Protocol of the Session on November 11, 2011

Ein Weiteres: In der ganzen Debatte über die Bleiberechtsregelung - das ist jetzt die vierte unter dieser Landesregierung in Folge - wird der Begriff der Integration ad absurdum geführt. Mich würde wirklich interessieren, was die Integrationsministerin dazu sagt. Integration bedeutet, gleichberechtigte Chancen zu haben, um auch an diesem Leben teilzunehmen. Hier wird mit § 25 a eine Bleiberechtsregelung für gut integrierte Jugendliche eingeführt, und das Bleiberecht der Kinder, die sich in diesem maroden Bildungssystem befinden und dort scheitern, wird davon abhängig gemacht. Das ist doch völlig irre!

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Zum Glück hat der Landesverband der GEW hierzu in seiner letzten Landesmitgliederversammlung einen Beschluss gefasst, aus dem ich mit Erlaubnis der Präsidentin zitieren möchte.

„Hier werden Schulen, schulische Gremien und einzelne Lehrkräfte als Hilfsorgane der Ausländerbehörden missbraucht. Die Entscheidung über Abschiebung von ganzen Familien wird damit womöglich von Zeugniskonferenzen, Kopfnoten und Prognosen über Bildungsgänge abhängig gemacht. Dies setzt sowohl die betroffenen Flüchtlingskinder als auch die Schulen sowie jede einzelne Lehrkraft unter einen nicht zu akzeptierenden Druck.“

Recht hat die GEW!

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Fall Anuar Naso aus dem Landkreis Hildesheim, den ich heute Morgen schon erwähnt habe, ist ein Beispiel dafür. Die Lehrerin hatte eine Prognose abgegeben, ohne sich bewusst zu sein, was sie damit der Ausländerbehörde liefert. Sie hat bestimmt keine Erfüllungsgehilfin für eine Abschiebung sein wollen.

(Vizepräsident Dieter Möhrmann übernimmt den Vorsitz)

PRO ASYL hat das in seiner neuen Initiative zur Innenministerkonferenz sehr treffend beschrieben: zu alt oder jung, zu arm, zu krank für ein Bleiberecht. - Wir können uns dem nur anschließen.

Wir haben im letzten Jahr einen Antrag für ein humanitäres Bleiberecht eingebracht. Wir haben nämlich immer noch keine humanitären Kriterien im Bleiberecht. Was ist mit den wenigen Seniorinnen und Senioren, die wir unter den Geduldeten haben? - Ich habe das schon einmal gesagt: 0,002 % sind über 65 Jahre alt. Warum wollen Sie diese Solidarität eigentlich nicht aufbringen? Selbst wenn diese geduldeten Seniorinnen und Senioren von unserem Sozialsystem leben: Ich weiß, dass die Niedersächsinnen und Niedersachsen gern bereit sind, sie mitzutragen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege Oetjen.

Ganz herzlichen Dank. - Herr Präsident! Ich möchte es zum Ende dieses Tagungsabschnitts nur relativ kurz machen. Sie wissen, dass sich die FDP für ein liberaleres Bleiberecht einsetzt und dass wir in diesem Bereich Rechtsänderungen auf Bundesebene als notwendig erachten. Ich möchte auch zum Ausdruck bringen, dass ich mir erhoffe, dass es auf der Innenministerkonferenz Anfang Dezember neue Signale in diese Richtung gibt.

Ich möchte aber auch daran erinnern, dass es auf Initiative Niedersachsens schon einmal eine positive Rechtsänderung für Jugendliche und junge Erwachsene gegeben hat. Ich möchte mich bei unserem Innenminister ganz ausdrücklich dafür bedanken, dass er diese Initiative so vehement vorangebracht hat.

Als Ergebnis dieser Initiative konnte - weil der Fall der Familie Nguyen aus Hoya angesprochen wurde - die Tochter der Familie Nguyen nach § 25 a einen Aufenthaltstitel bekommen. In der Debatte in den vergangenen Tagen ist aus der Tatsache, dass die Tochter jetzt hier bleiben darf und die Familie abgeschoben wurde, konstruiert worden, dass das ein unzumutbares Auseinanderreißen der Familie ist.

(Pia-Beate Zimmermann [LINKE]: Na- türlich ist es das!)

Ich sage hier sehr deutlich, dass auch wir als FDP - Kollege Bode, Kollege Rösler - uns für die

Familie eingesetzt haben und dass man diesen Fall sicherlich auch kritisch bewerten kann.

