Das Parlament hat die Anhörung und die dort vortragenden Verbände und Personen ernst genommen und viele Anregungen aufgegriffen.
Die Arbeit an der Novelle dieses Schulgesetzes ist deshalb auch ein vorbildliches Stück parlamentarischer Demokratie.
Man hat sich einmal richtig frei gemacht von taktischen Spielchen und - das darf ich auch einmal sagen - von den Krallen mancher Lobbyisten. Man hat sich gefragt: Was ist richtig, was ist vernünftig? Den Parteien des Hauses, den Verbänden, die sich bei der Anhörung eingebracht haben, und vielen eingeladenen Experten möchte ich meinen aufrichtigen Dank sagen.
Die Eigenverantwortlichkeit unserer Schulen, die jetzt im Gesetz festgeschrieben wird, ist eine grundsätzliche Richtungsanzeige. Wir vertrauen den Schulen, wir vertrauen den Lehrkräften, den Eltern, den Schulträgern, den Schülerinnen und Schülern. Wir vertrauen ihnen nicht nur, wir trauen ihnen einfach auch mehr zu als bisher.
Noch nie gab es in Niedersachsen - und in keinem anderen Land der Bundesrepublik Deutschland gibt es das zurzeit - eine so grundsätzliche und uneingeschränkte Eigenverantwortlichkeit des gesamten Schulwesens - gesetzlich vom Staat garantiert. Den Bürgerinnen und Bürgern Freiräume zu lassen und den Staat zurückzunehmen, Differenzierungen vor Ort zuzulassen, den Handelnden selbst Verantwortung für ihr Tun und ihren Erfolg zu übertragen: Das wird den Menschen gerecht und sorgt für bessere Erfolge. Das weckt neue Kräfte und schafft auch mehr Arbeitszufriedenheit. Das ist der eigentliche Grund, warum wir Eigenverantwortliche Schulen brauchen.
Ich bin mir bewusst, dass die Richtungsanzeige hin zu deutlich mehr Eigenverantwortung natürlich aus sich heraus noch nicht garantiert, dass alle Schulen sofort so arbeiten und die entsprechenden Erfolge einfahren. Ich sage an dieser Stelle erneut und ausdrücklich: Wir legen heute die gesetzliche Grundlage für die Eigenverantwortlichkeit der Schulen. Aber die Schulen - und das gilt - werden selbst das Tempo der Umsetzung bestimmen. Sie sollen uns sagen, wann sie so weit sind zu sagen: Die Unterrichtsorganisation machen wir ohne die Erlasse des Ministers. Sie sollen uns sagen, wann sie gemeinsam mit dem Schulträger budgetieren wollen. Sie sollen uns sagen, wann sie selber mehr Personalhoheit wahrnehmen wollen. Wenn sie so weit sind, dann sind wir begleitend zur Stelle.
Ich will Ihnen aber auch nicht verhehlen, dass ich den Eindruck habe - wir haben schon so viel Dynamik in unserem Schulwesen -, dass dieser Prozess läuft. Dieser Prozess ist unumkehrbar, meine Damen und Herren.
Ich habe die sehr optimistische Einschätzung, dass die Schulen das - im nächsten Jahr geht es los zwischen 2008 und 2013 schrittweise nach unseren gemeinsamen Vorstellungen umsetzen wollen.
Wer Eigenverantwortung an den Schulen will, der muss natürlich auch an die Entscheidungsstrukturen herangehen und die Schulverfassung entsprechend regeln. Die Gesamtkonferenz in unseren Schulen wird zukünftig eine pädagogische Konferenz mit klaren, aber auch begrenzten Zuständigkeiten sein. In den Gesamtkonferenzen werden die Lehrkräfte zusammen mit Eltern und Schülern die pädagogischen Konzepte und die Grundfragen des Arbeitens für Unterricht und Schulleben gestalten.
Die Gesamtkonferenz wird also nicht abgeschafft, sondern von manchem Leerlauf und auch frustrierender Nebenbeschäftigung befreit, welche Eltern, Schüler und viele Lehrkräfte - seien wir doch einmal ehrlich - in den letzten Jahren beklagt haben. Darum ist übrigens manche Krokodilsträne, die über die neue Zuständigkeit der Gesamtkonferenz jetzt vergossen wird, auch nicht ganz ehrlich, sondern eher mancher - das darf ich sagen - gescheiterten Verbandstaktik gewidmet.
Die Schulleiterin bzw. der Schulleiter werden zukünftig gestärkt. In unseren Schulen kann endlich ein modernes Verständnis von Leitung und Führung von Menschen Einzug halten. Darum werden unsere Schulleiterinnen und Schulleiter Vorgesetzte aller an der Schule tätigen Personen. Darum tragen sie die Verantwortung für die Qualität der Arbeit. Darum haben sie das Recht und die Pflicht zu angemessener Personalführung, zu umfassender Information und Leitung aller Konferenzen, zur Planung der wirtschaftlichen Tätigkeit und zur Vertretung nach außen.
