Protocol of the Session on May 27, 2011

Herr Minister, jetzt kommt die gewünschte Zwischenfrage. Bitte!

Entschuldigung, Herr Minister, aber Ihre Ausführungen vorhin zur Sprachförderung kann ich so nicht stehen lassen. Sind Sie nicht mit mir der Meinung, dass es den Alltag in den Kindertagesstätten unnötig chaotisiert, wenn ständig, zum Teil von Woche zu Woche wechselnd, Grundschullehrer, also externe Kräfte, kommen? Wäre es nicht viel besser, die Erzieherinnen und Erzieher entsprechend auszubilden und zu schulen sowie den Personalschlüssel so zu verbessern, dass die Sprachförderung mit den vertrauten Erzieherinnen in der normalen, alltäglichen und vertrauen Gruppe stattfinden kann?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Minister!

Ich denke, wir müssen zweierlei tun. Einerseits müssen wir den Professionalisierungsgrad der Erzieherinnen, der schon recht hoch ist, noch weiter erhöhen. Gleichzeitig aber müssen, wie ich glaube, Kindertagesstätten und Grundschulen verstärkt miteinander verzahnt werden. Ich erinnere an das Projekt „Brückenjahr“. Das werden wir, auch was die Beratungsstrukturen angeht - da geht es um knapp 1 Million Euro -, in den kommenden Jahren fortsetzen.

Wir haben in den letzten Jahren über 500 Grundschulen mit 1 100 Kindertagesstätten bei dieser engeren Verzahnung beraten und das als Modellprojekt gehabt. Es hat sich als erfolgreich herausgestellt, dass sie zusammenarbeiten. Es allein im Erzieherinnenbereich regeln zu wollen, geht, wie ich glaube, nicht. Wir brauchen durchaus eine enge Verschränkung beider Bereiche. „Das eine

tun und das andere nicht lassen“ - so möchte ich darauf antworten.

Zum Ausbau im Bereich U 3. Mit dem Ausbau eines bedarfsgerechten Betreuungsangebotes in Kindertageseinrichtungen und in der Kindertagespflege unterstützt die Landesregierung Bildung von Anfang an. Land und Kommunen haben hier in den letzten Jahren sehr klare Absprachen getroffen und werden das auch für die Zukunft tun. Wir sind gerade dabei, die Daten im Jahre der Revision, also 2011 - bis Sommer/Herbst werden die Daten vorliegen und ausgewertet -, was die Finanzierungsfrage betrifft, zu besprechen.

Letztendlich geht es darum, inwieweit wir landesseitig den Durchschnitt von 35 % - im Moment wird bundesweit sogar von 38 % gesprochen; das liegt an den Berechnungsgrundlagen, die zugrunde gelegt werden - erreichen wollen. So manche Bundesmittel werden in manchen Bundesländern nicht weitergegeben. Statt im Investitionsbereich beteiligen wir uns ganz erheblich im Betriebskostenbereich. Wir finanzieren bis 2013 immerhin 462 Millionen Euro im Betriebskostenbereich für die bedarfsgerechte Versorgungsquote bei Krippenplätzen.

Zum Vergleich der Äpfel mit Birnen darf ich, was die Bundesstatistiken angeht, an dieser Stelle sagen: Die ostdeutschen Bundesländer sind alle auf einem Niveau von 50 % plus X. Nach der Wiedervereinigung sind sie auf einem ganz anderen Niveau der Kinderbetreuung, der Krippenbetreuung gestartet als die westdeutschen Bundesländer. Für Niedersachsen darf ich feststellen, dass wir uns, im Prinzip von einer relativ niedrigen Quote kommend, jetzt deutlichst gesteigert haben. Immerhin wird Niedersachsen im Rahmen der vorliegenden Statistiken die stärkste Ausbaudynamik bescheinigt.

(Ina Korter [GRÜNE]: Wenn man ganz wenig hat, ist eine kleine Steigerung prozentual viel!)

