Protocol of the Session on November 10, 2011

Ich möchte nur den Sachstand zur Kenntnis geben: Für die Fraktion DIE LINKE und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen besteht keine Gelegenheit mehr, Zusatzfragen zu stellen. Die SPD hat noch eine Frage offen. Zunächst kommt aber Herr DammannTamke für die CDU-Fraktion an die Reihe. - Bitte schön!

Herr Minister, vor dem Hintergrund, dass große Teile der deutschen Öffentlichkeit die Ära einer Verbraucherschutzministerin Künast mit Stichworten wie „Agrarwende“ oder „Klasse statt Masse“ in Erinnerung haben und ein ganz zentraler Bestandteil dieser Agrarwende die Reglementierung der Verschreibung und Abgabe von Antibiotika über tierärztliche Praxen an landwirtschaftliche Nutztierhalter gewesen ist, frage ich die Landesregierung, ob aus heutiger Sicht - vor dem Hintergrund dieser Zahlen von Antibiotikaeinsatz in NRW - diese Ära der deutschen Verbraucherschutzpolitik in die Rubrik „Ankündigungspolitik“ fällt.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herr Minister, Sie haben das Wort.

Ich kann das bestätigen, aber ich will nicht verhehlen, dass es möglicherweise deshalb bei der Ankündigung geblieben ist, weil Frau Künast keine Gelegenheit mehr hatte, sie in die Tat umzusetzen. Aber auch das kann ich ausdrücklich als positiv bestätigen.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die nächste und damit auch die letzte Zusatzfrage stellt Frau Schröder-Ehlers für die SPD-Fraktion. - Bitte sehr!

Herr Minister Lindemann, in der schon mehrfach zitierten Anhörung im Dezember letzten Jahres ist von Sachverständigen deutlich gemacht worden, dass ein weiterer Risikobereich in den Schlachthöfen liegen könnte. Tiere, die in Schlachthöfen getötet und dann verarbeitet werden, tragen MRSAKeime; das haben wir eben schon gehört. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich bei den Verarbeitungsprozessen eine Übertragung ergibt.

Gibt es mittlerweile Untersuchungen zu diesem Bereich, und werden die Befürchtungen, die dort geäußert worden sind, bestätigt?

Herr Minister Lindemann, Sie haben das Wort.

Es gibt auch für Schlachthöfe ein Zoonosen-Monitoring, bei dem versucht wird, die Belastung mit Schadkeimen am Schlachthof und durch die Schlachtung zu erfassen und gegenzusteuern, wenn es Punkte gibt, die das Risiko in sich bergen, eine Kontamination zu erleichtern. Bereits vor einigen Jahren ist, weil die Hauptkontaminationsquelle offenbar das in Geflügelschlachthöfen benutzte Wasser gewesen ist, das Verfahren durch ein Verbot eines Wasserbades verändert worden, an dessen Stelle ein Sprühverfahren getreten ist, durch das Frischwasser versprüht wird. Aber sicherlich ist es notwendig, auch in Zukunft an allen Punkten des Schlachthofbetriebs - dazu dient das Monitoring - zu überprüfen, wo eine Kontamination statt

finden kann, und diese Möglichkeit auszuschließen oder, soweit das nicht vollständig auszuschließen ist, zu reduzieren.

(Clemens Große Macke [CDU]: Das ha- ben wir auf dem Schlachthof gesehen!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen zu dem Tagesordnungspunkt 15 b vor.

Bevor ich den Tagesordnungspunkt 15 c aufrufe, möchte ich Sie davon in Kenntnis setzen, dass der Herr Ministerpräsident darum gebeten hat, Sie nach Behandlung der Dringlichen Anfragen über die aktuelle politische Entwicklung zu unterrichten.

(Ministerpräsident David McAllister: Eine!)

- Eine.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 c auf:

Jahrelange Sozialgerichtsverfahren: Klares Signal des Bundesverfassungsgerichtes für Rechte der Bürgerinnen und Bürger - Was macht die Landesregierung? - Anfrage der Fraktion der SPD - Drs. 16/4159

Ich gehe davon aus, dass Sie, Herr Haase, jetzt das Wort ergreifen wollen. Ich erteile Ihnen dasselbe.

