Frau Weddige-Degenhard, Sie haben gesagt, wir blieben Lösungsansätze schuldig. Ich sehe das nicht so. Wir haben mit Blick auf die vergangenen Jahre sehr wohl zur Kenntnis zu nehmen, dass wir in Niedersachsen etwa 100 Grundschulstandorte weniger haben.
Ich stelle bei den Kommunen eine ausgesprochen hohe Verantwortung und ein hohes Verantwortungsgefühl im Hinblick darauf fest, wie mit dieser Situation des drastischen Schülerrückgangs umzugehen ist.
Wir wissen von Bildungswissenschaftlern, dass sich die Zahl der Schülerinnen und Schüler in Deutschland in den nächsten Jahren, bis 2040/2050, voraussichtlich - wohlgemerkt! - halbieren wird. Das wird für alle Schulbereiche in Niedersachsen, insbesondere für den Grundschulbereich, nicht ohne Auswirkungen bleiben.
Wir werden gemeinsam mit den Kommunen darüber nachzudenken haben, wie wir auf diese Entwicklung sachgerecht und fachgerecht reagieren können, wohl wissend, dass unsere Grundschullehrkräfte und die dort tätigen Pädagogischen Mitarbeiter so, wie Sie es gesagt haben, unter nicht immer ganz einfachen Rahmenbedingungen eine hervorragende Arbeit leisten, wobei ich einräume, dass wir erhebliche Unterschiede zwischen einem relativ kleinen Grundschulstandort im ländlichen Raum und den Grundschulen in großstädtischen Ballungszentren - Stichworte „Migration“ oder „größere Klassen“ - in Bezug auf die Belastung und die darauf zu gebende pädagogische Antwort verzeichnen.
Sie haben vorhin kritisiert, wir würden mit der Arbeitszeitverordnung kleine Grundschulen nicht weiter entlasten. Ich gehe auf diese Kritik ein, indem ich Sie darauf verweise, dass das Kabinett erst heute die Arbeitszeitverordnung für Schulleitungen auf den Weg gebracht hat, über die wir seit
November letzten Jahres sprechen. Sie werden in einer Fußnote erkennen, dass gerade die Schwellenwerte für die Grundschulen herabgesetzt wurden. Im Moment arbeitet eine Grundschullehrkraft 28 Stunden. Ein Grundschulleiter erhält einen Sockel von 8 Stunden Entlastung. Unterhalb der Schwelle von 100 Schülerinnen und Schülern wird er zukünftig um eine weitere Stunde entlastet werden. Der Schulleitungsverband sagt, dies sei nicht genug.
Ich will an dieser Stelle auf eine Problematik aufmerksam machen, die wir beim Einsatz unserer wertvollen Ressourcen in Niedersachsen ein wenig bedenken sollten.
Lassen Sie uns kleine Schulen im Harz, in Nordostniedersachsen, an der Küste, zum Teil auch im Emsland oder in der Wesermarsch, die ich vor Kurzem besucht habe, betrachten. Diese Grundschule hat zurzeit 52 Schülerinnen und Schüler und wird zum neuen Schuljahr noch ganze 36 Schülerinnen und Schüler haben.
Die Kernfrage, die in diesem Zusammenhang beantwortet werden muss, lautet: Was ist eigentlich eine pädagogisch sinnvolle Größe - diese Frage werden wir mit den Eltern, aber auch mit den kommunalen Schulträgern erörtern müssen - und wie geht die Entwicklung in den nächsten Jahren weiter und was ist dann noch vertretbar? - Die einen sagen, ein Kleinstandort sei doch wunderbar; das sagen sehr oft die Eltern, weil es natürlich in ihrem Sinne ist, möglichst kleine Klassen zu haben. Aber was passiert denn dann bei Unterrichtsausfall, wenn nur ein Kollege oder zwei Kollegen in einem Lehrerkollegium, das aus drei bis vier Lehrkräften besteht, in einer Grundschule ausfallen? Dann sind 50 % des Unterrichts durch die beiden anderen Grundschullehrkräfte nicht mehr aufzufangen.