(Hans-Henning Adler [LINKE]: Tun Sie das mal!)

Früher hätte die Tochter bei Erreichung der Volljährigkeit ausreisen müssen, weil sie keinen eigenen Aufenthaltstitel hat. Jetzt darf sie bleiben.

(Zuruf von der LINKEN: Herr Oetjen, Sie können das nicht schönreden! Das geht nicht!)

Aber das nun gegen den Innenminister und diese Landesregierung zu verwenden, halte ich, mit Verlaub, für unredlich und dieser Debatte nicht angemessen. Das möchte ich hier sehr deutlich sagen, verehrte Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU - Kreszentia Flauger [LINKE]: Das kann doch nicht Ihr Ernst sein!)

Ich komme zum Schluss. Wir werden uns mit diesem Antrag im Ausschuss weiter beschäftigen. Ich habe gehört, dass die Kollegin Polat ursprünglich die direkte Abstimmung beantragen wollte. Dem hätten wir widersprochen. Wir sind der Meinung, dass dieses Thema im Innenausschuss gut aufgehoben ist und wir es dort weiter diskutieren sollten.

Ganz herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, für die Landesregierung spricht nun Herr Minister Schünemann.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer verfolgt wird, bekommt in Deutschland sofort ein Aufenthaltsrecht. Das ist richtig und sinnvoll. Dann müssen auch sofort alle Integrationsmaßnahmen greifen, und diese Flüchtlinge müssen hier so schnell wie möglich integriert werden.

Es ist auch richtig, dass in Asylverfahren der Rechtsweg beschritten werden darf. Allerdings muss man auch zur Kenntnis nehmen, wenn der Rechtsweg ausgeschöpft ist. Wenn die Gerichte entschieden haben, dass jemand zwingend ausreisepflichtig ist, dann ist dies nun einmal zu akzeptieren, auch wenn es im Einzelfall schwierig sein mag. Aber unter den Asylbewerbern finden sich eben nicht nur solche, die verfolgt werden,

sondern auch solche, die aus wirtschaftlichen Gründen gekommen sind, die hier in Deutschland bessere Verhältnisse erwarten. Aber Letzteres lässt das deutsche Ausländerrecht nicht zu, und zwar aus, wie ich meine, gut nachvollziehbaren Gründen.

Neben dem Petitionsverfahren haben wir in der Vergangenheit auch noch eine weitere Möglichkeit bekommen. Wenn alle rechtlichen Schritte abgeschlossen sind, kann man auch den Weg des Härtefallverfahrens beschreiten. Sofern dieses Verfahren negativ beschieden wurde, sind die Betroffenen nicht nur zwingend ausreisepflichtig, sondern dann sollten sie normalerweise auch alles daransetzen, diese Entscheidung umzusetzen, und zwar gerade, wenn sie Kinder haben. Denn die Behörden in die Situation zu bringen, dass abgeschoben werden muss, ist für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schwierig, aber natürlich auch für die Kinder. Gott sei Dank ist es in Deutschland so, dass wir bei einer freiwilligen Ausreise, gerade im Falle von Familien, besondere Hilfen zur Verfügung stellen, bis hin zu einer Unterstützung im Heimatland, in das sie zurückkehren.

Nicht akzeptieren kann es der Staat aber, wenn man sich der Ausreise verweigert und in die Illegalität abdriftet, d. h. seinen Aufenthaltsort nicht bekannt gibt. Genau dies ist bei dem Fall, der aktuell diskutiert wird, aber leider passiert. Sie können mir abnehmen, dass mich das Ganze, als ich mir die Familiensituation angeschaut habe, durchaus berührt hat; das ist überhaupt keine Frage. Aber stellen Sie sich bitte die Alternative vor! Würde jemand, der nach Abschluss des Verfahrens in die Illegalität abtaucht, sanktioniert, würde der, der freiwillig ausgereist ist, im Nachhinein noch dafür bestraft. Mit „in die Illegalität abtauchen“ meine ich allerdings nicht, Kirchenasyl in Anspruch zu nehmen.

Und dann taucht er irgendwann wieder auf und muss erneut das Asylverfahren und Folgeverfahren durchlaufen, sodass sein Aufenthalt hier noch länger andauert. Dann wird es irgendwann schwierig. Bei der Bleiberechtsregelung, die von der linken Seite des Hauses gefordert wird, würde es keine Rolle mehr spielen, ob jemand illegal hier ist oder untergetaucht ist. Hauptsache, er hat es geschafft, sich fünf oder sechs Jahre in Deutschland aufzuhalten.

