Protocol of the Session on June 30, 2011

Wir kommen zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 32.

Hier handelt es sich um den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses zustimmen und damit den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in der Drs. 16/3637 in geänderter Fassung annehmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Das Erste war die Mehrheit. Der Beschlussempfehlung des Ausschusses wurde gefolgt.

Wir kommen zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 33.

Hier handelt es sich um den Antrag der Fraktion der SPD. Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses zustimmen und damit den Antrag der Fraktion der SPD in der Drs. 16/2526 ablehnen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Der Beschlussempfehlung des Ausschusses wurde mehrheitlich gefolgt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 34 auf:

Abschließende Beratung: Menschenwürde mit Rabatt: Asylbewerberleistungsgesetz aufheben - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 16/2429 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres und Sport - Drs. 16/3723

Der Ausschuss empfiehlt Ihnen, den Antrag abzulehnen.

Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen.

Wir treten in die Beratung ein. Zunächst hat sich Frau Polat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu Wort gemeldet. Ich erteile Ihnen das Wort, Frau Polat.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Asylbewerberleistungsgesetz haben wir seit ca. 30 Jahren einen verfassungswidrigen Zustand, wie wir seit letztem Jahr wissen. Deshalb hat meine Fraktion vor etwa einem Jahr diesen Antrag „Menschwürde mit Rabatt:

Asylbewerberleistungsgesetz aufheben“ eingebracht. Wir haben die Landesregierung darin aufgefordert, über eine Bundesratsinitiative aktiv zu werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in der Mitberatung der Integrationskommission eigentlich unisono von allen externen Mitgliedern der Migrantenselbstorganisationen eindrücklich geschildert bekommen, wie stigmatisierend das Asylbewerberleistungsgesetz ist, welche Folgen es im alltäglichen Leben hat und welche Probleme es birgt. Das hängt mit der Gutscheinpraxis zusammen.

Die Asylbewerber und andere Personen mit einer befristeten Aufenthaltserlaubnis bekommen wenig in Geld - beispielsweise ein Taschengeld von 40 Euro - und den Rest in Gutscheinen. Diese Gutscheine können sie aber nicht überall einsetzen. Es ist vielleicht nur eine kleine Sache, aber deshalb können sie z. B. nicht auf Flohmärkten einkaufen. Solche Probleme treten besonders im ländlichen Raum zutage. Ein Mitglied der Migrantenselbstorganisationen hat aus der Beratungspraxis berichtet, dass die Gutscheinpraxis für die Kommunen sogar viel teurer ist. Der Innenminister weiß das auch aus seinem eigenen Landkreis. Der Landkreis Holzminden hat darauf hingewiesen, dass die Gutscheinpraxis für die Kommunen um eine fünfstellige Summe teurer ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Rechtsausschuss hat sich ausführlich mit der Problematik auseinandergesetzt. Der GBD hat dazu Stellung genommen und auf das Bundesverfassungsgerichtsurteil hingewiesen. Interessant ist, dass der Satz seit 1993 unverändert geblieben ist. Das müssen Sie sich einmal vorstellen. Seit 1993 bekommen Asylbewerberleistungsempfänger einen Betrag, der bei weniger als 20 % des damaligen Sozialhilfesatzes und bei weniger als 30 % des jetzigen Sozialhilfesatzes liegt - ungefähr 200 Euro im Monat. Ähnlich wie beim SGB II wurde darauf hingewiesen, dass er nicht ausreichend hergeleitet und begründet ist. Er ist eine willkürliche Größe.

Der GBD hat abschließend festgestellt: Das Asylbewerberleistungsgesetz ist verfassungswidrig, und zwar seit 30 Jahren. - Herr Nacke, Sie haben im Rechtsausschuss gesagt, dass wir als Gesetzgeber jetzt eigentlich handeln müssten. Wir dürfen in der Tat nicht warten; denn - das hat der GBD auch gesagt - jeder Hilfebedürftige hat ein Grundrecht auf die Sicherung einer menschenwürdigen Existenz. Das gilt auch für diese Menschen.

Seit 30 Jahren - ich betone es noch einmal - haben wir einen verfassungswidrigen Zustand. Wir fordern Sie auf, als Gesetzgeber endlich zu handeln.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Für die SPD-Fraktion spricht Frau Dr. Lesemann.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Das Thema Asylbewerberleistungsgesetz brennt unter den Nägeln. Auch wir sehen, so wie die Antragsteller, dringenden Handlungsbedarf.

