Protocol of the Session on March 15, 2011

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Und wie erklären Sie Ihrer Kollegin Frau König, dass zu 80 % Frauen von prekärer Beschäftigung betroffen sind?

(Zustimmung von Johanne Modder [SPD])

Zweitens möchte ich etwas zu Ihrem Hinweis auf die Stammbelegschaft sagen. Befragen Sie dazu einmal die Stammbelegschaft! Die Stammbelegschaft hat eine große Sorge nicht mit Blick auf die Menschen, die als Leiharbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer den gleichen Lohn für die gleiche Arbeit verdienen. Sie haben eine große Sorge mit Blick auf die Leiharbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer, die einen viel geringeren Lohn erhalten. Warum ist das so? - Weil sie befürchten müssen, dass auch ihr Beschäftigungsverhältnis in naher Zukunft verdrängt wird - raus aus der realen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung im Unternehmen und rein in die Leiharbeit. Das ist doch die Realität, Herr Rickert!

(Beifall bei der SPD und bei der LIN- KEN)

Herr Kollege Rickert, auch Sie haben anderthalb Minuten Zeit.

Frau Präsidentin! Frau Weisser-Roelle, dass die Lage anders ist, habe ich, glaube ich, in meinen Ausführungen geschildert. Ein flächendeckender einheitlicher Mindestlohn - da können Sie sich über Betragsgrößen streiten - wird niemals zielführend sein. Ich glaube, ich habe das dargestellt.

(Kreszentia Flauger [LINKE]: Aber nicht überzeugend!)

Jetzt zu der Geschichte mit dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz. Es ist in der Tat so, dass Leiharbeiter den Betrieb nur bei Zustimmung des Betriebsrates betreten können. Meine Damen und Herren, ich rede über eigene einschlägige praktische Erfahrungen, die ich gesammelt habe.

Zu Herrn Lies: Ich habe nicht umsonst zwei Extrembeispiele gewählt, nämlich das Beispiel aus der Fleischindustrie und das Beispiel aus der Metallindustrie. Hier wird deutlich - Sie haben es, glaube ich, sogar selber ausgeführt -, dass man mit bestimmten Betragsgrößen im Mindestlohn die Wirklichkeit niemals genau trifft; denn der tarifliche Ecklohn in der Metallindustrie dürfte bei 12 bis 15

Euro liegen, der in der Fleischindustrie deutlich darunter; ich kenne ihn nicht.

Wenn Sie hier jetzt von prekären Löhnen sprechen, dann möchte ich nur eines dazu sagen: Ich habe auf den subventionierten Lohn im Niedriglohnbereich hingewiesen. Das ist eigentlich der Versuch des Einstiegs in den ersten Arbeitsmarkt.

(Olaf Lies [SPD]: Das ist die reale Form von Beschäftigung, Herr Ri- ckert!)

Es gibt dort in der Tat Trittbrettfahrer. Aber diese Instrumente, Herr Lies, tragen die Überschrift „Agenda 2010“: Aufstocker, Ein-Euro-Jobber etc. Das müssen Sie dann auch zur Kenntnis nehmen.

(Beifall bei der FDP - Olaf Lies [SPD]: Darum geht es doch überhaupt nicht! Das ist doch kein Einstieg!)

Danke schön. - Nun hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Herr Hagenah das Wort. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! An dem Verlauf der Debatte - von den Angeboten, die bei der Einbringung noch von der Koalitionsseite, vor allen Dingen von der CDU, gemacht worden sind, bis hin zu der Zuspitzung, die Herr Rickert eben hineingebracht hat - lässt sich ablesen, worin unser Problem in Deutschland im Augenblick liegt. Unser Problem in Deutschland liegt im Augenblick darin, dass auf Bundesebene die FDP mitregiert und dass die FDP eine Blockadehaltung gegenüber einer anständigen Reform unserer Wirtschaftsordnung, was das Arbeitnehmerverhältnis angeht, eingenommen hat.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN - Christian Grascha [FDP]: Wir bringen wirt- schaftlichen Sachverstand mit!)

Die FDP torpediert mit ihrer Liberalismusvorstellung unsere soziale Marktwirtschaft. Das ist nach dem, was Sie, Herr Rickert, gerade vorgetragen haben, für mich mittlerweile Fakt.

(Christian Grascha [FDP]: Unsinn ist das!)

Es gibt in Ihrer Partei nur noch wenige, die noch über den Tellerrand von Herrn Westerwelle blicken. Aber insgesamt darf man das anscheinend nicht mehr.

Ich bin überrascht, Herr Rickert, dass Sie hier von einigen wenigen Trittbrettfahrern gesprochen haben, die den Niedriglohn ausnutzen. Ich muss Ihnen sagen: Der ganze Bus ist voll mit denen, die den Niedriglohn ausnutzen. Auf dem Trittbrett sitzen allenfalls die wenigen, die ihn vielleicht als Einstieg nutzen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Das Problem ist, dass angesichts dieser massenhaften Inanspruchnahme des Aufstockungssatzes von Hartz IV dringend nachreguliert werden muss. Ich gebe zu, dass wir Grüne zusammen mit der SPD seinerzeit nicht genügend vorausgedacht haben, wozu Arbeitgeber in der Lage sind, um ein System auszunutzen. Aber es ist völlig vernünftig, dass wir mit Hartz IV die Sozialhilfeempfänger in die Arbeitsförderung integriert haben. Allerdings muss natürlich auch der nächste Schritt dringend umgesetzt werden. Als wir ihn unter Rot-Grün umsetzen wollten, wurde das durch den Bundesrat verhindert. Heute wird es von der FDP in der Regierung verhindert. Ich meine die Einführung eines allgemeinen Mindestlohns, der verhindert, dass der ganze Bus voll ist mit Leuten, die den Mitnahmeeffekt nutzen und sich mit dieser Hartz IV-Aufstockung als Unternehmer die eigenen Taschen vollstopfen.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Ich halte es für verantwortungslos, dass Sie die Chancen, die auch in dem SPD-Antrag gesteckt haben - das war von Herrn Lies durchaus als Angebot zu verstehen, um hier zu einer gemeinsamen Beschlussfassung zu kommen -, nicht nutzen.