Meine Damen und Herren, wer solche Leitung schon für unzumutbarer Hierarchie hält, der versteht nichts von kluger und angemessener Menschenführung und verwechselt Demokratie mit ergebnislosem Palaver.
Wir führen zudem als neues Gremium einen Schulvorstand ein. In diesem Vorstand werden Eltern und Schülerinnen und Schüler mitwirken und mitbestimmen können, wie wir es in Niedersachsen bisher nie gekannt haben. Seit Jahrzehnten haben Eltern geklagt, sie hätten in unseren Schulen lediglich ein unverbindliches Rederecht und das „Recht auf Kuchenbacken und Schulhofgestalten“. Jetzt nehmen wir die Eltern als Partner ernst, geben ihrer Stimme Gewicht und binden sie umfänglich in die Mitgestaltung der Schule ein. Dasselbe gilt für Schülerinnen und Schüler. Wenn sie es von ihrem Alter her vermögen, haben sie zukünftig ein großes Mitwirkungsrecht im Schulvorstand. Noch nie wurde Demokratie für unsere nachwachsende Generation in unseren Schulen so zum Ernstfall - zum schönen Ernstfall - wie in Niedersachsen.
Meine Damen und Herren, mehr Rechte für Eltern und Schülerinnen und Schüler heißt zugleich, dass wir sie in die Mitverantwortung für das Gelingen
schulischer Arbeit nehmen. Es hängt dann auch von ihnen ab, ob sie hartnäckig genug sind, ob sie Einsatz zeigen, ob sie Bereitschaft zeigen, sich für Einzelheiten zu interessieren, ob sie dabei das Ganze der Schule nicht aus dem Blick verlieren und anderes mehr. Es geht ja miteinander darum, mehr schulische Qualität zu entwickeln.
Ich las jüngst beim Philologenverband, dass insbesondere Lehrkräfte gewisse Ängste davor haben, dass Eltern und Schüler mehr Rechte hätten. Ich darf an andere Bereiche unserer Gesellschaft erinnern: Sind wir nicht in der Justiz seit eh und je damit vertraut, dass wir Schöffinnen und Schöffen bei unseren Gerichtsverhandlungen dabei haben?
Kennen wir nicht aus den kommunalen Parlamenten die Beiziehung von Interessenvertretern aus der Bevölkerung, die unsere Arbeit dort bereichern? Das kann doch nur von Erfolg gekrönt sein. Das können wir auch an der Schule entsprechend miteinander erreichen.
Meine Damen und Herren, die Eigenverantwortlichkeit der Schule in Niedersachsen ist ein Kernstück der bildungspolitischen Reformen von CDU und FDP, die diese Regierung tragen.
(Unruhe - Glocke des Präsidenten - Hans-Christian Biallas [CDU] spricht an der Regierungsbank mit Minister Walter Hirche)
Herr Minister, einen Augenblick, bitte! - Ich bitte darum, die Sprechstunde an der Regierungsbank aufzuheben.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe an dieser Stelle mehrfach angemerkt, dass wir uns dabei auf Vorarbeiten stützen können, die die Vorgängerregierung unter der Überschrift „Selbständige Schule“ geleistet hat. Der behutsam gestaltete Entwurf einer Gesetzesnovelle, den die Landesregierung im April - die Novelle war aber schon Monate vorher bekannt - eingebracht hat, verfolgte auch das Ziel, die Fraktionen des Landtages zur Mitwirkung einzuladen.
Einen solchen grundsätzlichen und weitgehenden Reformfortschritt mit möglichst allen im Landtag vertretenen Parteien zu gestalten, war für mich ein wichtiges politisches Ziel. Ich freue mich deshalb außerordentlich, dass auch die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der nun vorliegenden Novelle ihre Zustimmung geben will. Das ist ein wichtiges Signal der Übereinstimmung in einer zentralen bildungspolitischen und gesellschaftspolitischen Frage.
Frau Korter, wir haben uns hier weiß Gott in so mancher Frage gefetzt. Aber Kompliment auch an Ihren Gesetzentwurf, der in der Ausgangsfassung nicht weit von der Endfassung weg gewesen ist und die Diskussion um die Schulgesetznovelle sicherlich bereichert hat.
