„Die Bundesregierung bzw. die Niedersächsische Landesregierung und die sie jeweils tragenden schwarzgelben Koalitionen lehnen bislang gesetzliche Mindestlöhne ab.“
Darauf kann man erwidern: Mindestlöhne gibt es in der Bundesrepublik Deutschland seit 15 Jahren. Es gibt zehn gesetzliche Mindestlöhne, und die sind alle unter CDU-Kanzlern eingeführt worden.
Wir können natürlich an dieser Stelle betonen, dass es vor einigen Jahren einen Bundeskanzler gab, der den Mindestlohn im Elektrogewerbe ausgesetzt hat. Er hieß Schröder und gehörte der SPD an. - Auf diesem Niveau können wir hier ohne Weiteres den ganzen Tag weitermachen.
In der Tat - da sind wir uns alle einig; das ist von allen Rednern hier betont worden, in vergangenen Debatten auch von Rednern meiner Fraktion - muss Arbeit den Menschen ernähren. Die Bundeskanzlerin sprach von „Würde der Arbeit“; für mich ist das eine Frage der Menschenwürde.
Ich möchte aber auch eine Lanze für diejenigen brechen, die - zum Teil in meiner Partei, aber auch in der FDP - die Frage stellen, ob der Würde des Menschen mit einem Mindestlohn gedient ist, wenn die Gefahr besteht, dass Menschen durch einen Mindestlohn ihre Arbeit verlieren.
- Lieber Herr Will, da gibt es ganz unterschiedliche Meinungen, Auffassungen, Studien. Ich rate nur dazu, sich mit dieser Argumentation einfach einmal auseinanderzusetzen und nicht ewig für sich in Anspruch zu nehmen, der moralisch Bessere zu sein.
Wir müssen uns einfach einmal mit der Problematik beschäftigen und feststellen, dass es ganz unterschiedliche Bereiche gibt.
Es gibt Bereiche, in denen die Gewerkschaften schlichtweg schwach organisiert sind, wie beispielsweise in der Fleischindustrie, wo Löhne gezahlt werden, die meines Erachtens ohne Weiteres als menschenverachtend bezeichnet werden können. Und es gibt die eben von dem Kollegen Schminke genannte Friseurin in Sachsen. Das ist
ein schönes Beispiel. Da gibt es Gewerkschaften, da gibt es Tarifverträge. Wozu führt dort ein gesetzlicher Mindestlohn? - Wenn die Friseurin künftig das Doppelte bekommen soll, wird das Haareschneiden doppelt so teuer.
Der eine oder andere, der früher jeden Monat zum Friseur gegangen ist, kommt dann vielleicht nur noch alle zwei Monate.
Möglicherweise verliert die Dame dann eben ihren Arbeitsplatz. Ich denke, auch damit muss man sich auseinandersetzen.
Meine Damen und Herren, Sie mögen eine andere Auffassung haben. Dann haben Sie Gelegenheit, sie später hier am Mikrofon zu äußern. Dann können wir jetzt alle Herrn Toepffer verstehen. - Herr Toepffer, Sie haben das Wort.
Herzlichen Dank. - Meine Damen und Herren, die Frage, die sich jetzt stellt, lautet, wie man auf diese ganz unterschiedlichen Voraussetzungen reagiert. Entweder haben wir Tarifverträge, aber trotzdem einen Lohn, der sehr niedrig, zu niedrig ist, oder aber wir haben keinen Tarifvertrag und ebenfalls einen Lohn, der der Würde des Menschen hohnspricht.
Dann gibt es zwei Möglichkeiten: den gesetzlich und politisch festgelegten Mindestlohn wie in Frankreich, wobei ich die Betonung auf „politisch festgelegten Mindestlohn“ legen möchte. Und dann gibt es das, was Herr Kollege Schminke soeben als Wortakrobatik bezeichnet hat: den marktwirtschaftlich organisierten Mindestlohn.
Herr Schminke, ich lege gar keinen großen Wert darauf, ob er gesetzlich oder nicht gesetzlich ist, sondern bin durchaus bereit, mit einigen in meiner Partei kritisch umzugehen. Ich gebe Ihnen ja recht. Diese Sprachakrobatik verwirrt. Wir sollten uns auf das Wesentliche beschränken.
