Protocol of the Session on April 14, 2011

Die Lehren aus dem Niedersächsischen Landespflegebericht 2010 ziehen: Wie will die Landesregierung den Abbau in der Kurzzeitpflege stoppen, dem Fachkräftemangel effektiv entgegenwirken und eine vollständige Flächenversorgung sicherstellen?

Der Landespflegebericht 2010, den die Landesregierung Ende März 2011 vorgelegt hat, weist einen großen Handlungsbedarf für Niedersachsen im Bereich der Pflege aus. Das gilt ganz besonders für die Bedarfsentwicklung, bei der sich ein eklatanter Fachkräftemangel abzeichnet.

Außerdem zeigt der Bericht aktuell bestehende Probleme regionaler Unterversorgungen im Flächenland Niedersachsen. Dies trifft beispielsweise auf den massiven Abbau von Kurzzeitpflegeeinrichtungen zu. Dieser Abbau läuft dem Grundprinzip „ambulant vor stationär“ entgegen. Er steht im Widerspruch zu einer Entwicklung, die in dem Bericht auch als „gemischte Pflegearrangements“ bezeichnet wird und einen Zuwachs an speziellen Bedarfen im Umfeld der häuslichen Pflege zum Ausdruck bringt. Von 69 der Kurzzeitpflegeeinrichtungen, die 1999 noch existierten, waren 2007 nur noch 23 - also genau ein Drittel - vorhanden. In 29 von 46 Landkreisen und kreisfreien Städten gibt es nach diesem Bericht aktuell keine Kurzzeitpflegeeinrichtung.

Ähnlich schlecht sieht der Umsetzungsstand in der Errichtung von Pflegestützpunkten aus, die seitens der Landesregierung einst als ein wichtiger Baustein für die flächendeckende Versorgung vorgestellt wurden. In lediglich 20 Landkreisen und kreisfreien Städten gibt es bisher einen Pflegestützpunkt.

Der Landespflegebericht 2010 benennt, dass Niedersachsen nach Bremen die niedrigsten Pflegesätze im Westländervergleich hat. Eine weitergehende Auseinandersetzung über die Ursachen und Folgen wird allerdings in diesem Bericht nicht geführt. Nicht betrachtet wird auch die Frage einer möglichen Reform in der Pflegeversicherung, die gegebenenfalls das Einnahmeproblem der Pflegekassen und damit auch das Finanzierungsproblem der Pflegeträger lösen könnte.

Diese und weitere Diskussionen scheinen indes nach Einschätzung vieler Experten notwendig: So wird beispielsweise die im Bericht genannte

Imagekampagne für Pflegeberufe wohl nur in der Kombination mit einer tatsächlichen Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege einhergehen können.

Ein wichtiger Grund für das angeschlagene Image der Pflegeberufe sowie der hohen Fluktuation in diesem Berufsfeld ist nach allgemeiner Einschätzung in den Tendenzen zum Lohndumping zu finden. Sehr zahlreich beschäftigten sich Zeitungsartikel in den vergangenen Wochen und Monaten mit diesbezüglichen tariflichen Entwicklungen wie der Höhe des Pflegemindestlohnes und der Zeitarbeit in der Pflege. Ein weiteres im Bericht nicht erwähntes, aber nach Auffassung vieler bedeutendes Thema ist die öffentliche Diskussion um die weitere Etablierung von osteuropäischen Haushaltskräften.

Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung:

1. Wie bewertet die Landesregierung vor dem Hintergrund des eklatanten Rückgangs von Kurzzeitpflegeeinrichtungen in Niedersachsen ihre Sparmaßnahmen im Bereich der Kurzzeitpflege, wonach die Pflegebedürftigen bzw. deren Angehörigen neuerdings einen Zuschuss von knapp 17 Euro am Tag für die ersatzweise Unterbringung in Langzeitunterkünften leisten müssen?

