Protocol of the Session on October 13, 2011

(Björn Thümler [CDU]: Spielen Sie diese Nummer noch weiter?)

Meine Damen und Herren, der Fall Rothkötter ist wirklich sehr ungewöhnlich und stellt in dieser Form in unserer Landesgeschichte auch ein Unikum dar. Die Beispiele, die Herr Hagenah für eine Bezahlung jenseits des Zumutbaren genannt hat - - -

(Zuruf von Minister Jörg Bode)

- Wir haben hier eine Landesförderung, die zu den höchsten Förderungen gehört, die in den letzten Jahren für ein Einzelunternehmen geflossen sind, und das bei minimalstem Eigenkapital. Deshalb, meine Damen und Herren, Herr Minister, kann man erwarten, dass am Ende auch qualifizierte Arbeitsplätze geschaffen werden.

(Jens Nacke [CDU]: Haben Sie nicht verstanden, dass das die Unwahrheit war, was Herr Hagenah gestern vor- getragen hat? - Weitere Zurufe von der CDU)

- Moment! Das, was Herr Hagenah gesagt hat, war nicht die Unwahrheit, Herr Nacke. Wir werden diese Sache im Ausschuss wieder aufrufen.

(Jens Nacke [CDU]: Hier machen Sie das! Hier!)

Dann werden wir uns diese Fördergeschichte und auch das, was die Europäische Union zu solch einer Form von Wirtschaftsförderung sagt, angucken.

(Beifall bei den GRÜNEN - Björn Thümler [CDU]: Das kann der Herr Minister ja gleich noch beantworten! Vollkommen albern! - Weitere Zurufe von der CDU)

Weitere Wortmeldungen liegen mir hierzu nicht mehr vor.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 20 auf:

Besprechung: Die Rolle der Soziokultur in Niedersachsen - Große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 16/3536 - Antwort der Landesregierung - Drs. 16/4040

Nach § 45 Abs. 5 unserer Geschäftsordnung wird zu Beginn der Besprechung einer der Fragestellerinnen oder einem der Fragesteller das Wort erteilt. Alsdann antwortet die Landesregierung.

Ich erteile jetzt Frau Dr. Heinen-Kljajić das Wort. Bitte!

Ich muss darauf hinweisen, dass es bei der Mikrofonanlage und anderen Dingen technische Probleme gibt. Ich kann es nicht ändern, es ist, wie es

ist. Auch die Uhr läuft nicht. Sie können jedoch davon ausgehen, dass wir sehr aufmerksam aufpassen, dass die Redezeiten eingehalten werden.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die vorliegende Antwort der Landesregierung ist, wie ich und hoffentlich auch Sie finden, eine beeindruckende Leistungsbilanz der soziokulturellen Einrichtungen in Niedersachsen. Erst einmal Dank an alle, die dazu beigetragen haben, dieses umfangreiche Datenmaterial zusammenzustellen.

Eine der größten Stärken der Soziokultur sind ihre Flexibilität und die Fähigkeit, Trends und Probleme schneller aufzugreifen als die klassischen Kultureinrichtungen. Eine große Herausforderung der Kulturpolitik ist z. B. der demografische Wandel. Die Soziokultur greift die damit verbundenen Chancen, aber auch Risiken auf, thematisiert sie und stellt sich den Herauforderungen. Beispiele hierfür sind - Sie haben es vielleicht selbst in Ihren eigenen Regionen miterleben können - die Filmreihe „Neuland denken“ und die Ausstellung „Demografie und kulturelle Orte - Mit Soziokultur den Wandel gestalten“.