Erst Mitte Mai haben die Vereinten Nationen Deutschland für seinen Umgang mit Asylsuchenden gerügt. Sie kritisieren unzureichende Sozialleistungen, die Unterbringung in engen Sammelunterkünften, mangelnden Zugang zum Arbeitsmarkt und die für Asylsuchende bestehende medizinische Notversorgung.

Auf dieser Linie befindet sich auch das Bundesverfassungsgericht. Anfang 2010 hat es in seinem Hartz-IV-Urteil gefordert, dass die im UN-Sozialpakt verbrieften wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte jedermann zu gewähren seien. Das heißt: Diese Rechte gelten auch für die Empfänger von Asylbewerberleistungen.

Ursprünglich, im Jahre 1993, wurden die Leistungen nach einem zwölfmonatigen Bezug auf das Niveau der Sozialhilfe angehoben. Im Jahr 1997 wurde diese Frist auf drei Jahre, 2007 sogar auf vier Jahre verlängert. Der Grundgedanke des Asylbewerberleistungsgesetzes war, Leistungen nur für einen vorübergehenden Zeitraum und einen vorübergehenden Aufenthalt zu gewähren.

Aber, meine Damen und Herren, was heißt das für die Asylbewerber? - Seit 1993, also seit 18 Jahren, sind die Leistungen für Asylbewerber unverändert geblieben. Bei der Festsetzung durch den Gesetzgeber - meine Vorrednerin hat es bereits erwähnt - waren die Beträge 20 % unter dem damaligen Sozialhilfesatz. Mittlerweile beträgt die Kluft 30 %. Selbst wenn die Leistungsgesetze ursprünglich korrekt bemessen worden waren - mittlerweile gewährleisten sie kein menschenwürdiges Existenzminimum mehr.

Schon 2001 haben SPD und Grüne im Bund gemeinsam versucht, die Leistungen für Asylsuchen

de heraufzusetzen. Eine Erhöhung der Regelsätze wurde von der Union immer wieder mit dem Argument abgelehnt, dass durch die höheren Leistungen ein wirtschaftlicher Anreiz geschaffen würde. Schlepperbanden würden dadurch Tür und Tor geöffnet.

Diese Argumentation lässt sich aber nicht belegen. Schlepper und Schleuser arbeiten Berichten zufolge gegen Vorkasse. Die im Vergleich zu den 1990er-Jahren extrem gesunkenen Asylbewerberzahlen haben mit dem Übereinkommen von Dublin zu tun und nicht mit der etwaigen abschreckenden Wirkung des in Rede stehenden Gesetzes.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Asyl darf ein Flüchtling demnach nur in dem EUStaat beantragen, den er zuerst betritt, und das ist normalerweise nicht Deutschland.

Die Zahl der Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ist seit Jahren stark rückläufig. Rückläufig sind damit auch die Summen, die dafür aufgebracht werden. Im Jahr 1996 lagen die Ausgaben beispielsweise noch bei fast 3 Milliarden Euro; 2008 lagen sie bei ca. 840 Millionen Euro.

Meine Damen und Herren, vor diesem Hintergrund muss das Asylbewerberleistungsgesetz korrigiert werden, und zwar dringend. Das hat auch der GBD im Niedersächsischen Landtag festgestellt.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Wir wollen eine Neuberechnung und fortlaufende Aktualisierung der Regelsätze. Wir sehen auch noch weiteren Handlungsbedarf: Das Sachleistungsprinzip sollte abgeschafft, und die Regelleistungen sollten in voller Höhe ausgezahlt werden. Gutscheine für Kleidung und Lebensmittel sind diskriminierend und menschenunwürdig. Außerdem stellt sich die Frage, ob durch Wertgutscheine tatsächlich Kosten eingespart werden. Oder tritt aufgrund des erhöhten Verwaltungsaufwandes nicht eher das Gegenteil ein?

Wir jedenfalls finden, die Entscheidung darüber sollte den Kommunen selbst überlassen bleiben. Hätten die Kommunen diese Entscheidungsfreiheit, dann könnten sie in den Fällen, in denen Bargeldleistungen von den Eltern nicht für das Kindeswohl verwendet werden, Wertgutscheine ausgeben. Das Innenministerium sollte aufhören, Kommunen anzuweisen, ausschließlich Gutscheine auszugeben.