2. In welcher Form wird sich die Landesregierung dafür engagieren, dass sich die tarifliche Entwicklung in der Pflegebranche zukünftig auch tatsächlich an der notwendigen Qualifikation, an der hohen Verantwortung und an der körperlichen wie psychischen Belastung der Pflegenden orientiert?

3. Welche Reformen wird die Landesregierung im Bereich der Pflegeversicherung auf Bundesebene unterstützen, um eine qualitativ hochwertige Versorgung für alle pflegebedürftigen Menschen in Niedersachsen mittel- und langfristig zu gewährleisten?

(Beifall bei der LINKEN)

Ich danke Ihnen, Frau Kollegin Flauger. - Für die Landesregierung antwortet Sozialministerin Frau Özkan. Bitte schön, Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Landespflegebericht 2011 schreibt die zuletzt im Jahr 2005 dargelegten Entwicklungen der pflegerischen Versorgung in Niedersachsen fort. Er basiert im Wesentlichen auf den Daten der Pflegestatistik mit Stand vom 15. Dezember 2007.

Der Landespflegebericht macht zusammenfassend deutlich, dass sich der Bedarf an Pflegefachkräften und an Hilfskräften im ambulanten und im stationären bzw. teilstationären Bereich bis 2020 deutlich erhöhen wird. Dies liegt am Anstieg der Zahl der Pflegebedürftigen. Immer mehr Menschen werden pflegebedürftig, immer mehr Menschen werden in Heimen gepflegt, und immer mehr Menschen beziehen Sachleistungen.

Der Landespflegebericht macht aber auch eines ganz deutlich, meine Damen und Herren: Niedersachsen ist beim Thema Pflege gut aufgestellt.

(Beifall bei der CDU)

Mit dem Pflegepaket haben wir als Land einen wichtigen Beitrag dazu geliefert. Wir haben in Niedersachsen aktuell so viele Menschen in der Altenpflegeausbildung wie niemals zuvor. Wir werden auch in Zukunft darauf setzen, qualifizierten und motivierten Nachwuchs in der Pflege zu gewinnen.

Unser Ziel ist es, auch in Zukunft bedarfsgerechte und qualitativ hochwertige Angebote für Pflegebedürftige bereitzustellen. Dieses Ziel verfolgen wir konsequent.

Das geht aber auf Dauer nur im Zusammenspiel aller Beteiligten, nämlich den kommunalen Gebietskörperschaften, den Trägern der Pflegeeinrichtungen, den Pflegekassen und den in der Pflege tätigen Menschen. Genau diese Akteure finden sich alle im Landespflegeausschuss. Dort haben wir am 4. April 2011 gemeinsam vereinbart, dass wir einen Pflegepakt für Niedersachsen schließen wollen. Wir stehen vor großen Herausforderungen, und wir wollen und müssen jetzt Weichen stellen.

Der Landespflegeausschuss hat auf meine Anregung hin eine Arbeitsgruppe Pflegepakt gegründet. Diese Arbeitsgruppe soll sich unter Einbindung der Pflegesatzkommission, der Pflegevergütungskommission, der Rahmenvertragsverhandlungsgruppe und des Landesarbeitskreises Personalini

tiative Pflege mit folgenden Schwerpunkten befassen:

Erstens: Personalgewinnung. Hierbei soll es nicht nur um den Nachwuchs gehen, sondern auch um das Halten des Personals und die Rückkehr in den Beruf.

(Beifall bei der CDU)

Zweitens: Finanzfragen, u. a. Pflegesätze, Pflegevergütung und Ausbildungsvergütung.