Ich als einer, der der Meinung ist, dass wir in der Tat eine solche Kommission der Tarifparteien brauchen, die den Mindestlohn festlegt, stelle mir persönlich die Frage, wie denn das ohne ein ge
Nein, der Kernunterschied ist einfach folgender: Politisch festgelegt oder marktwirtschaftlich festgelegt? Das ist die Streitfrage. Das ist der einzige Punkt. Dafür gibt es eben unterschiedliche Beispiele. In Frankreich gibt es die politische Festlegung, und es gibt Studien, die recht gut belegen, dass Frankreich u. a. deswegen eine so hohe Jugendarbeitslosigkeit hat, weil es diesen politisch festgelegten Mindestlohn gibt.
In Präsidentschaftswahlkämpfen in Frankreich hat man über Jahre beobachtet, wie die Parteien gestritten und versucht haben, sich darin zu überbieten, wer denn nun am meisten versprechen kann. Das hat man 1995 - damals haben sie nämlich exakt dasselbe gefordert - durch eine Verdoppelung gelöst. Ich möchte nicht, dass in diesem Haus darüber gestritten wird, welchen Wert Arbeit hat und wie viel der Einzelne verdient. Das können Tarifparteien besser.
Lieber Herr Schminke, dass Tarifparteien das können, haben wir - das ist das Gegenbeispiel zu Frankreich - in der aktuellen Eurokrise, in der Wirtschaftskrise gesehen. Da haben wir gesehen, dass Tarifparteien in der Lage waren, ohne politische Einflussnahme flexibel auf wirtschaftliche Probleme zu reagieren und damit Arbeitsplätze zu erhalten. Das hat es uns ermöglicht, in der Wirtschaft wieder durchzustarten, nachdem die Krise ansatzweise vorbei war.
Nun sage ich Ihnen, Herr Kollege Schminke: Es gibt natürlich noch eine Menge von Detailproblemen, die wir diskutieren müssen. Ich habe eben die Frage eines gesetzlichen oder nicht gesetzlichen Mindestlohns angesprochen. Ein anderes Problem ist das, was wir mit dem Mindestarbeitsbedingungsgesetz erlebt haben.
Herr Kollege Toepffer, ich darf Sie unterbrechen. Herr Kollege Adler möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen.
Herr Kollege Toepffer, in der Logik dessen, was Sie eben über den Zusammenhang von Mindestlohn und Arbeitsplätzen gesagt haben, müssten Sie konsequenterweise auch dafür sein, dass die Mindesturlaubszeit im Bundesurlaubsgesetz abgesenkt wird, weil dadurch zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen würden.
(Jens Nacke [CDU]: Nein, auch als Jurist ist er nicht fähig! Er ist ein wirk- lich schlechter Jurist, weil er bewusst alles falsch versteht! Das ist völlig daneben!)
Aber im Allgemeinen können Juristen logisch denken, und bei Ihrer Zwischenfrage habe ich wirklich keine Form von Logik mehr entdeckt. Es tut mir leid.
Ich komme auf die Detailprobleme zurück, die noch vor uns liegen und die wir irgendwann einmal in aller Ruhe diskutieren sollten.
Die Frage eines gesetzlichen oder nicht gesetzlichen Mindestlohns habe ich eben schon angesprochen. Aber wir haben noch ein ganz anderes Problem.
Herr Schminke, in Ihrem Antrag wird das Mindestarbeitsbedingungsgesetz angesprochen. Das ist ein Gesetz, das in der Tat die Einführung von Mindestlöhnen auch in Branchen, die derzeit keinen Mindestlohn haben, vorsieht, das aber in 50 Jahren nur einmal angewandt worden ist, nämlich in diesem berühmten Callcenter-Fall, bei dem sich die Mitglieder der Kommission nicht einmal darüber einigen konnten, ob denn überhaupt der Tatbestand der sozialen Verwerfung vorliegt.
Das ist das Problem: Wir wissen nicht, wie wir mit möglichen Konfliktlösungsmechanismen umgehen sollen.
Wenn wir dann eine solche Kommission der Tarifpartner haben, die die Mindestlöhne festlegt, werden wir in der Tat darüber reden müssen, wie wir mit Pattsituationen umgehen, wenn sich nämlich Gewerkschaften und Arbeitgeber nicht einigen können.
Herr Schminke, das sind die Detailprobleme, die ich künftig mit Ihnen einmal in ganz sachlicher Art und Weise diskutieren möchte. Aber wir können natürlich so weitermachen, wie Sie das hier vorgestellt haben. Wir können weiter über das Erstgeburtsrecht diskutieren, wir können uns weiter gegenseitig beschimpfen und die Menschenwürde absprechen.