Protocol of the Session on March 21, 2012

Wenn es Frau Merkel so glorreich gelingt, mit Herrn Sarkozy den Fiskalpakt - also den Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion - allen anderen

Ländern in Europa zu diktieren, warum nicht gleich in einem Gesamtpaket mit der Einführung der Finanztransaktionssteuer?

Kolleginnen und Kollegen, was jetzt nach diesem ausgehandelten Vertrag passiert, ist die extreme Verarmung ganzer Länder: hohe Arbeitslosigkeit von 25 % in Griechenland und Spanien, Jugendarbeitslosigkeit von bis zu 50 %, und das ohne eine greifbare Chance auf Wachstum oder Beschäftigung. Bei schlechten Einnahmeprognosen nur zu sparen, wird die von der Schuldenkrise erfassten Länder nicht auf die Beine bringen.

Wir brauchen daher einen Masterplan, der diesen Ländern konstruktiv dabei hilft, wieder auf die Beine zu kommen. Auch dafür könnte man Einnahmen aus einer Umsatzsteuer auf Finanzgeschäfte nutzen. Der Steuerzahler wird dafür nicht mehr aufkommen können, und er wird es zu Recht nicht wollen, wenn die Mitschuldigen an der Krise immer wieder verschont werden.

Offenbar hat Frau Merkel vergessen, dass sie bei den Beratungen über den Fiskalpakt in Bundestag und Bundesrat eine verfassungsändernde Mehrheit braucht. Von uns als SPD wird sie im Bundestag die Zustimmung nur unter bestimmten Bedingungen bekommen.

Erstens muss gleichzeitig mit der Einführung des Fiskalpaktes eine europäische Wachstums- und Investitionsinitiative auf den Weg gebracht werden.

Zweitens muss ein Programm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit auf den Weg gebracht werden.

Drittens muss es einen verbindlichen Beschluss zur Einführung der Besteuerung der Finanzmärkte geben.

Es wird Zeit, dass man neben der nachhaltigen Konsolidierung der Staatshaushalte in der Eurozone, neben allen Einsparungen auch Wachstums- und Investitionsstrategien zur Erneuerung der Realwirtschaft auf den Weg bringt und dass man die Kosten der Finanzmarktkrise gerecht verteilt. Das bedeutet: Die Finanzmärkte werden sich an den Kosten beteiligen müssen. Das ist überfällig, das ist notwendig, und es wird so kommen.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei den GRÜNEN)

Herzlichen Dank, Frau Emmerich-Kopatsch. - Für die CDU-Fraktion spricht Herr Dr. Siemer. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Es ist tatsächlich so, dass die internationalen Finanzmärkte mit Handelsvolumina und Finanzprodukten arbeiten, die für Außenstehende kaum noch nachvollziehbar sind. Zwei kurze Beispiele:

Im internationalen Devisenhandel spricht man von einem Handelsvolumen von 800 Billionen US-Dollar; der tatsächliche Güterhandel - also Im- und Exporte - liegt bei 30 Billionen Dollar.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Das ist doch pervers, oder?)

Das sind zwar immer noch 30 000 Milliarden Dollar - eine große Summe -, aber das Handelsvolumen bei den Devisen liegt beim 20-Fachen des tatsächlichen Im- und Exports, und dieser Abstand scheint sich weiter zu vergrößern.

Bei den Derivaten, also z. B. den Wetten auf Zinssätze, gibt es ähnliche Größenordnungen. Dort liegt das Volumen bei 600 Billionen US-Dollar. Die Handelsplätze für solche Produkte sind Chicago, London, New York, Zürich, Hongkong, Singapur und Tokio. Dort wird mit Produkten gehandelt, die auch nach Ansicht vieler Wissenschaftler Mitauslöser der Finanzkrise waren.

Schieflagen bei Banken, die durch solche und ähnliche Produkte ausgelöst wurden, hat es schon in der Vergangenheit gegeben. Ich möchte an dieser Stelle nur an den Verlust von 1,4 Milliarden Dollar bei der Barings Bank und an den Verlust von 5 Milliarden Euro bei der Société Générale erinnern. Allerdings waren nicht alle diese Verluste durch solche Produkte bedingt, sondern auch durch Betrug. Hochfrequenzhandel hat bei diesen Dingen wohl keine Rolle gespielt.

Aufgrund der Wirtschafts- und Finanzkrise hat es zahlreiche Änderungen in der Gesetzgebung gegeben. Der Finanzsektor ist an den Kosten maßgeblich beteiligt worden. Das sind übrigens Dinge, die zusammen auch mit der SPD beschlossen worden sind.

Es gab die Zusatzanforderungen aus Basel I bis III.

(Petra Emmerich-Kopatsch [SPD]: Aber nicht für Hedgefonds!)

Es gibt die Bankenabgabe. Es gibt Bankenaufsicht, zusätzliche Regulierung. Es ist also nicht so, dass nichts passiert ist.

Auch bei den Landesbanken werden Maßnahmen ergriffen, um die Risiken zu begrenzen. Nicht alle Parteien ziehen bei diesen Dingen mit. Bei der NORD/LB sind die Grünen durchaus anderer Auffassung.

Von einer Finanztransaktionssteuer versprechen wir uns Lenkungseffekte, die den Handel mit Wertpapieren, deren Wertschöpfung nicht besonders hoch liegt, begrenzen und dadurch die Risiken minimieren.

Entscheidend ist dabei die Bemessungsgrundlage. Alle Finanzprodukte müssen in diese Steuer einbezogen werden; sonst gibt es Ausweichhandel. Die Steuerhöhe sollte so ausgestaltet sein, dass sich eine Verlagerung nicht lohnt.

Als Haushälter stellen wir ganz besondere Anforderungen an die Einführung einer neuen Steuer: Ist Besteuerungsgerechtigkeit gewährleistet? Wie ergiebig ist die Steuer? Ist sie praktikabel?

Zunächst zur Praktikabilität: Ich hatte bewusst zu Anfang die Handelsplätze erwähnt. Sie liegen in den USA, in Europa - London und Zürich - und in Asien. Am besten müsste eine solche Steuer also an diesen Plätzen greifen. Eine europaweite Regelung kann daher hier nur ein Schritt sein. Das angedachte Prinzip der Ansässigkeit, also der Residenz, führt dazu, dass deutsche Banken auch dann von der Steuer belastet werden, wenn sie in Singapur handeln. Insofern gehen die Überlegungen der Bundesregierung von Angela Merkel in die richtige Richtung.

Im Antrag der SPD und in den Beratungen im Ausschuss ist die Opposition hinter diesen Überlegungen weit zurückgeblieben. Sie spricht von einer schrittweisen Einführung der Steuer in Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien. Diese Länder mögen Urlaubsländer sein. Sie sind aber leider nicht Sitz bedeutender Handelsplätze. Dieser Ansatz ist ungefähr so, als wenn man plant, in Bern, in Bielefeld und im Vatikan eine Vergnügungsteuer einzuführen, und glaubt, damit das Glücksspiel in Las Vegas, Atlantic City und Macau bekämpfen zu können. Das sind Scheingefechte.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Im Übrigen hätten die Vorschläge, die Sie angeführt haben, auch nicht die Verluste bei der Barings Bank und der Société Générale verhindert.

Liebe Frau Kollegin Emmerich-Kopatsch, Sie haben in Ihrer Vorrede erwähnt, dass die Finanztransaktionssteuer als Umsatzsteuer gestaltet werden soll. Wie Sie wissen, ist die Umsatzsteuer mit die komplizierteste Steuer, die wir haben. Dort haben wir mit ganz erheblichen Ausweicheffekten und auch mit Steuerbetrug zu kämpfen. Gerade im Bereich der Finanztransaktionen wollen wir z. B. Kaskadeneffekte in Unternehmen vermeiden, die auch bei geringen Steuersätzen zu sehr hohen Steuerbelastungen führen und damit den Finanzplatz Deutschland gefährden würden.