Immerhin von 4,6 % im Jahr 2006 auf 15,8 % im Jahre 2010. Ich gehe im Moment von einer Versorgungsquote von rund 20 % für das Jahr 2011 aus.

Wahr ist aber auch, dass im Rahmen der Verhandlungen zum Kinderfördergesetz die Kommunen vom Bund über die Sozialhilfeentlastung - Hartz IV - Gelder zur Verfügung gestellt bekommen haben und damals von einer Quote von 17 % ausgegangen wurde, wobei bei realer Betrachtung

der Fakten die Frage erlaubt ist, ob alle Kommunen in Deutschland diese Entlastung durch den Bund genutzt haben, um die Versorgungsquote von - damals - 17 % zu erreichen. Daran würde ich ein Fragezeichen machen. Von daher werden wir uns in den nächsten Jahren auch über diese Zahlen zu unterhalten haben.

Fakt aber ist: Seit Oktober 2007 hat diese Landesregierung mit Unterstützung des Bundes, aber auch der Kommunen - aber eben auch mit Landesgeldern -, 17 200 neue Betreuungsangebote für Kinder unter drei Jahren errichtet. Für die Strukturqualität in Kindertageseinrichtungen - ich erwähnte das bereits - haben wir den Orientierungsplan auf den Weg gebracht. Ich glaube sogar, sagen zu können, dass Niedersachsen im bundesweiten Vergleich, was den Personalschlüssel betrifft, eindeutig im oberen Drittel liegt, wenn nicht sogar an der Spitze.

Sie haben bei Ihrer Kritik vorhin eines vergessen, Frau Korter: In anderen Bundesländern wird nicht, wie bei uns, gesetzlich der Anteil der Verfügungsstunden und der Anteil der Freistellungen für die Kindergartenleiterin festgelegt. Das ist fast nur bei uns in Niedersachsen festgelegt worden und auch ein Schlüssel für hohe Qualität.

Insofern denke ich schon, dass man sagen darf, dass wir in diesem Bereich eine Menge erreicht haben, auch was die Tagespflege betrifft. Im Bereich der Tagespflege - es geht um Tagesmütter - nimmt Niedersachsen bundesweit den Spitzenplatz ein. Ich habe vorhin versucht, das anhand der Statistik darzustellen.

Vielleicht zu guter Letzt - ich komme gleich zum Schluss - noch zur Frage der Ausbildung der Fachkräfte. Die Ausbildung aller Fachkräfte in Kindertagesstätten ist unter Berücksichtigung des Orientierungsplanes weiterentwickelt worden. In Niedersachsen sind heute mehr als 11 000 Schülerinnen und Schüler auf dem Weg zu dem Ausbildungsziel Erzieherin und Erzieher. Sie sprachen vorhin von einem drastischen Mangel, den es angeblich gebe. Die Fakten sind hier wieder andere. Das sind 1 500 Schülerinnen und Schüler mehr als noch vor fünf Jahren, die sich auf den Weg machen, Erzieher in Kindertagesstätten in Niedersachsen zu werden.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Der Mangel ist aber jetzt schon da!)

- Sie müssen doch aber eines zur Kenntnis nehmen: Stichwort „demografischer Wandel“. Es geht

um einen Rückgang der Schülerzahlen, um Bevölkerungsrückgang, Geburtenrückgang. Heute wird vieles im Zusammenhang mit dem Schaffen von Krippenplätzen und zusätzlichen Kindertagesstättenplätzen diskutiert. Wir werden erleben, dass vielleicht schon in zehn Jahren manche Kommune wird darüber nachdenken müssen, ob die Kapazitäten, die sie geschaffen hat, überhaupt genutzt werden.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Das ändert nichts daran, dass die Kitas jetzt Er- zieherinnen suchen! - Frauke Heili- genstadt [SPD]: Will sich die Landes- regierung aus der Verantwortung stehlen?)