Ganz wichtig ist darüber hinaus, dass der Kreis der Leistungsberechtigten überprüft wird. Er sollte wieder auf den ursprünglichen Personenkreis, für den das Asylbewerberleistungsgesetz 1993 geschaffen wurde, zurückgeführt werden, nämlich auf Asylsuchende und Flüchtlinge, die unser Land in absehbarer Zeit wieder verlassen werden. Zurzeit fallen außerdem Geduldete unter das Asylbewerberleistungsgesetz.

Auch die Dauer des Leistungsbezuges von derzeit 48 Monaten sollte wieder abgesenkt werden. Denn bei einer Aufenthaltsdauer von vier Jahren kann nicht mehr von einem vorübergehenden Aufenthalt gesprochen werden. Außerdem beträgt die durchschnittliche Dauer aller rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahren lediglich 15 Monate.

Handlungsbedarf gibt es aber auch bei der medizinischen Versorgung, die für Asylbewerber lediglich eine Akutversorgung bedeutet. So kann es auch passieren, dass eine Familie, die sich hier seit bereits seit zehn Jahren im Duldungsstatus befindet, ein Kind bekommt und dieses Kind dann im Unterschied zur übrigen Familie vier Jahre lang nur die auf das Notwendigste beschränkte Leistung erhält. Hier sehen wir Änderungsbedarf.

(Zustimmung bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Das bestehende Asylbewerberleistungsgesetz ist ausgrenzend, stigmatisierend und diskriminierend. Aus den von mir genannten Gründen - Anpassung der Regelsätze, Barauszahlung statt Sachleistung, gleichwertige medizinische Versorgung - lehnen wir die Ausschussempfehlung ab.

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Als nächste Rednerin spricht Frau Zimmermann für die Fraktion DIE LINKE. Ich gebe Ihnen das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Anfang des Antrags der Fraktion der Grünen heißt es:

„Das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) ist aus grundsätzlichen, menschenrechtlichen Erwägungen heraus abzulehnen, weil es Asylsuchende von der Sozialhilfe und der

Grundsicherung für Arbeitsuchende ausschließt und sie in nicht hinzunehmender Weise diskriminiert und von gesellschaftlicher Teilhabe ausschließt.“

Meine Damen und Herren, das gilt nicht erst seit gestern oder heute, sondern das gilt, seitdem dieses Gesetz im Zuge des sogenannten Asylkompromisses 1993 beschlossen wurde, also seit bereits 18 Jahren.

(Filiz Polat [GRÜNE]: Oskar Lafontai- ne!)

An dieser Stelle kann ich der antragstellenden Fraktion der Grünen einen Seitenhieb nicht ersparen. Denn in den sieben Jahren Bundesregierung gemeinsam mit der SPD ist in dem Bereich nicht besonders viel passiert - ganz im Gegenteil. Da müssen wir auch einmal die Hartz-IV-Gesetzgebung betrachten, die die Grünen aktiv mit umgesetzt haben. Wir haben das schon damals bei der Einführung des Asylbewerberleistungsgesetzes vorhergesagt: Jetzt wird eine Sondergesetzgebung für Flüchtlinge gemacht, in Zukunft wird es weitere Gruppen treffen. - Und genauso ist es! Mit den Stimmen der Grünen ist das letztlich Realität geworden. Insofern begrüße ich, dass Sie schließlich und endlich umdenken, und hoffe, dass dieses Umdenken auch dann noch Geltung hat, wenn Sie einmal wieder in Regierungsverantwortung sind, und dass diese Aussagen dann weiterhin belastbar sind.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, die Ausschussberatungen zum Antrag waren in vielerlei Hinsicht erhellend. Dazu gehörte insbesondere die Stellungnahme des GBD, welche kurz und knapp zu der Schlussfolgerung gelangt ist, dass das Asylbewerberleistungsgesetz nach den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Maßstäben als verfassungswidrig anzusehen ist.

Meine Damen und Herren, das Asylbewerberleistungsgesetz wurde 1993 als Abschreckung beschlossen, um von einer Flucht nach Deutschland abzuhalten. Das Gesetz arbeitet mit der Unterstellung, Asylbewerber kämen ohnehin nur wegen des Bezugs der Sozialleistungen nach Deutschland. Es bedient sich rassistischer Vorstellungen von vermeintlichen Wirtschaftsflüchtlingen und Sozialschmarotzern, gegen die sich Deutschland endlich zur Wehr setzen müsse.