Ich will damit nur auf die Problematik aufmerksam machen: Auch wenn wir in Kleinstsystemen für Entlastung sorgen, wie wir es mit der neuen Arbeitszeitverordnung zurzeit praktizieren, werden wir irgendwann an eine Grenze stoßen, an der Entlastung in dieser Form aus meiner Sicht keinen Sinn mehr macht, sondern an der Anreize eigentlich insoweit gesetzt werden müssen, in Verbünden zusammenzuarbeiten, um die Entlastungsstunden entsprechend verteilen zu können. Aber das werden Sie in der Arbeitszeitverordnung im Detail nachlesen können.
Sehr verehrte Frau Abgeordnete Weddige-Degenhard, Sie haben mit Blick auf die Sprachförderung in Niedersachsen - Stichwort „Fit in Deutsch“ - gesagt, die Sprachstandsfeststellung 15 Monate vor Schulbeginn sei nicht erfolgreich.
- Ich habe das so verstanden. Vielleicht hat sie es nicht exakt so gesagt, aber vielleicht so gemeint, dass man sich das schon zu Ihren Regierungszeiten ausgedacht habe und wir diese Idee dann in Niedersachsen umgesetzt haben. - Das darf man auch einmal sagen: Wir waren damit bundesweit führend. Wir waren eines der ersten Bundesländer, die gesagt haben: Wir gehen den Weg, 15 Monate vor Beginn der Schule den Sprachstand festzustellen und mit den Grundschullehrerinnen und den Kindertagesstätten zusammenzuarbeiten. - Es war Minister Busemann, der das in Niedersachsen eingeführt hat. Es war richtig, dass wir diesen Weg gegangen sind, weil wir auf diese Weise im Bereich der Sprachförderung nicht nur mit Blick auf Kinder aus Migrationsfamilien, sondern auch mit Blick auf Kinder aus deutschen Familien ohne Migrationshintergrund entsprechend reagiert haben.
- Frau Heiligenstadt, ich weiß ja, dass Sie sich sehr gerne aufregen. Ich halte es gleichwohl für einen Erfolg an sich, dass wir in den letzten Jahren für diese Sprachförderung über 46 Millionen Euro ausgegeben haben. Ich fände es anständig, wenn auch eine Oppositionsfraktion einmal anerkennen würde, dass wir Jahr für Jahr - kontinuierlich - in die frühkindliche Sprachförderung - Kindertagesstätte, Grundschule - 6 Millionen Euro investiert haben. Das gab es während Ihrer Regierungszeit in Niedersachsen nicht.
Meine Damen und Herren, einer Problematik, die Sie, Frau Abgeordnete, aufgeworfen haben und die auch mich zurzeit umtreibt, werde ich nachgehen. Wir diskutieren zurzeit intensiv über die Frage der Schulsozialarbeit an allen Schulen. Das Land Niedersachsen hat insbesondere mit Blick auf die Hauptschulen in den letzten Jahren einen Ausstattungsstandard von etwa 99 % erzielt.
Nun haben wir den von Ihnen dargelegten Ausstattungsgrad mit Sozialpädagogen an Grundschulen auf den Weg gebracht. Mich treibt allerdings im Moment die Frage um, wo und wie die 32 Millionen Euro, die der Bund im Rahmen des Bildungs- und
Teilhabepaketes auch niedersächsischen Kommunen zur Verfügung gestellt hat und die u. a. für Schulsozialarbeit bereitgestellt werden sollten, eingesetzt werden. Wir werden dem nachzugehen haben; denn wenn der Bund hier Geld eingesetzt hat, werden wir natürlich auch überprüfen müssen, wohin dieses Geld tatsächlich gegangen ist.
