Protocol of the Session on November 11, 2011

Die auf Ablehnung lautende Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr in der Drs. 16/4113 ist die weitestgehende Empfehlung. Wir stimmen daher zunächst über diese ab. Nur falls sie abgelehnt wird, stimmen wir anschließend noch über den Änderungsantrag ab. Mit anderen Worten: Um zu einer Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU und der FDP eingereichten Änderungsantrag zu kommen, müsste zunächst die Beschlussempfehlung abgelehnt werden.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses.

Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses zustimmen und damit den Antrag der Fraktion der SPD in der Drs. 16/4043 ablehnen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Es hat doch geklappt.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Das war aber knapp, Herr Präsident!)

Der Beschlussempfehlung des Ausschusses wurde nicht gefolgt. Wir kommen daher zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und FDP in der Drs. 16/4184.

Wer diesem Änderungsantrag zustimmen will, den bitte ich jetzt um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Damit hat der Änderungsantrag die Mehrheit gefunden, und wir können diesen Tagesordnungspunkt abschließen.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 26 auf:

Mündliche Anfragen - Drs. 16/4135

Die für die Fragestunde geltenden Regelungen unserer Geschäftsordnung setze ich als bekannt voraus. Um dem Präsidium den Überblick zu erleichtern, bitte ich Sie, dass Sie sich schriftlich zu Wort melden, wenn Sie eine Zusatzfrage stellen möchten.

Ich stelle fest: Es ist 9.05 Uhr.

Wir beginnen mit Frage 1:

Die neue Situation rund um das Fußballstadion - Wie reagiert die Landesregierung auf die Zunahme von Gewalt im Zusammenhang mit Fußballspielen?

Dazu erteile ich der Kollegin Jahns von der CDUFraktion das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausschreitungen und die Gewaltbereitschaft rund um das eigentliche Fußballspiel haben in der Vergangenheit stark zugenommen. So war der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung vom 1. November 2011 zu entnehmen, dass die Zahl der gewaltgeneigten und gewaltsuchenden Fußballfans der 36 Profivereine in Deutschland auf annähernd 10 000 Personen angestiegen sei. Die Zahl der verübten Körperverletzungen bei Bundesligaspielen habe um 9,2 % zugenommen.

Längst gehe es nach dem Bericht der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung nicht lediglich um Gewalt unmittelbar im Stadion. So berichtet die Zeitung von Fällen, in denen ein Fußballspieler des 1. FC Magdeburg zu Hause von vermummten Personen besucht wurde oder vermummte Fans beim Spiel Hannover 96 gegen Lüttich aus dem Gebüsch preschten, um gegnerische Fans und Polizisten zu bedrohen und anzugreifen. Der Sportdirektor des Deutschen Fußballbundes, Matthias Sammer, fühlte sich in der Frage überfordert, wie man den Fankrawallen begegnen könnte. Die Gewalt beginnt mit Anreise der Fans und setzt sich unabhängig vom eigentlichen Fußballspiel weiter fort. Die Deutsche Presseagentur sprach in diesem Zusammenhang sogar von einer neuen Welle der Gewalt.

Wir fragen die Landesregierung:

1. Wie beurteilt sie die gestiegene Gewaltbereitschaft von vermeintlichen Fußballfans?

2. Welche Maßnahmen hat die Landesregierung ergriffen und welche Maßnahmen wird die Landesregierung ergreifen, um der Gewalt im Zusammenhang mit Fußballspielen aller Ligen zu begegnen?

3. Wie können die Fußballvereine und die Fangruppierungen mit dem Land Niedersachsen effektiv auf die gewaltbereiten Gruppierungen und Fans reagieren?

(Zustimmung bei der CDU)

Für die Landesregierung erteile ich Herrn Minister Schünemann das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal: Fußball ist ein faszinierender Sport.

(Zustimmung von Johanne Modder [SPD] und Hans-Henning Adler [LIN- KE])

Ich bin sehr froh, dass der Sport gerade auch bei Jugendlichen eine große Faszination ausübt. Er ist eine sehr gute Freizeitgestaltung.

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Eine gelb- schwarze Krawatte wäre gut gewe- sen!)

- Man hört schon bei Herrn Klare, dass es natürlich auch eine sehr positive Fanbewegung geben kann. Allerdings muss man feststellen, dass es einige wenige gibt, die Bundesligaspiele, aber auch Spiele in den Amateurligen dazu nutzen, Gewalt auszuüben, und so das Freizeitvergnügen der Gesellschaft insgesamt in diesem Zusammenhang beeinträchtigen.

Nach der Fußballweltmeisterschaft 2006 in unserem Lande, aber auch nach der Frauenfußball-WM gibt es den Trend, dass immer mehr Familien in die Stadien kommen und dort insofern ein sehr gutes Klima herrscht. Allerdings mussten wir gerade in den letzten Monaten sehr viel mehr Gewaltanwendung um Fußballspiele herum feststellen. Darauf müssen wir auf jeden Fall reagieren.

