Protocol of the Session on September 14, 2011

In der herrschenden Politik wird es oft schon als normal angesehen, dass Firmen auch bei bester Gewinnlage Tausende Stellen streichen und gleichzeitig die Dividenden der Aktionäre im Gleichschritt mit der Zahl der Leiharbeiter ansteigen lassen. Noch nie gab es in Deutschland so viele Millionäre, aber auch noch nie so viele Tafeln und Suppenküchen. Über die Hälfte aller neuen Jobs hierzulande sind befristet, und immer mehr Beschäftigte werden jämmerlich bezahlt, sodass sie von dem Geld, was sie verdienen, nicht mehr leben können. Ein gesetzlicher Mindestlohn wird von CDU und FDP nach wie vor abgelehnt. Wer ein kleines Unternehmen gründet oder führt, wird immer öfter vom Kreditgeiz der Banken in die Pleite getrieben.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, im realen Wirtschaftsleben sind die positiven Ideen der sozialen Marktwirtschaft kaum noch anzutreffen. Diese Beispiele haben es deutlich gezeigt.

(Johanne Modder [SPD]: Leider ist das so!)

Wo gibt es denn noch wirklich offene Märkte und echten Wettbewerb? - In der aktuellen Staatsschuldenkrise kapituliert die herrschende Politik, kapituliert die Regierung Merkel und Rösler, vor den Finanzmärkten und den Ratingagenturen. Keine Branche ist in den vergangenen Jahren weltweit so gewachsen wie der Finanzsektor. Statt sich aber ihrer ureigensten Aufgabe zuzuwenden, die Kreditversorgung der Wirtschaft abzusichern, spielen die Zockerbanken mit dem Wohlstand von Menschen russisches Roulett.

(Jens Nacke [CDU]: Mensch, das ist hier doch kein linker Parteitag!)

Der Privatisierungs- und Liberalisierungswahn hat die Grundversorgung deutlich verschlechtert und teilweise auch außer Kraft gesetzt.

Mein Fazit: Das ist die Realität der sozialen Marktwirtschaft. Die Realität ist nicht das, was in dem Antrag der CDU und der FDP steht. Darum lehnen wir diesen Antrag ab.

(Beifall bei der LINKEN - Jens Nacke [CDU]: Von welchem Land reden Sie eigentlich?)

Ich komme jetzt zu dem Antrag der SPD-Fraktion. Bei diesem werden wir uns enthalten. Ich will auch die Gründe dafür nennen.

Lieber Kollege Schminke, alles, was im Feststellungsteil steht, können wir unterschreiben. Dem zweiten Teil der Überschrift wird der Antrag dann allerdings nicht gerecht.

Der zweite Teil lautet: Mitbestimmung und demokratische Teilhabe in den Betrieben ausbauen. Herr Schminke, Sie haben eben wunderbare Beispiele gebracht, aber im Antrag ist dazu überhaupt nichts zu finden: Wo bleiben die Vorschläge für den Ausbau der Mitbestimmung? Wo bleibt, um zwei entscheidende Fragen zu stellen, die Ausweitung der Unternehmensmitbestimmung, indem Vertreter der Beschäftigten im Aufsichtsrat bei allen wichtigen Unternehmensentscheidungen gleichberechtigt mitentscheiden können? Wo bleibt der Ausbau der betrieblichen Mitbestimmung, damit Betriebsräte das Recht haben, auch in wirtschaftlichen Fragen mitzubestimmen? - Sie haben das alles zwar mündlich vorgetragen, aber nichts davon in Ihren Antrag hineingeschrieben. Daher können wir uns nur enthalten. Nichts davon steht drin. Ich bedauere das sehr. Schade, Sie haben

eine gute Chance vertan. Ihre Kollegen in Berlin sind da schon weiter. Hätten Sie sich daran orientiert, hätten wir diesem Antrag auch zustimmen können.