Das macht deutlich, dass man sich die Einführung dieser neuen Steuer sehr genau überlegen muss. Sonst geschieht das, was in Schweden passiert ist: Als eine Steuer eingeführt wurde, brach der Handel um 90 % ein, und statt angedachter etwa 160 Millionen Euro Steuereinnahmen sind nur etwa 9 Millionen Euro gekommen. Genau diese Effekte wollen wir vermeiden. Insofern mache ich auch bei den Prognosen ein großes Fragezeichen. In Deutschland sollen angeblich 16 Milliarden Euro, in Frankreich 12 Milliarden Euro an Steuereinnahmen kommen. Das sind die Beträge, die auch in den Ausschussberatungen angeführt wurden. Ich gebe zu bedenken, dass die Betriebsergebnisse der führenden Banken in Frankreich bei Weitem nicht diese Steuerlast erreichen. Daher stellt sich die Frage, woher die Summe denn kommen soll. Es besteht die Gefahr, dass sie vom Endverbraucher, also von den Bürgerinnen und Bürger, kommt. Auch das ist ein Effekt, den wir unbedingt vermeiden sollten.

In vielen Punkten geht Ihr Vorschlag auf die wesentlichen Probleme einer Finanztransaktionssteuer gar nicht ein. Wir sind uns ja über das grundsätzliche Ziel einig. Insofern bedurfte es eines solchen Antrages nicht. Wir unterstützen Angela Merkel und Wolfgang Schäuble mit sachbezogenen Beiträgen und arbeiten weiter an einer Einigung in der Eurozone, in Europa und möglichst darüber hinaus. Ihr Antrag hilft da nicht weiter. Deshalb lehnen wir ihn ab.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Danke schön, Herr Dr. Siemer. - Für die Fraktion DIE LINKE hat sich Herr Dr. Sohn zu Wort gemeldet. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dies ist ja die dritte Erörterung dieses Themas hier im Plenum. Wir hatten im Januar die Antworten von Herrn Möllring, die bewusst kurz gehalten und nicht so gut waren, auf unsere Dringliche Anfrage zu diesem Thema. Dann gab es im Februar die erste Beratung des SPD-Antrags, der dann auch noch einmal im Haushaltsausschuss behandelt wurde. Das Ergebnis ist: Irgendwie sind alle dafür, aber es kommt trotzdem nicht. Das ist das Kernergebnis dieser Diskussion.

Das führt zu der Frage: Warum eigentlich nicht? - Der meistgenannte Grund - am zugespitztesten von der FDP - ist: Das geht nur auf dem übernationalen Weg, weil sich vor allem die bösen Engländer - Finanzplatz London -, aber auch so ein paar andere Bösewichte außerhalb von Deutschland dagegen sperren. Wenn das nicht alle wollen, dann geht es eben nicht, weil es eine internationale Problematik ist. Die FDP kann dabei das Grinsen nur ziemlich schwer unterdrücken. Sie sagt zwar, sie will das. Aber sie will es natürlich nicht, weil es um ihre Lieblingsklientel geht, die zwar schrumpfend, aber reich ist. Da ist das nicht wirklich gewünscht.

Daher rückt natürlich die Frage, Frau EmmerichKopatsch, nach einem nationalen, binationalen oder trinationalen Alleingang immer mehr ins Zentrum der Diskussion, wobei schon das Wort „Alleingang“ negativ gefärbt ist. Man könnte auch sagen, eine nationale oder binationale Initiative rückt in das Zentrum der Diskussion.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Mutig vorausgehen!)

Das war auch in der kurzen Ausschussdebatte so. Wir Linken sind der Auffassung, man muss in solchen Fragen vorangehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die SPD sagt - das ist der Grund, weshalb wir dem nicht zustimmen, sondern uns der Stimme enthalten werden -, das geht aber nur mit den anderen. Nun habe ich mir das Protokoll der Diskussion vom Februar noch einmal angeguckt. Das ist ganz interessant, weil Herr Grascha da an einem Punkt, Frau Emmerich-Kopatsch, recht hat; denn dort

führen Sie aus - ich lese das aus dem Protokoll vor -:

„Nennen Sie“

- Richtung rechts haben Sie das gesagt -

„einen vernünftigen Grund, warum, wenn beispielsweise Deutschland und Frankreich vorangehen sollten, Spanien und Italien sich nicht anschließen sollten.“

Dann sagt Herr Grascha laut Protokoll:

„Ihr Antrag ist viel sachlicher als Ihre Rede.“

Da hat er in einem Punkt recht; denn Ihr Antrag sagt „nicht vorangehen“, aber in Ihrer Rede heißt es, Deutschland und Frankreich sollen vorangehen.

Da Frankreich schon vorangegangen ist, geht es darum, dass Deutschland jetzt mit vorangeht. Genau das ist unser Petitum.