Protocol of the Session on December 9, 2011

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben in den vergangenen Wochen erschreckende Erkenntnisse über die Dimension des Rechtsterrorismus in Deutschland gewonnen, die uns alle tief betroffen gemacht haben. Deshalb finden wir es gut, dass wir heute als Abgeordnete aller im Landtag vertretenen Parteien trotz unterschiedli

cher Bewertungen der Ursachen des Entstehens von Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus mit unserer Abstimmung über eine gemeinsame Erklärung ein Zeichen setzen.

Unsere Gesellschaft, meine Damen und Herren, ist darauf angewiesen, dass überzeugte Demokratinnen und Demokraten gemeinsam dafür einstehen, dass Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus, Islamophobie, Diskriminierung und Gewalt in unserer Gesellschaft keinen Platz haben.

(Beifall)

Vor dem Hintergrund, dass die Opfer rechtsterroristischer Gewalt nicht in das menschenverachtende Weltbild der Täter passten, wurden mindestens zehn Menschen von polizeibekannten Rechtsextremisten heimtückisch ermordet. Dies geschah mitten in unserem Land, skrupellos und ohne jegliche menschliche Regung der Täter. Weder die Öffentlichkeit noch der Verfassungsschutz, die Polizei und die Justiz haben lange Zeit die gesamten Zusammenhänge und Ursachen der Morde sowie die wahren Motive der Täter erkannt. Meine Damen und Herren, was aber noch viel schlimmer ist: Dadurch, dass die Täter keine Bekennerschreiben hinterlassen hatten, wurden viele der Ermordeten leider schnell und fälschlicherweise zu Opfern von Organisierter Kriminalität gemacht.

Der Staat hat in unserer Demokratie dafür zu sorgen, dass alle Menschen in Deutschland in Sicherheit leben und sich hier auch sicher fühlen können. Deshalb müssen die bisherigen Handlungsansätze von Verfassungsschutzämtern und Polizei weiterhin einer raschen Überprüfung unterzogen werden. Das betrifft generell auch den Umgang mit V-Leuten. Mit einer Null-ToleranzStrategie müssen Polizei und Staatsanwaltschaften von Bund und Ländern gegen rechtsextreme Straftaten vorgehen.

Der Fall der Nazimorde schockiert uns. Rechtsterrorismus wird plötzlich ein neues Phänomen in unserer Gesellschaft und oft als Problem der neuen Länder bezeichnet. Aber, meine Damen und Herren: Schon lange zuvor gab es in der Bundesrepublik rechten Terror. Vor allem in den 70erJahren stieg die Zahl der rechtsextremistischen Gewalttaten rasant und erreichte 1980 ihren Höhepunkt. Es kam zu einer Häufung von terroristischen Taten aus dem neonazistischen Spektrum. Dies, meine Damen und Herren, wird leider zu häufig vergessen. Mittlerweile gibt es menschenfeindliche und rechtsextreme verbale Attacken und Übergriffe gegen Menschen in einzelnen Regionen

in Ost- und Westdeutschland. Sie werden zu Opfern von physischer und psychischer Gewalt, und leider werden diese Taten immer noch verharmlost.

Meine Damen und Herren, auch wenn diese Übergriffe glücklicherweise nicht immer mit Verletzungen oder gar tödlich enden, kann auch die latente Angst vor Bedrohung, Gewalt und Hilflosigkeit Leben von Menschen zerstören.

(Beifall)

Meine Damen und Herren, nirgendwo in unserem Land dürfen wir es zulassen, dass Rechtsextremisten Angsträume schaffen können. Die SPDLandtagsfraktion hat mehrere Entschließungsanträge zur Bekämpfung der Ursachen von Rechtsextremismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in den Landtag eingebracht und auch debattiert. Wir haben uns immer auf die MitteStudien bezogen, die belegt haben, dass chauvinistische, ausländerfeindliche und sozialdarwinistische Positionen längst in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen sind. Oft werden am Arbeitsplatz, in Vereinen, in Verbänden, an Stammtischen und in der Öffentlichkeit Menschen wegen ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe, ihres Glaubens, ihrer Sprache, einer Behinderung, ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert, ausgegrenzt und zu Opfern rechter Gewalt gemacht. Dies dürfen wir nicht hinnehmen. Dagegen müssen wir uns ganz entschieden aussprechen.

(Beifall)

Eine Verbreitung rechtspopulistischen Gedankenguts kann die Grundlage für Rechtsterrorismus sein. Vermeintliche Einzeltäter kommen eben nicht aus dem Nichts, sondern sie werden von einem aggressiven gesellschaftlichen Klima animiert. Das ist in Deutschland festzustellen, leider aber auch in anderen europäischen Ländern. Die Attentate in Norwegen im Juli dieses Jahres haben uns dies in einem für undenkbar gehaltenen Ausmaß vor Augen geführt.

