Für eine Kurzintervention auf den Beitrag von Herrn Oetjen hat Frau Polat ums Wort gebeten. Ich erteile Ihnen das Wort, Frau Polat. Anderthalb Minuten!
Vielen Dank. - Herr Präsident! Ich habe mich für einen ganz kurzen Beitrag zu Wort gemeldet, weil es mich schon ärgert, dass es hier immer so dargestellt wird, als wenn wir als Parlamentarier oder die Fraktionen von CDU und FDP keinen Handlungsspielraum hätten.
Wir haben es gerade deutlich gemacht: Wir können als Parlament die Landesregierung auffordern, einen Erlass für die Wintermonate herauszugeben. Wir können die Landesregierung auffordern - das war das, was die Kollegin Dr. Lesemann kritisiert hat -, einen Erlass, der hier sozusagen aufgehoben wurde, wieder ins Leben zu rufen, durch den vermieden wird, dass Abschiebungen nachts passieren. Das sind zutiefst traumatisierende Erlebnisse, insbesondere für Kinder. Wir haben uns im Petitionsausschuss einen Film angeschaut, in dem der Fall einer aus Niedersachsen abgeschobenen Familie dokumentiert wurde. Die Kinder nässen ein, sie sind zutiefst traumatisiert. Es gibt bestimmt auch Kinder, die durch ein derart einschneidendes Ereignis eine posttraumatische Belastungsstörung haben, wenn nachts um 2 Uhr eine Einsatztruppe mit mehreren Polizisten kommt.
Auch wenn Sie hier eine andere Position, kann man bei der Abschiebepraxis schon einiges ändern. Das geht ganz einfach mit einem ein- oder
Vielen Dank. - Herr Präsident! Verehrte Kollegin Polat, natürlich können wir als Land in diesem Bereich eigene Regeln setzen. Das, was Sie hier gerade ausgeführt haben, beispielsweise was Nachtabschiebungen angeht, ist allerdings gar nicht Teil Ihres Antrages,
Ich bin der Überzeugung, verehrte Kolleginnen und Kollegen, dass man mit einem sensiblen Umgang vor Ort und der sensiblen Prüfung eines jeden Einzelfalls - und eben nicht einem generellen Erlass, der dann alle betrifft - dem Problem besser gerecht werden kann. Ich glaube, wenn sich die Landkreise überlegen würden, im Winter vielleicht etwas vorsichtiger mit dem Mittel der Abschiebung umzugehen, würden sie von keiner Fraktion hier im Parlament Kritik erfahren.
Vielen Dank, Herr Kollege Oetjen. - Nun hat Frau Zimmermann für die Fraktion DIE LINKE das Wort. Bitte sehr!
Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorab eine kurze Anmerkung zu den Anträgen von SPD und Grünen. Ich finde sie sehr gut, aber die Mindestforderung muss aus Sicht meiner Fraktion schon ein bis zum 31. März 2012 geltender genereller Abschiebestopp für Roma und natürlich auch für weitere Minderheiten aus Niedersachsen in den Kosovo bzw. in angrenzende Staaten sein; denn kalt ist es ja für alle, die auf der Straße oder in Hütten leben müssen.
Umgang mit Flüchtlingen, insbesondere mit hier lebenden Roma aus dem Kosovo und angrenzenden Staaten, abspielt, ist ein Trauerspiel.
Was passiert stattdessen? - Da stellt sich Herr Ministerpräsident David McAllister beim Jahresempfang der hannoverschen Landeskirche im Kloster Loccum hin und kündigt - wir haben es bereits gehört - in einem nächstenliebenden Ton eine sensiblere Flüchtlingspolitik in Niedersachsen an. Doch wie schaut die Realität bei uns aus? - Niedersachsen war und ist das Abschiebeland Nummer eins!
Hilfsorganisationen weisen seit langer Zeit auf die prekäre Lage rückkehrender Flüchtlinge im Kosovo hin. Es fehlt an Wohnraum und Arbeit, an ärztlicher Versorgung und Bildung und somit an wichtigsten Lebensgrundlagen. Im Winter kommen noch die äußerst widrigen Wetterbedingungen hinzu. Spätestens da ist ein Abschiebestopp das Gebot der Stunde.