(Beifall bei der LINKEN)

Für die FDP-Fraktion spricht Frau König. Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dem Antrag der SPD-Fraktion wird auf die tarifliche Praxis in unserem Arbeitswesen abgehoben. Die Tarifautonomie ist - und das bestreitet hier niemand - ein ganz wichtiger Faktor in unserer sozialen Marktwirtschaft. Daher sind die ersten drei Punkte des Antrags obsolet. Sie sind bereits umgesetzt, Herr Schminke. Das sage ich, ohne die Tarifautonomie der Arbeitgeber und Arbeitnehmer auch nur im Geringsten schmälern zu wollen.

Sie, Herr Schminke, sehen immer nur die eine Seite. Sie nehmen den Missbrauch einiger weniger Unternehmen zum Anlass, alles infrage zu stellen und noch mehr zu fordern. Sie führen wie schon seit Jahren - ich habe es vorausgesehen - die Firmen Atlas, Schlecker, KiK und Netto an. Auch die Bauwirtschaft hat natürlich ihre Auswüchse, klar. Aber diese Auswüchse, die zu Recht angeprangert und bekämpft werden müssen, stehen nicht für die Hunderttausende gut geführter Unternehmen, die sich an die Tarife halten,

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

die ihren Mitarbeitern einen sicheren Arbeitsplatz bieten, die eine auskömmliche Entlohnung zahlen, die ihre Mitarbeiter aus- und weiterbilden und die sich um ihre persönlichen Belange kümmern.

Sie, Herr Schminke, sprechen von „hire and fire“. Ich spreche vom Fachkräftemangel und von dem Problem, geeignetes Personal zu finden, egal ob Auszubildende oder Fachpersonal. In welchem Land leben Sie eigentlich? Wie besetzt man Stellen, wenn das Personalangebot immer geringer wird, wenn sich mit zunehmender Technologisierung die Anforderungen ändern? - Bestimmt nicht mit Unterbezahlung und schon gar nicht mit der Aussicht auf Befristung und Ausleihung!

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Auch die betriebliche Mitbestimmung ist längst angekommen. Allerdings funktioniert sie in kleinen

Betrieben im Dialog oft weitaus besser als über die gewerkschaftlich organisierte Schiene.

Betriebe wie die, die ich genannt habe, kennen Sie nicht. Deswegen lassen Sie sie auch völlig außer Acht. Aber unser Wirtschaftsraum besteht zu mehr als 70 % aus solchen kleinen und mittelständischen Unternehmen. Sie bilden überproportional aus. Dort kennt man nicht nur jeden einzelnen Mitarbeiter mit Namen, sondern kennt auch seinen familiären Hintergrund.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Diese Strukturen stoßen Sie mit Ihrem großindustriellen Denken immer wieder vor den Kopf. Aber diese Betriebe leben die soziale Marktwirtschaft und haben uns dahin gebracht, wo wir heute stehen. Darum werden wir von anderen beneidet.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Sie greifen Beispiele heraus, die geächtet und sanktioniert, die gesetzlich ganz klar angegangen werden. Solche Machenschaften werden bei uns auch zukünftig keine Chance haben. Aber deshalb muss man heute nicht totalitär handeln.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Totalitär!)

Sie dürfen als Gewerkschaftler genauso wenig einseitig denken und handeln wie wir als Unternehmer. Es gibt eben immer zwei Seiten, und die sollten wir jetzt objektiv betrachten. Das versteht man im Übrigen auch unter Tarifautonomie.

(Zustimmung bei der FDP)

Das haben wir von CDU und FDP in unserem Antrag umgesetzt, und deshalb ist unser Antrag der wesentlich bessere.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank. - Als Nächster hat sich Herr Hagenah von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu Wort gemeldet. Sie haben das Wort, Herr Hagenah.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine Redezeit reicht wahrscheinlich nicht aus, um die Geschichte dieses Antrags und seiner Beratung zu beschreiben; die ist nämlich sehr spannend.

