Protocol of the Session on March 23, 2012

Erste Beratung: Opferschutz durch verfahrensunabhängige Beweissicherung in Niedersachsen erhöhen - Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP - Drs. 16/4576

Dieser Antrag wird eingebracht von der Frau Kollegin Konrath für die CDU-Fraktion. Ich erteile Ihnen das Wort, Frau Konrath.

Danke schön. - Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Zentraler Grundsatz unseres Rechtsstaates ist: Niemand darf vom Gericht verurteilt werden, wenn seine Schuld nicht zweifelsfrei bewiesen ist.

(Zustimmung bei der CDU)

Aber, meine Damen und Herren: Nicht jeder Freispruch beruht auf der tatsächlichen Unschuld des Beschuldigten. Gerichtsverwertbare Tatspuren besonders bei Sexual- und Gewaltstraftaten reichen nicht immer aus, um den Täter zu überführen. Wir wollen in Niedersachsen flächendeckend die Möglichkeit schaffen, Tatspuren professionell und gerichtsfest sichern zu lassen, ohne als ersten

Schritt Anzeige erstatten und ein Strafverfahren führen zu müssen. Das sind wir den Opfern schuldig. Damit tragen wir der besonderen Problemlage eines Personenkreises Rechnung, der durch das Geschehene zutiefst verletzt und traumatisiert ist, um unmittelbar nach der Tat ein Strafverfahren durchzustehen. Stammt der Täter aus dem sozialen Umfeld des Opfers, ist die Hemmschwelle, z. B. den Lebenspartner anzuzeigen, groß.

Ein zweiter Bereich betrifft oftmals junge Frauen, die in Diskotheken unwissentlich K.-o.-Tropfen zu sich genommen haben und Opfer einer Vergewaltigung wurden.

Angst und Scham nützen nur den Tätern. Das Verfahren der anonymen Beweissicherung ist ein niedrigschwelliges Angebot, das es Gewaltopfern in Niedersachsen zukünftig ermöglicht, objektive Beweismittel einer Straftat schon vor der Entscheidung über die Anzeigenerstattung zeitnah zur Tat zu sichern.

(Beifall bei der CDU - Unruhe)

Frau Kollegin, ich möchte Sie unterbrechen. - Verehrte Kolleginnen und Kollegen an der Regierungsbank, ich bitte Sie dringend, Ihre Gespräche, wenn sie länger sind, draußen zu führen. Ansonsten ist das eine Missachtung des Parlaments, wenn wir hier vorn unsere Reden halten. - Bitte schön!

Die Opferambulanzen sollen flächendeckend als Grundversorgung allen Opfern von Gewalttaten zur Verfügung stehen. Damit führt Niedersachsen als erstes Bundesland landesweit die anonyme forensisch verwertbare Beweissicherung von Tatspuren für eine erfolgreiche Strafverfolgung ein.

(Beifall bei der CDU)

Denn entschließen sich Betroffene erst zu einem späteren Zeitpunkt, Strafanzeige zu stellen, ist es zu spät für die professionelle Sicherung der Beweismittel. K.-o.-Tropfen lassen sich im Blut und Urin nur wenige Stunden lang feststellen.

Unser Anliegen ist es, die Phase, in der das Opfer die Entscheidung für oder gegen das Strafverfahren trifft, zu professionalisieren. Polizei und Justiz sollen an diesem kritischen sensiblen Punkt noch nicht beteiligt sein. Keinesfalls soll das strafrechtliche Verfahren ersetzt oder in seiner Bedeutung gemindert werden.

Opfer von Gewaltstraftaten schrecken oft aus Unsicherheit und Unkenntnis über das Strafverfahren vor einer Anzeige zurück. Das bestätigen Opferverbände und Justizexperten gleichermaßen, wie eine Veranstaltung der CDU-Landtagsfraktion im letzten Sommer mit Vertretern der Justiz, der Opferhilfeeinrichtungen und Verbänden gezeigt hat. Die Expertenrunde begrüßt diese Initiative; denn nur stabile Opferzeugen bestehen gut. Wer Opfer einer Gewaltstraftat geworden ist, soll nicht alleingelassen werden.

(Beifall bei der CDU)

Ermutigung und Unterstützung sind notwendig, um Strafanzeige zu erstatten und als Zeugin oder Zeuge im Strafverfahren mitzuwirken. Die Zeitspanne von der Spurensicherung bis zur möglichen Strafanzeige sollte intensiv zur Beratung genutzt werden. Das Opfer gewinnt Zeit und kann sich Klarheit verschaffen, um mit Unterstützung der Opferhilfeeinrichtungen die Entscheidung zu treffen, wie es weitergehen soll.

