Protocol of the Session on February 22, 2012

(Beifall bei der LINKEN - Widerspruch bei der CDU)

Mittlerweile, vor allem liebe SPD, haben wir - jetzt beginnt wieder so eine Aufzählung - nicht nur eine Finanz-, Wirtschafts- und Schuldenkrise. Ehrlicherweise müssten Sie sagen, dass wir inzwischen auch eine Krise der Demokratie haben, weil es tatsächlich so ist, dass sich Wirtschaftskrisen immer tiefer in die Gesellschaft hineinfräsen. Damit diese Aufzählung nicht immer länger wird, schlagen wir Ihnen vor, liebe SPD, der Einfachheit halber zu sagen: Das ist eine kapitalistische Krise. - Dann brauchen Sie nicht solche Wortungetüme zu machen, die Sie immer häufiger verwenden.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Alternative zu dieser kapitalistischen Krise steht im Erfurter Programm, übrigens auch schon in Ihrem Erfurter Programm, das vor 120 Jahren verabschiedet worden ist. Die Alternative steht aber auch in unserem Erfurter Programm, das wir gerade beschlossen haben. Diese lese ich Ihnen einmal vor, weil das der Ausweg aus diesem ganzen Krisenzirkus ist.

„Die Linke kämpft … für einen Neustart der Europäischen Union als demokratische, soziale, ökologische und Friedensunion, für den Vorrang sozialer Rechte vor den Binnenmarktfreiheiten, für hohe und bessere europaweite Mindeststandards des sozialen und Umweltschutzes sowie der Unternehmens- und Vermögenssteuern, für eine demokratisch kontrollierte Europäische Zentralbank“

- auch das fehlt nämlich -

„und eine koordinierte und demokratisch kontrollierte Wirtschaftspolitik.“

(Beifall bei der LINKEN)

„Eine EU, die vor allem auf Standortkonkurrenz, Wettbewerb und Dumpingwettlauf und deren militärische Absicherung setzt, diskreditiert die europäische Idee.“

Sie sind gemeinsam dabei, das zu tun. Da retten die Beschlüsse von gestern und heute Morgen überhaupt nichts, Herr Aller.

Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Zu dem Beitrag von Herrn Dr. Sohn hat sich Herr Aller zu einer Kurzintervention gemeldet. Sie haben eineinhalb Minuten Redezeit. Herr Aller, bitte schön!

Schönen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war doch gut, dass ich mich nicht auf die Rede von Herrn Hilbers gemeldet habe; denn Herr Dr. Sohn hat es verdient, einige Sekunden gewidmet zu bekommen.

Sie hätten das Erfurter Programm vielleicht an die europäischen Partner schicken sollen. Dann hätten es alle gelesen, und dann wäre nicht das passiert,

was im Zuge der Krise passiert ist: Alle sozialdemokratischen und eher linken Regierungen sind im Zuge der Krise weggeschwemmt und durch konservative Regierungen ersetzt worden. Das heißt, die Argumente, die Sie bringen, und die Reden, die Sie halten, kommen offensichtlich bei denen, an die Sie sie richten, gar nicht an.

Deshalb hat es meiner Meinung nach ganz besonderen Zweck und Sinn, dass man ab und zu zur Kenntnis nimmt, dass es ein paar Gesetzmäßigkeiten am Kapitalmarkt gibt, dass es ein paar Probleme bei Schulden gibt. Diese zu überwinden, ist sicherlich gemeinsame Aufgabe; da gibt es keinen Streit. Was wir versucht haben, ist, deutlich zu machen, dass die Kapitalmarktseite erledigt werden muss, weil wir in das globale Netzwerk der Finanzmärkte eingebunden sind. Aus diesem Netzwerk kommen wir nicht raus, selbst wenn Sie das in Erfurt beschlossen haben.

(Petra Emmerich-Kopatsch [SPD]: Ei- nen Zaun ziehen!)

Genauso wichtig ist aber, dass wir bei einer gleichmäßigen Vorangehensweise die Lasten nicht auf das Volk satteln und die Binnennachfrage kaputtmachen, Herr Hilbers, und gleichzeitig fordern, dass die Staaten und ihre Volkswirtschaften so stark werden, dass sie die Krise aus eigener Kraft überwinden können. Das ist das Problem bei der Strategie, die Sie im Augenblick mit überzogenen Sparmaßnahmen verfolgen.

Sie würgen die Binnenkräfte ab und fordern von den Leuten gleichzeitig, dass sie sparen, bis das Blut aus der Haut tritt. Das funktioniert so nicht.

(Beifall bei der SPD)

Danke schön. - Herr Dr. Sohn möchte antworten. Auch Sie haben 90 Sekunden Redezeit.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Aller, lassen wir die CDU einmal beiseite. Die zerfräst im Moment erstens die europäische Wirtschaft und im Gefolge zweitens die europäische Idee. Bei der SPD würde ich mir etwas mehr Besinnung auf die eigenen Wurzeln wünschen; das wünschen wir der SPD häufiger. Bei der Frage, ob die Leute im Moment nicht zu stark den Ausweg aus der Krise nach rechts wählen, stimme ich Ihnen in der Beobachtung zu, wobei die jüngsten Umfragen in Italien und in Griechenland in eine

etwas andere Richtung weisen. Darauf deutet im Übrigen auch schon hin, dass Herr Schäuble jetzt schon überlegt und empfiehlt - sozusagen im Zuge dieser Papandreou-Empfehlung -, die Wahlen noch ein bisschen hinauszuschieben. Das würde er nicht machen, wenn die Rechten dort auf der Gewinnerstraße wären.

