

In einer Umfrage des NDR haben sich heute über zwei Drittel der Teilnehmer für die Absenkung ausgesprochen. Sie sehen, meine Damen und Herren,

die Linke vertritt auch bei diesem Thema die Mehrheit in diesem Land.

(Beifall bei der LINKEN - Jens Nacke [CDU]: Der ist am nächsten dran an den 16!)

Wir halten eine solche Regelung erstens für politisch geboten, zweitens für rechtlich zwingend und drittens für in der Praxis bereits erfolgreich erprobt.

Zu erstens: Die Festsetzung des Wahlalters auf 18 kommt aus dem letzten Jahrhundert. Nun ist damals nicht alles falsch gewesen, aber es hat sich doch einiges geändert.

(Thomas Adasch [CDU]: Das hilft euch aber auch nicht mehr!)

Jugendforscher haben in zahlreichen Studien auf die veränderten und beschleunigten Sozialisations- und Entwicklungsprozesse der Jugendlichen hingewiesen und diese deutlich aufgezeigt. In der heutigen Gesellschaft mit veränderten Familienstrukturen und mehr Möglichkeiten, sich zu informieren, beispielsweise über das Internet mit einem breiten und günstigen Zugang, seien die Unterschiede zwischen 16- und 18-Jährigen nicht mehr so gravierend, dass man daraus den Schluss ziehen müsse, 18-Jährige dürften wählen, 16-Jährige aber nicht.

Genau um diesen Unterschied geht es, meine Damen und Herren. Was rechtfertigt es, allen 16Jährigen das Wahlrecht aufgrund ihres Alters zu verweigern, und was rechtfertigt es, einem 18Jährigen dieses Wahlrecht zu geben? - Aus unserer Sicht gibt es keinen Unterschied zwischen 16- und 18-Jährigen, der diesen Ausschluss vom Wahlrecht und dieses Ausgrenzen von Demokratie erlauben würde.

Der Bundestag sieht es übrigens in anderen Rechtsfeldern genauso. Nehmen wir das Asylrecht. Hiernach können 16-Jährige als politische Flüchtlinge in Deutschland anerkannt werden, und zwar nicht deshalb, weil ihre Eltern politisch verfolgt worden sind und sie als Kinder quasi in Sippenhaft genommen werden würden. Nein, ein 16Jähriger kann als politischer Flüchtling allein aufgrund seiner politischen Handlung als asylberechtigt anerkannt werden. Hier ist er also als handelndes Subjekt mit einem eigenen Willen und einem eigenen Handlungsbewusstsein anerkannt.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn das Asylrecht einem 16-Jährigen ein eigenes politisches Bewusstsein und Handeln zubilligt,

dann müssen wir auch konsequent sein und deutschen Jugendlichen ein solches bewusstes politisches Handeln ebenfalls zutrauen.

(Thomas Adasch [CDU]: Das ist ja vielleicht ein Vergleich!)

Daraus folgt dann zwingend - hiermit bin ich bei meinem zweiten Punkt -, dass wir das Wahlrecht ändern. Ich lese Ihnen einmal Artikel 28 Satz 2 des Grundgesetzes vor. Er lautet:

„In den Ländern, Kreisen und Gemeinden muss das Volk eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist.“

Der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl gebietet es, dass wir keine Bevölkerungsgruppe mit deutscher Staatsbürgerschaft ohne einen überzeugenden Grund von der Wahl ausschließen dürfen. Es gibt keinen Grund mehr, beim aktiven Wahlrecht die 16-Jährigen gegenüber den 18-Jährigen zu benachteiligen.

(Beifall bei der LINKEN)

Daher ist es zwingend geboten, dass wir den Auftrag aus Artikel 28 unseres Grundgesetzes umsetzen und das Wahlrecht von 18 Jahren auf 16 Jahre absenken. Andere Länder haben es vorgemacht, wir haben es bei den Kommunalwahlen auch gemacht.

Damit bin ich beim dritten Punkt. Die Praxis gibt uns Recht. Bremen war im letzten Jahr das erste Bundesland, in dem auf der Landesebene 16- und 17-Jährige wählen gehen durften. Der Wahlleiter wertete diese Absenkung des Wahlalters als Erfolg. Die Kohorte der Erstwählerinnen und Erstwähler war die einzige Altersgruppe in Bremen, bei der die Wahlbeteiligung gegen den Trend gestiegen ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Das zeigt, die Jugendlichen haben ein Interesse an Politik und wollen ihr Recht wahrnehmen.

(Vizepräsident Hans-Werner Schwarz übernimmt den Vorsitz)

Die rot-rote Regierung in Brandenburg hat mit den Stimmen der Grünen die Landesverfassung im Dezember des letzten Jahres geändert und genau wie in Bremen das aktive Wahlrecht auf 16 Jahre gesenkt. In Österreich können 16- oder 17-Jährige sogar auf der Bundesebene mitwählen - übrigens sogar in Kuba und in Nicaragua.

(Thomas Adasch [CDU]: Das ist ja ein ganz hervorragendes Beispiel! Wann ist denn in Kuba einmal demokratisch gewählt worden? - Weiterer Zuruf von der CDU: Wie ist das in Nordkorea? - Ingrid Klopp [CDU]: Das ist ja lächer- lich! - Glocke des Präsidenten)

- Es trifft Sie wahrscheinlich tief, dass sogar in Ländern, die weit weg von unserem Entwicklungsstand sind, junge Menschen mehr Rechte bekommen als in Deutschland. Das trifft Sie offenbar tief.

(Zustimmung bei der LINKEN - Zurufe von und Lachen bei der CDU)

Gucken Sie nach Österreich, fahren Sie mit dem Ausschuss nach Österreich, und erkundigen Sie sich dort vor Ort! Es ist kein Neuland, das wir hier betreten, sondern wir reihen uns ein in eine konsequente Weiterentwicklung des Wahlrechts. Wir wollen mehr Demokratie. Sie wollen nicht mehr Demokratie. Wir wollen mehr Demokratie und mehr Menschen die Möglichkeit zur Mitbestimmung durch ihre Teilnahme an Landtagswahlen geben.

(Beifall bei der LINKEN - Zurufe von und Lachen bei der CDU)

Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen gerade von der CDU: Wer mit 14 Jahren seinen Gott wählen darf, der sollte auch mit 16 Jahren seinen Ministerpräsidenten wählen dürfen.

Herzlichen Dank.

(Lebhafter Beifall bei der LINKEN)