Fußballveranstaltungen bergen insofern in besonderem Maße hohe Konfliktpotenziale, denen Verbände, Veranstalter, Polizei und Kommunen auf der Grundlage des Nationalen Konzepts „Sport und Sicherheit“ - abgekürzt: NKSS - in enger Kooperation begegnen. Die vielfältigen Handlungsfelder im NKSS und die daraus resultierenden Kon

zeptionen haben wesentlich zu einer Befriedung bei Fußballveranstaltungen, vor allem in den Bundesligen, beigetragen, soweit es den Spielbetrieb im engeren Sinne und die Innenbereiche der Stadien angeht.

Der Fußballsport hat gleichwohl unverändert einen Fanhintergrund, der für Gewalttäter in besonderer Weise attraktiv ist. Es sind insoweit immer wieder Fußballveranstaltungen, die von Gewalttätern gezielt für ihre Zwecke missbraucht werden. Angesichts konsequenter Fantrennung und hohen Kontrolldrucks innerhalb der Stadien weichen die Gewalttäter zunehmend auf das weitere Stadionumfeld, die Vor- und die Nachspielphase sowie auf die Reisewege und Drittorte aus.

Neben typischen, häufig alkoholbedingten Gewaltproblemen fokussiert sich das Gewaltphänomen bei Massenveranstaltungen auf der einen Seite auf den klassischen Hooliganismus und auf der anderen Seite auf die seit Ende der 90er-Jahre aufkommende Ultrabewegung.

Hooligangewalt ist dabei in der Typologie der Täter als ein Mittel zur Schaffung positiver Identität und zur Stärkung des Selbstbewusstseins angelegt.

Gewalt von Personen der Ultraszene ist dagegen insoweit überwiegend reaktiv angelegt, als sich die Gewalt vor allem gegen Ordnungsdienste, den Verein sowie die gegnerische Fanszene und mehr noch gegen die Polizei richtet. Die bloße Anwesenheit geschlossener Polizeieinheiten wird als Provokation empfunden. Einsatzmaßnahmen wie Fanbegleitungen und ein Einschreiten von Polizei und Ordnungsdiensten innerhalb des Stadions, in den Fankurven, steigern das aggressive Verhalten zusätzlich und führen nicht selten zu einem hohen Solidarisierungseffekt.

Eine Kooperation und ein Dialog mit Ordnungsdiensten und Polizei werden von den gewaltbereiten Ultraszenen weitgehend abgelehnt. Selbst die Kooperation und Kommunikation mit Fanbeauftragten der Vereine und Fanprojekten ist zunehmend gestört. In diesem Zusammenhang fallen regelmäßig Einzelpersonen auf, die in diesem Sinne gezielt und steuernd auf Gruppierungen einwirken und hierbei hooligantypische Verhaltensweisen zeigen bzw. organisieren.

Eine aktuelle Problematik bildet der Umgang mit Pyrotechnik im Zusammenhang mit Fußballspielen. In Teilbereichen der Ultraszenen gewinnt die Verwendung von Pyrotechnik innerhalb der Spiel

stätten bei der Unterstützung der Mannschaften an Bedeutung.

Der kürzlich von der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze in Nordrhein-Westfalen veröffentlichte Jahresbericht Fußball Saison 2010/11 sagt aus, dass trotz der vielfältigen Maßnahmen gegen Gewalt im Zusammenhang mit Fußballspielen ein spürbarer Rückgang in diesem Phänomenbereich nicht festzustellen ist.

In den Bundesliegen hat die Zahl der Körperverletzungsdelikte im Vergleich zur Vorsaison um 133 auf 1 572 Fälle zugenommen. Die Zahl der Verletzten erhöhte sich auf 846 Personen, darunter 243 Polizeibeamte und 344 Unbeteiligte. In Niedersachsen ist bei den verletzten Personen eine vergleichbare Entwicklung festzustellen. Anlässlich der Begegnung der Bundesligisten Hannover 96 und VfL Wolfsburg wurden 41 Personen verletzt. Ein Jahr zuvor gab es ebenfalls Ausschreitungen; damals wurden 19 Personen verletzt.

Das Gewaltpotenzial in den Anhängerschaften der Vereine - von der Bundesliga bis zu den Regionalligen - wird bundesweit mit ca. 14 900 Personen beziffert. Im Vorjahr waren es 14 708 Personen. Eine Trendwende ist nicht erkennbar. Demgegenüber nahm das Gewaltpotenzial in Niedersachsen nach Einschätzung der niedersächsischen Polizeibehörden in der letzten Saison jedoch leicht ab und betrug 1 324 Personen nach 1 458 Personen in der Vorsaison.

