Protocol of the Session on December 7, 2011

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Daran hat sich auch diese Landesregierung zu halten.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Kreszentia Flauger [LINKE]: Des Menschen, nicht des Deutschen! Das muss man mal festhalten!)

Ein besonders finsteres Kapitel der Abschiebepraxis in Niedersachsen ist die Abschiebungshaft. Zehnmal hat das Bundesverfassungsgericht diese Landesregierung in Abschiebungshaftfällen gerügt. Zehnmal hat das höchste Gericht die Landesregierung darauf hingewiesen, liebe Kollegin Lorberg, dass die Freiheit der Person nach Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes - schade, dass der Justizminister nicht da ist - nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein besonders hohes Rechtsgut ist, in das nur bei wichtigen Gründen eingegriffen werden darf.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass Abschiebungshaft nicht dem Zweck der Bestrafung dient, sondern lediglich die Durchführung einer Abschiebung sicherstellen soll, falls dies erforderlich und angemessen ist.

Entsprechend zurückhaltend ist die Abschiebungshaft anzuordnen. Erst recht ist es deshalb nicht zulässig, Abschiebungsgefangene zusammen mit Straf- oder Untersuchungsgefangenen in ein und derselben Hafteinrichtung unterzubringen. Genau das geschieht aber in der JVA Langenhagen. Es wird höchste Zeit, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass diese Schieflage behoben wird.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der LINKEN und bei der SPD)

Über 7 000 bekannt gewordene rechtswidrige Hafttage sind dokumentiert worden. Das sind 21 Jahre, die Menschen in Niedersachsen rechtswidrig weggesperrt wurden. Der traurige Höhepunkt dieser rechtswidrigen Anordnungspraxis ist der Tod des 58-jährigen Slawik C. aus dem Landkreis Harburg, der seine Ehefrau, einen Sohn sowie ein Enkelkind hinterlässt. Bis heute erfolgte keine Entschuldigung des Ministers. Bis heute wollen die zuständigen Ministerien keine Konsequenzen aus dem tragischen Tod ziehen. Im Gegenteil: Sie versuchen weiterhin, die Witwe des Verstorbenen abzuschieben. Das ist die Realität in Niedersachsen.

(Miriam Staudte [GRÜNE]: Unglaub- lich!)

Wegweisend für die niedersächsischen Ausländerbehörden und bezeichnend für Innenminister Schünemanns Grundhaltung war die Aufhebung des Erlasses mit Hinweisen zur Förderung der freiwilligen Ausreise sowie zur Vermeidung der Abschiebungshaft vom 28. November 1995 gleich zu Beginn seiner Amtszeit im Jahre 2003. Der Erlass stellte klar, dass der verfassungsmäßige Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei der Abschiebungshaft besonders zu beachten ist. Abschiebungen sollten im Regelfall aus der Freiheit heraus erfolgen und Abschiebungstermine so rechtzeitig angekündigt werden, dass die Betroffenen Gelegenheit haben, ihre Ausreise vorzubereiten und ihre persönlichen Angelegenheiten zu regeln. Ich will noch einmal betonen: 20 Jahre leben die Familien teilweise hier, und sie dürfen nur einen Koffer mit maximal 20 kg mitnehmen.

Die Aufhebung dieses Erlasses ist bezeichnend für die dann folgenden Jahre und die zahlreichen Verfassungsverstöße in dieser Zeit. Diese Menschen sind besser integriert als Sie, Herr Schünemann.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Ich frage Sie: Verstehen Sie das unter christdemokratischer oder liberaler Politik, Herr Oetjen? Vor sieben Jahren haben Sie Gazale Salame nach 17-jährigem Aufenthalt in Deutschland von ihrem Mann und ihren älteren Kindern getrennt und trotz einer bestehenden Schwangerschaft mit der einjährigen Tochter abgeschoben. Der Fall der Familie Siala/Salame aus Schellerten bei Hildesheim bietet einen tiefen Einblick in die Abgründe niedersächsischer Abschiebepolitik.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Seit Jahren wartet Gazale Salame auf die Rückkehr nach Hildesheim zu ihren Kindern und ihrem Mann. Die zuständige Richterin des Bundesverwaltungsgerichts hat dringend zu einem Vergleich geraten. Aber der Minister stellt sich stur. Warum ermöglicht er nicht auch hier wie bei der Familie Nguyen die Wiedereinreise?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Frau Kollegin, bitte den letzten Satz!

Ich komme zum Schluss. - Herr Schünemann, morgen beginnt die Innenministerkonferenz. Zum wiederholten Male sind Sie für den Abschiebeminister 2011 nominiert. Herr Ministerpräsident, wenn das für Sie eine besondere Auszeichnung für Ihr Kabinett ist, dann kommt 2013 mit Sicherheit der Wechsel.

Vielen Dank.

(Starker, anhaltender Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Frau Kollegin Pieper, dem Präsidium ist glaubhaft übermittelt worden, dass Sie einen völlig inakzeptablen Zwischenruf gemacht haben, den ich nicht wiederholen will. Ich erteile Ihnen dafür einen Ordnungsruf.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich erteile jetzt dem Kollegen Nacke das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Sie sollte sich dafür entschuldigen! - Enno Ha- genah [GRÜNE]: Das ist die Höhe! - Ursula Helmhold [GRÜNE]: Einfach mal entschuldigen!)

Im Augenblick hat der Kollege Nacke das Wort. Das andere wird noch nachdiskutiert.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben gerade, ähnlich wie gestern Abend, einige Vorwürfe gehört, die aber nicht dadurch

richtiger werden, Herr Kollege Adler, dass Sie in einem Standardblock Ihre Schriftsätze vorgetragen haben - Sie wissen ganz genau, wie die rechtliche Bewertung ist - oder dass wir einen weiteren Vortrag von Frau Polat dazu gehört haben.

Es ist selbstverständlich, dass in Deutschland das Asylrecht gilt. Das ist unumstritten Ausdruck unseres christlichen Menschenbildes, und dahinter stehen wir. Gleichwohl gilt es natürlich, dem Missbrauch entgegenzuwirken. Das ist seinerzeit auch passiert. Insbesondere durch die Drittstaatenregelung hat es in diesem Bereich eine große Entschärfung gegeben.

(Hans-Henning Adler [LINKE]: Haben Sie überhaupt nicht zugehört?)

Inzwischen können wir das nicht mehr kritisieren. Die Entscheidungen kommen nach einem Jahr zustande. Ein Jahr, nachdem ein Asylrechtsantrag gestellt wird, ist bekannt, ob hier verblieben werden darf oder ob es keine Aufenthaltsgenehmigung geben kann. Auch die Länge der Gerichtsverfahren ist inzwischen in Ordnung.

Gleichwohl werfen Sie dem Innenminister fortlaufend vor, dass er sich dafür einsetzt, dass die nachgeordneten Behörden in diesem Verfahren nach Recht und Gesetz entscheiden müssen.

(Hans-Henning Adler [LINKE]: Nein, er soll nach Recht und Gesetz ent- scheiden!)

Ich räume ein, dass es hier durchaus auch eine schwierige Gruppe gibt. Ich meine die Fälle, in denen ein Abschiebevorgang nicht durchgezogen werden kann, wenn eine Ausreise nicht vorgenommen werden kann, weil es kein aufnahmebereites Drittland gibt. Dafür kann es unterschiedliche Gründe geben. Es können die Verhältnisse im Drittland, wie beispielsweise in Afghanistan, sein, aber - auch das ist allgemein bekannt - es können auch falsche Angaben oder eine ungeklärte Identität des Ausreisepflichtigen sein, die am Ende das Drittland veranlassen, die Aufnahme nicht zuzulassen.

