Protocol of the Session on January 18, 2012

- Wir wollen das. Sie können zustimmen.

(Beifall bei der SPD)

Wir wollen keinen rein gesetzlichen Mindestlohn, sondern einen marktwirtschaftlich - durch die Tarifpartner - festgelegten Mindestlohn. Das ist das, was Frau Merkel Ihnen vorgegeben hat, was sie mutterseelenallein entschieden hat. Damit durften die Andersdenkenden anschließend nichts mehr sagen. Sie waren zurückgepfiffen worden.

(Ulf Thiele [CDU]: Sie haben keine Ahnung!)

Nun aber erklären Sie uns aber doch einmal: Wie soll denn das in der Praxis eigentlich funktionieren? - Es gibt Bereiche, da findet sich einfach kein Arbeitgeber für Tarifverhandlungen, und da fehlt es häufig auch an der Streikfähigkeit oder am Organisationsgrad der Arbeitnehmer. Was sagen Sie in solchen Branchen? Wie gehen Sie damit um? Wer sorgt denn da für saubere Verhältnisse, wenn nichts passiert und keiner an den Verhandlungstisch kommt? Der liebe Gott vielleicht?

Warum wohl plädiert Justizminister Busemann für einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro,

(Zuruf von der SPD: Guter Mann!)

den er mit seinem christlich-sozialen Profil begründet? - Herr Busemann hat ausgesprochen, was Millionen Menschen in Deutschland fordern. Er hat absolut recht.

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, Sie merken offensichtlich gar nicht, was hier in Deutschland passiert und was hier abgeht. Da gibt es zynische Überschriften

in den Zeitungen. Erst kürzlich stand da: „Zeitarbeit, der Markt der Zukunft“. Damit wird geworben! Die Frankfurter Rundschau titelt: „Rettungsschirm für Lohndrücker“. Oder es heißt: „Wirtschaftsflügel der Union betreibt Amnestie für Zeitarbeitsfirmen mit Billig-Tarifen“. Ich sage Ihnen gleich dazu noch etwas.

Auch an hochqualifizierten Ärzten geht die Zeitarbeit nicht vorbei. Am Samstag gab es bei uns im Göttinger Tageblatt einen Beitrag mit einer tollen Überschrift: „4 000 Zeitarbeiter“ stand dort, „Chirurg zu mieten gesucht“.

Meine Damen und Herren, es ist bitter, was da abgeht, was gegenwärtig so alles passiert und wie die CDU und insbesondere auch die Fast-dreiProzent-Partei damit umgehen.

(Johanne Modder [SPD]: Fast-zwei- Prozent-Partei!)

Das ist noch bitterer. Das sage ich Ihnen ganz deutlich.

(Beifall bei der SPD - Johanne Mod- der [SPD]: Fast-zwei-Prozent-Partei!)

- Ja, fast zwei. Einverstanden.

(Johanne Modder [SPD]: FZP!)

Ein Beispiel: Über Jahre werden dem Staat und der Versichertengemeinschaft durch Dumpinglöhne der Leiharbeitsunternehmen Milliarden an Sozialversicherungsbeiträgen entzogen. Jetzt erfolgten Klage der Leiharbeitnehmer beim Bundesarbeitsgericht, und dort wurde festgestellt, dass die Leiharbeiter sogar Anspruch auf gleiches Geld haben. Hört, hört! Das haben wir immer gesagt. Equal pay! Nachzahlung von Löhnen und Sozialversicherungsbeiträgen, das ist die Folge.

Jetzt kommt’s: Dann hat die mitfühlende CDU nichts Besseres im Sinn, als sich für eine - jetzt hören Sie zu! - Amnestie für die Zeitarbeitsfirmen einzusetzen. Wie finden wir das denn, Herr Toepffer? Was soll denn das für eine Nummer sein?

Hören Sie auf, die Ausbeuter zu schützen! Kümmern Sie sich um diejenigen, die durch sie geschädigt werden und denen es an den Kragen geht!

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜ- NEN und bei der LINKEN)

Die normale Arbeit zu guten Tarifen ist in den Jahren des wirtschaftlichen Booms zurückgegangen.

Gewachsen ist ausschließlich atypische Beschäftigung wie Teilzeitarbeit, Leiharbeit, Minijobs. Das belegen die Zahlen des WSI eindeutig.

(Zuruf von Ernst-August Hoppenbrock [CDU])

Wann handeln Sie endlich, Herr Hoppenbrock? Haben Sie immer noch nicht verstanden, welche Folgen dieser Niedriglohn hat? - Die Leute sind heute Bittsteller, und sie werden später auch keine Ansprüche auf auskömmliche Renten haben. Das sagen wir Ihnen immer wieder. Das müssen Sie doch einmal sehen!

Wir fordern deshalb gleiche Mindestlöhne in Ost und West. Natürlich achten wir auch auf die Tarifautonomie. Sie ist uns heilig und wichtig; denn die Tarifpartner dürfen gerne auch bessere Branchenmindestlöhne aushandeln. Daran werden wir sie jedenfalls nicht hindern.