Drittens: Bürokratieabbau, u. a. Pflegedokumentation, Zusammenarbeit zwischen Heimaufsicht und Medizinischem Dienst der Krankenkassen.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage wie folgt:

Zu Frage 1. Mit der Einführung der Pflegeversicherung Mitte der 90er-Jahre wurde die Entscheidung getroffen, dass Pflegebedürftige vorübergehend, bis zu vier Wochen im Jahr, vollstationär in entsprechenden Einrichtungen gepflegt werden können. Mit diesem Angebot sollte erreicht werden, die häusliche Pflege zu entlasten. Es sollte der Umsetzung des Grundsatzes „ambulant vor stationär“ dienen. Die sogenannte Kurzzeitpflege zielte ursprünglich darauf ab, dass sie nur in entsprechend ausgerichteten, ausschließlich dafür zugelassenen Einrichtungen geleistet werden sollte. Entgegen den Erwartungen entwickelten sich jedoch nur wenige solitäre Kurzzeitpflegeangebote. Daher wurde es zur Bedarfsdeckung erforderlich, Kurzzeitpflege auch in den nicht benötigten, leer stehenden Plätzen in Dauerpflegeeinrichtungen anzubieten.

Den bereits gegründeten solitären Kurzzeitpflegeeinrichtungen wiederum erwuchs dadurch eine Konkurrenz. Dies führte zu einem Abbau der ohnehin nur geringfügig vorhandenen solitären Angebote. Kurzzeitpflege fand zunehmend eingestreut in Dauerpflegeeinrichtungen statt.

Das Land förderte bis Ende des letzten Jahres beides, sowohl die Investitionskosten der solitären als auch die der eingestreuten Kurzzeitpflege. Vollstationäre Plätze wurden gleichzeitig in weitaus größerem Umfang neu errichtet als benötigt. Immer mehr Betten stehen leer. Wenn wir uns die Zahlen genauer ansehen, stellen wir fest: Im Jahr 1999 hatten wir noch Überkapazitäten von rund 8 500 Plätzen. Zehn Jahre später, im Jahr 2009, waren es bereits 15 000.

Ich sage es noch einmal: 15 000 Plätze in den Pflegeheimen stehen derzeit leer. Das bedeutet

zugleich einen starken Konkurrenzdruck der Träger untereinander. Dauerpflegeeinrichtungen sind durchschnittlich immer weniger ausgelastet.

Durch die Investitionsförderung auch der eingestreuten Kurzzeitpflege wurden die Investitionen in neue vollstationäre Kapazitäten teilweise indirekt mit Landesmitteln subventioniert. Der Aufbau einer auf Kurzzeitpflege spezialisierten Einrichtungsstruktur konnte in dieser Weise nicht gelingen. Hinzu kam, dass häufig die Pflegebedürftigen unmittelbar aus der Kurzzeitpflege in die Dauerpflege wechselten. Dies widerspricht dem Grundsatz „ambulant vor stationär“.

Mit der Konzentration der Landesförderung auf die solitäre Kurzzeitpflege stärken wir die Einrichtungen, die sich ausschließlich auf dieses Leistungsangebot spezialisieren.

Viele Träger sind aktuell dabei, leerstehende Kapazitäten in der Dauerpflege in solitäre Kurzzeitpflegeangebote umzuwandeln. Allein im Zeitraum von Anfang Februar bis April 2011 dieses Jahres, also innerhalb von drei Monaten, stieg das Platzangebot in der solitären Kurzzeitpflege von 299 auf 481. Aktuell sind weitere 150 Plätze in Planung. Genau diese Entwicklung ist gewünscht und zu begrüßen. Sie dient langfristig der auch vom Land gewollten Zielsetzung „ambulant vor stationär“.

Es trifft zu, dass die eingestreute Kurzzeitpflege nun etwas teurer ist als die solitäre. Aber es gilt auch: Wer den Aufenthalt nicht aus eigenen Mitteln bestreiten kann, hat einen Anspruch auf ergänzende Sozialhilfe. Härten werden dadurch vermieden.

Eines möchte ich noch deutlich klarstellen: Es kann keine Rede davon sein, dass sich die Anzahl der Kurzzeitpflegeangebote für die Pflegebedürftigen verringert hat.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Das ha- ben Sie doch gerade ausgeführt!)