- Ich will mich überhaupt nicht aus der Verantwortung stehlen, Frau Heiligenstadt, sondern ich möchte damit nur auf die Notwendigkeit einer Gesamtbetrachtung aufmerksam machen. Ich habe beim Deutschlandfunk an einer Rundfunkdiskussion mit dem Oberbürgermeister von München - im Übrigen von der SPD - teilgenommen, der gesagt hat, wir bräuchten ein Ausbauziel von mindestens 50 %. Ich habe ihm gesagt, er soll die Kirche im Dorf lassen. Natürlich ist das alles wünschenswert, aber was meinen Sie, was die kommunalen Spitzenverbände in Niedersachsen zu einem Ausbauziel von 50 % sagen würden.

(Frauke Heiligenstadt [SPD]: Ist es nicht wichtiger, was die Eltern sagen? - Helge Limburg [GRÜNE]: Der Bedarf ist jetzt da!)

Ich kenne den Unterschied zwischen Großstädten und dem ländlichen Raum, ich kenne den Unterschied zwischen München, Lüneburg und Hannover relativ gut. Es gibt Unterschiede. Es gibt größere Bedarfe in Ballungszentren. Das ist ohne Zweifel der Fall. Deshalb kommt es hier auf das an, was ich eingangs sagte, nämlich auf den gezielten Einsatz der Haushaltsmittel.

Meine Damen und Herren, zum Schluss - Teilhabe an frühkindlicher Bildung - darf nicht unerwähnt bleiben, dass diese Landesregierung für die Beitragsfreiheit des letzten Kindergartenjahres rund 100 Millionen Euro zur Verfügung stellt. Sie hat nicht vor, daran zu rütteln.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die Frage der finanziellen Ressourcen dürfen wir hier durchaus als positiv darstellen.

Ein allerletzter Punkt, Herr Präsident, dann komme ich wirklich zum Schluss. Es hat mich zwar nicht geärgert, aber ich finde das in der Auseinandersetzung im Zusammenhang mit Kindern mit Behinderungen nicht fair. Wir haben die Anzahl der integrativen Kindergartengruppen in Niedersachsen in den letzten Jahren kontinuierlich steigern können. Inzwischen haben wir über 1 000 integrative Gruppen im Kindertagesstättenbereich. Das landesweite Modellvorhaben zur gemeinsamen Betreuung von Kindern mit und ohne Behinderungen in Krippen stößt auf riesige Akzeptanz im Land Niedersachsen und soll als dauerhafte Regelung eingeführt werden. Für den Modellversuch stellen wir im MK Haushaltsmittel in Höhe von 1,75 Millionen Euro zur Verfügung.

Frau Korter, das, was Sie hier wieder schwarzzumalen versucht haben, entspricht aus meiner Sicht nicht der Realität. Wir können uns gern darauf verständigen, dass man immer noch besser werden kann, dass die Betreuungsquoten noch höher werden müssen. Aber hören Sie bitte damit auf, immer alles in schlimmsten Farben zu malen und als schlimmste Szenarien darzustellen. Wir sind in Sachen frühkindlicher Bildung in Niedersachsen in den letzten Jahren qualitativ und quantitativ, was die Plätze und was die Finanzen betrifft, auf einem sehr guten Weg. Wir werden das weiter ausbauen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren, für die Fraktion DIE LINKE spricht nun Frau Reichwaldt.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal von unserer Seite Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ministeriums für die Zusammenstellung des umfangreichen Materials.

Die Landesregierung leitet ihre Antwort auf die Große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit der Aussage ein, sie hätte frühkindliche Bildung zu einem Schwerpunktthema gemacht und als erste Stufe des niedersächsischen Bildungssystems etabliert. - So die Sicht der Landesregierung. Aber reicht das?

Jede einzelne Statistik in dieser Antwort zeigt, dass es immer noch einen riesigen Nachholbedarf gibt. Egal welche Tabelle man nimmt, überall

verbessern sich die Zahlen etwas. Ergo: Es gibt eine enorme Nachfrage und einen Megastau.