Ich möchte gern, Herr Präsident.

Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Dringliche Anfrage lautet: Jahrelange Sozialgerichtsverfahren: Klares Signal des Bundesverfassungsgerichtes für Rechte der Bürgerinnen und Bürger - Was macht die Landesregierung? - Die Landesregierung wiegelt ab.

Die HAZ vom 3. November 2011 hat in einem Artikel die Rüge des Bundesverfassungsgerichts wegen überlanger Verfahrensdauer eines Sozialgerichtsverfahrens vor dem Sozialgericht Hildesheim thematisiert. Ausdrücklich wird in diesem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts - BvR 232/11 - die langsame Arbeitsweise des Gerichts

gerügt. In diesem Verfahren ging es um die Kosten eines alleinerziehenden arbeitslosen Vaters für Heizung und Unterkunft. Seit Klageeinreichung im Jahr 2007 ist der Fall nicht entschieden.

Für das Bundesverfassungsgericht sei eine solche Verfahrensdauer unannehmbar, es gehe immerhin um die Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Das Bundesverfassungsgericht führt im Gegensatz zum Justizministerium die lange Verfahrensdauer auf Versäumnisse des Sozialgerichts zurück. Es sei nicht hinnehmbar, dass das Gericht das Verfahren über drei Jahre nicht gefördert hat. Auch der Einschätzung des Justizministeriums, es handele sich um einen komplexen Fall, folgte das Bundesverfassungsgericht nicht.

(Unruhe)

Herr Haase, ich möchte Ihnen wirklich die Aufmerksamkeit gönnen und bitte unsere Abgeordneten, Platz zu nehmen. - Vielen Dank.

Jetzt haben Sie auch die Aufmerksamkeit, Herr Haase.

Zitat: „Die Sache war nicht in einem Maße komplex, dass sie ein derart langes Verfahren rechtfertigen könnte.“

Schon im September vergangenen Jahres war ein ähnlicher Beschluss bekannt geworden. Dieser Beschluss der 3. Kammer - es müsste richtig heißen: der 3. Kammer des Ersten Senates, Herr Präsident - des Bundesverfassungsgerichtes - BvR 331/10 - erfolgte auf eine Verfassungsbeschwerde eines Mannes, der beinahe vier Jahre auf eine Entscheidung des Sozialgerichts in Osnabrück warten musste.

Gemäß dem Onlinedienst „Legal Tribune“ lag dieser Entscheidung folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger hatte im Jahre 2005 einen Hirninfarkt erlitten. Daraufhin meldete ihn sein Arbeitgeber rückwirkend zur Sozialversicherung an. Die betroffene Krankenversicherung wies die Mitgliedschaft jedoch zurück. Dagegen erhob der pflegebedürftige Mann bereits im Juni 2006 vor dem Sozialgericht Klage. Die Krankenhaus- und Pflegekosten beliefen sich zu diesem Zeitpunkt bereits auf über 86 000 Euro. Unter Verweis auf den Vorrang älterer Verfahren vertröstete das Gericht den Kläger immer wieder, bis es schließlich im Mai 2010 die Klage abwies.

Offensichtlich führen die in den letzten Jahren durchgeführten Erhöhungen der Personalzahl bei den niedersächsischen Sozialgerichten nicht zu einer wesentlichen Entspannung der Belastungssituation an den Gerichten, da bei annähernd gleichbleibend hohen Neufällen das vorhandene Personal nicht ausreicht, den aufgelaufenen Rückstand abzubauen. Dies führt damit immer wieder zu den exemplarisch dargestellten überlangen Verfahrensdauern einzelner Prozesse und war in Petitionen der vergangenen Jahre ständig wieder Thema im Landtag.

Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:

1. Wie will die Landesregierung angesichts der beschriebenen Fälle und des gleichbleibend hohen „Sockelbestandes“ nicht erledigter Verfahren - zurzeit knapp unter 50 000 Fälle - vermeiden, dass niedersächsische Sozialgerichte erneut vom Bundesverfassungsgericht gerügt werden?