Meine Damen und Herren, wir dürfen rechtsextreme Übergriffe nie verharmlosen oder uns gar in irgendeiner Weise abwenden und nicht hinsehen. Eine gute politische Bildung für alle und auch die demokratische Teilhabe sind die beste Extremismusprävention. Es ist notwendig, zivilgesellschaftliches Engagement gegen Rechtsextremismus zu fördern und dauerhaft einzusetzen. Rechtsextremisten neigen dazu, antisemitische und muslimfeindliche Stimmungen in der Bevölkerung zu er

zeugen. Wir müssen uns entschieden dagegen wehren. Wir brauchen Bündnisse für Demokratie mit Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden, NGOs und zivilgesellschaftlichen Akteuren, Kirchen, Religionsgemeinschaften und weltanschaulichen Gemeinschaften. Dafür sollten wir streiten.

Ich schließe mit einem Zitat von Willy Brandt:

„Nazismus, alter Nazismus, aufgewärmter Nazismus, Neonazismus ist Verrat an Land und Volk.“

(Starker, anhaltender Beifall)

Herzlichen Dank. - Für die CDU-Fraktion Herr Kollege Rolfes. Bitte schön, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit Entsetzen, Fassungslosigkeit und tiefer Trauer stehen wir vor der Erkenntnis, dass rechtsextreme terroristische Gruppen über Jahre Menschen aus unserer Mitte, unsere Mitmenschen, morden konnten. Diese Menschen wurden Opfer von abscheulichen Morden, weil eine Gruppe von Verbrechern die Abstammung unserer Mitmenschen gering achtete.

Die gesamte CDU-Fraktion verneigt sich vor den Opfern in tiefer Demut, und es gilt, ihr Andenken zu bewahren und innezuhalten. Unsere Gedanken sind bei den Angehörigen und bei den Freunden, die auf so sinnlose und erschreckende Weise einen geliebten Menschen verloren haben. Wir entschuldigen uns auch bei den Angehörigen, die nicht nur den Tod eines geliebten Menschen erleiden mussten, sondern auch im Rahmen der Ermittlungen, wie wir jetzt wissen, fälschlich und zu Unrecht unter Verdacht gerieten.

(Beifall)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Morde der Zwickauer Terrorzelle waren aber zugleich ein Angriff auf unsere Gesellschaft, unsere verfassungsmäßigen Grundwerte und unsere tiefen freiheitlichen, demokratischen, sozialen, mitmenschlichen und religiösen Überzeugungen. Der systematische Mord von Bürgern unseres Gemeinwesens übertrifft unsere Vorstellungen. Die Mordtaten dürfen uns jedoch nicht verstummen lassen. Unsere Aufgabe ist die Aufklärung und Aufarbeitung der geschehenen Straftaten. Die Täter und ihre Helfer müssen der gerechten Strafe

zugeführt werden, und für die Zukunft müssen wir wachsamer und besonnener sein.

Meine Damen und Herren, ein Mord aufgrund niederer Beweggründe ist ein abscheuliches Verbrechen. Eine ganze Reihe von Morden mit rassistischem Hintergrund ist eine schlimme Tragödie. Das erschreckende Neue dieser Taten ist das schweigende Vorgehen der Täter. Dieses Schweigen hat die Ermittlungsbehörden jahrelang im Nebel stochern lassen und ermöglichte Folgetaten. Die Defizite bei den Ermittlungen der Morde müssen daher restlos aufgeklärt und behoben werden. Lücken im Gesetz müssen geschlossen und Menschen weiterhin gegen Rechts und menschenverachtendes Gedankengut sensibilisiert werden. Tätern wie der der Zwickauer Zelle dürfen wir keinen Raum in unserer Gesellschaft einräumen.

(Beifall)

Wir begrüßen den nunmehr vorliegenden Gesetzentwurf des Bundesinnenministeriums, mit dem eine Verbunddatei zum Rechtsextremismus geschaffen und bestimmte Speicherfristen verlängert werden. Ganz wichtig sind auch eine bessere Verzahnung von Polizei und Verfassungsschutz und ein besserer Austausch der Daten. Durch die Bereitstellung weiterer Mittel gegen Rechtsextremismus im heute beschlossenen Doppelhaushalt konnten wir ein kleines weiteres Zeichen für Freiheit und Schutz unserer Grundwerte setzen.

Meine Damen und Herren, mit der Resolution vom heutigen Tage drücken wir Geschlossenheit gegen menschenverachtendes und rechtsextremistisches Gedankengut aus. Mit unserer Geschlossenheit ächten wir Fremdenfeindlichkeit, Rechtsextremismus und Gewalt und setzen ein deutliches Zeichen für ein Klima von Toleranz und Solidarität in unserem Land. Wenn wir uns in der Gesellschaft mit Respekt über Minderheiten jedweder Art äußern und diese achten, statt verächtlich über sie zu reden, ist dies ein Schritt, der täglich mithilft, eine rechtsradikale Entwicklung junger Menschen zu vermeiden.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP sowie Zustimmung bei der SPD)

Wer als junger Mensch Respekt und Achtung gegenüber allen Mitmenschen erlebt, wird rechtsradikalen Rattenfängern nicht so leicht in die Fänge geraten.