Die Soziokultur hat das von Hermann Glaser postulierte Bürgerrecht „Kultur“ schon ernst genommen, als die Forderung nach kultureller Teilhabe keinesfalls schon Mainstream war und Theater noch glaubten, die Öffnung zu neuen Besucherschichten sei nur auf Kosten der künstlerischen Qualität zu realisieren und komme für sie daher per se schon gar nicht in Frage. Gerade weil Soziokultur einen sehr breit gefassten Kulturbegriff verwendet, weil sie nicht nur die „Künste“ pflegt, sondern sich auch als Plattform für soziale und politische Fragestellungen anbietet, ist sie deutlich breiter aufgestellt als alle anderen Kultureinrichtungen. Sie macht auch Angebote für Menschen, die man mit einem kostenlosen Opern-Abo vielleicht gar nicht glücklich machen würde, die deshalb aber keinesfalls kulturlos sind, sondern die mit einer bürgerlich definierten Hochkultur einfach nichts anfangen können oder vielleicht auch nichts anfangen wollen.

Da Soziokultur auf aktive Beteiligung setzt, hat sie zumindest das Potenzial, einen Raum für eine neue Ästhetik, für eine neue Kultur zu schaffen. Hier in der Soziokultur ist bürgerschaftliches Engagement nicht nur willkommenes Auffangnetz für Etatkürzungen, sondern es ist ein Anspruch der

eigenen Arbeit. Die kontinuierlich ansteigende Anzahl der Veranstaltungen, vor allem aber der Besucher, die allein im Jahr 2009 bei über 1,3 Millionen lag, belegt eindrucksvoll, dass Menschen in Niedersachsen die Angebote der Soziokultur annehmen. Wenn es ein Kulturangebot gibt, das an Migranten aller Schichten und Milieus adressiert ist, dann ist es die Soziokultur. 57 % der Einrichtungen haben spezielle interkulturelle Angebote. Landesweit richten sich 12 % der Veranstaltungen der Soziokultur ganz gezielt an Migranten. Das dürfte kaum eine andere Kultureinrichtung erreichen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der niedersächsische Handlungsbedarf in Sachen Zugang zu kulturellen Angeboten ist grundsätzlich, auch jenseits der Soziokultur, hoch; denn Kultur spielt im Ländervergleich, jedenfalls soweit es um quantitative Zahlen geht, eine eher untergeordnete Rolle. Beim Vergleich einschlägiger Indikatoren liegt Niedersachsen meist auf den hinteren Plätzen. Im Bundesdurchschnitt gibt jedes Land 1,8 % seines Etats für Kultur aus; in Niedersachsen sind es für das laufende Jahr 0,75 %, und mit 58,80 Euro je Einwohner liegt Niedersachsen weit abgeschlagen auf Platz 14. Allein der Mittelwert aller Bundesländer liegt bei 89,88 Euro, ganz zu schweigen von Spitzenländern wie Sachsen oder Baden-Württemberg. Selbst Städte wie Hannover und Braunschweig fallen bei öffentlichen Ausgaben für Kultur im Vergleich weit ab, was, so finde ich zumindest, zeigt, dass wir es keinesfalls nur mit einem Problem des ländlichen Raums zu tun haben.

Von den ohnehin schon bescheidenden Kulturausgaben des Landes - deshalb erwähne ich diese Zahlen hier - entfallen gerade einmal 0,45 % der Kulturausgaben - der Kulturausgaben, nicht des Gesamthaushalts - auf die Soziokultur, und dieser Anteil sinkt in den nächsten beiden Haushaltsjahren trotz einer Aufstockung der Mittel auf 0,43 % weiter ab. Anerkennung für gute und wichtige Arbeit, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, sieht anders aus.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Besonders erschreckend ist das Abschneiden beim Jugendkulturbarometer. Niedersachsens Jugend hat klare Defizite beim Zugang zu Kultur. Einzige Ausnahme: soziokulturelle Zentren. Kein Wunder; denn 55 % der Angebote der Soziokultur richten sich an Jugendliche und Kinder.