Ich glaube, dass der SPD ein bisschen mehr historischer Optimismus - das ist eine Art von Glaubenselement aufrechter Sozialisten - gut zu Gesicht stünde; denn das Richtige setzt sich letztlich doch durch. Wir reden übermorgen noch einmal über die Finanztransaktionssteuer. Das ist auch so ein Punkt, der sich allmählich durchsetzt. Das wird aber nicht reichen. Auch die Eurobonds werden nicht reichen. Wir sagen Ihnen - auch dafür ist das alte Erfurter Programm recht gut geeignet -: Sie werden den Mut brauchen, die Frage der Vergesellschaftung von Großbanken wieder auf die Tagesordnung zu setzen, sonst geht die SPD in diesem Strudel der europäischen Krise mit unter. Ein bisschen mehr Mut zu ihren alten Erfurter Prinzipien würde Ihnen auch als Partei gut tun.

Schönen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Zu diesem Tagesordnungspunkt hat sich Frau Polat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gemeldet. Bitte!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bleiben wir einfach bei den Fakten! Sie haben hier vor einigen Monaten einen Haushalt verabschiedet, der eine höhere Neuverschuldung vorsieht. Sie erzählen dem Rest Europas öffentlich, er solle sparen. Aber Sie selber sind dazu nicht in der Lage. Damit muss endlich Schluss sein, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie erklären in Ihrer Begründung, Sie seien die deutschen Europaparteien - wohlgemerkt mit der Betonung auf „deutsch“. Das ist nämlich Ihr Verständnis von Europa: erst wir, dann die anderen.

Ihre Parteien haben in besonderem Maße zur Europaskepsis beigetragen. Populistische Äußerungen sogar Ihrer Parteivorsitzenden haben nicht nur die Position Deutschlands geschwächt, sondern auch eine konsequente Politik für und in Europa erschwert.

Meine Damen und Herren, es muss endlich Schluss sein mit dem Herumgeeiere von Konservativen und Liberalen in Europa, von SchwarzGeld,

(Heiterkeit und Beifall bei den GRÜ- NEN)

von Schwarz-Gelb und dem Duo „Merkozy“ an deren Spitze.

Herr Hilbers, Sie müssen endlich einmal von dem Glauben abkommen, mit einer einseitigen Politik des Spardiktats hier auf einen guten Weg in Europa zu kommen. Die Bundeskanzlerin hat damit Deutschland in Europa isoliert und entdemokratisiert die Europäische Union, ohne dabei die akuten Probleme zu lösen.

(Heiner Schönecke [CDU]: Was ist das denn für eine Ansage?)

Wenn Sie davon sprechen, das Ganze demokratisch zu legitimieren - Sie haben in Ihrem Antrag mehrfach das Bundesverfassungsgerichtsurteil zitiert -, dann verstehe ich nicht, was Sie damit meinen.

Mögliche Wege aus der Krise der Währungsunion wie beispielsweise die Eurobonds und ein aktiveres Engagement der Europäischen Zentralbank werden von Ihnen auch mit dem heute vorgelegten Antrag blockiert.

Was Europa jetzt braucht, ist eine europäische Lösung des Schuldenproblems. Alles, was dazu geeignet ist, wurde von Angela Merkel mit eiserner Faust niedergehalten.

(Glocke des Präsidenten)

Hätten wir das letzte Jahr genutzt, um Eurobonds einzuführen, und die deutsche Zustimmung an die jetzt erzwungene Stabilitätsunion gekoppelt, hätten wir die Schuldenkrise gelöst und wären einen riesigen Schritt in der europäischen Einigung vorangekommen. Es war allein die deutsche Politik, die das verhindert hat.

Meine Damen und Herren, das beste Beispiel für Ihren europäischen Holzweg ist der Fiskalpakt. Der Fiskalpakt verstellt den Blick auf die zentrale Erkenntnis, dass die asymmetrische Union nicht funktioniert. Auf die Konstruktionsfehler unserer Währungsunion geben Sie, Herr Hilbers, und gibt der Fiskalpakt keine Antworten.

(Reinhold Hilbers [CDU]: Natürlich! Das haben Sie übersehen!)

Sie täuschen mit dem Fiskalpakt konsequentes Handeln vor, betreiben damit aber letztendlich weiterhin nur Flickschusterei. Sie müssen einmal die Ausnahmeregelungen im Fiskalpakt lesen! Frankreich macht nicht mit, Dänemark macht nicht mit. Es ist also alles nur eine vorgetäuschte Symbolpolitik, die Sie da betreiben.

(Glocke des Präsidenten)

Die im Fiskalpakt vorgesehenen Eurogipfel sind weder parlamentarisch noch gerichtlich auf europäischer Ebene kontrollierbar.

Kommen Sie bitte zum Schluss!

In Anbetracht der Tragweite der dort zu treffenden Entscheidungen ist es ein zu intransparent arbeitendes Gremium.

Was Sie hier tun, ist schlichte Entdemokratisierung. Fangen Sie endlich an, konsequente Europapolitik zu machen, und geben Sie Antworten in Bezug auf eine konsequente Wachstumsstrategie auch für Griechenland!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.