Ihre Behauptung, wir würden in die Tarifautonomie der Tarifpartner eingreifen, ist völlig unsinnig. Aber Sie bringen diesen Blödsinn immer wieder. Ich hatte Ihnen das Beispiel mit dem Urlaubsanspruch gegeben. Auch da ist der Anspruch für alle Arbeitnehmer flächendeckend gesetzlich geregelt. Auch diese Leistung muss jeder Arbeitgeber bei seinen Kalkulationen mit einrechnen. Exakt so wollen wir das auch beim Mindestlohn regeln. Die Tarifautonomie wird nicht durch solche Mindeststandards, die wir haben wollen, gefährdet, sondern durch Ihre kollektive Gleichgültigkeit, weil Sie da überhaupt keinen Handlungsbedarf sehen. Das ist unsere Antwort. Alle Experten zeigen Ihnen den volkswirtschaftlichen Schaden auf, den Sie mit Ihrer grottenschlechten Arbeitsmarktpolitik anrichten.

(Dirk Toepffer [CDU] lacht)

Herr Toepffer, Sie sind sogar Überzeugungstäter, weil Sie Ihre neokonservative Denkstruktur nicht ablegen, sondern immer weiter deregulieren. Ihr Geschäftsmodell ist längst gescheitert. Sie spüren, dass Sie sich demnächst auf den Oppositionsbänken wiederfinden. Dafür werden wir sorgen, und das steht Ihnen zu.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben sich das redlich verdient. Deshalb, meine Damen und Herren, werden wir Ihnen dazu verhelfen.

Den Antrag der Linken müssen wir leider ablehnen. Denn wenn die Gewerkschaften bei 8,50 Euro Mindestlohn - - -

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hoppenbrock?

Ja, gerne doch. Lassen Sie mich diesen Satz, Herr Hoppenbrock, noch beenden: Wenn die Gewerkschaften 8,50 Euro Mindestlohn fordern, dann sollten Sie nicht gleich 10 Euro daraus machen; sonst kommt der Nächste und will 12 Euro haben.

(Zurufe von der LINKEN)

So, jetzt kommt Herr Hoppenbrock.

Schönen Dank. - Kollege Schminke, können Sie mir einmal etwas näher erläutern, was Sie unter „neokonservativer Denkstruktur“ verstehen?

Herr Kollege, bitte!

Herr Hoppenbrock, dass Sie diese Frage stellen, ist Beleg dafür, dass Sie meinen Ausführungen überhaupt nicht gefolgt sind. Ich habe zu Ihrer Arbeitsmarktpolitik gesagt: Wenn man sich die Arbeitslosenzahlen anguckt, könnte man meinen, es sei alles in Ordnung. Aber der Schein trügt, weil Millionen von Menschen im Niedriglohnsektor beschäftigt werden. Dieser Sektor ist wahnsinnig angewachsen. Das ist verwerflich! Prekäre Beschäftigung wollen wir nicht. Wir wollen auskömmlich entlohnte und sichere Arbeitsplätze. Dafür wollten wir Sie eigentlich schon seit Jahren gewinnen, aber Sie hören ja nicht hin.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, das Wort hat jetzt Frau König von der FDP-Fraktion.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Forderung nach einem allgemeinverbindlichen gesetzlichen Mindestlohn kommt alle Jahre wieder. Es kommen immer wieder die gleichen, teilweise dieselben Argumente. Dabei scheinen Sie noch nicht begriffen zu haben, dass wir auf dem Weg zu einer Vollbeschäftigung und zu einem bereits klar erkennbaren Fachkräftemangel sind, auch wenn

Sie das ignorieren. Lesen Sie einmal etwas genauer Zeitung! Dann wissen Sie das.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Mit etwas mehr praktischem Wirtschaftsverständnis würden Sie nämlich feststellen, dass wir von lediglich 2 % der Beschäftigten sprechen, die niedrig entlohnt werden. Unter ihnen sind zum Teil auch sehr viele Teilzeit- und Zusatzbeschäftigte. Wir haben es also zu 98 % mit Vollzeitbeschäftigten zu tun, die über ein existenzsicherndes Einkommen verfügen.

Sie erwecken immer wieder den Anschein, Deutschland sei ein Niedriglohnland und beschäftige überproportional viele sogenannte prekär Beschäftigte. Das ist aber definitiv falsch.

(Beifall bei der FDP - Ursula Weisser- Roelle [LINKE]: Das ist richtig! Schauen Sie sich die Zahlen an!)

Fakt ist hingegen: Unser deutscher Arbeitsmarkt ist geprägt von gut bezahlter und sozial abgesicherter Arbeit. Das verdanken wir nicht zuletzt den mit Augenmaß und Branchenkenntnis verhandelnden Tarifparteien.

(Ursula Weisser-Roelle [LINKE]: 20 % der Arbeitnehmer arbeiten unter der Armutsgrenze, Frau König!)

Ein wichtiger Faktor der sozialen Marktwirtschaft, den wir gar nicht hoch genug einschätzen können, ist die hohe Flexibilität.