Dass die Landesregierung nach den massiven Kürzungen nun ihre sechsjährige Blockadehaltung aufgibt und für die nächsten beiden Jahren immerhin je 550 000 Euro Investitionsmittel für die soziokulturellen Zentren und 60 000 Euro für eine weitere Beraterstelle beim Landesverband einplant, ist ganz klar eine erfreuliche Wende in der schwarzgelben Kulturpolitik. Aber bei den Investitionen gibt es eine Bedarfsanmeldung der Einrichtungen in Höhe von 5 Millionen Euro. Hier geht es um den Erhalt kultureller Infrastruktur, für den sich das Land auch über 2013 hinaus wird engagieren müssen.

Auch im Personalbereich ist die Soziokultur strukturell unterfinanziert. Schauen wir uns die Zahlen einmal an. Die LAGS führt nicht nur Fortbildungsveranstaltungen durch und entwickelt Themenprojekte, sondern sie unterhält auch einen vierköpfigen Beraterstab, der weit über die eigene soziokulturelle Klientel hinaus - wie auch häufig weit über die tatsächlich ausfinanzierten Kapazitäten hinaus - Kultureinrichtungen in ganz Niedersachsen unterstützt und begleitet, Kommunen und Landschaften eingeschlossen. Nur 17 % bis 18 % der Beratung kommen überhaupt der eigenen Klientel zugute. Gäbe es diese Beratungsangebote nicht, wären viele Kulturinitiativen oder Vereine nie entstanden oder längst an formalen Auflagen oder am komplexen Dickicht der Fördermodalitäten gescheitert. Überall dort, liebe Kolleginnen und Kollegen, wo in Ihrer Region aus bürgerschaftlichem Engagement verstetigte Kulturangebote entstanden sind, können Sie davon ausgehen, dass einmal eine Beraterin der LAGS zum Einsatz gekommen ist.

All das erkennt die Landesregierung in der Antwort auf die Große Anfrage auch an. Allein, finanziell gewürdigt hat sie es - jedenfalls in den vergangenen Jahren - nicht, und das, obwohl trotz der Kürzungen die Anzahl der Beratungsstunden in den letzten Jahren weiter angestiegen ist.

Ein ähnliches Bild zeigt sich, wenn die Zahl der Besucher von Veranstaltungen der Soziokultur ins Verhältnis zu den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten gesetzt wird. Während die Besucherzahlen in zehn Jahren um deutlich mehr als die Hälfte gestiegen sind, ist die Beschäftigungszahl gerade einmal um 10 % gestiegen.

Auch im Ländervergleich wird deutlich, dass Soziokultur in Niedersachsen mit besonders wenig öffentlichen Mitteln auskommen muss. Während bundesweit 36,3 % der Mittel selbst erwirtschaftet

werden müssen, sind es in Niedersachsen 48 %. Während bundesweit 35,3 % der Mittel durch institutionelle Förderung abgedeckt werden, sind es in Niedersachsen nur 26 %, die übrigens in unserem Fall ausschließlich von den Kommunen kommen. Der Landesanteil an der Projektförderung ist von 11 % im Jahr 2000 auf 8 % im Jahr 2009 abgesunken.

Wie unklug die Kürzungen der letzten Jahren vor allem unter dem Kosten-Nutzen-Aspekt sind, machen Zahlen anschaulich, die die öffentliche Förderung ins Verhältnis zum einzelnen Besucher setzen. Während in Niedersachsen pro Besucher im Bereich der Soziokultur im Jahr 2009 7,52 Euro öffentlicher Mittel aufgebracht wurden, sind es im Bereich der Theater im Durchschnitt 87,05 Euro.

Neben der Kürzung der Landesmittel soll hier aber auch nicht unerwähnt bleiben, dass der LAGS die Befugnis als beliehenes Unternehmen entzogen wurde. Früher von der LAGS vergebenen Mittel werden heute vom MWK oder von den Landschaften vergeben. Die von Ihnen, Frau Ministerin, benannten positiven Effekte der Umstrukturierung überzeugen nicht. Wenn man die gleichen Kennzahlen zugrunde legt, was - aber das ist nur ein technisches Detail - Ihre Tabelle auf Seite 41 nicht tut und daher einen falschen Eindruck erweckt, so hat die LAGS den ländlichen Raum keinesfalls schlechter versorgt, als die neuen Strukturen dies tun.