Es ist nicht Aufgabe des Landes Niedersachsen, quasi die Jugendhilfe zu ersetzen und damit die eigentliche Verantwortung der Kommunen zu übernehmen. In erster Linie sind für diese Fragen natürlich die Kommunen verantwortlich.
Meine Damen und Herren, der demografische Wandel in Niedersachsen hat erste Spuren hinterlassen. Von einem ist auszugehen: Sie werden deutlich tiefer werden. Seit 2003/04 sind die Schülerzahlen bereits um rund 10 %, also um rund 90 000 Schülerinnen und Schüler, zurückgegangen. Im Vergleich zu 2003/04 haben wir in Niedersachsen etwa 101 Grundschulstandorte weniger.
Es wäre geradezu fahrlässig, die Augen vor diesen Fakten zu verschließen. Die Zahl der Grundschülerinnen und -schüler wird von heute etwa 300 000 auf ca. 250 000, gemessen an den Hochrechnungen in Bezug auf die heutigen Geburtenzahlen, bis 2020 deutlichst zurückgehen.
Dabei gilt es jetzt aber schon - wie ich finde - die Verantwortungsebenen auseinanderzuhalten. Das hat nichts mit Magie oder Verpackungskunst oder wie auch immer - als „Verpackungskünstler“ wurde ich heute in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung bezeichnet - zu tun, sondern es gibt, wie ich finde, klare Verantwortungsebenen, die auseinandergehalten werden müssen. Es gibt ein Schulgesetz. In dem steht in § 106, dass für die Errichtung, Schließung, Neuorganisation, Erweiterung - oder wie auch immer - zunächst einmal die Kommunen verantwortlich sind. Die Kommunen haben darüber zu entscheiden, wie sie ihre wohnortnahe Schulversorgung letztlich organisieren.
Ich bin mir darüber im Klaren, dass zu einem attraktiven Standort einer Kommune ein Grundschulangebot gehört.
Nur, meine Damen und Herren, klar ist auch, wenn die Schülerzahlen irgendwann einfach nicht mehr da sind, dann kann man sich noch so sehr aufs
Hinterbein stellen, wir werden dann natürlich über Kooperationen, Kombiklassen, Außenstellenlösungen, Schulverbünde - im Übrigen auch über Gemeindegrenzen hinweg - versuchen müssen, diese Schulstandorte in den nächsten Jahren überhaupt zu halten.
Ich rate allen Kommunen sehr, bevor überhaupt die grundsätzliche Frage gestellt wird, ob ein Grundschulstandort geschlossen wird, zunächst einmal in Erwägung zu ziehen, diese Instrumente zu nutzen, Klassen 1 und 2 als Kombiklasse zu führen. Die Eingangsstufe, die zurzeit etwa in 10 % der Grundschulen in Niedersachsen angewandt wird, ist ein erfolgreiches und sinnvolles Instrument. Es ist in Ihrer Regierungszeit schon auf den Weg gebracht worden, und das ist in den letzten Jahren ausgeweitet worden.
Ich halte die offene Eingangsstufe für ein sehr gutes Modell. Es bedarf allerdings auch des entsprechenden Einsatzes des Kollegiums, dies auch zu wollen. Es sind eben Schülerinnen und Schüler unterschiedlicher Jahrgangsstufen, auf die dann auch entsprechend eingegangen werden muss. Das bedeutet oft mehr Arbeit als normal. Insofern dürfte diese Zahl, denke ich, noch ein wenig Luft nach oben haben.
Ich hoffe sehr, dass die Schulträger die Frage der Kombiklassen 1 und 2, 3 und 4 nutzen. Wir werden aber auch in einzelnen Regionen - machen wir uns nichts vor -, im Harz oder in Nordostniedersachsen, über kurz oder lang möglicherweise zu Kombinationsklassen von 1 bis 4 kommen.