Nach wie vor kann auch die eingestreute Kurzzeitpflege von Pflegebedürftigen in Anspruch genommen werden; da ist nichts weggebrochen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Kreszentia Flauger [LINKE]: Sie ha- ben doch gesagt, durch Konkurrenz ist das weniger geworden!)

- Ich habe die Zeit vor dem 1. Januar 2011 beschrieben, Frau Flauger. Sie müssen da schon genauer hinhören.

Zu Frage 2: Auch hierzu möchte ich zunächst eines ganz deutlich klarstellen: Das Land hat keinerlei Befugnisse, sich in die Tarifautonomie von Arbeitgebern und Gewerkschaften einzumischen. Gehälter werden über den Pflegesatz refinanziert. Mehrfach habe ich hier bereits ausgeführt, dass Pflegesätze von den Beteiligten vor Ort abgeschlossen werden: von den Einrichtungsträgern, Pflegekassen und örtlichen Sozialhilfeträgern. - Das Land sitzt nicht direkt mit am Tisch, ist nicht Verhandlungspartner oder Partei und hat keinerlei Weisungsbefugnisse in der Frage, wie hoch ein Pflegesatz sein muss.

(Norbert Böhlke [CDU]: Sehr richtig und wichtig! Genau so ist es!)

Bei den Beratungen über den Pflegepakt wird es auch um die Rahmenbedingungen für die Arbeit der Pflegekräfte gehen. Natürlich spielt auch das Geld, auch das Gehalt eine Rolle, wenn es um die Attraktivität eines Berufes geht. Das Thema „Pflegesätze“ soll und darf daher in diesem Rahmen von der Pflegesatzkommission explizit beleuchtet und beraten werden. Darüber besteht Einigkeit im Landespflegeausschuss. Das Land wird sich in diese Beratungen einbringen. Auf meine Bitte und Anregung hin tagt die Pflegekommission in ganz kurzer Zeit.

Wenn wir über die Rahmenbedingungen für Pflegekräfte sprechen, dann gibt es neben der Frage des Geldes, des Gehalts, der materiellen Aspekte viele weitere Punkte. Gute Pflegequalität kann nur von motivierten, engagierten, zufriedenen Pflegekräften geleistet werden. Da gibt es noch weitere Stichworte, über die wir auch beim Pflegepakt sprechen werden und die eher immaterieller Natur sind. Beispielsweise möchte ich das Thema „Chancen für einen beruflichen Aufstieg“ oder die „Verbesserung der Führungs- und Anerkennungskultur“ in den Einrichtungen nennen. Es geht also nicht immer nur um Geld.

(Zuruf von Kreszentia Flauger [LINKE])

Frau Flauger, es ist nun einmal so, dass eine gute Pflegequalität nicht von der Höhe des Pflegesatzes abhängt. Gute oder auch schlechte Pflegequalität finden wir sowohl in Einrichtungen mit einem hohen Pflegesatz als auch in solchen, deren Pflegesatz niedrig ist. Ein direkter Zusammenhang zwischen der Pflegequalität und der Höhe des Pflegesatzes ist nicht feststellbar.

Zu Frage 3: Aktuell führt das Bundesgesundheitsministerium im Rahmen des sogenannten Pflege

dialogs Gespräche mit Spitzenvertreterinnen und vertretern von Verbänden und Institutionen unter Beteiligung der jeweiligen Vorsitzländer der Konferenz der Gesundheitsministerinnen und -minister sowie der Konferenz der Arbeits- und Sozialminister und -ministerinnen. Gesprächsthemen waren bereits die Punkte „Fachkräftemangel in der Pflege“ und „pflegende Angehörige“. Weitere Dialogthemen werden sein: Pflegebegutachtung, neue Wohnformen und Demenz.