Und auch die Behauptung, die Gelder, die früher bei der LAGS zur Fördermittelverwaltung verwendet wurden, kämen jetzt den Projekten zugute, ist Augenwischerei. Denn erstens ist das Gesamtmittelaufkommen gekürzt worden - von „zusätzlich“ kann also gar keine Rede sein -, und außerdem fallen natürlich auch jetzt sowohl bei den Landschaften wie beim MWK Verwaltungskosten an. Der Aufwand ist schließlich nicht weggefallen, sondern nur verlagert worden.

Sich dann aber auch noch den sprunghaften Anstieg der Mitgliederzahlen nach Aufkündigung der beliehenen Unternehmerschaft und der radikalen Kürzung der LAGS-Gelder als positiven Effekt der Regionalisierung der Kulturförderung auf die Fahnen zu schreiben, zeugt von Unkenntnis und klingt ein wenig zynisch. Denn in Wahrheit, Frau Ministerin, haben langjährige Kunden und befreundete Einrichtungen der LAGS, die sich darüber geärgert haben, wie Schwarz-Gelb mit der Soziokultur umspringt, versucht, einen Unterstützungsbeitrag zu leisten. Das war nicht das Ergebnis konstruktiver

Reformen, sondern eine Solidarisierung gegen destruktive Kulturpolitik.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, die Soziokultur hat seit dem Regierungsantritt von Schwarz-Gelb leider darunter leiden müssen, dass sie als Erfolgsmodell rot-grüner Kulturpolitik neun Jahre lang ins Abseits gestellt wurde. Umso erfreulicher ist es, Frau Ministerin Wanka, dass Sie diesen kulturpolitischen Bann jetzt aufgehoben haben. Wir haben jahrelang in den Haushaltsdebatten zusätzliche Mittel für die Soziokultur eingefordert. Schön, dass unsere Große Anfrage dazu geführt hat, dass Sie dieses Jahr eigene Vorschläge machen.

(Lachen bei Jens Nacke [CDU] - Björn Thümler [CDU]: Ja, ja! Guten Morgen, Frau Kollegin!)

Lassen Sie uns auf diesem Weg gemeinsam weitergehen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN)

Ich erteile jetzt der Landesregierung das Wort. Frau Ministerin Wanka, bitte!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrte Gäste aus den Reihen der Soziokultur! Heute, am 13. Oktober 2011, wird bundesweit das erste Mal der Tag der Soziokultur begangen. Deswegen finde ich es sehr passend, dass wir gerade an diesem Tag die Große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beantworten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine Kommune, eine Gemeinde, eine Stadt kann Kultur einkaufen, kann Kabarett einkaufen, kann eine Theateraufführung buchen, kann Bands buchen. Das ist möglich. Aber eine kontinuierliche Versorgung, ständige Angebote für jüngere und auch für ältere Leute mit Teilhabe und Mitbestimmung können Sie nicht einkaufen. Das ist nicht temporär machbar; dafür braucht man vielmehr Strukturen, die sozial und themenübergreifend ausgerichtet sind.

Genau das leistet die Soziokultur. Wenn wir in Deutschland über Kultur reden, dann machen wir uns keine großen Sorgen um die Hochkultur, son

dern um die Wurzeln der Kultur. Deswegen ist Soziokultur für mich und für viele andere ein ganz zentrales, ein wichtiges Thema.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die Beantwortung der Großen Anfrage war sehr aufwendig. Es wurden viele Zahlen erfragt. Mein Haus hat insoweit natürlich ganz intensiv gearbeitet, aber es war auch möglich, viele Daten bei der Arbeitsgemeinschaft abzufragen. Allerdings waren auch dort nicht alle Daten verfügbar, sodass die Landesarbeitsgemeinschaft zusätzlich Erhebungen in den soziokulturellen Zentren durchgeführt hat. Dafür möchte ich mich an dieser Stelle bedanken.