Auf der Bundesebene hatten wir, als es um Hartz IV ging, immer wieder das Problem, dass die FDP eine vernünftige Einigung blockiert hat, dass sie bei den Maßnahmen, die uns tatsächlich vorangebracht hätten - in Richtung allgemeiner Mindestlohn, in Richtung höhere Hartz-IV-Förderung, auch gerade für die Bildung -, immer auf der Bremse gestanden hat.

Herr Kollege Hagenah, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Weisser-Roelle?

Ja, gern.

Frau Weisser-Roelle!

Sehr geehrter Herr Kollege Hagenah, ich kann Ihren Ausführungen in vielem zustimmen. Aber ich möchte von Ihnen trotzdem gern noch einmal wissen, warum Sie bei der Höhe des Mindestlohnes so vehement bei 7,50 Euro, die Ihre Partei, glaube ich, immer noch fordert, stehen bleiben; denn dies liegt - ich habe es erläutert - unter der Armutsgrenze. Warum bleiben Sie bei 7,50 Euro und fordern damit einen Mindestlohn, der unter der Armutsgrenze liegt?

(Zustimmung bei der LINKEN)

Herr Hagenah!

Frau Weisser-Roelle, Sie haben in Ihrem Antrag beschrieben, wie die Mindestlohnkommission zusammengesetzt sein sollte und dass sie möglichst nicht durch die Politik dominiert werden sollte. Ich hingegen halte es für richtig, das Verfahren zu beschließen und dann von der Mindestlohnkommission einen angemessenen Mindestlohn festsetzen zu lassen. Das ist unser Ansatz an der Stelle. Wir als Politik brauchen nicht zu beschließen, ob der Mindestlohn diese oder jene Höhe haben soll.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Daher sollten wir versuchen, die Kommission mit kompetenten Leuten zu besetzen. Dadurch wird gleichzeitig verhindert, dass die Politik das Miteinander der Sozialpartner aushebelt. Die gemeinsame Mindestlohnkommission sollte eine Verlängerung der Sozialpartnerschaft sein.

Herr Rickert, nehmen Sie sich vielleicht einmal die Worte von Herrn Heiner Garg, Sozialminister der FDP in Schleswig-Holstein, zu Herzen, der gefragt hat, was eigentlich liberal daran ist, dass beispielsweise im Osten Deutschlands Löhne gezahlt werden, die bei 2 Euro in der Stunde liegen. - Daran sei nichts liberal, sagt er im Südwest-Radio. Daran ist auch nichts sozial. - Herr Garg ist auch strikt dagegen, dass der Steuerzahler Unternehmen subventioniert, die Billigstlöhne zahlen.

Das, meine Damen und Herren, ist eine in die Zukunft gerichtete liberale Haltung. Sie sollte in Ihrer Partei endlich mehrheitlich werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD und bei der LINKEN)

Herzlichen Dank. - Für die CDU-Fraktion hat sich Herr Kollege Toepffer zu Wort gemeldet. Bitte schön!

Herr Rickert hat zum Thema Mindestlöhne viel Richtiges gesagt. Ich will das nur in einem Punkt ergänzen.

(Gerd Ludwig Will [SPD]: Was war denn falsch?)

Das Verhältnis in der CDU zum Thema Mindestlöhne ist nach wie vor entspannt. Im Einzelfall, denken wir, ist ein Mindestlohn angebracht. Herr Lies, mir ist aufgefallen, dass Sie, als Sie berichtet haben, was denn im Vermittlungsausschuss beschlossen wurde, eines vergessen haben zu erwähnen, nämlich den Mindestlohn für das Wach- und Sicherheitsgewerbe. Es ist gut und richtig, dass der so beschlossen worden ist.

Aber vielleicht kurz einige Worte zum Antrag der Linken. Den flächendeckenden Mindestlohn für alle Branchen wollen wir nach wie vor nicht. Unabhängig davon wollen wir schon gar keinen Mindestlohnrat, und wir wollen auch keine Subventionen, die Unternehmen gezahlt werden, die sich den Mindestlohn nicht leisten können. Da ist unsere Haltung unverändert.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Aber zurück zum Thema Mindestlohn in der Zeitarbeit. Ich denke, da sollten wir zunächst einmal eines erfreut feststellen: Es ist gut, dass in Berlin eine Einigung über einen Mindestlohn in der Zeitarbeit gefunden worden ist.

(Beifall bei der CDU)

Traurig ist, dass es in anderen Punkten keine Einigung gegeben hat. In der Tat, Herr Lies, ich bin bereit, mit Ihnen über Equal Pay zu reden. Das war ja eben eine unglaubliche Eierei. Erst sagen Sie, es steht in Ihrem Antrag nicht drin. Gewerkschaften und Linke hätten nachgefragt, warum nicht. Dann fällt Ihnen rechtzeitig ein, dass die CDU im

Ausschuss nachgefragt hat, und dann erklären Sie, es steht deswegen nicht drin, weil Sie nicht damit gerechnet haben, dass wir zustimmen würden. Herr Lies, wenn Sie hier künftig nur noch Anträge stellen, von denen Sie glauben, dass wir zustimmen werden, dann werden die Debatten wahrscheinlich erfreulich kürzer werden.

(Beifall bei der CDU)