Aber das Gegenteil ist der Fall. Niedersachsens Behörden und die Landesregierung nehmen darauf keinerlei Rücksicht. Andere Landesregierungen - nicht nur NRW - tun das. Da könnte sich Niedersachsen eine dicke Scheibe abschneiden. Doch in Niedersachsen läuft so etwas eben anders. Erst diese Woche wurde Frau Ademaj, Mutter von vier Kindern, zwei davon minderjährig, in das Kosovo nach annähernd 20 Jahren Aufenthalt in Deutschland abgeschoben. Die zuständige Ausländerbehörde in Emden hatte Frau Ademaj zuvor am 16. Dezember 2011 in Abschiebehaft nehmen lassen, als sie auf dem Standesamt in Freiburg im Breisgau Dokumente zur Vorbereitung einer beabsichtigen Heirat mit ihrem deutschen Verlobten unterzeichnen wollte - also ein Unterbinden der Möglichkeit, hier zu bleiben.
Dann kommt das Schärfste: Dass die Ausländerbehörde Emden nun den Eindruck erwecken will, besonders um das Wohl der Kinder dieser Frau besorgt zu sein, und deshalb die Kinder der Mutter möglichst schnell in das Kosovo zuführen will, ist an Zynismus nun wirklich kaum noch zu überbieten.
Meine Damen und Herren, gestern war die Abschiebung des seit 19 Jahren im Bundesgebiet lebenden kosovarischen Flüchtlings Bljerim Nuredini nach Serbien geplant - ein kosovarischer Flüchtling nach Serbien! Das hat Herrn Nuredini in eine für ihn persönlich unaushaltbare Situation gebracht; denn er sollte seine Ehefrau Elinda gemeinsam mit den vier Kindern alleine zurücklassen.
Wenn nunmehr der Innenminister wieder erzählen will und wird, er habe keinerlei rechtliche Möglichkeit und Handhabe, diese Abschiebung zu stoppen, dann verweise ich auf die Ausführungen meines Fraktionskollegen Hans-Henning Adler, der Ihnen ausführlich und rechtlich detailliert im Rahmen der Aktuellen Stunde im Dezember erläutert hat, dass Sie sehr wohl auf der Grundlage der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte wie auch diverser Verwaltungsgerichte im Rahmen Ihrer fachaufsichtlichen Tätigkeit die Möglichkeit haben, einzugreifen und Abschiebungen zu stoppen. Sie wollen das aus politischen Gründen nicht und weisen die Ausländerbehörden zudem noch an, alle rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, um Abschiebungen zu ermöglichen.
Ich komme zum letzten Satz. Herr McAllister, wenn Sie zu Ihrem Wort stehen und tatsächlich für eine sensiblere Flüchtlingspolitik eintreten und dafür sorgen wollen, dass es hier in Niedersachsen anders zugeht, dann müssen Sie bei Ihrem Innenminister die Zügel anziehen, statt ihm die Sporen zu geben.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Da hier immer NordrheinWestfalen als ein Land angeführt wird, das besonders humanitär bei Rückführungen vorgehe, gestatten Sie mir, dass ich aus dem Protokoll des nordrhein-westfälischen Landtags meinen Kollegen Innenminister Jäger zitiere, der tatsächlich in den Jahren 2010 und 2011 einen Wintererlass
herausgegeben hat. Das geht nur nach § 60 a des Aufenthaltsgesetzes und muss immer mit der Bundesregierung und den Ländern abgestimmt werden. Da war er erst kurz im Amt. Im letzten Jahr ist er im Sommer in das Kosovo gereist. Er hat dem Parlament Folgendes gesagt:
„Im Juni dieses Jahres habe ich mit Mitgliedern dieses Landtages das Kosovo bereist. Wir haben uns selbst ein Bild von der Lage, der Lebensverhältnisse der Minderheiten und der Wirksamkeit der von uns finanzierten Rückkehrprojekte - wie ‚URA 2’ im Kosovo - machen können. Dabei hat sich gezeigt, dass insbesondere das Rückkehrprojekt ‚URA 2’, an dem sich Nordrhein-Westfalen künftig mit noch größeren Geldbeträgen beteiligen wird, eine wirksame Hilfe für die Rückkehrer bietet. Wir können davon ausgehen, dass diese Projekte insbesondere für Volkszugehörige der Roma sowie für andere Minderheitenangehörige äußerst erfolgreich sind... Insgesamt habe ich bei dieser Reise den Eindruck gewonnen, dass sich nicht nur die Lebensumstände der Minderheitenangehörigen, sondern auch die Startbedingungen für alle Rückkehrer deutlich verbessert haben.“
Dann hat er im Dezember im Parlament Folgendes gesagt, als es um einen möglichen Wintererlass ging. Er hat nach der Reise noch Gespräche mit Flüchtlingsorganisationen geführt.