2. Wie bewertet die Landesregierung die Forderungen des Hauptrichterrates der Gerichte der niedersächsischen Sozialgerichtsbarkeit, dass mindestens der derzeitige Personalbestand angesichts des Geschäftsanfalls nötig sei und es keinesfalls gehe, angesichts der fast ein Drittel Richterstellen mit kw-Vermerken (31. Dezember 2013) und der befristeten Stellen sowie der Abordnungen (31. Dezember 2012) die Sozialgerichtsbarkeit nicht zu stärken?

3. Warum nimmt die Landesregierung „Straf“Zahlungen in Millionenhöhe wegen der überlangen Verfahren - Gesetz zum Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren - in Kauf, anstatt die Sozialgerichtsbarkeit ausreichend mit Personal - aller Laufbahngruppen einschließlich des Richterdienstes - auszustatten?

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Ich erteile jetzt Herrn Minister Busemann das Wort. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Landesregierung kann die Arbeitsweise einzelner Gerichte im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit grundsätzlich nicht bewerten. Das gilt auch für das in der Anfrage genannte Verfahren vor dem Sozialgericht Hildesheim.

In dem entsprechenden Verfassungsbeschwerdeverfahren hat der Beschwerdeführer höhere Leistungen nach dem SGB II vor dem Sozialgericht Hildesheim eingeklagt. Über die am 14. Februar 2007 erhobene Klage ist im März 2011 noch nicht entschieden gewesen. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 27. September 2011 eine Verletzung von Artikel 19 Abs. 4 des Grundgesetzes wegen überlanger Verfahrensdauer angenommen. Es ist hierbei insbesondere nicht der Einschätzung des MJ gefolgt, dass das Sozialgericht zunächst das Vorliegen weiterer höchstrichterlicher Entscheidungen abwarten durfte, bevor es selber urteilt.

Der Gang des Verfahrens war rechtlich geprägt von komplexen Fragestellungen zur Berechnung der Energiekostenanteile für die Warmwasserbereitung und zur Berücksichtigung einer Versicherungspauschale sowie zur Ermittlung und Berechnung der angemessenen Kosten der Unterkunft. Diese Fragen waren obergerichtlich nicht geklärt.

Doch lassen Sie mich der Vollständigkeit halber erwähnen, dass der Beschwerdeführer die in den angefochtenen Bescheiden ausgewiesenen Leistungen natürlich erhalten hat und die Bescheide in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes - einschließlich Beschwerdeverfahren beim Landessozialgericht - nach summarischer Prüfung zeitnah bestätigt wurden.

Die Landesregierung beschäftigt sich seit mehreren Jahren intensiv mit der starken Belastung der Sozialgerichte. Ursächlich hierfür ist die im Jahre 2004 initiierte gesetzliche Neuordnung des Rechts der sozialen Grundsicherung im Rahmen der sogenannten Hartz-IV-Reform. Unübersichtliche gesetzliche Regelungen und unbestimmte Rechtsbegriffe erschwerten die Ausführung der neuen Gesetze aufseiten der Leistungsträger und führten dazu, dass die Regelungen von den Hilfesuchenden teilweise nicht verstanden wurden und auf wenig Akzeptanz stießen.

Auch die seinerzeit bestehende Erwartung, dass sich die Situation nach Erlangung einiger gerichtlicher Grundsatzentscheidungen wieder beruhigen werde, erfüllte sich nicht. Zahlreiche Gesetzesänderungen trugen vielmehr ihren Teil dazu bei, dass sich die Zahl der Verfahrenszugänge bei den Sozialgerichten von ca. 24 000 Klagen und 800 Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes im Jahre 2004 auf ca. 39 000 Klagen und 6 000 Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes im Jahre 2010 nahezu verdoppelt hat.