Das zu Ende gedacht heißt, dass man eigentlich gar kein Aufenthaltsrecht mehr benötigt. Aber dies

können wir in einem Rechtsstaat wie Deutschland nicht akzeptieren.

Insofern habe ich mir genau angeschaut, wo es wirklich Probleme gibt, die gelöst werden müssen, und zwar nicht nur, weil die Innenministerkonferenz zusammenkommt, sondern weil es auch einen Rechtsanspruch darauf geben sollte. Deshalb ist die Regelung in § 25 a des Aufenthaltsgesetzes der richtige Weg. Da geht es nämlich um die Kinder und Jugendlichen, die nicht dafür bestraft werden dürfen, dass ihre Eltern sich falsch verhalten haben, dass die Eltern abgetaucht sind, dass sie in die Illegalität gegangen sind.

Es ist auch nicht so, dass man abgeschoben wird, wenn man nicht in jedem Fach - Mathe, Deutsch, Physik und was weiß ich - eine Zwei hat. Nein, nach dieser Regelung muss man nachweisen, dass man sich zumindest bemüht, in der Schule mitzuarbeiten. Ob es eine Förderschule, eine Hauptschule, eine Realschule oder ein Gymnasium ist, spielt überhaupt keine Rolle. Wenn man aber überhaupt nicht zur Schule geht, wenn man die Schule schwänzt und sich überhaupt nicht integrieren will, kann das nicht damit belohnt werden, dass man von diesem Paragrafen profitiert. Das ist meiner Ansicht nach auch völlig klar.

(Zustimmung bei der CDU)

Um nicht mehr und nicht weniger geht es bei diesem § 25 a. Deshalb sollten Sie diese Regelung hier nicht diskreditieren. Vielmehr sollten Sie es so sehen, wie es die Innenministerkonferenz einstimmig gesehen hat. Übrigens hat auch der Flüchtlingsrat diese Regelung damals als einen Schritt in die richtige Richtung dargestellt.

Meine Damen und Herren, mich bewegt immer wieder, dass man die Behörden, die das Ausländerrecht umsetzen, hier als unmenschlich darstellt, dass man ihnen unterstellt, das Schicksal der Menschen, die zurückreisen müssen, nicht im Blick zu haben.

Die Situation vor wenigen Tagen war für diejenigen, die abschieben mussten, nicht einfach. In der Öffentlichkeit wird dargestellt, man sei um 3 Uhr nachts überfallartig gekommen und habe die Familie aus dem Schlaf gerissen.

(Pia-Beate Zimmermann [LINKE]: So war es doch!)

- Es war nicht so. Ich habe mir das noch einmal von der Ausländerbehörde schildern lassen. Diese Familie war zweimal untergetaucht. Deshalb war

durchaus zu befürchten, dass sie wieder untertaucht. Der Termin ist der Kirchengemeinde mitgeteilt worden. Die Frau, die diese Familie betreut hat, war bei dem Abschiebetermin dabei und hat die Familie betreut. Das heißt, auch in diesem Fall hat die Ausländerbehörde nicht unmenschlich gehandelt.

(Ursula Weisser-Roelle [LINKE]: Wol- len Sie damit sagen, alles ist in Ord- nung?)

Meine Damen und Herren, ich darf diesen Fall zusammenfassen: Bereits im Jahre 1999 war die Familie zwingend ausreisepflichtig. Sie hat sich dieser Ausreise entzogen, indem sie für zwei Jahre untergetaucht ist. Die Verfahren sind weitergegangen. Noch vor dem Härtefallverfahren ist die Familie ins Kirchenasyl gegangen. Dann hat es das Härtefallverfahren gegeben. Auch danach hat sich die Familie ihrer Ausreisepflicht verweigert.

Wenn man sagt „Die Familie ist so lange hier gewesen; das ist eine schwierige Situation“, dann muss man auch sagen: Die Eltern haben sich, auch im Hinblick auf die Kinder, sicherlich nicht gerade verantwortungsvoll entschieden. Abschiebung ist der schwierigste Schritt überhaupt.

(Hans-Henning Adler [LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Aber ein Bleiberecht nur aufgrund sechsjährigen Aufenthalts in Deutschland - ob man untergetaucht ist oder nicht - ist in einem Rechtsstaat nicht zu akzeptieren. Mit dem Petitions- und dem Härtefallverfahren gibt es in unserem Staat Möglichkeiten, auch außerhalb von Gerichtsverfahren Entscheidungen zu treffen.

Herr Minister - - -