Dies vorangestellt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:

Zu Frage 1: Die bundesweit erkennbare veränderte Qualität der Gewalt gibt Anlass zur Besorgnis. Beispiele hierfür sind aus niedersächsischer Sicht der Angriff von Gewalttätern auf einen Zug mit Fans von Hannover 96 am Haltepunkt Weddel am 7. November 2009 sowie die Vorkommnisse zwischen Ultras von Hannover 96 und VfL Wolfsburg vor dem Bundesligaspiel am 5. Februar 2011 in Hannover.

Am 5. Februar 2011 hatten sich in Hannover ca. 140 gewaltbereite Wolfsburger Ultras am frühen Vormittag des Spieltages unter einer Legende in einer hannoverschen Altstadtlokalität eingemietet. Dort wurden sie von ca. 50 gewaltbereiten Hannoveraner Ultras angegriffen. Nur durch den rechtzeitigen Einsatz der Polizei konnten schwerwiegende Auseinandersetzungen verhindert werden.

Bei gewaltbereiten Personen in den Ultragruppierungen ist mittlerweile die Hemmschwelle zur Ge

waltanwendung - gerade auch gegenüber Polizei und Ordnungsdiensten - niedrig. Die latent vorhandene Aggressionsbereitschaft ist vielfach noch durch einen übermäßigen Alkoholkonsum verstärkt.

Vermehrt zu Gefahren für alle Anwesenden in den Fußballstadien und auf den Reisewegen führt der zunehmende Einsatz von Pyrotechnik. Durch die Verwendung pyrotechnischer Materialien kommt es regelmäßig zur Gefährdung von Personen sowie zu Verletzungen von Menschen und zu Sachschäden.

Zu den Fragen 2 und 3: Die Landesregierung hat eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen, um der Gewalt im Zusammenhang mit Fußballspielen zu begegnen. Die Innenministerkonferenz und der Deutsche Fußball-Bund bzw. die Deutsche Fußball-Liga befassen sich seit mehreren Jahren sehr intensiv mit dieser Problematik.

Ab Dezember 2009 habe ich an mehreren Gesprächen mit dem Bundesinnenminister, Vertretern der IMK, der Sportministerkonferenz, des Nationalen Ausschusses „Sport und Sicherheit“ sowie des DFB und der DFL teilgenommen, in denen eine gemeinsame Strategie gegen Gewalt im Fußball erarbeitet wurde. Diese beinhaltet insbesondere Maßnahmen der Fanarbeit und Frühprävention, der Untersuchung und Analyse von Fanverhalten, der Ächtung von Gewalt, der Verbesserung der Sicherheit auf den Reisewegen und der Reduzierung des Alkoholkonsums im öffentlichen Personennahverkehr sowie des Abbaus von Einsatzbelastungsspitzen bei der Polizei durch Entzerrung der Spielpläne.

Diese Maßnahmen sind zwischenzeitlich zum Teil bereits abgeschlossen. Ich will nur einige Beispiele nennen: Projekt der Technischen Universität Darmstadt zu Sicherheitsmaßnahmen im Fußball, Beteiligung der Polizeien der Länder und des Bundes an der Spieltagsplanung für Fußballspiele, Erarbeitung einer Rahmenkonzeption für den bundesweit einheitlichen Umgang mit Fangruppen sowie gewaltbereiten Personen, Forderung nach einem Verbot von Alkoholkonsum im öffentlichen Personennahverkehr.

Am 14. November findet im Bundesinnenministerium in Berlin die Fortsetzung des runden Tisches vom 23. April letzten Jahres mit Spitzenvertretern der IMK, der SMK sowie des DFB und der DFL statt. Dort werde ich weiter gehende Maßnahmen für mehr Sicherheit bei Fußballspielen anregen.

Ein zentrales Element bilden die Vorschläge zur Neuregelung im Bereich der Stadionverbote. Örtliche und insbesondere bundesweit wirksame Stadionverbote sind ein geeignetes Mittel, gewaltbereite Fußballanhänger aus den Stadien zu verbannen. Nach aktuellen Erkenntnissen werden lediglich in 10 bis 20 % der möglichen Fälle Stadionverbote geprüft bzw. festgesetzt. Verantwortlich für die Stadionverbote ist der jeweilige Heimverein. Immer dann, wenn Heimfans betroffen sind, wird es für den Verein sehr schwierig, wirklich Stadionverbote auszusprechen; in fast 80 % der Fälle geschieht das nicht. Deshalb macht es Sinn, eine neutrale Stelle damit zu beauftragen, die sinnvollerweise beim DFB oder bei der DFL angesiedelt sein sollte. Daneben werde ich für eine Rücknahme der Senkung der Höchstdauer von Stadionverboten auf drei Jahre - also für eine Erhöhung dann wieder auf fünf Jahre - und für die Option einer Verlängerung um zwei Jahre bei entsprechender Gefahrenprognose eintreten. Personen, die in Fußballstadien nur Gewalttaten begehen wollen, haben dort wirklich nichts zu suchen.

(Beifall bei der CDU)