Das führt dann zu einem Problem, nämlich: Was machen wir mit den Familien, mit den Menschen, die über viele Jahre hier bleiben, weil die Ausreise nicht angeordnet werden kann, weil eine Abschiebung nicht durchgeführt werden kann, mit Menschen, die sich möglicherweise sogar nach dem Ausländerrecht strafbar gemacht haben, etwa durch falsche Angaben, durch das fehlende Mitwirken an dem Erwerb von Ausweispapieren, die sich

gleichwohl aber nach allgemeiner Auffassung der Nachbarn, die diese Menschen kennen, voll integriert haben, wo sich insbesondere die Kinder, die zum Teil hier geboren sind, voll integriert haben, und die damit nach allgemeiner Auffassung jene sind, von denen wir meinen, dass sie hierbleiben sollen? - Das ist eine ganz schwierige Frage, die man aus meiner Sicht nicht mit Standardsätzen beantworten kann.

Ich will auf Folgendes hinweisen: Die Zahl der Abschiebungen an sich ist in Niedersachsen in den letzten Jahren nachhaltig zurückgegangen und liegt deutlich unter dem, was noch zu Zeiten Heiner Bartlings der Fall war. Das liegt natürlich auch daran, dass die Anzahl der Anträge nachhaltig zurückgegangen ist. Es lässt sich nicht belegen, dass in Niedersachsen eine andere oder signifikant schwierigere Abschiebepraxis als in anderen Bundesländern herrscht, da können Sie sich noch so viel Mühe geben.

Ich will auf die Fälle zurückkommen, die ich eben beschrieben habe. Um genau diese Fälle behandeln zu können, hat die Landesregierung eine Härtefallkommission eingerichtet,. Aber auch für diese Härtefallkommission müssen Regeln gelten. Genau diese Frage ist doch zu beantworten.

Wenn Sie mit den Menschen reden und ihnen sagen, dass jemand selber nachhaltig dazu beigetragen hat, dass er lange hierbleiben konnte, dann ist klar, dass er daraus keinen Vorteil ziehen darf. Im Allgemeinen unterstützen alle Menschen diese These. Aber wenn es konkret wird, wird manchmal die Frage gestellt: Warum gerade diese Familie, die sich doch so gut integriert hat?

Gerade bei den Kindern ist es doch Innenminister Schünemann gewesen, der sich seit 2007 nachhaltig dafür eingesetzt hat, ein eigenes Aufenthaltsrecht für Kinder einzuführen, wenn sie hier sechs Jahre zur Schule gegangen sind.

(Zustimmung von Jan-Christoph Oetjen [FDP])

Vielleicht muss man - das räume ich ein - bei hier geborenen minderjährigen Kindern noch etwas intensiver darüber nachdenken, ob es zumutbar ist, sie abzuschieben. Diesen Fall haben Sie angesprochen. Aber Sie können doch dieser Landesregierung nicht allen Ernstes vorwerfen, dass sie an dieser Stelle nicht gehandelt hat. Das Gegenteil ist der Fall! Ich würde sogar meinen, dass es für Uwe Schünemann immer schwieriger wird, das Image des harten Hundes aufrechtzuerhalten; denn in

den aktuellen Bewertungen ist es nicht mehr zutreffend. Auf die aktuellen Fälle, liebe Frau Kollegin Polat, ist der Ministerpräsident gestern einzeln eingegangen. Ich glaube nicht, dass es erforderlich ist, das hier zu wiederholen.

Dieser Minister steht für Recht und Ordnung. Dieser Minister steht für eine leistungsfähige Polizei. Er steht für den Kampf gegen jeden Extremismus. Politisch haben Sie gegen ihn keine Chance, und deswegen greifen Sie ihn persönlich an. Besonders perfide finde ich dabei, lieber Herr Kollege Bachmann - das ist gestern noch einmal deutlich geworden -, dass Sie auch vor einer Verunglimpfung von Landesbediensteten nicht zurückschrecken.

Diese Landesregierung und die Regierungskoalition stehen hinter diesem Minister.

(Beifall bei der CDU)

Das haben wir gestern eindrucksvoll nachgewiesen. Sie werden diesen Minister nicht kleinkriegen, weil er für das Land besser ist.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich erteile jetzt der Kollegin Leuschner das Wort.