Wer heute Herrn Toepffer gehört hat, der könnte meinen, in dem Antrag der SPD-Fraktion stünden revolutionäre Dinge. Aber eigentlich steht in dem Antrag nur, dass es innerhalb unserer sozialen Marktwirtschaft, innerhalb der Tarifsicherung - leider sind nur noch knapp unter 50 % der Arbeitsverhältnisse nach Branchentarif gesichert - relativ viel Missbrauch gibt.

In den ersten Beratungen vor sechs Monaten ging es im Prinzip nur darum, ob richtig ist, was in dem SPD-Antrag steht, nämlich dass es eine schleichende Aushöhlung der über Jahrzehnte hergebrachten Praxis gibt. Sie, Kollege Toepffer, haben vorgeschlagen zu formulieren, dass es eine teilweise Aushöhlung der über Jahrzehnte hergebrachten Praxis gibt.

Aber an dieser Auffassung hat sich bis zur heutigen Sitzung offensichtlich einiges enorm verändert. Nachdem ich Frau König gehört habe, begreife ich jetzt auch langsam, woher der Wind weht und was Sie eigentlich meinen. Herr Toepffer, ich habe den Eindruck, dass Ihnen der Wahlerfolg der „Hannoveraner“ schwer zu schaffen gemacht hat und Sie deswegen das Beidhänderschwert geschwungen haben, anstatt dieses Thema differenziert zu erörtern. Was Sie heute vorgetragen haben, entsprach jedenfalls nicht Ihrer Positionierung in der Ausschussberatung.

In der Zwischenzeit hat sich die CDU von der FDP dazu drängen lassen, die Nr. 3 in den Antrag aufzunehmen, nämlich die über allem stehende Flexibilität. Deswegen ist Ihr Antrag auch nicht zustimmungsfähig; denn Sie beschreiben unsere Wirtschaftswelt aus Pippi-Langstrumpf-Sicht: Ich male mir die Welt, wie sie mir gefällt.

(Gabriela König [FDP]: Eben nicht! Das ist Erfahrung!)

Sie beziehen sich auf das, was viele ordentliche, von Gewerkschaften und Betriebsräten mit begleitete Unternehmen in unserem Land sinnvollerweise tun. Aber vor dem zunehmenden Missbrauch, vor der zunehmenden sozialen Spaltung in unserer Gesellschaft verschließen Sie die Augen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Sie unterschätzen die Situation, meine sehr verehrten Damen und Herren von CDU und FDP. Denn es gibt nicht nur diejenigen, die im Augenblick unter den Dumpinglöhnen leiden, die trotz des aktuellen Jobbooms zu 25 % nur Leiharbeitsplätze finden, sondern auch der Rest der Beschäf

tigten spürt den von dieser Situation ausgehenden kalten Hauch im Nacken. Deswegen unterstützt die Gesellschaft insgesamt eine Erneuerung unserer sozialen Marktwirtschaft, ganz im Sinne des SPDAntrags.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Dafür brauchen wir eine Stärkung unserer Institutionen, der gewerkschaftlichen Vertretung, und eine Unterstützung durch die Parlamente. Wenn Sie meinen - auch Sie, Herr Toepffer, der Sie die Lage ja gerade schöngeredet haben -, dass Sie mit der einfachen Bestätigung „Wir sind prima aufgestellt“ durchkommen, dann unterschätzen Sie die Stimmung in der Bevölkerung und auch die Probleme am Arbeitsmarkt. Sie lassen die Leute im Stich. Dafür werden Sie die Quittung bekommen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen zu diesem Tagesordnungspunkt vor. Damit sind wir am Ende der Beratung.

Wir kommen zur Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 18. Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses zustimmen und damit den Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP in der Drs. 16/3825 unverändert annehmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Das Erste war die Mehrheit. Der Beschlussempfehlung des Ausschusses ist gefolgt worden.

Wir kommen zur Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 19. Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses zustimmen und damit den Antrag der Fraktion der SPD in der Drs. 16/3288 ablehnen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Der Beschlussempfehlung des Ausschusses ist gefolgt worden.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 20 auf: