Protocol of the Session on July 11, 2006

Na ja, bei letzterem Beispiel muss man nicht lange evaluieren. Hier liegen die Auswirkungen auf der Hand. Wiederum hat sich der Ansturm auf das Gymnasium verstärkt. Sehr geehrte Damen und Herren von CDU und FDP, sehr geehrter Herr Minister, die Eltern präsentieren Ihnen die Quittung für Ihre „Jahrhundertreform“.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Letztes Jahr haben Sie orakelt, die Abwahl der Hauptschule werde nicht weiter fortschreiten. Die Zahlen, die mir bisher bekannt sind, bezeugen das Gegenteil.

Ein Beispiel: In Wolfsburg werden im kommenden Schuljahr nur noch 12,6 % der Fünftklässler eine Hauptschule besuchen. Das sind fast drei Prozentpunkte weniger als im laufenden Schuljahr. Gleichzeitig haben die Gymnasien einen Anstieg der Schülerzahlen um 6,9 Prozentpunkte zu verkraften. 56 % der jetzigen Viertklässler in Wolfsburg sind für das Gymnasium angemeldet.

Was kennzeichnet Ihre bisherige Schulpolitik? Sie ist wenig ertragreich, aber Kräfte zehrend und erzeugt auf allen Seiten Frust.

(Beifall bei der SPD)

Mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf setzen Sie dem Ganzen die Krone auf. Die Beratungen musste dieses Gesetz im Galopp durchlaufen. Ein Aufschub bis zum Septemberplenum wurde nicht geduldet. Ohne diese Eile wären zumindest handwerkliche Fehler zu vermeiden gewesen.

(Walter Meinhold [SPD]: Jawohl!)

Darauf werde ich nachher noch eingehen. Ich frage mich, ob Ihnen, sehr geehrte Damen und Herren von CDU und FDP, nicht doch noch einige inhaltliche Mängel aufgefallen wären, wenn wir mehr Zeit für Beratung und Abwägung gehabt hätten und der Gesetzgebungs- und Beratungsdienst ohne Zeitdruck hätte prüfen können.

Mit diesem Gesetz erhalten die niedersächsischen Schulen eine neue Verfassung. Dass es nun neben der Gesamtkonferenz den Schulvorstand als zweites Kollegialorgan gibt, in dem Eltern und Schüler jeweils ein Viertel der Stimmen haben, wird von uns mitgetragen. Die SPD-Fraktion hat als erste Fraktion dies in den Kultusausschuss eingebracht.

(Hans-Werner Schwarz [FDP]: Ein Vorschlag der Eltern, Frau Eckel!)

Es ist richtig, den Eltern ein klares Mitbestimmungsrecht zu geben. Aber die in Ihrem Gesetzentwurf vorgenommene Verteilung der Kompetenzen auf die Gremien und die Schulleitung lehnen wir ab.

Wenn man Ihre Pressemitteilung liest, Herr Minister, Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, wird deutlich, dass Sie diesen Bestimmungen in Ihrem Gesetz die größte Bedeutung beimessen. Aber die Überschrift Ihres Gesetzentwurfs lautet doch „Einführung der Eigenverantwortlichen Schule“. Der § 32, mit „Eigenverantwortung der Schule“ überschrieben, müsste also der Dreh- und Angelpunkt des Ganzen sein. In diesem Paragrafen finden sich als Absätze 2, 3 und 4 wie im Gesetzentwurf der SPD-Fraktion Aussagen zum Schulprogramm, zur inneren Evaluation und zum eigenen Budget. Aber der Absatz 1 unterscheidet sich bis auf die Ergänzung eines Wortes kein biss

chen vom alten, jetzt gültigen Absatz 1. Kein Wort von der Ausgestaltung der Eigenverantwortung!

(Ursula Körtner [CDU]: Haben Sie schon einmal etwas von „untergesetz- lich“ gehört? Das ist ja witzig!)

Um dazu etwas zu finden, muss man bis zum § 38 a blättern. Unter „Aufgaben des Schulvorstandes“ steht folgender Satz - den muss man sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen -:

„Der Schulvorstand entscheidet über... die Inanspruchnahme der den Schulen im Hinblick auf ihre Eigenverantwortlichkeit von der obersten Schulbehörde eingeräumten Entscheidungsspielräume...“

(Walter Meinhold [SPD]: Noch einmal! Weil es so schön war!)

Das spricht der Gesetzesüberschrift Hohn. Das ist in der Überschrift stehende Versprechen wird damit nicht eingehalten.

(Beifall bei der SPD - Ursula Körtner [CDU]: Aber voll!)

Das Kultusministerium benennt also in Zukunft Erlasse, die die Schulen außer Kraft setzen dürfen. Das ist bevormundende Eigenverantwortlichkeit, wenn man es überhaupt noch so nennen will.

(Beifall bei der SPD)

Ich habe es schon im Mai im Plenum als Eigenverantwortung nach Gutsherrenart bezeichnet. Dazu wäre kein neues Gesetz nötig gewesen. Das hätte man so regeln können. Unser Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Selbständigkeit der Schulen ist da ganz anders. Wir nehmen die Selbständigkeit von Schule sehr ernst und haben Optionen statt Vorschriften und Vorgaben in unseren Entwurf geschrieben; denn wir dachten, eine selbständige Schule wird selbst ständig den Weg finden, der zum Ziel führt. Für uns beinhaltet Selbständigkeit einen Paradigmenwechsel. Wir wollten weg von einengender Bürokratie und Unbeweglichkeit.

Ausgangspunkt für die Selbständige oder Eigenverantwortliche Schule ist doch die Frage, wie die Qualität von Schule gesteigert werden kann, und die Feststellung: Erfolgreiche PISA-Länder machen ihren Schulen nur wenige staatliche Vorgaben und lassen sie auf der Basis von Vereinbarun

gen wesentliche Elemente ihres Alltags selbst bestimmen.

(Walter Meinhold [SPD]: So ist es!)

Das hat sich die SPD-Fraktion zum Vorbild ihres § 32 genommen. Wir fordern darin, die Gestaltungsfreiheit von Schule nicht unnötig einzuengen. Dabei geht es nicht um Beliebigkeit. Unter einer klaren Zielvorgabe wollen wir den Schulen bei der Unterrichtsorganisation und Unterrichtsgestaltung freie Hand geben. Das ist es, was die SPDFraktion unter „Selbständigkeit“ versteht.

(Zustimmung von Silva Seeler [SPD])

Sehr geehrte Damen und Herren, bevor der Gesetzentwurf der Landesregierung vorlag, hatten wir alle im Landtag wohl die Erwartung, wir könnten ein gemeinsames Ergebnis erzielen. Auch als der Entwurf dann vorlag, dachte die SPD-Fraktion, es sei noch Luft zur Diskussion drin. Leider ist es nicht so gekommen.

Selbständige oder Eigenverantwortliche Schule die Qualität von Schulen soll sich doch verbessern, verbessern durch möglichst große Gestaltungsfreiheit und Eigenständigkeit. Um Qualitäts- und Ergebnisverantwortung den Schulen übertragen zu können, bedarf es eines großen Engagements aller Beteiligten, bedarf es der Ausgewogenheit von Einflussmöglichkeiten, und bedarf es bei aller notwendigen Stärkung der Elternrechte auch folgender Klarstellung: Die Lehrkräfte sind die Experten für die Frage, wie effektives und kreatives Lernen möglich zu machen ist. Sie sind die Profis.

Nach unserem Entwurf und dem nach der Anhörung von uns eingebrachten Änderungsvorschlag soll die Gesamtkonferenz die Beschlusskompetenz in pädagogischen Angelegenheiten behalten. Dies schien Konsens zu sein, bis die CDU-Fraktion in der letzten Ausschussberatung ihre Änderungsvorschläge einbrachte.

(Ursula Körtner [CDU]: Das stimmt doch gar nicht!)

Diese gingen übrigens auf Kosten der gern zur Schau gestellten Einigkeit zwischen Kultusminister und Koalition. Ein bemerkenswerter Vorgang, Herr Minister! Da hat Ihnen Ihre Fraktion die Gefolgschaft aufgekündigt.

Unter anderem wurde der Katalog der Zuständigkeiten der Gesamtkonferenz noch weiter zusammengestrichen. In zwei Punkten darf sie nun über

Grundsätze entscheiden, in gerade einmal drei Angelegenheiten behält die Gesamtkonferenz Beschlusskompetenz: beim Schulprogramm, bei der Schulordnung und bei der Geschäfts- und Wahlordnung.