Als zentrale Anlaufstellen sollen die Opferambulanzen am Institut für Rechtsmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover und ihre Außenstelle in Oldenburg dienen. Außerhalb der rechtsmedizinischen Standorte sollen unter Leitung der Rechtsmedizin Partnerkliniken zu dem Konzept der verfahrensunabhängigen Beweissicherung und den Methoden der Spurensicherung geschult und mit Spurensicherungssets versorgt werden.

(Zustimmung bei der CDU)

Die fachgerechte gesicherte Lagerung und weitergehende Untersuchungen übernimmt die Rechtsmedizin. Diese neuen Opferambulanzen sollen den Hilfesuchenden an sieben Tagen in der Woche, von morgens bis in die Abendstunden hinein, zur Verfügung stehen,

(Hans-Dieter Haase [SPD]: Nachts wäre auch nicht schlecht!)

und die Ärzte unterliegen der Schweigepflicht. Das ist wichtig.

Zugleich beinhaltet das Projekt umfassende Fortbildungen für niedergelassene Ärzte und Klinikärzte, um gewaltbelastete Patienten besser zu erkennen und in der gerichtsfesten Beweissicherung von Tatspuren zu schulen. Die Opferambulanz soll zukünftig die Brücke zwischen der Spurensicherung und dem Kontakt zu den Opferhilfeeinrichtungen bilden. Bestehende Netzwerke der Opferhilfeeinrichtungen - bitte bedenken Sie: im letzten Jahr

hatten wir das Jubiläum „10 Jahre Stiftung Opferhilfe in Niedersachsen“ - können genutzt, ausgebaut und neu geknüpft werden. Es ist das Ziel, am Ende der Projektphase ein flächendeckendes Netz von Anlaufstellen für Gewaltopfer in Niedersachsen vorhalten zu können. Ich freue mich, dass unser Einsatz für das Projekt erfolgreich war

(Beifall bei der CDU)

und es mit der Unterstützung der Landesregierung möglich ist, die verfahrensunabhängige Beweissicherung in Niedersachsen auf den Weg zu bringen. Für die Haushaltsjahre 2012 und 2013 stehen im Haushalt 540 000 Euro bereit.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Es ist Verdienst der Stiftung Opferhilfe Niedersachsen und der anderen Opferverbände, dass die Opferperspektive heute stärker im Vordergrund steht und der Staat sich nicht nur um die angemessene Bestrafung und Behandlung des Täters kümmert.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP sowie Zustimmung von Helge Limburg [GRÜNE])

Die Zeiten, als Opfer von Straftaten bestenfalls als Zeugen vor Gericht eine Rolle spielten, sind überwunden. Die Stiftung Opferhilfe steht allen Menschen zur Seite, die Opfer einer Straftat geworden sind, ausdrücklich auch jenen, die noch keine Strafanzeige erstattet haben. Das Projekt „Verfahrensunabhängige Beweissicherung“ wahrt die Interessen von Gewaltopfern, die nach der Tat aus verständlichen Gründen zunächst keine Anzeige erstatten.

Niedersachsen leistet nicht nur eine hervorragende Arbeit im Justizvollzug - das sage ich im Hinblick auf die Verbesserungen, die wir seit 2003 in diesem Bereich geschafft haben, mit ganzem Stolz -, sondern bei der verfahrensunabhängigen Beweissicherung handelt es sich auch um den bestmöglichen Opferschutz für Niedersachsen. Zukünftig darf es in Niedersachsen bei Sexual- und Gewaltstraftaten nicht mehr heißen „mit oder ohne Strafverfahren“, sondern „noch ohne Strafverfahren“.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herr Haase für die SPD-Fraktion, Sie haben das Wort.

Danke, Herr Präsident. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Konrath, ich war schon ein wenig überrascht, als ich diesen Antrag auf dem Schreibtisch gefunden habe.

(Heinz Rolfes [CDU]: Das wundert mich gar nicht!)

Sie müssen schon verstehen, dass ich ein bisschen verwundert war, dass ein Dreivierteljahr, nachdem die Kampagne Ihrerseits gefahren worden ist und die Idee hier zum ersten Mal medienwirksam, aber auch in die richtige Richtung in Niedersachsen thematisiert worden ist, gut drei Monate, nachdem wir sogar schon den Haushaltsansatz hierfür beschlossen haben, immer noch nicht mit der Umsetzung begonnen worden ist, sondern erst jetzt, also drei Monate, nachdem es abgefeiert und schon haushaltsmäßig abgesichert war, überlegt wird, wie wir das Ganze konkretisieren wollen. Das ist ein etwas ungewöhnlicher Weg.

(Heinz Rolfes [CDU]: Irgendetwas habt ihr doch immer zu mäkeln!)

- Nicht immer so aufregen!