Nicht einmal ein Jahr nach der Hartz-IV-Reform hatten die Sozialgerichte allein im Bereich des einstweiligen Rechtsschutzes schon nahezu das Fünffache der Vorjahreseingänge zu bewältigen. 2004 waren es noch 822 Verfahren; 2005 waren es dann schon 4 058 Verfahren. Entsprechend mussten die Schwerpunkte der richterlichen Tätigkeit verlagert und Prioritäten bei der Abarbeitung der Verfahren gesetzt werden. Die enorme Belastung der Sozialgerichte und der sich aus den Vorgaben der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den existenzsichernden Leistungen ergebende Zwang, gerade Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes im Bereich der Grundsicherung möglichst rasch und umfassend zu bearbeiten, hat die Arbeitskraft der Richterinnen und Richter in hohem Maße in Anspruch genommen. Dies hatte zur Folge, dass die Erledigungszahlen im Bereich der sonstigen Klagen mit der stetig angestiegenen Zahl der Neuzugänge nicht mehr Schritt halten konnten. Über die Jahre hat sich ein Anstieg der Bestände von ca. 37 000 Verfahren im Jahre 2005 auf fast 51 000 Verfahren im Jahre 2010 ergeben.

Der Haushaltsgesetzgeber hat auf die Verfahrenszunahme schnell und umfassend reagiert. Bereits mit dem Haushalt 2006 wurden 22 Richterstellen in der ersten Instanz, 10 Richterstellen beim Landessozialgericht und 17 zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeiten für die Serviceeinheiten geschaffen. Durch den seinerzeit von niemandem vorhergesehenen weiteren Anstieg der Fallzahlen wurden diese Zuwächse allerdings weitgehend aufgezehrt. Deswegen musste die Sozialgerichtsbarkeit auch in den Folgejahren kontinuierlich weiter verstärkt werden, sowohl durch Schaffung neuer Stellen als auch durch Verlagerungen aus anderen Gerichtsbarkeiten. Insgesamt hat die Sozialgerichtsbarkeit dauerhaft 54 zusätzliche Richterstellen sowie 62 Beschäftigungsmöglichkeiten in den Folgediensten erhalten.

Neben diesen dauerhaften Personalverstärkungsmaßnahmen sind auch befristete Unterstützungsmaßnahmen im Umfang von 25 Stellen im Richterdienst und 5 Stellen in den Folgediensten vorgenommen worden. Davon wurden 18 Richterstellen über den Haushalt, befristet bis zum Ende des Jahres 2013, zur Verfügung gestellt. Die restlichen Stellen haben die Sozialgerichte durch justizinterne Verlagerungen erhalten. Außerdem wurde die Sozialgerichtsbarkeit noch durch Abordnungen aus anderen Gerichtsbarkeiten im Rahmen einer konzertierten Aktion im Umfang von weiteren 20 Richterkräften unterstützt.

Insgesamt ist damit festzuhalten, dass die Landesregierung den Richtereinsatz in der ersten Instanz von 67 Richterstellen im Jahre 2005 auf aktuell 145 Richterkräfte mehr als verdoppelt hat. Beim Landessozialgericht wurden die Richterplanstellen von 33 im Jahre 2005 auf 47 Stellen heute um fast 50 % aufgestockt. Im Jahre 2006 kamen zwei R-3- und acht R-2-Stellen hinzu; im Jahre 2009 waren es eine R-3- und drei R-2-Stellen. Das macht diese Steigerung aus.

Die Landesregierung hat überdies auf die gestiegenen Eingangszahlen in der Sozialgerichtsbarkeit nicht nur mit Personalverstärkungen reagiert. Niedersachsen hat zusammen mit anderen Bundesländern bereits vor geraumer Zeit geeignete Vorschläge zur Entlastung der Sozialgerichte erarbeitet. Hierbei wären beispielsweise zu nennen: im Verfahrensrecht die Erstreckung der Erledigungswirkung der Klagerücknahme auf einen PKH-Antrag - eine gesonderte gerichtliche Entscheidung möge entbehrlich gemacht werden - und eine inhaltliche Beschränkung der Überprüfungspflicht - das Gericht muss den Bescheid nicht mehr zwingend unter allen denkbaren rechtlichen Gesichtspunkten überprüfen - sowie im SGB II eine Neuregelung der Ermittlung des Einkommens Selbstständiger.

Um die mit laufend steigenden Eingangszahlen konfrontierten Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zu entlasten, wurde im November 2009 von der Justizministerkonferenz und der Konferenz der Arbeits- und Sozialminister eine gemeinsame Kommission auf Staatssekretärsebene eingesetzt. Dieser gehörte auf Justizseite auch Niedersachsen an. Die Ressorts Justiz sowie Arbeit und Soziales arbeiteten und arbeiten insoweit eng zusammen.