Worüber soll die Gesamtkonferenz bei ihrem viermaligen Zusammentreffen im Jahr eigentlich entscheiden?

(Karl-Heinz Klare [CDU]: Es muss doch nicht viermal sein!)

- Es ist so drin geblieben. Das ist ja das Witzige, einer der handwerklichen Fehler. - Viermal soll sie zusammentreten. Aber Schulordnung, Geschäftsund Wahlordnung sowie Schulprogramm - diese werden ja nicht andauernd geändert - sollen ja einige Jahre bestehen. Ich frage mich also, was die Gesamtkonferenzen in ihren Zusammenkünften entscheiden sollen.

Sie, sehr geehrte Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, haben die Gesamtkonferenz so geschwächt, dass sie nur noch ein Popanz ist. Die Gesamtkonferenz als potemkinsches Dorf - das durchschauen die Lehrkräfte, die Verbände, auch die, die Ihnen sehr nahe stehen, ganz schnell. Ich darf in diesem Zusammenhang an die positiven Stellungnahmen zur Gesamtkonferenz vom Philologenverband und der GEW in der Anhörung erinnern. Der Realschullehrerverband hat diese Gesamtkonferenz sogar als das „Herz der Schule“ bezeichnet.

Was Sie jetzt geschafft haben, ist: Erstens. Die Kompetenzen sind insgesamt reduziert worden. Zweitens. Diese reduzierte Anzahl wird auf zwei Gremien verteilt. - Der Schulvorstand kommt dabei noch vergleichsweise gut weg. Auf ihn ist die Zuständigkeit einiger pädagogischer Fragen übertragen worden, aber nur einiger. Was ist mit den anderen? - In § 43 Abs. 3 heißt es:

„Die Schulleiterin oder der Schulleiter entscheidet in allen Angelegenheiten, in denen nicht eine Konferenz oder der Schulvorstand zuständig ist.“

Mit diesem Auffangparagrafen wird die Schulleitung in einem Maße gestärkt, das die SPDFraktion nicht mittragen kann.

(Hans-Werner Schwarz [FDP]: Das kann ja wohl nicht wahr sein! Das spricht von Professionalität!)

Dieses Ungleichgewicht unterstützt nicht Motivation und Engagement der Lehrkräfte, sondern es gefährdet sie. Wir wollten die administrative Stärkung der Schulleitung. So geht es uns zu weit. Aus anderen Bundesländern wissen wir, wie sich Blockade und Flucht in die innere Emigration auf Schulklima und Qualität auswirken können.

Die Unwucht der Kompetenzverteilung - man kann auch sagen: die Hierarchisierung der Entscheidungsbefugnisse - und die geringe Gestaltungsfreiheit wiegen schwer für die SPD-Fraktion. Daraus kann keine Eigenverantwortliche und schon gar nicht eine Selbständige Schule erwachsen.

Die Gewährleistung von Unterstützung und Beratung der Schulen durch die Schulbehörde haben schließlich doch noch Eingang in den Gesetzentwurf gefunden, die Forderung der Grünen nach einem regionalen Netz zur Schulentwicklungsberatung und Selbstevaluation aber nicht. Das heißt, Sie wollen vermeiden, dass Sie Kosten nennen müssen. Aber ohne finanziellen Einsatz sind Beratungs- und Unterstützungssysteme, ist die ganze Eigenverantwortliche Schule nicht zu haben.

(Beifall bei der SPD)

Sie führen die niedersächsischen Schulen mit diesem Gesetz auf den Holzweg. Es ist nicht zielführend; es hält nicht, was Sie versprochen haben, Herr Minister.

(Joachim Albrecht [CDU]: Wie wollen Sie Ihre Selbständige Schule führen?)

Die Schulinspektion ist, wie wir gefordert haben, im Gesetz festgeschrieben. Die Schuluntersuchungen sind nun geregelt. Geregelt haben Sie auch die Gesetzeskonformität der „Ganztagsschule light“, sogar rückwirkend; zum 1. Januar 2003 wollen Sie dies tun.

(Walter Meinhold [SPD]: Das ist ein Skandal! - Wolfgang Jüttner [SPD]: Das ist heftig!)