Herzlichen Dank.

(Lebhafter Beifall)

Danke schön. - Für die Fraktion DIE LINKE hat Frau Zimmermann das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ereignisse um die rechtsterroristische Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ und ihr immer weiter aufgedecktes Unterstützernetzwerk haben uns alle erschreckt und zugleich mit Trauer, aber auch mit Wut erfüllt - Wut nicht allein über das Ausmaß solch widerwärtiger und menschenfeindlicher Taten, sondern auch Wut über die Frage, wie so etwas über solch einen langen Zeitraum überhaupt möglich sein konnte. Diese Fragen werden uns auch in naher Zukunft weiterbeschäftigen, und uns allen muss daran gelegen sein, die gesamten Hintergründe restlos aufzuklären. Diese Verantwortung tragen wir gegenüber den Opfern und ihren Angehörigen, aber auch gegenüber uns und unserer deutschen Geschichte.

(Beifall bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN sowie Zustim- mung von Jan-Christoph Oetjen [FDP])

Meine Fraktion begrüßt ausdrücklich die vorgelegte Erklärung, und wir blicken voller Anerkennung nach Berlin, wo die Vertreter aller Parteien in dieser schweren Stunde einen wichtigen Schulterschluss demonstrierten und gemeinsam ein Zeichen sowohl gegen die abscheulichen Taten als auch gegen die menschenverachtende Ideologie, die dahintersteckt, setzen.

(Beifall bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ein besonderer Dank gilt Herrn Landtagspräsidenten Dinkla, der es mit seiner souveränen Art möglich gemacht hat, dass alle Fraktionen in diesem Hohen Haus mit einem Munde sprechen und diese von Herrn Dinkla vorgelegte Erklärung verabschieden können.

(Lebhafter Beifall)

Meine Damen und Herren, mit Betroffenheit wird immer wieder die Frage aufgeworfen, wie denn so etwas überhaupt geschehen konnte. Die Antworten hierauf mögen sehr komplex sein, und man wird keine eindimensionale Erklärung finden können. Dennoch werden nun auch die Letzten unter uns erkennen müssen, dass Gewalt und Terror von Rechts eben keine abstrakte Bedrohung ist und dass solche Täter, aber auch ihr Umfeld - ob

Unterstützer oder Sympathisanten - nicht in einem luftleeren Raum heranwachsen und agieren. Täter wie auch Ideologie entstammen der sogenannten Mitte der Gesellschaft. Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus und Ideologien der Ungleichwertigkeit sind nicht allein politische, sondern - darauf weist meine Fraktion, aber auch viele andere immer wieder hin - gesellschaftliche Probleme.

(Beifall bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wir hoffen, dass die aktuelle Diskussion über Neofaschismus nicht wie so oft rein zyklisch ist, dass sie nicht wie so häufig im Sande verläuft, wenn das öffentliche, vor allen Dingen das mediale Interesse abklingen, sondern dass sich nun auch in der Politik das Bewusstsein einstellt, die Hintergründe und die Ursachen verstehen zu wollen, um dieses Problems Herr zu werden.

(Beifall bei der LINKEN - Glocke der Präsidentin)

Betrachtet man den Automatismus, mit welchem nun reflexhaft mehr Überwachung und härtete Strafen eingefordert werden, mag man Zweifel bekommen, ob dieses Bewusstsein wirklich schon eingetreten ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Denn Gewalt, meine Damen und Herren, ist immer nur der Ausdruck äußerster politischer Haltung. Sie fußt auf bestehenden Einstellungen und findet stets auf einem Resonanzboden statt. Genau hier müssen wir ansetzen - Politik, aber auch Gesellschaft, und zwar im Schulterschluss.

(Beifall bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN - Glocke der Präsidentin)

- Mein letzter Satz, Frau Präsidentin. - Meine Damen und Herren, wir begrüßen diese gemeinsame Erklärung aller Abgeordneten - davon gehe ich selbstverständlich aus - aus dem Niedersächsischen Landtag. Das Wichtigste ist jetzt, dass - trotz unterschiedlichster Auffassungen und Meinungen - in Sachen Rechtsterrorismus ein starker Ruf aus dem Niedersächsischen Landtag dringt und wir gemeinsam - CDU, FDP, SPD, Grüne und Linke - sagen: Mit uns nicht, ihr scheitert an uns allen gemeinsam!

(Lebhafter Beifall)

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Herr Limburg das Wort.