Das ist pädagogisch nicht sinnvoll, das ist pädagogisch nicht wünschenswert, aber wenn sich der Schulträger dazu entscheidet, einen Standort zu halten,
dann ist möglicherweise am Ende eine Klasse von 1 bis 4 erforderlich, um diesen Schulstandort zu erhalten.
Das Land - um das deutlich zu sagen - schließt keine Schulen. Das Land entscheidet nicht über die Schließung eines Schulstandortes, sondern letztlich ist dies alleinige Verantwortung der Kommunen. Auch einzügige Grundschulen können in Niedersachsen fortgeführt werden.
Vielleicht darf ich an dieser Stelle auch einmal darauf hinweisen: Es gibt kaum ein Schulsystem in unserem Bundesland, das so kostenintensiv ist wie unser Grundschulsystem.
Wir weisen, egal, wie groß - ob nun Kleinstgrundschule, Zwerggrundschule oder wie auch immer -, allen Grundschulen die entsprechenden Unterrichtsstunden entsprechend der Klassenbildung zu. Das ist kostenintensiv. Das machen nicht alle Bundesländer so wie wir. Insofern glaube ich, dass wir uns mit dem, was wir in Niedersachsen in den Grundschulbereich investieren, in keiner Weise werden verstecken müssen und verstecken dürfen.
Meine Damen und Herren, ich will es vielleicht bei den wenigen Zahlen und bei dem, was Sie hier schon vorgetragen haben, belassen, weil ich zutiefst davon überzeugt bin, dass wir bei der Frage der Ganztagsschulen und der Frage der Inklusion - dabei sagen wir ja heute schon, dass 40 % der Grundschulen in Niedersachsen inklusiv arbeiten - im Moment grundsätzlich davon ausgehen können, dass unsere Grundschulen gut in der Lage sein werden, in den nächsten Jahren den gemeinsam beschlossenen Gesetzentwurf zur Inklusion umzusetzen.
Ich hoffe, dass auch die Sprachförderung in den nächsten Jahren durch die Grundschullehrkräfte mit den entsprechenden Handreichungen vernünftig umgesetzt wird.
Was ich hier allerdings nicht in Ordnung fand, Frau Abgeordnete Weddige-Degenhard, ist Ihr Umgang mit der Frage der kerncurrikularen Voraussetzungen, die wir in den letzten Jahren geschaffen haben. Wir sind in Deutschland das erste Bundesland, das für alle Jahrgänge, von 1 bis 12, für alle durchgängigen Jahrgänge, kerncurrikulare Vorgaben gemacht hat. Wir wissen aus einer Internetumfrage mit den Grundschulen, dass diese mit diesen neuen Vorgaben ganz überwiegend gut umgehen konnten.
Insofern glaube ich, dass es mit Blick auf unsere Grundschulen in Niedersachsen eine Menge zu tun gibt. Sie haben Problembereiche aufgeführt. Das gilt es überhaupt nicht zu beschönigen. Aber es ist keinesfalls so, dass diese Landesregierung nicht geantwortet und auch nicht reagiert hätte, sondern im Gegenteil. Wir erkennen diese Ent
wicklung. Wir sind jedoch auch darauf angewiesen, dass die Kommunen diesen Weg mit uns gehen, und stehen beratend zur Seite.
Vielen Dank, Herr Minister. - Damit kommen wir zu den weiteren Wortmeldungen. Zunächst hat sich Frau Korter für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gemeldet. Frau Korter, Sie haben jetzt das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Grundschule ist noch immer die beliebteste Schulform, und sie ist auch die erfolgreichste in Niedersachsen. Doch auch sie steht vor neuen Herausforderungen. Wir haben schon einige gehört.
Als inklusive Schule soll sie alle Kinder mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf aufnehmen und fördern. Zugleich wünschen sich immer mehr Eltern echte Ganztagsschulen, in denen die Kinder nicht nur betreut, sondern wirklich gefördert werden.