Meine Damen und Herren, etwas enttäuscht - vielleicht sollte ich sagen: befremdet - bin ich jetzt allerdings von der Einstellung der Sozialdemokratie. Irgendwann hatten Sie hier doch auch einen Gesetzentwurf eingebracht, Frau Eckel. Oder haben wir das ausgeblendet? - Es wurden doch auch bestimmte Ziele formuliert. Sie haben doch auch Schrittmacherdienste geleistet. Ich erinnere nur daran, dass wir gemeinsam ProReKo beschlossen haben. Aus ProReKo entstand diese großartige Entwicklung, aus der heraus dieses neue Gesetz erst möglich geworden ist. Dies kommt mir ein bisschen so vor, als hätte man ein gemeinsames Kind und als würden Sie es nicht anerkennen, sobald es um die Vaterschaft geht. Das befremdet mich irgendwie.
Ich versuche, die Sache zu ergründen. Aus der Diskussion - auch über große Zeitungsartikel -, aber auch aus dem, was ich aus dem Ausschuss gehört habe, weiß ich, dass Sie für mehr Eigenverantwortlichkeit an den Schulen sind, dass die Gesamtkonferenz mehr als pädagogisches Gremium verstanden wird und dass es eine Schulkonferenz - egal ob es Schulvorstand heißt, jedenfalls mit einem gleichen Aufgabenstatus - sowie mehr Elternrechte und mehr Schülerrechte geben soll. Das Ganze endet in der Schlussphase mit einer Neuformulierung von Regelungen für die ach so tolle Gesamtkonferenz. Aus dieser Strategie werde ich nicht mehr schlau. Deswegen fällt es mir auch schwer, es entsprechend zu kommentieren. Nun fallen Sie geradezu hieroglyphenartig schlagwort
artig über das Gesetz her und beklagen, was alles falsch ist und zu schnell eingeführt wird. Ich sage Ihnen ganz offen, dass ich es nicht sauber eingeordnet bekomme, mit welcher Intention Sie heute eine Rede gehalten haben, für die ich beinahe Mitgefühl empfinde.
Es mag ja sein - das ist die einzige politische Erklärung, die ich finden kann -, dass Ihnen die oberste Heeresleitung gesagt hat, in anderthalb Jahren wird es um die gemeinsame Schule gehen, heute sollen Gemeinsamkeiten vermieden werden, weil das nicht in den großen strategischen Kram passt.
Schade drum, so kann ich nur sagen. Sie kurieren offenbar erneut an Ihrem Lieblingsthema herum, nämlich an der Schulstruktur. Statt die Schulen von innen her besser zu machen, wollen Sie wieder die gemeinsame Schule. Das ist das abgelutschte bildungspolitische Thema der 60er- und 70erJahre.
Auch wenn in den letzten Tagen noch Brandbriefe gekommen sind, führt es in der Sache nicht weiter, nur einem einzigen Lehrerverband zu Gefallen sein zu wollen. Ich kann nur sagen: Die Sozialdemokraten sind bildungspolitisch wieder bei 1968 gelandet. Sie sind nicht reformfähig und singen das Lied der Heizer auf der bereits fahrenden Elektrolok.
Ich muss noch einmal in unser Schulwesen hineinblenden und auf das zu sprechen kommen, was sich ändern wird. Wir dürfen nicht daran vorbei reden, dass unsere Schulleiterinnen und Schulleiter künftig mehr gefordert sein werden. Deshalb haben wir eine umfassende Qualifizierung der Schulleiterinnen und Schulleiter mit dem Ziel begonnen, sie auf die neuen Aufgaben vorzubereiten. Wir werden sie auch weiterhin im Hinblick auf
ihre Unterrichtsverpflichtung entlasten. Ich biete hiermit den Verbänden ausdrücklich Verhandlungen darüber an, wie die notwendigen Entlastungen der Schulleiterinnen und Schulleiter gestaltet werden können.
Auch wird es bei den Lehrkräften Veränderungen geben: nicht unbedingt, was die quantitative Arbeitsbelastung anbelangt, aber es wird eine andere Arbeit sein. Die Umorganisation in der Schule verlangt von unseren Lehrkräften einen Mentalitätswechsel; denn die Frage von Organisation und Gestaltung des Unterrichts und viele andere Fragen werden künftig nicht vorab durch eine Vielzahl von Erlassen im Detail entschieden werden, sondern werden Teil der Unterrichtsplanung sein.
Der Kultusminister wird seine Erlasse und Verordnungen schrittweise zurücknehmen. Man muss in den Schulen selber machen; man will ja auch selber machen, was schließlich Sinn des ganzen Verfahrens ist.
Lassen Sie mich an dieser Stelle auch Folgendes deutlich sagen: Ich traue unseren Lehrkräften diese größere Verantwortung und diesen Mentalitätswechsel zu, da sie in ganz überwiegender Zahl eine gute Arbeit an den Schulen dieses Landes leisten.