„die aktuell zurückgeführt worden sind und in eine Notlage geraten sind, die humanitär nicht zu vertreten ist? Das konnten die Flüchtlingsorganisationen nicht. Ich glaube, auch deshalb, weil unser URA-Part-2-Projekt, das wir im Kosovo finanzieren, gut funktioniert. Was die Flüchtlingsorganisationen, insbesondere die evangelische Kirche, auch nicht vorgetragen haben,
war, dass es klimatische Umstände gibt, die es generell erforderlich machen würden, einen Abschiebestopp in den Kosovo zu rechtfertigen.“
Nun müssen wir uns die politische Situation in Nordrhein-Westfalen anschauen: getragen von SPD und Grünen, toleriert von den Linken. Insofern ist er natürlich besonders aufgefordert worden, dieser politischen Situation Rechnung zu tragen. Deshalb hat er auch gar nicht mehr die Zeit gehabt, im Dezember einen Wintererlass herauszugeben. Die Besonderheiten habe ich dargelegt. Damit er aber nicht politische Schwierigkeiten bekommt, hat er die Bezirksregierungen, die es dort noch gibt, in einem Erlass gebeten, nicht so zu priorisieren, dass bis März abgeschoben wird. Im Parlament hat er sogar dazu ausgeführt:
„Deshalb, meine Damen und Herren, müssen wir - und da bin ich gerne bereit, bestehende Verwaltungsvorschriften bis an die Grenze des rechtlich Vertretbaren ausnutzen - zu einer Lösung kommen.“
Wenn man einen Innenminister kennt, weiß man, dass er politisch nicht anders konnte. Aber nachdem er sich das vor Ort angesehen hatte, war er der Meinung, dass humanitäre Gründe im Prinzip nicht anzuführen sind.
Meine Damen und Herren, wenn man das weiß, dann bitte ich wirklich darum, hier festzustellen, dass es wenig Sinn macht, in dieser wirklich schwierigen Diskussion immer wieder Symbolpolitik zu machen und eigentlich sogar auf dem Rücken derjenigen, die es angeht, parteipolitische Erfolge erzielen zu wollen. Das halte ich wirklich für schwierig.
(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Pia-Beate Zimmermann [LINKE]: Es geht um Menschen! Unmöglich!)
Denn gerade, wenn es darum geht, ethnische Minderheiten zu schützen, ist es wichtig, dass wir möglichst nicht abschieben, sondern freiwillige Rückkehr fördern.
Herr Kollege Jäger hat, wie ich finde, sehr eindrucksvoll dargestellt, was es vor Ort gibt. Das möchte ich Ihnen einmal darstellen: Soforthilfen, Gewährung eines Überbrückungsgeldes, Gewährung eines monatlichen Mietkostenzuschusses von
bis zu 100 Euro, Übernahme von Einrichtungskosten von bis zu 600 Euro für freiwillige Rückkehrer und von bis zu 300 Euro für zwangsweise rückgeführte Personen, Schulgrundausstattung sowie Zuschuss zu Sprachkursen für Schüler und Jugendliche, Zuschuss zu Ausbildungskosten für theoretische Berufsfortbildung, Jobvermittlung, Vermittlung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen bei Zahlung von Gehaltszuschüssen für sechs Monate in Höhe von 150 Euro für freiwillige Rückkehrer, für zwangsweise Zurückgeführte 100 Euro, zur Unterstützung der Existenzgründung von freiwilligen Rückkehrern wird einmalig ein Ausbildungskostenzuschuss von 500 Euro gewährt, ein Startgeld für erfolgversprechende Geschäftsideen bis zu 3 000 Euro.
Meine Damen und Herren, da es klar ist, dass ethnische Minderheiten besonders sorgsam zurückgeführt werden sollen, hat man auch einen Vertrag zwischen der Republik Kosovo und den UN-Organisationen geschlossen, damit man regelmäßig, aber nur in sehr geringen Zahlen zurückführt. Diese Organisation und das Kosovo haben eindeutig gesagt, man sollte das kontinuierlich tun, damit sie vernünftig integriert werden können. Meine Damen und Herren, deshalb ist ausdrücklich gesagt worden, dass man einen Wintererlass nicht für sinnvoll hält; denn dann würde man im April und später größere Probleme bekommen. Das weiß auch Herr Jäger. Deshalb hatte er dies auch nicht vor.