Nehmen Sie die Betreuungsquote bei den unter Dreijährigen. Niedersachsen hält immer noch einen hervorragenden vorletzten Platz vor Nordrhein-Westfalen. Auch wenn von 2006 bis 2010 eine Verdreifachung der Zahl der betreuten Kinder zu verzeichnen ist, lassen jetzt 15,8 % stark zweifeln, ob die im Krippengipfel vereinbarte Quote von 35 % bis 2013 erreicht werden kann.

(Beifall bei der LINKEN)

Nehmen Sie die Betreuung der Drei- bis Sechsjährigen. Niedersachsen ist hier weit hinten auf dem drittletzten Platz. Nahezu die Hälfte der Kinder in den Einrichtungen wird weniger als fünf Stunden betreut. Besonders deutlich wird der Rückstand Niedersachsens, wenn man den Anteil an den öffentlichen Ausgaben mit anderen Bundesländern vergleicht. Mit 2,9 % der Nettoausgaben belegt Niedersachsen hier gemeinsam mit SchleswigHolstein den letzten Platz im Ländervergleich. In Ausgaben pro Kind unter zehn Jahren heißt das 1 181 Euro zu 2 487 Euro beim Spitzenreiter Sachsen.

Bei Kindern mit Migrationshintergrund sind die Betreuungsquoten noch deutlich schlechter. Das gibt auch die Landesregierung zu. Beitragsfreie Kindergartenjahre, Sprachförderung, mehr Fachpersonal, aber auch Familienzentren und die gezielte Einbeziehung der Eltern wären hier die geeigneten Mittel, Abhilfe zu schaffen. Aber z. B. bei den Familienzentren duckt sich die Landesregierung, vor allem was die Finanzierung angeht, wie so oft mal wieder weg. Das sei Sache der örtlichen Träger, Aufgabe der Kommune. Das hören wir bei diesem Thema immer wieder, wenn es um die Qualität der Betreuung geht. Vorgegeben seien ja nur Mindeststandards, die Kommunen könnten ja anders, wenn sie wollten. - Wie denn, wenn kein Geld da ist?

(Helge Limburg [GRÜNE]: Ganz ge- nau!)

Die derzeitigen Raum- und Personalstandards unserer Krippenplätze sind nicht akzeptabel. Das sagen Ihnen fast alle öffentlichen und gemeinnützigen Träger und Initiativen.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Die Tatsache, dass Niedersachsen hier im Ländervergleich auf einem Mittelplatz landet, ändert nichts an dieser Aussage.

(Vizepräsident Hans-Werner Schwarz übernimmt den Vorsitz)

Dass in einigen Bundesländern mit einer insgesamt sehr viel höheren Betreuungsquote die Personalschlüssel noch schlechter sind, macht unsere Standards nicht akzeptabel. Wir brauchen beides: hohe Betreuungsquoten und kleinere Gruppen.

In diesem Zusammenhang noch ein Wort zu der immer noch nicht annähernd ausreichenden Quote der inklusiv betreuten Kinder. Je besser Personalausstattung und Betreuungsschlüssel, desto leichter ist Inklusion erreichbar. Auch das haben uns die Vertreter vieler Träger und Initiativen bestätigt.

Unsere Forderung nach mehr hochqualifizierten Erzieherinnen und Erziehern bleibt unverändert bestehen. Der Anteil der Hochschulabsolventen ist katastrophal niedrig und der Anstieg der Quote seit 2006 nur marginal. Da muss nachgebessert werden, vor allem auch in Bezug auf die Ausbildungsmöglichkeiten.

Beim Männeranteil - man höre: 3,2 % der Erzieherinnen und Erzieher - ist bezeichnend, dass sich die Landesregierung durch den Ausbau von Karrierechancen und Funktionsstellen eine höhere Attraktivität für Männer erhofft. Hier zeigt sich zum einen die Realität, dass Männer mehr aufs Geld aus sind.

(Helge Limburg [GRÜNE]: Das ist ei- ne Unterstellung!)