Meine Damen und Herren, eindeutig wichtiger als das Verfahren sind aber der Inhalt, die materielle Seite des Antrages,

(Beifall bei der CDU - Mechthild Ross- Luttmann [CDU]: Die ist gut!)

der einen wichtigen und richtigen Schritt für die Opfer in Niedersachsen bedeutet.

Ich meine, dass wir alle hier im Haus wissen und einig sind, dass die Opfer einer Gewalttat insbesondere im Bereich des Sexualstrafrechtes viel stärker in den Mittelpunkt gestellt und viel stärker geschützt werden müssen. Wir wissen aber auch, dass unser Strafrecht nur bei eindeutiger Beweislage und eindeutiger Schuldzuordnung eine Verurteilung zulässt.

Um nicht in einem späteren Verfahren zu unterliegen, ist es deshalb unverzichtbar, Beweismittel frühzeitig zu sichern. Nicht immer aber ist gerade in diesen Verfahren das Opfer bereit, sogleich ein Ermittlungsverfahren einzuleiten, indem Anzeige erstattet wird; denn insbesondere die Opfer von Sexualstraftaten leiden besonders schwer, sowohl unter psychischen als auch unter physischen Folgen. Das macht das Durchstehen eines Strafverfahrens, das mit der Anzeige und der Einleitung des Ermittlungsverfahrens beginnt, oftmals unmöglich. Da aber Beweise nur über einen sehr kurzen

Zeitraum gesichert werden können - insbesondere bei diesen Delikten -, ist der von vielen Bundesländern - das ist kein Alleinstellungsmerkmal Niedersachsens - schon länger eingeschlagene Weg, die verfahrensunabhängige anonyme Beweissicherung zuzulassen und zu ermöglichen, der richtige.

(Widerspruch von Heinz Rolfes [CDU])

- Das wissen Sie doch z. B. aus NRW; dort gibt es jede Menge Opferambulanzen. - Diese so gesicherten Beweise können dann später - über die Fristen müssen wir uns natürlich im Ausschuss unterhalten - in einem Strafverfahren verwertet werden. Gesichert würden diese Beweise in Opferambulanzen nach forensischen Grundsätzen.

Meine Damen und Herren, hier beginnt der Antrag klein zu werden. NRW z. B. hat als Flächenland dezentrale Opferambulanzen im ganzen Land, die leider sehr stark frequentiert sind. In Niedersachsen auf zunächst nur zwei zentrale Opferambulanzen zu setzen, wird einem Flächenland wie Niedersachsen und vor allen Dingen den vielen Opfern in der Fläche in meinen Augen nicht gerecht. Deswegen ist die Forderung unter Nr. 2 Ihres Antrages nach der flächendeckenden Ausweitung richtig formuliert, in meinen Augen aber völlig vage und im Moment noch überhaupt nicht mit einer zeitlichen Komponente versehen. Insoweit weiß man nicht, ob so etwas irgendwann einmal kommt. Ich meine, dass wir im Ausschuss noch intensiv darüber reden müssen.

Wir müssen im gesamten Land, an den Krankenhäusern und in Kliniken, die Möglichkeit zur professionellen forensischen anonymen Beweissicherung schaffen, wobei eine Vernetzung mit anderen Opfereinrichtungen sicherlich sehr wünschenswert ist. Das bedeutet nämlich auch, dass wir massiv geeignete Ärzte, aber auch Einrichtungen qualifizieren müssen, und zwar u. a. unter Einbindung der Stiftung Opferhilfe, aber z. B. auch von Opferhilfeorganisationen wie der des Weißen Ringes. Ich glaube, dass wir uns auch in dem Punkt einig sind.

Mit den bisherigen Haushaltsansätzen 2012/2013, die hier als erster Ansatz hoch gelobt wurden, wird man aber, wenn man es mit einem umfassenden Opferschutz in diesem Bereich ernst meint, nicht sehr weit kommen angesichts der Zahlen der Opfer, die nicht unbeträchtlich sind, und angesichts der Fälle, in denen dieses Angebot in anderen Ländern, in denen dieses Angebot besteht, nachgefragt wird.

Meine Damen und Herren, wir werden mit der Einführung der anonymen Beweissicherung sicher auch hier einem guten Teil der EU-Roadmap zum Opferschutz Rechnung tragen und damit den Opferschutz wirksam stärken. Mir ist bewusst, dass auf diesem Weg durchaus noch einige rechtliche Probleme zu lösen sind, z. B. hinsichtlich der Fristen, wie lange etwas aufbewahrt werden kann, sodass es noch als Beweismittel verwendet werden kann. Ich bin aber sicher, dass wir von den vorhandenen Erfahrungen der anderen Bundesländer, von dem Expertenwissen, das es schon gibt, in der Ausschussberatung gute Anregungen bekommen.